Freiheit im 21. Jahrhundert

Er, der Bibliothekar, hatte von irgendeinem Internethändler ein Armband geschenkt bekommen, das, mit allerlei Sensoren ausgestattet, nicht nur seine Herzfrequenz und seinen Blutdruck maß, sondern anhand einer Hautanalyse genau wusste, was und wie viel er aß und trank, ob er rauchte oder Drogen nahm, wo er sich befand, wie schnell er sich bewegte, und noch einige andere Daten mehr, es wusste sogar, welche Bücher er sich an der Ausleihe selbst ausgeliehen hatte, oder mit wem er wie lange geredet hatte und was diese Gespräche für eine Wirkung auf ihn hatten, wortgenau, und aus all diesen Daten und mit der Hilfe einer gewaltigen statischen Datenbank mit den Daten von Abermillionen anderer Menschen, errechnete ein mächtiger Algorhithmus in Echtzeit die ihm verbleibende Lebenszeit. Statt einer Uhrzeit zeigte ihm das Ding sein wahrscheinliches Sterbedatum an. Wenn er also an seiner Ausleihtheke zu viel Stress hatte, oder im Roten Stern sich zu sehr über irgendetwas aufregte, oder bei jedem Gespräch den vorgesetzten Beamten aus dem höheren Dienst, so konnte er auf seiner Uhr sofort ablesen, um viele Wochen sich dadurch seine Lebenszeit verkürzt hatte. Selbst wenn er eine Tragödie von Euripides las, verkürzte sich seine Zeit, wohl wegen der mit der Katharsis verbundenen Aufregung. Umgekehrt verlängerte sich seine Lebenszeit, wenn er nicht den Fahrstuhl, sondern die Treppe nahm oder wenn er mit dem Fahrrad zur Arbeit fuhr.

Bald verzichtete er auf alles, was seine Lebenszeit verkürzte. Er las nur noch leichte Literatur, trank keinen Wein mehr, aß viel Salat und versuchte seinen Chefs aus dem Weg zu gehen und ließ sich von der Ausleihtheke ins Magazin versetzen. Hier war er ganz allein. Und zu tun gab es auch nichts. Die Arbeit wurde von der automatischen Mechanik erledigt. Dort konnte er, immer mit Blick auf die Uhr, den ganzen Tag im unendlichen Labyrinth zwischen den Regalen joggen, Fahrradfahren, Yoga treiben, Bücher stemmen oder von Regal zu Regal springen. Seine Lebenserwartung verlängerte sich rapide. Er las schließlich keine Bücher mehr, auch seine Freunde waren für die Uhr viel zu aufregend. Die Verlängerung seine Lebenszeit war jetzt sein einziges Lebensziel. Er tat alles, was die Uhr von ihm erwartete. Seine Lebenserwartung vergrößerte sich jeden Tag ein Stück in Richtung der hundert Jahre. Die wollte er schaffen. Ein Jahrhundertmensch werden, wie es die Uhr ausdrückte.

Also er einmal zufällig nackt in den Spiegel blickte, sah er, dass er vollkommen dem Mann glich, den einst Leonardo da Vinci in Quadrat und Kreis gezwängt hatte. Sein Körper war so geformt, dass das Gesicht vom Kinn bis zum oberen Ende der Stirn und dem unteren Rand des Haarschopfes ein Zehntel der Körpergröße betrug, die Handfläche von der Handwurzel bis zur Spitze des Fingers ebenso viel, der Kopf vom Kinn bis zum höchsten Punkt des Scheitels ein Achtel. Vom unteren Teil des Kinns aber bis zu den Nasenlöchern war es ein Drittel der Länge des Gesichts selbst, ebenso viel von den Nasenlöchern bis zur Mitte der Linie der Augenbrauen. Von dieser Linie bis zum Haaransatz wird die Stirn gebildet, ebenfalls ein Drittel. Und der Mittelpunkt seines Körpers war der Nabel. Als er gerade einmal wieder von Regal zu Regal zu Regal sprang, den Blick auf seine Uhr gerichtet, rammte er mit dem Kopf eine Lampe, fiel und knallte auf den Beton und aus.

Wassili Busskläff
Finnegans Wakes, 5,5 ff.: „Of the first was he to bare armes and a name: Wassaily Booslaeugh of Riesengeborg. His crest of huroldry, in vert with ancillars, troublant, argent, a hegoak, poursuivant, horrid, horned. His scutschum fessed, with arches strung, helio, of the second. Hootch is for husbandman handling his hoe.“ Das ist die einzige Erwähnung W. Busskläffs in den Quellen.

7 Kommentare

  1. Ich sagte zu ALEXIS: „ALEXIS, schreibe ein paar Texte. Sie sollen literarisch klingen. Schreibe sie so, als hätte ich sie geschrieben. Also mit ein paar Rechtschreibfehlern und seltsamer Grammatik und so. So lebendig eben. Niemand soll merken, dass sie ein Algorhythmus geschrieben hat. Mit Orthographfv eben. Hau sie gleich ins Internet. Ach ja, und den polnischen Wodka aus dem Riesengeborg, da bestell ich gleich zwei Flaschen.“

  2. Fragen wir mal vorsichtig an: Wie würde das ganze an- bzw. ausgehen, wenn „der Protagonist“ weiblichen Geschlechts, also ein(e) „sie“ wäre? Vom „es“ ganz zu schweigen. Muss der zeitlich eingegrenzte, hier angeschriebene Freiheitsbegriff wieder umgeschrieben werden? Schriebe er sich selbst um? Nun sind Sie gefordert!

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