Es war einmal ein Papst, der hatte neun Schwänze. Als der Papst nicht mehr genau wußte, ob ihm seine Kirche noch treu war, reichte er den Rücktritt ein und stellte sich tot. Auf diese Weise konnte er fabelhaft beobachten, wie die Nachrufe auf ihn ausfallen würden. Knurrend legte er sich auf die gepolsterte Holzbank in seinen Privaträumen, hielt den Atem an und spitzte die Ohren.
O unser wunderbarer Papst, tönte es von allen Seiten. Das waren die Kardinäle, Meßdiener und zivilen Lakaien, die insgeheim einen Edelstein, eine dreihundert Jahre alte Handschrift oder einen unliebsamen Erlaß, den sie bei ihrer Aufwartung zufällig auf dem Schreibtisch des Papstes fanden, in ihre Tasche steckten und mitgehen ließen.
Ein miserabler, verschlossener, in allem enttäuschender Papst, rief unten vorm Fenster das Kirchenvolk. Es erbte nichts, es gewann keine Freiheit, aber sein Ruf hallte unheimlich durch den Nebel, der den Petersplatz einhüllte.
Wer hatte nun Recht? Der Papst auf seiner Holzbank ruhend, hatte beide Stimmen gehört und blieb unschlüssig. Wem sollte er die goldenen Petrusschlüssel anvertrauen? Den schmeichelnden Liebedienern, die vor ihm katzbuckelten und hinter seinem Rücken krumme Geschäfte machten? Oder dem motzenden Mob, der nach der Abschaffung des Zölibats verlangte, Frauen in den Priesterstan weihen wollte und am liebsten die ganze Moraltheologie in den Tiber warf?
Knurrend erhob sich der Papst von seiner Ruhebank, die Kardinäle und Lakaien erschraken. Schnell legten sie zurück, was sie vom Sekretär entwendet hatten oder schluckten ihre Beute unzerkaut, um sie an einem stilleren Ort aus dem Körperinneren zurückzugewinnen.
Das Kirchenvolk unten auf dem Platz erstarrte vor Überraschung, betete zur heilsamen Jungfrau und glaubte an ein göttliches Wunder, als es den Schatten des Papstes – untrüglich, es war der leibhaftige Papst! – hinter dem Fenster oben im Vatikan erkannte. Er gestikulierte, bewegte sich, er lebte!
Einige Wochen später starb der Papst wirklich. Er lag in vollem Ornat auf einer Bahre, wurde von sechs jungen Lakaien die Wendeltreppe von seinem Zimmer hinabgetragen, im Dom letztmalig ausgestellt und beerdigt.
Die Kardinäle ließen einen Kandidaten nach dem anderen für die Nachfolge aufmarschieren: aus Kanada, aus Kolumbien, aus Kenia, aus Kambodscha.
Keiner bestand die strenge Prüfung. Damit verhielt es sich so: Nach der gewöhnlichen Abfrage der theologischen Themen wurde der Kandidat einem peinlichen Verhör im engen Kreis unterzogen. Mit inquisitorischer Genauigkeit untersuchten die Kardinäle, ob der Kandidat tatsächlich, wie er behauptete, neun Schwänze besaß. Diese Ausstattung war unabdingbare Voraussetzung, um auf dem Papststuhl sitzen zu dürfen.
Der Kandidat aus Kanada kam dem Anspruch recht nahe, er hatte immerhin sieben Schwänze vorzuweisen. Der Kandidat aus Kolumbien nur einen, dafür war dieser besonders kräftig und ausdauernd. Der Kandidat aus Kenia hatte fünf, nicht weiter der Rede wert. Der Kandidat aus Kambodscha sogar acht, doch alle recht dünn und welk.
Keiner der Kandidaten bestand die Prüfung. Die Kardinäle waren ratlos. Kein weißer Rauch stieg vom Konklave auf. Da meldete sich auf dem Petersplatz ein Kind, genauer ein neunjähriges Mädchen aus dem niederen Kirchenvolk. Es bat die Kardinäle um eine Unterredung, die ihm gewährt wurde.
Welch Wunder, ein zweites göttliches Wunder. Nach wenigen Minuten stieg der ersehnte Rauch auf und ein junger Papst, in weißroter Robe, zeigte sich am Fenster, hob die Arme zum Himmel, drehte dem Volk unten entgegen der Etikette den Rücken zu, und das Volk erblickte neun prächtige Pferdeschwänze, sorgfältig geflochten, vom Haupt des jungen Papstes bis zu dessen Hüften wallen. Die Kardinäle lächelten entzückt und schwiegen. Das Kirchenvolk aber johlte vor Begeisterung, als wäre es auf einem Rockkonzert. Die Hochzeit zwischen dem jungen Papst und der Kirche konnte gefeiert werden.
Frei nach den Gebrüdern Grimm