Reisen bildet eben doch

Vorausgesetzt, er hat ein bisschen Geld,
das leider, leider nicht vom Himmel fällt,
dann kommt der Deutsche ziemlich weit herum:
Er reist. Und dafür legt er sich fast krumm.

Gesamtdeutsch reist er durch die ganze Welt.
Die Mauer weg, die man ihm hingestellt.
Ihm blieb bloß Ungarn, was für eine Schmach!
Wobei es ihm recht oft an Geld gebrach.

Heut so wie jedermann schwimmt er in Geld,
heut reist und reist er um und durch die Welt.
Heut kann er reisen, und das Herze lacht,
das Reisen ist ihm eine Himmelsmacht!

Der Deutsche ist recht gerne ein Tourist.
Und muss es sein, ist er auch Alpinist.
Doch ach – sein Thailand, wo er neulich war!
Dort war bereits er mehrmals auffindbar.

Genau weiß er, wie’s auf Mallorca schmeckt,
dort hat er manches Herzchen abgeschleckt.
Der Strand ist seiner, ist doch sonnenklar!
Demnächst fliegt er bestimmt nach Miramar.

Nur auf Tahiti war er bisher nicht.
Steht im Kalender, echte Mannespflicht!
Muss sich mal wieder in Paris umsehn,
die Stadt ist ja so wunder-, wunderschön!

Paris ist unter Städten sein Olympia,
und ausnahmsweise liegt es günstig nah.
Und was das Essen angeht: Exklusiv!
Davon schwärmt er gewaltig positiv.

Das nimmt dem Manne keiner: Er kommt rum.
Bloß, manchmal wird’s ihm einfach doch zu dumm.
Denn fragt man ihn, was in der Welt er sah,
dann winkt er ab, meint mies gelaunt: Aaa-ha!

Antigone
Weder gewesene Pionierleiterin, Mitglied des Politbüros oder gar Geliebte des Staatsratsvorsitzenden (wie hier vermutet), sondern schlichte DDR-Bürgerin, nunmehr für 18 Milliarden DM zusammen mit 17 Millionen DDR-Bürgern zwangsweise verkaufte Bürgerin des Staates BRD. Hanna Fleiss: geb. 1941, wohnhaft in Berlin, Veröffentlichungen: zwei Gedichtbände "Nachts singt die Amsel nicht" und "Zwischen Frühstück und Melancholie" sowie in zahlreichen Anthologien und im Internet.

3 Kommentare

  1. “Wer hohe Türme bauen will, muss lange beim Fundament verweilen.”
    Anton Bruckner hatte mit diesen Worten sicher eine höherdienliche Wahrheit ausgesprochen (von Genies ausgesprochene Wahrheiten haben die sonderbare Eigenart, wahr zu sein), jedoch – ich möchte ihn dorthingehend korrigieren, dass ich verlauten lasse: … muss lange beim Facharzt verweilen. Ich sehe eure verständnislosen Münder auf- und zuklappen. Wer vertraut denn heutzutage noch einem Arzt? Ja, schon Karl-Peter hatte seine Prosa vom Facharzt untersuchen lassen und war schlecht damit beraten: Das Ergebnis war und blieb für ihn erschütternd. (Inkriptionen 1, 09/07) Ich weiß nicht. Ich gehe gern zum Arzt, noch lieber zum Facharzt. Die Gerätschaften, mit denen er meinen Körper erkundet, lassen mich im Nachhinein nahezu immer poetische Türme von gewichtiger Nichtigkeit erzeugen. Und jeder Turm ist doch das Ergebnis einer wiegenden Nichtigkeit, nicht wahr? Ich verstehe deshalb die ganze Erregung um dieses Thema nicht. Umso lieber fülle ich mir etwas Champagner ins Glas, nehme ein Käsehäppchen oder eine Traube zwischen die frisch gebadeten Finger und proste euch aufmunternd zu, freue mich auf den nächsten Arztbesuch, der das Prosaische in mir zu pointierten, aufwärts weisenden Ergibigkeiten verdichten wird. Übrigens: Wer hohe Türme bauen will, muss auch mal auf’m Ast (so’n Ballast) gesessen haben.

  2. Verehrte Baronin-Baronesse: Was soll das? Wollen sich die verarmten Adligen etwa zu neuerlicher, möglicherweise sogar geisticher Herrschaft aufschwingen? Ich kontere hiermit als Vertreterin des 1faches Volkes. Mein Lebensmotor lautet: Essen, Trinken, die Qualität der Betten im Urlaub.

  3. noch nicht aus dem Urlaub zurück? Oder handelt es sich um eine Kur, eine Reha gar, angeschlossen an einen längeren Krankenhausaufenthalt? Davon kann ich ein Lied singen…

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