Ein Elefant im Porzellanladen

Ich hole sie zum Spaziergang ab. Klingle kurz an der Tür, melde mich mit meinem gewohnten Satz. Sie zieht wahrscheinlich erst jetzt den Mantel an – überlegt, soll sie den langen nehmen, den fand er doch gut – und geht langsam die Treppe hinunter. Die beigen Stiefeletten klappern, das Holz gibt nach, die Vorstellung, dass jemand sie mit mir sehen könnte, gefällt ihr sicher nicht. „Irgendwie verdruckst“, hatte die Nachbarin zu ihr gesagt, als sie fragte, was hältst du von ihm, „dabei hab‘ ich ihn so fröhlich begrüßt.“ Ja, so ist er eben, denkt sie bestimmt, als sie mich vorsichtig umarmt. „Die Wege sind alle noch matschig.“ Sie lässt mich gleich wieder los. „Du wolltest ja spazieren gehen. Links oder rechts lang.“ „Geradeaus? Dann muss ich dich tragen.“ Ich sage das so dahin, und es klingt verwegen. Die Wege sind tatsächlich matschig. Sie schweigt. Ich erzähle von Leipzig und der Einwohnerstatistik, wie häufig hier wo geklaut wird und dass meine Eltern in ihrem Eigenheim in Mockau eine Alarmanlage installiert haben. Ich spreche von meiner Arbeit, dem neuen Projekt, durch das ich gehe wie ein heißes Messer durch Butter und von Swanhild H., einer echten Zicke, die mich gleich zu Anfang schikaniert hat. Die ihren Nachnamen hasst. Der Weg führt uns durch den Park an der Rennbahn entlang. Es dämmert bereits. In der Südstadt gehen wir noch ein ganzes Stück, ich bin nicht sehr gesprächig. Sie auch nicht. „Da hab ich mit meiner Tochter gewohnt“, sage ich und deute auf einen unscheinbaren Neunziger-Jahre-Bau, unten drin ein Bettengeschäft und dahinter ein Rossmann. Links daneben, in den alten Häusern, über den zerbrochenen Platten der Gehwege haben sich melancholische Cafés angesiedelt. „Gehst du häufig allein dorthin“, fragt sie mich. Ich werde pampig. „Nein, ich gehe nicht allein in Cafés.“ Sie läuft jetzt zwei Schritte hinter mir. „Mit wem dann?“ „Na, mit meinen vielen Freundinnen.“ Ich schaue in die Fenster und überzeuge mich von der Güte des Mobiliars. Sie weiß, dass ich allerhöchstens eine Freundin habe und den anderen, den verflossenen fünf oder sechs die Hölle wünsche. Eine bunt bezuckerte Torte in der Auslage fällt ihr auf. Eine Hochzeitstorte. Rosa begossen, fein wie eine Haut mit Perlen bestickt. „Das ist eine Homotorte“, sage ich. Sie sieht mir zum ersten Mal an diesem Tag ins Gesicht. Schnee liegt immer noch in der Luft wie ein verschlissener Vorhang. „Bist du homophob oder was?“ Sie versucht zu erkennen, ob sie vielleicht meine Hand nehmen kann. Ich weiche zur Seite. „Nein, ich bin nur etwas autistisch.“ „Was? Was heißt das? Wie meinst du das?“ Wir gehen noch zwei, drei, vier Meter weit. „Mit mir ist nichts. Ich meine das so, wie ich es gesagt habe. Klingelts?“ Sie weiß, ich lese Autoschilder und bilde Quersummen daraus..

Mit mir war nichts. In einigen Monaten wird das Licht abends heller sein. Bis in die späten Stunden und in Schräglage wird es fließen, sich verwaschen. Sie wird mich dann einmal zu sich nach Hause, auf ihren Balkon mit den Rosenbüschen einladen. Vielleicht zu ihrem Geburtstag. Oder in den Tagen danach. Ich werde ihr sicher leichte Zigaretten mitbringen. Es sind gar keine Sterne am Himmel. Wahrscheinlich werde ich Sätze sagen wie, das ist die Milchstraße, oder, ich bin heute nicht so lustig. Sie gibt nicht auf. „Es zeichnet sie aus, dass sie die Hoffnung nie verlor“, hieß es in einem Film.

17 Kommentare

  1. Ist die Schönheit der Milchstraße zufällig? Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Werke Shakespeares allein durch Selektion und Mutation, mithin durch Zufall entstanden sind? Ist dies alles nicht nur durch einen großen Plan möglich?

  2. Fragen Sie sich, fragen Sie, haben Sie, also Sie, einen (Plan) und wenn, was, können Sie sagen, entstand nach diesem, was nicht und hatte es Ergebnisse und Wirkungen? Ich kann nicht Physik. Auch dort, so sagen die Studenten, soll es Übergangszustände geben, die es eigentlich nicht gibt, irgend etwas mit irrealen Zahlen, aber nicht berechenbar, und keine Gleichung. Ich gebe nur wieder ohne verstanden zu haben. So ein Mithören, alles nur Zufall… aber wenn ER nicht würfelt, wer tut es dann.

  3. Mit ihm war nichts? Die andere Perspektive zeigt: Da war doch etwas. Und das war etwas schwer. Die andere Perspektive übernimmt für heute das Kommando.

  4. Also wirklich. Elefanten sind hochsensibles Wesen. Ich kenne zahlreiche Elefanten die einen eigenen Porzellanladen betreiben. Oder sich als Glasbläser betätigen. Oder als Bonsaigärtner. Kommentar Nr. 4 ist nicht nur dumm. Er ist weder diesem subtil gearbeiten Text noch uns Elefanten angemessen. Der Kommentator „Die andere Perspektive“ ist hier wohl eher der Elefant im Porzellanladen.

  5. Am ehesten läßt sich der Elefantenrüssel wohl mit der menschlichen Zunge vergleichen, die ähnliche Muskeln besitzt, wenn auch mit einer weitaus geringeren Anzahl von Muskeln. Dies verdeutlicht noch einmal die Komplexität und den aufwendigen Aufbau des hochsensiblen Geruchsorgans des Elefanten. Doch der Rüssel dient nicht nur als Geruchsorgan, sondern ist zugleich Fühl- und Tastorgan.

  6. Sagen Sie, Frau Stein, bespaßen Sie sich selbst? Wo gibt es denn das Handmaschinchen? Oder sehe ich das aus der verkehrten Pespektive? Also irreal.
    Falls ich mich nun hier wie der mäßige Elefant aus dem Brehmschen Tierleben bewegen sollte, dann sehen Sie es mir nach.
    With sensual greetings
    Francois.

  7. Na Möller? Sackig, weil wieder mal vergessen? Es kommt halt immer auf die Perspektive an. Und da waren Sie eben nicht dabei. Sie nicht!

  8. Jetzt kommt doch alle mal wieder runter. Das hat doch alles nichts mehr mit dem Text zu tun. Ich jedenfalls mag diesen Text, so wie er ist. Er hat so etwas schwebendes, uneindeutiges. So ist das eben mit den Gefühlen. Kräfte, die man nicht sehen kann. Die in einem wirken. Die einen bestimmen. Die einen zerreißen.

  9. Blödsinn. Heute schon mal ordentlich gefrühstückt oder wieder nur von der Hoffmanschen Lösung gelebt? Obacht: Mit der Darm- Entleerung geht der Elektrolythaushalt hops. Und dann kommt aus dem Oberstübchen halt nur Dünnpfiff raus…

  10. Baldrick: I can’t see any subtle plan!

    Blackadder: Baldrick, you wouldn’t see a subtle plan if it painted itself purple and danced naked on top of a harpsichord, singing „Subtle plans are here again!“

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