Sechs Gedichte : Alexander Blok in unseren Tagen

Ja, als ich die erhabene Flamme der Liebe in mir trug, die aus den immer gleichen einfachen Elementen geschaffen war, aber einen neuen Inhalt, neuen Sinn erhalten hatte, weil die Träger dieser Liebe Ljubow Dmitrijewna und ich waren – „ungewöhnliche Menschen“ ; als ich jene Liebe in mir trug, von der man auch nach meinem Tode in meinen Büchern noch lesen wird – liebte ich es, im armseligen Dorf elegant zu reiten auf einem schönen Pferd; liebte ich es, einen armen Bauern nach dem Weg zu fragen, welchen ich ohnedies wußte, um „vornehm zu tun“, oder ein hübsches Weiblein, daß wir einander flüchtig anblitzten mit den weißen Zähnen, daß es zuckte in der Brust ohne Grund, von nichts, außer etwa der Jugend, dem feuchten Nebel, ihrem sonnverbrannten Blick, meiner gestrafften Taille – und das störte diese erhabene Liebe nicht im mindesten (war es so? Und wenn die späteren Abstürze und Wurmstiche von dort herrührten?), im Gegenteil – fachte die Jugend an, die pure Jugend, und mit der Jugend in eins loderte jene erhabene „a n d e r e“ Flamme auf…

Alexander Blok, Tagebuch, 6. Januar 1919

1

Die europäische Unruhe der Jahrhundertwende gewann in Rußland ihre einzigartige Radikalität durch die Verlagerung des revolutionären Weltzentrums und die Vorboten der Revolution von 1905 bis 1907 und führte in allen Künsten zu neuen Entdeckungen. Der Realismus, den Maxim Gorki, Iwan Bunin und Leonid Andrejew schrieben, begann schon in den ersten Jahren des neuen Jahrhunderts die russische und die Weltliteratur unübersehbar zu beeinflussen. Zur gleichen Zeit traten Schriftsteller auf, die angesichts der veränderten Weltsituation diese Erneuerung des Realismus mit Skepsis beobachteten und andere Wege suchten – die russischen Symbolisten.

Der russische Symbolismus war eine Kunst der Synthesen. Die Veränderung, die er in der russischen Kultur bewirkte, ist auf die eigentliche kunstgeschichtliche Phase von 1895 bis 1910 nicht zu beschränken. Andrej Belys „Petersburg“ und Fjodor Sologubs „Der kleine Dämon“ oder Alexej Remisows ornamentale Geschichten in der Prosa, Alexander Blok und Innokenti Annenski in der Lyrik, Wsewolod Meyerhold und Vera Kommissarshewskaja auf dem Theater, das russische Ballett, Michail Wrubel in der Malerei und Alexander Skrjabin in der Musik – sie alle verursachten Umwälzungen, ohne die die sowjetische Kunst undenkbar wäre und deren Tragweite bis heute erkundet wird. Weit besser als diese Kunst der Synthesen kennen wir die Kunst der Analysen, jene 1910 einsetzende mächtige Leidenschaft des Zerlegens und Zerfällens, die selbst noch die ästhetischen Verfahren und Materialien zum Gegenstand ihres Entzückens machte. Die Unvermeidlichkeit dieses Sturms der Analyse, den die Visionäre der Zergliederung entfesselten – Welimir Chlebnikow, Wladimir Majakowski, Sergej Eisenstein, Sergej Tretjakow, Juri Tynjanow und Juri Olescha: jeder auf seine Art -, begreift man aber nicht, wenn man die Weltsynthesen nicht kennt, die ihm vorausgingen. Die Analysen reagierten nämlich kraft neuer revolutionärer Erfahrungen und Funktionsideale kritisch auf die Welteinheit in den Synthesen der Symbolisten, und es ist kein Wunder, daß sich bei Blok nach 1910 ein deutlicher Wandel im Synthesebegriff vollzieht.

Die Anstrengungen der russischen Symbolisten richteten sich vor allem gegen ein simples Nacherzählen der Welt, das sich mit der Ausbreitung von echtem Milieu, von tatsächlichen Zuständen und Vorkommnissen begnügte. Diese Sicht entsprach freilich in keiner Weise der tatsächlichen Leistung der neuen Realisten, die den revolutionären Umbruch nicht nur sozialkritisch sichteten, sondern sozialpädagogisch förderten.

Die Symbolisten suchten nach einer Authentizität kosmischer Art: Der Text sollte im Zusammenstoß der Andeutungen, Analogien und Suggestionen den kosmischen Zusammenhang aller Erlebnisse des modernen Menschen herstellen. Ob aber das gewonnene Symbol des Zusammenhangs allein die Vorstellung des einzelnen Bewußtseins sei oder vielmehr Wiedergabe eines Objektiven, darüber ist es im Laufe der fünfzehn Jahre mehrfach zum Streit gekommen, denn von dieser Entscheidung hing sowohl die Kunstauffassung wie der Begriff der Weltsynthese ab. Als die Dichter 1910 den Zustand des Symbolismus besprachen, prallten die beiden Auffassungen noch einmal scharf aufeinander. Valeri Brjussow verteidigte den Symbolismus als pure Kunst gegen Wjatscheslaw Iwanow und Alexander Blok, die mit dem Symbolismus über Kunst hinausstrebten – „andere Welten schauten“.

Es konnte so aussehen, als vertrete Brjussow hier die Autonomie der Kunst, während seine Gegner, wie er argwöhnte, sie der Religion unterwerfen wollten. Tatsächlich hat gerade Brjussow als Dichter, als Übersetzer, Redakteur und Organisator des Symbolismus für die Emanzipation der Kunst und die Aufnahme der zeitgenössischen westeuropäischen Künste, besonders des französischen Symbolismus, so viel getan, daß ihn Nikolai Gumiljow schon 1910 den Peter den Großen der russischen Kultur nennen durfte. Aber eigentlich ist es doch nicht darum gegangen. Das entscheidende Problem des Streits war das Verhältnis von Kunst und Dichterleben. War die Weltsynthese Kunst oder Leben? Blok 1910: „Ich stehe vor der Schöpfung meiner Kunst und weiß nicht, was ich tun soll. Anders gesagt: was ich mit diesen Welten tun soll, was ich auch mit dem eigenen Leben tun soll, das von nun an Kunst geworden ist, denn seine Schöpfung lebt neben mir – nicht lebendig, nicht tot, eine blaue Vision. Klar sehe ich das Wetterleuchten zwischen den Brauen der Wolken des Bacchus (Eros von Wjatscheslaw Iwanow), klar unterscheide ich die Perlmutter der Flügel (Wrubel – Der Dämon, Die Schwanenprinzessin) oder höre das Rascheln der Seide (Die Unbekannte). Doch all das ist Vision.

Bei dieser Lage der Dinge erheben sich die Fragen nach dem Fluch der Kunst, nach der Rückkehr zum Leben, nach dem gesellschaftlichen Dienen, nach der Kirche, nach Volk und Intelligenz. Das ist eine ganz und gar natürliche Erscheinung, die freilich dem Symbolismus innewohnt, denn es ist die Suche nach dem verlorenen goldenen Schwert, das das Chaos aufs neue durchbohrt, die tosenden violetten Welten ordnet und besänftigt.

Der Wert dieses Suchens liegt darin, daß es die Objektivität und Realität jener Welten augenfällig macht ; hier bestätigt sich, daß all die Welten, die wir besuchten, und all die Geschehnisse, die sich darin abspielten, keineswegs unsere Vorstellungen sind, das heißt, daß die These und Antithese bei weitem nicht nur von persönlicher Bedeutung sind.“

Alexander Bloks Weltsynthesen gehören hier sicher zu den bemerkenswertesten und gefährdetsten: Sie sind ausschließlich das Werk eines Lyrikers. Während alle anderen Symbolisten immer wieder gelehrte Texte schrieben (manchmal beachtlichen Umfangs wie Brjussows Puschkin-Studien, Iwanows Dionysos-Abhandlung, Belys Gogol-Monographie oder Mereshkowskis Tolstoi- und Dostojewski-Darstellungen), blieb Blok Lyriker, was er auch unternahm. Seine Dramen, seine Prosa, seine Briefe, selbst seine Darstellung über die letzten Tage des Zarenreichs sind die eines Lyrikers, und der Versuch, ein erzählendes Poem mit Milieu und Fabel zu schreiben, blieb ein Fragment. In seiner Prosa „Kunst und Zeitung“ ist nachzulesen, wie er vom Dichter fordert, in der Sprache der Poesie auch für die Zeitung zu schreiben. Und Wjatscheslaw Iwanow meinte diese Leistung des Lyrikers, als er im Januar 1921 von Blok sagte: „Im Umgang ist seine Rede so einfach, scheinbar bringt er keine zwei Worte zusammen, aber in seinen Gedichten weiß er intuitiv Sachen von dir, so intime Erlebnisse, die kein anderer weiß.“

Die Skepsis, die tiefe Abneigung, welche Blok in immer neuen Anfällen gegen das Lyrische hegte, zeigt, wie bewußt er sich der Gefahren war. Daß Blok bis zum Schluß so großen Wert auf die Zyklisierung seines gesamten Werkes legte, von kleinen Einheiten bis zur Trilogie, und viele Male Großformen ins Auge faßte, „Nachtigallengarten“, „Vergeltung“ oder „Rose und Kreuz“, hängt mit der Suche nach bündigen Strukturen für Taumel und Gewalt des Lyrischen zusammen. Aber diese vollkommene Übertragung der Menschheitskultur in die Sprache des Gedichts verlieh Bloks Poesie die Bezauberung. Man könnte von Blok sagen, schrieb Ossip Mandelstam 1922, er sei der Dichter der „Unbekannten“ und der russischen Kultur.

Nicht daß die „Unbekannte“ und die „Schöne Dame“ Symbole der russischen Kultur seien, „aber das gleiche Verlangen nach Kult, das heißt nach einer zweckvollen Entladung poetischer Energie, leitete sein Schaffen im Thematischen und genoß ihren höchsten Augenblick im Dienst an der russischen Kultur und der Revolution“.

Blok hielt die Last seiner Weltsynthesen „im Schweben von Bagatellen“, wie es im Juni 1909 in einem seiner italienischen Gedichte steht:

Die Kunst – Last, auszutragen, die die Schultern drückt.
Und doch – wie halten wir, die Dichter, uns im Schweben
Von Bagatellen, die das Leben tauscht, entzückt.
Wie süß, dem freien Nichts der Zeit sich hinzugeben
Mit Nichtstun, spürn im Leib das Blut
Singend wenden,
Sich – hinter einem Federwölkchen – Glut,
Die rote Lieb, erhaschen mit den Händen.

Die Glut erhaschen mit den Händen: Der Dichter befreie die Klänge aus dem Chaos, füge zur Harmonie und trage diese Harmonie in die Welt. Bloks ständige Sorge ist das Tagebuch seines Weges, die Trilogie der Vermenschlichung, wie er seine drei Bücher Gedichte nennt, deren Abteilungen und Texte er viele Male umstellte und änderte. Die peinlich genaue Datierung und wechselnde Anordnung baut eine ausgedehnte, an Gegenden reiche Welt voll Wahnsinn und Vergessen, voll Heiterkeit und heimlicher Freiheit – seine Weltsynthese: von einem Augenblick überhellen Lichts durch den unumgänglichen Sumpfwald zu Verzweiflung, Verdammnis, „Vergeltung“ und zur Geburt eines „gesellschaftlichen“ Menschen, eines Künstlers, der der Welt mutig ins Auge sieht.

Entscheidend war die Vorstellung von der Zeit. Die Trilogie der Vermenschlichung meint kein Nacheinander, und die Ansiedlung der Gedichte in der Kalenderzeit bekräftigt nur deren Entmachtung. Die Poesie vertilge die Kalenderzeit, die etwa technische Fortschritte einander ablösen läßt. Poesie folge jener anderen Zeit, die Blok die musikalische nennt.

Musikalische Zeit meint – in größeren Zeiträumen empfinden, denken, leben: Die Catilinischen Verschwörungen im 1. Jahrhundert unserer Zeitrechnung sind eine Seite in der Geschichte der Weltrevolution, und der Sieg über die Tartaren in der Schlacht auf dem Kulikowo-Felde am 7. und 8. September 1380 ist ein Ereignis in der russischen Volksseele von heute. Musikalische Zeit meint – Tatsachen aus allen Lebensbereichen, die dem Dichter in einem bestimmten Augenblick zugänglich sind, zueinanderordnen: Alle zusammen schaffen immer einen einheitlichen musikalischen Stoß. Musikalische Zeit meint – Leben jenseits des eingetretenen Kalendertags. Nicht in der Vernachlässigung des unansehnlichen Alltags vor dem strahlenden Feiertag der Zukunft. Sondern die Empfindungen ausbildend für jeden kommenden Umbruch in Stimmung, Haltung, Lebensart.

(Konzepte Leipzig, S. 37-44)

Ein Kommentar

  1. Die Kunst – Stoff auf den Schultern,
    Doch schätzen dafür wir, die Dichter,
    Leben in Kleinigkeiten früh’rer Jahre!
    Wie süß, der Faulheit hinzugeben sich
    Zu spüren, wie in Adern Blut
    Sich umwälzt singend,
    Eindrückend in die Hitze Liebe
    Zu fangen hinterm fliegend Wölkchen
    Und träumt, es würd‘ das Leben selbst
    Ersteh’n im ganz Champagnerglanz
    Im zärtlich blubbernd Zitterklang
    Des wetterleuchtend cinéma!
    Und übers Jahr – im fernen Land:
    Die Müdigkeit, Stadt unbekannt,
    Die Menge,- und erneut im Kegel
    Die Züge der Französin grande!..

Schreib einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert