Grundierung : beflecktes Gelände

In Berlin überlebst du dank deiner Gleichgültigkeit

die Museumswächter : ausstaffiert mit prächtigen

Schnurrbärten : weisen dich aufs Absurde hin

schütz deine Gesundheit : indem du vermeidest

 

dich anzulehnen : dich hinzusetzen : zu atmen

die Füße zu lüften : du könntest dir

eine Infektion einfangen : Berliner Marmor

ist sauber : kein Bakterium verendet

 

vor seiner Zeit : du mußt gleichgültig sein

willst du weiterkommen : in der Bahn

mußt du Augen & Ohren schließen : konzentrier dich

auf deinen inneren Film : wenn die Armee

 

der Obdachlosen ihre Straßenzeitung preist

einer schreit & krümmt sich : „Hunger!“ : torkelt

davon : hat wohl einen zuviel auf nüchtern

gehoben : eine gute Idee : trinken wir

 

auf die Nüchternheit : die Gesundheit : die Absurdität

die Dichter verkriechen sich in dunklen Räumen

Licht ist gefährlich : laß uns lieber

diskutieren : wie Poesie Brücken baut

 

zwischen Feinden : die Polizei stürmt

nicht in unser akademisches Kellerverlies : man

läßt uns in Ruhe : ist es nicht schön

in Europa : das dürfen die Chinesen nicht

 

frei sprechen : während die Herrschenden

Beschlüsse fassen : zur Konstruktion neuer

Waffen : Errichtung neuer Zäune : zum Abzug

der Steuern : wir Dichter verzaubern die Welt

 

so schön & lachen : damit wir die Gleichgültigkeit

nicht verlieren : damit wir überleben : damit wir

weiterkommen : die Stadt rauscht pausenlos

du kannst darüber hinweg hören : bis dich das nächste

 

Martinshorn weckt : bleib in den Gärten : die Stadt

pulsiert nicht : sie setzt sich ins Endlose fort

dir erscheint es als Leben : das Jammern

der Dichter über ihren endlichen Wirkkreis : gibt es

 

seitdem es Dichtung gibt : dir zur Freude

stell dir vor : die Dichter könnten überallhin

wirken : wir würden ersticken am Wort

die Gedächtniskirche hörte nicht auf

 

zu läuten : hinter hundert Versen maskiert sich

der Mörder : ich liege im Tiergarten & lausche

dem Rauschen : die Stadt ist mir : was für den Maler

die Grundierung ist : beflecktes Gelände

 

& setze meine Gestalten drauf : Berliner Dichter

laden die Welt ein : in schwarzen Limousinen

fahren sie vor : wie einsam : sie bemerkens nicht

& bleiben unter sich : ich bleibe unbemerkt

 

wie ein Spion erkunde ich Territorien der Sprache

tierisch laut im Garten : umrauscht & löffle

die Suppe aus : in die all die preußischen Wärter & Wächter

ihr Johanneskraut & ihre Brennessel geworfen haben

die jury

Auch im nächsten Jahr werden wir eine Inskriptionen-Anthologie auf Papier drucken & laden als Co-Juroren diejenígen ein, die sich mit den am meisten poetischen Beiträgen oder Kommentaren einschreiben. Als Kommentare gelten Entschlüsselungen hermetischer Texte oder Fortschreibungen im Stil des Protagonisten. Wertungen nach dem Schema „gut“ oder „schlecht“ werden nicht gezählt…

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Die Weite ist nicht die Weite und die Enge nicht die Enge. Das wissen wir doch. Was also reden wir herum, was denken wir, so nach und nach, geschraubt, gedreht, gedrechselt. Ist das Freude, ist das Spiel, ist das gut fürs eigne Hirn, höhere Onanie sozusagen ? Oder ist es wirklich schon Unzucht,  denkporno …? Zu schön um wahr zu sein. Die Denkdirne, die verstößt gegen Norm und angenommne Sittlichkeit, mit Worten und Gedanken, so drall und voll, daß einem das Blut zu Kopf steigt. Wundervolle Schweinerei. Wäre das. Ach. Lasst mich Denkdirne sein. Auf der Stelle. Jungfrau. Leibeigen. Um Lohn und Brot. Käuflich. Ich denke – sie zahlen. Das wäre das beste daran.

Doch gegen wen oder was soll ich verstoßen ? Akkusativ. Der Wenfall ist eingetreten. In jede beliebige Richtung kann man schlagen, es ist kaum noch einer da, den man umhauen könnte. Alles ist Norm. Alles ersoffen. In Freiheit. Stirbt die Scham, werden die Tabus knapp. Wo sind sie, die Tabus, die ich noch brechen könnte. Her mit ein paar neuen Tabus. Aber woher.

Suche Tabu – biete Unzucht.

Die Denkdirne.

Posted

Lyrik auf Semmeltüten:
die ultimative
Verbaldiarhooe
geschrieben um entsorgt zu werden:
knittert leicht und innen
krümelts:
Herr Bäcker, Íhre Semmeln enthalten
zuviel Luft,
die abgelassen werden will:
Pffffft!!!
Las mal einen los, Mann
runter vom Sofa
ran an den PC
rauf auf die Semmeltüte.
Fliegende Darmwinde
auf Kettenbäckers Packpapier
Warten auf ein gemütliches Frühstück, garniert mit
Erdbeermarmelade, Feuerwehrrot,
Tu‘ den Farbstoff in den Tank.
Die letzte Zigarette
von Aldi
weist den Weg zum Klo.

Mazisi Kunene: Europa

Europa, Rohgestein –
So ist dein Fundament.
Dein Herz wie Spinnweb so
Trocken in der Wüste.

Die Kinder dein – unsere Angst:
So wie die Jungen einer Beutelnatter
Das Fleisch ihrer Alten verschlingen.
Einst glaubte ich den Geschichten.

Einst glaubte ich deine Brüste
Überschießen in Milch.
Ich sah dich andrängen mit Büchern
Aus denen die Orakel ihre Sprüche nahmen.

Ich hörte in den Wäldern
Dich heulen – Wölfe, die
Knochen ihres Klans zerknackend.
Ich weiß um das Spröde deiner Visionen:

Du schlossest die Türen
Für ihn, den stählernen Bräutigam.
Du entschiedst dich gegen die Liebe
Nur weil sie allein & ganz

Der Stille verschworen blieb.
Von ihr her sind deine Orakel genommen
Und die Prophezeiungen bestellt:
Du lachtest über die Blinden,

Obwohl du doch selber blind bist,
Kämpfend in dieser großen Nacht.
Kinder erben das Feuer.
Sie blasen seine Flammen in den Himmel hinauf

Und verbrennen andere im Schlaf.
Und was wird die Sonne dazu sagen?
Die Sonne wird lachen, denn
Selbst Wiegen brannte sie aus von Zeitalter zu Zeitalter.

Aufbauabbau

Mit der Pleite des Aufbau-Verlages verliert Ostdeutschland endgültig seine Stimme im Chor des bundesdeutschen Verlagswesens. Christoph Links hat in seinen Beiträgen (siehe: Was wurde aus dem „Leseland DDR“?, in: ders. (Hg.), Am Ziel vorbei, Berlin 2005) schon vor Jahren auf den ökonomischen Irrsinn hingewiesen, der eine gesamte Region zum Absatzmarkt degradiert, die Wertschöpfung aber liquidiert. Ist es als Preis der deutschen Romantik zu verstehen, daß auf ökonomische Folgen politischer Entscheidungen in diesem Land zu wenig geachtet wird, sobald sich ideologische Gespenster vor den Augen tummeln? Die schrumpfende ostdeutsche Bevölkerung hat sich damit abgefunden, scheint es, daß die Mehrheit der Gesellschaftsmitglieder auf Dauer alimentiert werden muß. Das Anziehen der Daumenschrauben (Hartz 4) versetzt Gefesselte nicht in Bewegung. Über das ökonomische Ausmaß der treuhändischen Abwicklungspolitik sind wir uns mittlerweile im Klaren: es gibt in Ostdeutschland keine nennenswerte Verlagsproduktion mehr, nur 2,2 Prozent der lieferbaren Titel werden im Osten verlegt (ZEIT, 19. 6. 2008). Es gibt nur noch diverse Liebhaber- oder Nischenproduktionen, ein Negligé für den gesamtdeutschen Buchmarkt, eine ökonomisch zu vernachlässigende Größe, die für die Kulturpolitik und die Branchenverbände immerhin noch ausreicht, um der Öffentlichkeit in Hochglanzbroschüren das Bild von einem florierenden Geschäft zu suggerieren. Im Verlagswesen zeigt sich um einen Deut klarer, was auch in der übrigen Wirtschaft gespielt wurde: ein radikaler Kahlschlag, der bestenfalls vom Niedergang des Buchhandels insgesamt in Folge der Digitalisierung jemals wieder eingeholt werden kann.

Die Frage, die sich anschließt, lautet: Was bedeutet die vollständige Liquidation des ostdeutschen Verlagswesens für die Kultur und das demokratische Experiment eines Landes, das in seiner Geschichte üble und übelste Diktaturen hervorgebracht hat? Darüber wird auffällig wenig oder gar nicht diskutiert – ein Mangel, der mit dem Fehlen der materiellen Basis demokratischer Meinungsäußerungen, der Existenz unabhängiger Verlage, merkwürdig korrespondiert. Die westdeutschen Meinungsmacher, die seit vierzig Jahren, genauer: seit 1968, in ihren Redaktionssesseln lümmeln, hauen gern mal verbal auf ihre ostdeutschen Landsleute ein, wenn es darum geht, nach einem rechtsorientierten Überfall oder Wahlsieg der Linken Demokratiedefizite in irgendeiner Kleinstadt zu bejammern. Daß den Ostdeutschen die eigene literarische wie politische Stimme entzogen wurde, indem man nach dem Fall der Mauer den ehemals volkseigenen Verlagen einen Bauingenieur als obersten Verwaltungsbeamten mit dem Auftrag vorsetzte, sie schnellstmöglich zu verscherbeln, koste es, was es wolle – diese vom Westen inszenierte Entmündigung wird von den heutigen Moralaposteln stillschweigend übergangen. Sie ähneln Eltern, die ihr Kind zwar gut füttern, die ersten Lallversuche aber als Ruhestörung mißverstehen und mit Klebeband vorm Mund bestrafen, um das Kind dann, wenn es – berechtigterweise – bockt und trotzt, erst richtig zu verprügeln oder dem Jugendamt vorzuführen, damit es in Obhut genommen werde. Seit dem Fall der Mauer erleben wir die verlegerische Inobhutnahme der Ostdeutschen in westdeutsche Fürsorgeanstalten, wir erleben eine beispiellose Entmündigung, die auf Sammetpfoten daherkommt, nicht mit den Mitteln der politischen Zensur, sondern des ökonomischen Zwangs agiert.

Woher kommt das nachhaltige Desinteresse in der ostdeutschen Bevölkerung an der Entwicklung der Demokratie und der Hochkultur? Wie kommt es, daß ernsthafte Fürsprecher der beiden letzteren allenfalls ein müdes Lächeln ernten, wenn überhaupt? Ist es die angebliche Unbelehrbarkeit oder Starrköpfigkeit des ostdeutschen Charaktertyps, der eben über anderthalb Generationen hinweg durch den Stalinismus versaut worden sei? Xenophobische Spekulationen dieser Art werden noch in manchem Wohlstandsnest des westdeutschen Hinterwalds gepflegt – mit der Lebenswirklichkeit haben sie wenig gemein. Die tägliche Erfahrung der Stimmlosigkeit läßt niemanden verhungern. Es gibt keine Demonstrationen, solange die Entmündigten noch einigermaßen satt sind. Niemand hat es nötig, für das Recht auf Meinungsäußerung auf die Straße zu gehen – denn das Recht steht formal jedem offen, darum geht es nicht. Es geht um die materielle Grundlage, seine Meinung – und sei es nur seine literaraische und ästhetische Überzeugung – in den Diskurs werfen zu können, ohne daß sie zuvor von westdeutschen Redaktionsstuben und Lektoraten gefiltert wird. Wenn es Menschen nicht mehr möglich ist, ihr Menschsein zu artikulieren, hören sie allmählich auf, Mensch zu sein. Der Mangel an ungefilterter Äußerung (früher hieß das Authentizität, aber sie ist in Verruf geraten) entwertet nunmehr die gesamtdeutsche Demokratie und überführt ihre Apologeten der Lüge. Wer sich vor jeder Wortmeldung hinten anstellen muß, wendet sich irgendwann ab. Die Themen im öffentlichen Diskurs der Bundesrepublik werden von einem Filz bestimmt, der einer „Wende“ bedarf, einer personellen Erneuerung. Wie wäre es die Leitungsstellen in den öffentlich-rechtlichen Anstalten grundsätzlich auf fünf Jahre zu befristen? Ich höre schon die Kritiker, die mich aufs Internet verweisen und die Freiheit, die dort zu finden sei – sie ist tatsächlich zu finden und deshalb stehen diese Gedanken dort.

„Aufbau“, das einstige Flaggschiff der DDR-Verlage, war das letzte Feigenblatt, das die ostdeutsche Entblößung von literarischer Wertschöpfungskapazität verbergen sollte. Paradoxerweise hat die politische Zensur, die die DDR auf die Literatur- und Kulturszene ausübte, zu deren Wertsteigerung beigetragen und den mittlerweile verhallten Ruf vom „Leseland“ erst hervorgezaubert. „Aufbau“ suggerierte, daß es einem ostdeutschen Verlag möglich sei, im Chor der Konzerne und Meinungskartelle mitzusingen. Der äußere Schein war beeindruckend. Nun ist die Hülle gefallen und jedermann sieht: dahinter ist nichts.

Hechelndes Klappern

Hechelndes Klappern der Tastatur : das heißt Schreiben

die Ohren geschützt vorm Geplapper am Nachbartisch

durch schwarze Stöpsel : aus denen Musik quillt

wie Mineralwasser : klar & medium

gerade gereckt : der Rücken : fällt

in sich zusammen : Haltung bewahren

darauf kommts an : wir schreiben alle

irgendetwas : meistens Berichte

die drei Tage später schon wieder vergessen sind : wenn

überhaupt & unser Schreiben ist wichtig

Beginn der Eisnacht [7]

Vom Bahnhof aus liefen wir mehrere Stunden in den Wald hinein. Die Zweige der knisternden Tannenbäume entfalteten sich vor den Augen zu einem grünen Teppich, auf dem der Blick ruhen konnte wie auf einer Couch. Kalte Luft drang in die Nase, ihr würziger Duft war ein seltsames Gemisch aus Sonne und Schnee. Je weiter der Tag voranschritt, um so tiefer gelangten wir in die Wildnis. Einzelne Spuren verteilten sich im Weiß. Die gleichmäßigen Schritte verloren allmählich alle Konturen, die Bewegung sorgte für sich selbst, nur die Gedanken schweiften immer öfter dem unwillkürlich kreisenden Blick hinterher und versuchten, die beiden, scheinbar unvereinbaren Ideen von frierendem Schnee und wohligem Schlaf zusammen zu bringen. Es begann zu dämmern. Leichter Wind kam auf. Nun galt es, einen Lagerplatz zu finden.

– Da hinten sieht es ganz gut aus.

– Nö, das ist zu abschüssig. Laufen wir lieber noch ein Viertelstündchen.

– Gut. Aber in einer halben Stunde ist es garantiert dunkel.

Und die Nacht kam ohne Umschweife. Sie brach über uns herein als zittriger Schwall schnell in die Glieder einsickernder Eisluft. Wir bauten im Halbdunkel das Zelt auf. Versuchten mit klammen Fingern Feuer zu machen. Es ging immer wieder aus. Schließlich flüchteten wir vor der unerbittlichen Kälte ins Innere des geschützten Bereichs.

Auge und Engel [6]

Was mochte unter deinen Lidern vor sich gehen? Du lehntest in der Ecke des Abteils, der rote Lederbezug der Sitze war ein ziemlich schäbiger Himmel, und die Gestalt, die mir da gegenübersaß, war durchaus kein Engel, es war ein menschliches Wesen, Fleisch und Blut mit engelsgleichem Antlitz. Die roten Ledersitze waren abwaschbar, und nachdem auch die Mutter mit ihrem Sohn ausgestiegen war, hätten wir bedenkenlos die Armstützen hochklappen und uns im Abteil bequem ausstrecken können. Der Raum war ganz in Schlaf gehüllt. Ich versuchte den Rhythmus deiner Atemzüge zu ergründen, irgendeinen Reim musste es auf das stille Vibrieren dieser Augenlider doch geben – allein, ich war mit meinem Blick und und meinen Gedanken ganz und gar außerhalb deiner, und du warst eingekapselt in den Raum dieser Ecke dort wie ein Ungeborenes in die Flüssigkeit seiner Fruchtblase. Ja, mir war tatsächlich mulmig zumute. Zwischen Kopf und Bauch wanderten wunderliche Gestalten hin und her. Und du, du saßest mir gegenüber wie in einer anderen Welt. Ich war das Auge, welches dich zum allerersten Mal erblickte. Du aber hieltest deine Augenlider hartnäckig gesenkt.

Hören heißt

Gedichte hören heißt den Wind hören : das Rauschen
grau : des Verkehrs : das Verstummen
der Stimmen : Gedichte sind hörbares Schweigen
urbar gemacht : Rohstoff
der Ohren : Gedichte nisten in Pausen
massieren das Trommelfell : finden
den Weg durchs Labyrinth der Gehör-
gänge : rufen Schwindel hervor : das ist
die Wahrheit : Gedichte dröhnen nicht
sie gehen der Musik voraus : sie dünkt
sich dem Universum gleich : Gedichte
klingen : ohne zu singen : reine
Vorstellung vom Klang : vergiß
Rhythmus & Jambus : Trochäus
Gedichte zu hören heißt hören

Du und ich als phantomschmerz

Und meine sieben wunden punkte
auf denen die großen ochsenfliegen
ihre eier ablegen neben die du dich
hinsetzt als wäre es normal verdammter
streichst mit der linken über mein stoppelfeld
das waren mal wünsche sind jetzt abgemäht
ziehst mich fest zu dir dass ich rauch fisch
und fäule rieche und zeigst mit dem finger
schau da drüben die hübsche kleine dichterin
wie sie in ihren elfenschuhchen spaziert
wie sie ihr köpfchen ruckt und wünscht sich
ein wenig wehwehchen in ihren text
als gewürz – Wollen wir sie abschießen?
Au ja das wollen wir! Das wollen wir!
Peng

Erstmals unterwegs [5]

Wir werden einen Schneesturm fordern,

damit er treibe

durch Abgründe der Vitrinen.

Gennadij Ajgi, Frau von rechts

Ich war einverstanden gewesen. Wir trafen uns am Bahnhof und nahmen den Zug in Richtung Süden. Hinter dem Fensterglas lagen die verschneiten Wiesen und Felder in der Sonne, sie zogen am reglosen Blick vorbei wie Bilder einer besseren Welt, im überheizten Abteil war die Luft äußerst stickig. Die drei Stunden Fahrt vergingen wie im Fluge. Wir sprachen wenig. Von Zeit zu Zeit sahen wir einander an und schienen dann jedesmal gleichzeitig zu erschrecken ob der offenkundigen Verrücktheit von Mitreisenden. Einmal wurde die Tochter einer älteren Frau so mir-nichts-dir-nichts nach Amerika geschickt, immer noch besser als ohne Mann und ohne Job in der Provinz zu versauern, ein andermal durfte ein kleiner Junge nach zwei Stunden inständigen Bittens drei Stücken Schokolade essen und verdarb sich dabei fast den Magen. Der Schaffner grüßte freundlich, aber diskret – das schwarze Tuch um deinen Hals sah verwegen aus. Ich begann mir Gedanken zu machen: Könnte ein Schlafsack zu dieser Jahreszeit überhaupt den vom wachenden Geist verlassenen Körper so warm halten, wie die gleißenden Träume es erforderten? Würden nicht die Schuhe durchweichen und schließlich die Füße erfrieren? Je näher wir unserem Ziel kamen, um so mulmiger wurde mir zumute. Und du, du hieltest die Augenlider hartnäckig gesenkt.

kompostkunst.

„Wir leben nicht im frühen 19. Jahrhundert.“
Plagiat der dt. Romantik, schon die Familie Mann
Erkannte diesen Stilfehlgriff
rechtzeitg und
hat sich aufgeschwungen
Tradition und Moderne
in ein harmonisches Gleichgewicht –
zu pre— halt!
In Müsli-Harmonie
un-gepost-modern, gekleidet
Pastell, nicht neon,
nicht gelb, nur grün –
dann schon lieber Vokuhila.
„Zurück zur Natur!“
und ins Orkustürmchen
elitärer Dichtkunst.
Liebe Jungen und Mädchen, wollt ihr
mit Johann Wolfgang verkehren?
Bedenkt, er war vielleicht ’ne Schwuchtel.
Dann schon lieber Vokuhila.
Kleben bleiben, in der Oberstufen-Ära,
kleben hält jung.
(die Tasse hat nen Sprung, um Himmels willen, meidet den Reim, weidet den Leim, schneidet den Keim…)
Zu Boden mit Euren 200 Jahren!
Retro für echte Zeit-Bomben,
da muss wohl noch Napoleon
seinen Kanonendonner abfeuern
oder die Guilloutine Euch
den Kopf kürzen,
aus dem naturkonform,
biosamennah – du heiliger Kartoffelsack –
Schrotmühlengemahlen, wie Max und Moritz,
durch die Rollenpresse reproduzierbarer Kupferstiche,
Euer naturnahes Gekrümel bröselt.
Dies sind Eure Wanderjahre, verlebt auf dem Sozialamt:

Raus aus dem deutschen Wald und auf ins Feuchtgebiet.

Im Namen der kosmischen Hirse [4]

War es derselbe Tag, an dem wir uns trafen, zwei Irrläufer in den kosmischen Weiten des interplanetaren Raums, Kometengesichter mit dem urplötzlich aufglühenden Lächeln unter einem Scheitel ewigen Eises, oder war es der andere Tag? Du fragtest nicht, nicht nach dem Unterschied desselben und des anderen an jenem Abend, seine gleitenden Bilder werden mir ewig im Trudeln eines Kindes beim Umrunden der Erdachse vor den Augen stehen, nicht nach der Zukunft der Menschheit, Karrussell galoppierender Interessen, meine Augen ertranken in der Blindheit eines Glücks, das die Züge fließender Satzfetzen trägt.

Du erzähltest mir ein Stück jener Landschaft, den unverhofften Platzregen am Ende eines langen, schwülen Tages, die dich einst glücklich gesehen hatte in deiner eigenmächtigen Darstellung des Lebens. Hoch aus dem Himmel, wo die Träume von Ungeborenen hängen, fiel ein elektromagnetisches Prickeln, jemand hatte einen Sack Hirse über den Teppich eines Kinderzimmers geschüttet, und allmählich, im Prozess der Verfestigung von Minuten aus Sekunden und von Stunden aus Minuten, zeichneten sich Muster ab im Hintergrund, dem Jenseits der in ständigem Pulsieren begriffenen Brennpunkte zweier Augen, und ich glaubte der Erzählung ohne Weiteres, dass sie sich um die Entstehung des Feuers drehte.

Unverhofft [3]

Wir trafen uns auf dem Bahnsteig. Du hättest mich nicht erkannt. Als Teil hektischer Menschenströme eilten wir aufeinander zu, und als du unwillkürlich den gesenkten Blick hobst und unsere Augen sich begegneten, nickte ich dir als Teil eines ausladenden Lächelns zu.

Du bliebst stehen. An die kurzen, bedeutungslosen Worte dieser Begegnung vermag ich mich nicht zu erinnern. Du warst auf dem Weg zu einer zeitfüllenden Arbeit, ich sorgte mich um meine kranke Mutter, zu einer anderen Jahreszeit wären wir wohl einfach aneinander vorbeigelaufen. Wir verabredeten uns für den Abend desselben Tages.

OHNE MICH!

Ich fange nie an zu schreiben, bevor ich nicht eine Kanne Kaffee getrunken habe. Wenn ich genug Kaffee getrunken habe, tanzen meine Worte auf dem Bildschirm und die Bilder kommen mir zugeflogen. Ich setze mich an den Küchentisch und fahre meinen Laptop hoch. Das Schnurren und Klicken, das mein Laptop veranstaltet, mischt sich mit meinem Schlucken des Kaffees. Mein Laptop und ich – wir haben uns gut aufeinander eingespielt. Die letzte Tasse Kaffee ist leer, der Laptop öffnet ein leeres, blankes und frisches Dokument. Ich habe das Telefonkabel herausgezogen, die Klingel ausgestellt und alle Fenster verschlossen. Was soll – was kann jetzt noch passieren? Ich werde versuchen es zu beschreiben: Ich lege meine Finger auf die Tasten, sodass sie das Wort Womöglich schreiben würden. Mit diesem Wort will ich anfangen und habe auch schon ein Bild dazu. Noch bevor ich die Tasten drücken kann, höre ich hinter meinem Rücken ein Zischen. Ich halte inne, warte, das Zischen verstummt, ich konzentriere mich wieder auf mein erstes Wort Womöglich und das Zischen ist wieder da. Ich löse vorsichtig meine Finger von den Tasten – die das Wort Womöglich geschrieben hätten und drehe mich um. Neben der Spüle steht eine Flasche Wasser und zischt. Jetzt wo ich weiß, wo das Zischen herkommt, versuche ich mich wieder auf das Wort Womöglich zu konzentrieren. Die Flasche zischt sofort wieder. Es klingt immer gefährlicher. Ich kann ihre Zähne in meinem Nacken spüren, die sich sofort in mein Fleisch vergraben würden, wenn ich das Wort Womöglich schreiben würde. Ich will ihr zeigen wer hier der Boss ist und konzentriere mich wieder auf Womöglich -. Das Zischen wird sofort noch lauter. So als wäre die Wasserflasche eifersüchtig auf mich und den Laptop. Ich überlege, wie ich sie einbeziehen könnte, bei dem was mein Laptop und ich vorhaben, aber mir fällt nichts ein.

Ich sehe die Flasche an und sie nimmt ihr Zischen ein klein wenig zurück. „Bitte. Lass uns doch eine Weile schreiben und danach will ich sehen, was wir – du und ich unternehmen können!“ Ich widme mich wieder meinem Laptop und das Zischen schwillt zu einem wilden Knurren und Zähnefletschen an. Ich springe auf und schreie sie beide an. Den Laptop und die Wasserflasche. „Schluss jetzt! Ich werde jetzt einen Spaziergang machen. Tragt es untereinander aus. So geht das nicht!“ Ich knalle die Tür hinter mir zu und während ich die Stufen nach unten renne, höre ich das Zischen und Knurren der Wasserflasche und das Klicken und Klappern des Laptops. Sollen sie es unter sich austragen! Ohne mich! Womöglich werde ich ab morgen immer in Cafés schreiben müssen.

 

JOHN FANTE IS WAITING!

Ich setzte mich an die Schreibmaschine. Jetzt würde ich einen Satz schreiben, einen einzigen, perfekten Satz. Wenn ich einen guten Satz schreiben konnte, würden mir auch zwei gelingen, und wenn ich zwei schreiben konnte, waren auch drei möglich, und wenn ich erstmal soweit war, gab es überhaupt keine Grenzen mehr.
– John Fante

Bandini. Arturo Bandini – immer pleite und der größte Schriftsteller. Der größte Schriftsteller von allen größten Schriftstellern!!!

John Fante sitzt an seiner Schreibmaschine und tippt – ein Wort – dann das nächste. Es gefällt ihm nicht was er da schreibt.

Komm schon Bandini sag was! Rede mit mir! Verdammt!!! Rede! Wo sind sie – die Worte – die Sätze?

Ist es zu dunkel? Können die Worte nicht zu ihm finden – weil es zu dunkel ist – hier in dem Zimmer?

Fante hat das Licht in seinem Hotelzimmer ausgemacht – eine Kerze brennt und es genügt zum Schreiben! Es muss genügen. Bandini versteckt sich vor der Vermieterin die hinter der Miete für drei Wochen her ist.

Fante hat die Miete nicht – er hat noch viel weniger nicht – er hat nichts zu essen – nichts zu trinken – dreht sich mit den Tabakresten in einem Toilettenpapier die letzte Zigarette – und sieht hinaus auf ein paar ausgetrocknete Palmen. Hier ist er also. Bandini ist in Los Angeles.

Geliebtes Los Angeles – liebe mich und ich danke es dir!

Ich schreibe von Dir – über Dich – in Dir – aus Dir heraus – mit Dir zusammen!!!

Los Angeles – sei lieb zu mir – ich dank es dir – wir sind hier – gemeinsam – du brauchst einen Schriftsteller wie mich! Ich brauche eine Stadt wie Dich für mich! Ich – der deine Geschichte schreiben wird. Der Dich zeigen wird – wie Du sein kannst – wie gut du sein kannst zu einem wahren Schriftsteller! Ich bin Bandini – Arturo Bandini und mein Roman den ich dir – DIR schenke wird heißen – ASK THE DUSK! Es ist die Geschichte eines Mannes – eines Schriftstellers – der liebt – der kämpft – der lebt und leidet – hier hast Du ihn – deinen Helden! Los Angeles – ich bin bereit! Ich hab keine Zeit! Nichts zu verlieren und hab dir SO VIEL zu sagen!

L. A. Sei nett zu mir! Ich werd es dir zeigen! Stadt! Du! HEY STADT!!!

Ich bin hier und Du bist hier und ich bin der GRÖSSTE Schriftsteller von ALLEN!!! Sieh mich an Los Angeles! Siehst du mich nicht?

Liebst du mich nicht?

Ich werds dir zeigen!

Eines Tages werde ich sein – was ich jetzt schon bin – ein großer Schriftsteller!

Und alle können es sehen. Alle müssen es sehen! ALLE! Alle werden es sehen!

Ich brauche eine Liebe für meinen Roman! Eine LIEBE die man nicht lieben kann – ein LEBEN das man nicht leben kann.

In einer Stadt die nicht mehr atmen kann. Mit meinen Fingern – die tun sollen was sie tun sollen – einen Buchstaben nach dem anderen tippen und tippen und mir aus dem Herzen schreien – ohne zu denken – ohne auch nur ein bißchen zu lenken.

Fante! Du bist ein Genie! Das ist ein Anfang! Ein wahrer Anfang und es wird ein großer Anfang und ein großes Ende und dazwischen – wird es brennen und lodern und stürmen und rauschen und knallen und fluten und bersten und jauchzen und knarren und explodieren. Eine Explosion! Ein Erdbeben!

Mein Buch wird eine bebende Explosion!

Hier bin ich Arturo Bandini – ein Beben – eine Explosion! SEHT HER! – SCHLIESST EURE AUGEN – SONST WERDET IHR GEBLENDET – HÖRT HER – IHR – HIER HABT IHR EINEN DER ES EUCH ZEIGT WIE ES GEMACHT WERDEN MUSS!!!

Wer sind die anderen? Die anderen – sind anders und alle sind sie gleich! Ich bin hier – die anderen – sind weg und nichts mehr wert! Einen Dreck wert und viele noch weniger! Da komm ich her – aus dem Dreck und ich erzähl euch was! Ihr – ihr – ihr mit eurer Stadt! Ihr mit euren Träumen und Wünschen – ihr – ihr – ihr! Ihr seid alle gleich und ich bin anders! Mit aller Kraft bin ich anders und bin Arturo Bandini! Vergesst den Namen nicht! Ich bins – euer Arturo Bandini! Ich zeig euch eure Stadt – eure geliebte Stadt! Ich werf euch euren Dreck vor die Füße! Wisst ihr eigentlich wer ich bin? Ich bin Arturo Bandini!!!

Ich schreie und schreie und lache und lachend werde ich euch schreiend auf eure Straßen spucken – rotzen auf die Straßen auf denen nichts mehr wächst – auf eure Stadt – die mich nicht will! Die mich nicht braucht – wie sie euch nicht braucht! Ich schreie und ich schreie und ihr hört mich nicht! Ihr hört mich nicht? Nachdem ihr mich hört – hört ihr keinen anderen mehr – nie mehr – niemals werdet ihr mehr hören als mich! Mich – Arturo Bandini!

ICH BIN ARTURO BANDINI!

Wo bist du? (***[2]**)

Ich hatte dich seit drei Wochen nicht mehr gesehen. Die Frage, ob das vektorielle Zucken der Sonne am Himmel Ausdruck einer kosmischen Körperstruktur ist oder aber so erruptiv vonstatten geht wie die Geburt eines Weltuntergangs, hatte mich nicht wieder losgelassen. In der Erinnerung an deine Stimme kamen meine Gedanken immer neu auf die sonderbare Gestalt jenes Zitterns zurück, aus welchem der Satz über die längst vollzogene Zukunft der Menschheit, Apotheose der Selbstbegegnung von Arm und Reich im abgedunkelten Raum eines Baukastens über sich hinaus verweisender Dinge, an jenem Abend erstanden war. Plötzlich war die Sonne untergegangen, deine Fingerspitzen hatten sich zurückgezogen in ein schwarzes Licht, das seitdem den Beginn einer jeden Nacht mit einer Schwerkraft umhüllte, die der unsichtbaren Sonne ebenbürtig war. Seitdem standen deine Augen jeden Abend am Horizont und schauten mich mit einem Zittern an, in welches hinein der Akkord aus dem Innern benachbarter Weinflaschen gefallen war, abstrahierte Form eines Universums, das noch von keinem Auge eines Körpers je angeschaut worden ist. Auge eines Körpers, ja, so war es – das erruptive Zittern deiner Stimme hatte meinem Ohr ein Gesicht offenbart. Die Augen hatten an dir vorbei die Bewegungslosigkeit deines Körpers wahrgenommen, selbst das kleinste Zucken wäre als kurzzeitige Verdunkelung der Sonne dem fragenden Blick zu Bewusstsein gekommen – allein: das fragende Zittern blieb.

En passant

Es waren Nervenerschütterungen, die Frau von Morast bereits beim Gang in den Frühstücksraum zu schaffen machten. Roulettekugeln rollten für diejenigen, die sich vor dem Leben und seinen Sonderformen ekelten. Walzerklänge lullten auch die zähesten Paralytiker ein. Ihr Kopf, so schien es Frau von Morast, musste mit Vichywasser gefüllt sein. Der Baron würde sich abermals über das Schweigen bei Tisch bekümmern und die Zeitung zur Seite legen, weil seine statuenstille Gattin ihm langsam unheimlich wurde. Dabei leuchtete die Sonne heute doppelt hell, wo er doch gestern ein paar Mark beim Pferdelotto gewonnen hatte. Diese paar Mark waren nicht nur symbolisch bedeutsam. Frau von Morast hatte eine Schwäche für Kaugummiautomaten, in die man 10-Pfennigstücke einwerfen musste, um schließlich eine farbige Kugel zwischen die geweißten Zähne schieben zu dürfen. Sie hatte ihrem Mann vor dem Frühstückstee einen nervenberuhigenden Strandspaziergang vorgeschlagen, der nun von dem Sprudelwasser in ihrem Kopf unterminiert zu werden drohte – ein baroneskes Leiden, wie Dr. Kellermann am gegenüberliegenden Tisch erheitert konstatierte und die Faltmappe zuklappte, in der er allerlei Kuriositäten des urläublichen Lebens mit einem braunen Filzstift notierte.

Herr und Frau von Morast hatten den stets in der Scheintätigkeit von Geistesarbeitern sich Bereithaltenden schon länger registriert und mit Unbill festgestellt, dass seine Aufmerksamkeit sich verstärkt auf sie zu richten begann. Das war eine narrative Indigestion, jawohl. Sicher kaute Frau von Morast bereits beim 1. Frühstück farbenfrohe Kaugummikugeln, die sie in einem Silberetui beherrbergte, und dessen Knipsen in den Ohren des Barons jedesmal ein Vibrieren (die Synapsen arbeiteten eilfertig) auslöste. Sicher trocknete sich Herr von Morast beim Essen in regelmäßigen Abständen die Hände, die etwas Feuchtes auszudünsten schienen. Das Handtuch, überzuckert von bunten Aufdrucken wie je pisse en passant oder never figure inside my brain, hing über der Stuhllehne, und die Baronin reichte es ihrem Mann, sobald er ihr etwas ins Ohr flüsterte, mit dem er offenbar nach dem Handtuch verlangte. Rituale, die bei den Gästen auf Spott oder Mitleid stießen. Zudem waren die Beiden vollständig overdressed. Unter ihrer schillernden Garderobe trug Frau von Morast drei Korsagen mit lila Spitzen. Die Baronin war feige, und ihr Mann schiss keine Dukaten, flüsterte sie erregt, die Schlaffheit seines Rückens betrachtend. Doch die Neugier von Kellermann war eine geistige Indigestion.

schlafstatt für schlaffe tiere

hochwald +++ schutz vor schwarzschnee : windgeröll +++ schlafstatt für schlaffe tiere : tags +++ nachts : tanzplatz für hungerzähne +++ büchsenrevier für dämmerungsblinde jäger +++ wer kennt die moral des hochwalds +++ tosebach :  streifsau : fluggemse +++ ich habe mich durch ihn durchgeschlagen : bin durch +++ ihn durchgerutscht : die nadeln +++ stecken noch in meinen vier buchstaben

das es +++ vergiß

Wir ziehen uns zurück : du & ich +++ sie & er : vergiß das es +++ vergiß das wir : wir ziehen uns zurück +++ in keuchende schluchten : auf schluchzende höhn +++ immer ist bei uns der fauchende bruder +++ immer ist bei uns das maulende luder +++ sie hört nicht : was du sagst +++ du sagst nicht : was sie hört +++ er hört nur auf sie : sie sagt +++ was sie will : ich ziehe mich zurück

Das Recht des Schönen

Der Streit um den Erhalt des Welterbetitels des Dresdner Elbtals zeigt, dass das Schöne eines Ortes, und mag er auch noch so einmalig, einmalig schön sein, in Recht und öffentlichem Diskurs keine Rolle spielt. Ein Ort hat keine Stimme, er ist auf uns angewiesen, nur wir können seine Schönheit gegen Zerstörungen verteidigen, die letztlich fast immer auf Aufwertungs- oder Verwertungsmaßnahmen beruhen. Man protestiere einmal gegen eine neue Straße oder eine neue Fabrik, weil man auf einer Wiese oder in einem Tal oder auf dem Platz vor der Kirche gern spazieren gehe, ja man klage einmal vor Gericht gegen eine Baumaßnahme mit der Begründung, das Schöne eines Orts sei bedroht. Im ersten Fall erlangt man bestenfalls den Ruf eines Spinners, im zweiten Fall wird die Klage verloren werden, weder ist das Schöne ein klagbarer Wert, noch darf irgendjemand für sich in Anspruch nehmen, rechtlicher Vertreter einer Wiese zu sein, über die er als Nichteigentümer allenfalls spazieren geht. So wird denn die meist schon zu Beginn verlorene Schlacht mit den gerade so erlaubten Waffen geschlagen. Tritt man öffentlich für die Wiese ein, gründet vielleicht gar eine Bürgerinitiative, so bekommt von den PR-Abteilungen das Etikett eines Investitionshindernisses verpasst, über Nacht wird man zum Ökofuzzi, zum Altkommunisten oder sonstwie wertlosen Teil der Gesellschaft. Mangels eigener PR-Abteilung kann man da nicht mehr viel machen. Die vom Wiesenspaziergänger auch mit noch so guten Argumenten ausgearbeitete Pressemitteilung wird kaum zitiert, eine Plattitüde des Offiziellen hingegen gelangt leicht in die Tagesschau. Manchmal ist die Wiese irgendwie ein Denkmal, und mit etwas Glück verweigert das zuständige Denkmalamt die Linientreue zum Investierenden. Das Ergebnis ist dann meist ein Kompromiss auf Kosten der Wiese, ein paar Quadratmeter bleiben erhalten oder kommen als Ausstellungsstück in die Grünfläche des Innenhofs eines Museums. Andere Möglichkeit: auf der Wiese findet sich ein seltener, unter Naturschutz stehender Käfer. Dann dürfen Naturschutzverbände die Rechte des Käfers verteidigen, was aber meist damit endet, dass der Käfer eingesammelt und auf eine andere eigentlich von Artgenossen bereits besetzte Wiese, umgesiedelt wird. (Mit Käfern darf man machen, was mit Menschen eigentlich verpönt ist. Das geschieht mittelbar, mit Lärm, mit Hässlichkeit. Der Wiesenspaziergänger verliert mit der Wiese ein Stück seiner Heimat und steht bald, wenn alle Wiesen in der bewährten Taktik der kleinen, winzigen Scheibe in Bebauungsgebiete umgewandelt sind, heimatlos da. Entweder er resigniert und bleibt, oder er flieht, flieht zu einer anderen Wiesen. Am Ende landen dann alle Wiesenspaziergänger in einem Flüchtlingslager an der letzten verbliebenen Wiese, bis auch diese mindestens mit Entlüftungssäulen für einen darunter verlaufenden Straßentunnel versehen ist.) Außerdem gibt es noch die Möglichkeit, der Wiese zu einem Titel zu verhelfen, am besten zu einem, der, von einem Gutachter bestätigt, nützlich fürs Marketing ist. Das Schöne der Wiese selbst spielt da keine Rolle. Wenn heute etwas von Experten und Kommissionen nicht in Gutachten und Zahlen ausgedrückt werden kann, dann gilt es nichts, dann ist es im Diskurs praktisch nicht existent.

Wie also dem Schönen der Wiese, der Wiese selbst zu einer Stimme verhelfen? Erinnern wir uns an den Käfer: anerkannte Naturschutzverbände dürfen als Träger öffentlicher Belange seine Rechte verteidigen. Naturschutz ist nach dem Gesetz ein öffentlicher Belang, das Schöne nicht. Hier sollte das Gesetz der Wirklichkeit angepasst werden, denn das Schöne ist zweifellos, solange wir nicht vollständig in den virtuellen Raum umgezogen sind, ein öffentlicher Belang. Jetzt benötigen wir nur noch den, der die Rechte der Wiese in den üblichen Anhörungs- und Gerichtsverfahren vertreten kann. Wer ist heute noch eine Autorität auf dem Gebiet das Schönen? Das könnte jeder sein, aber, auch im Naturschutz darf nicht jeder die Käfer verteidigen. So bedauerlich es ist, es muss eine Autorität her, eine Expertenkommission. Nur das Urteil einer Expertenkommission ist heute im Diskurs existent. Im Urteil einer Kommission wird selbst das Unsagbare zum Begriff. Wen nehmen? Die Dichter, die bildenden Künstler, die Komponisten, all die, die sich den Schönen Künsten verschrieben haben. Ihre Verbände, mag es nun der Komponistenverband sein oder der Neue Kunstverein, können die Träger eines öffentlichen Belangs sein – des Schönen. Sie können die Wiese vertreten. Sie können, müssen nicht, die Verteidiger des Schönen der Wiese sein. Auch das Schöne hat ein Recht auf Existenz.

Am Abhang hinterm Stadion (Bildungsroman: [1])

„…dem Bewußtsein ist der Gegenstand aus dem Verhältnisse zu einem anderen in sich zurückgegangen und hiermit an sich Begriff geworden; aber das Bewußtsein ist noch nicht für sich selbst der Begriff, und deswegen erkennt es in jedem reflektierten Gegenstande nicht sich.“

Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Phänomenologie des Geistes, Frankfurt/M. 1986, S. 108

Wir saßen auf den Steinen aus weißem Granit und spürten durch die Blicke, Worte und Satzfetzen hindurch die Wärme des sich abkühlenden Tages. Es roch nach verbrennendem Gras. Du hattest mir gerade die Hand auf den himmelwärts gerichteten Knorpel des dir zugewandten Schultergelenks gelegt, ein leichtes Antippen, und hinter der stehenden Wand eines eigenwilligen Geruchs  warst du steif und fest in deiner Behauptung eingesponnen, der Begriff des Vektorraums sei durch die mit ihm gesetzte Einheit zweier Gruppenstrukturen in der Verschmelzung eines algebraischen Körpers mit der als stets reversibel zu denkenden Bewegung einer Wolke aus Pfeilelementen nichs weniger als die vorweggenommene Zukunft der Menschheit. Ich hörte das Zittern in deiner Stimme. Nebenan perlte ein Akkord aus der um ihn herum versammelten Gruppe jugendlicher Trinker, noch war nichts gestimmt, und die zuckenden Schatten des bereits einsetzenden Geschwirrs insektenjagender Luftwesen zeugten von einer Gefahr, in die wir beide nun mit Leib und Seele eingelassen waren: zwei sitzende Gestalten in einem großstädtischen Amphitheater. Ich antwortete, die Idealität eines Vektorraums sei zu schwach für die Bildung eines Kerns aus Idealteilern – die notwendige Ringstruktur würde vom Körper vor dem Entstehen eines Binsenraums einfach aufgehoben. Da warst du es, der abwinkte. Das Licht sagte zum Abend: „Komm!“, und der Abend kam; doch er blieb nicht.