Flucht und Wiederkehr X

Mit spitzen Krallen und tiefschwarzem Blick stolzieren Raben über verwitterte Kapitelle.

Einst streckten auf diesen Säulen – blind  geworden ob  des ewigen, gleißenden Lichts – Heilige ihre Hände in die flirrende Luft und riefen ferne Zeiten an.

Noch immer starren ihre geistigen Schatten – krächzen und krähen,  lechzen zu sehen.

Eidechsen huschen zwischen Rissen und Sand; in der Ferne, bei den knorrigen Büschen, überladen Zikaden die Hitze mit grellem Laut.

Da den Blinden flinke Körper schlangengleich um die Glieder strichen, da die schrillen Töne tagaus, tagein wie Sirenen in ihre Ohren drangen, stürzten sie sich, stets halbverdurstet und nach göttlichen Visionen – dem Lohn ihrer Mühsal – hungernd, hallizunierend in die Wogen der Anderswelten, mischten Mythen den einzigartigen Sinneseindrücken in Denken und Fühlen bei.

Sind wir, mag sich ein heutiger Beobachter dieses Ortes fragen, dem Wirken und den Wünschen dieser Menschen wirklich so fern?

In unserem Versuch auf Bildschirmen in unendliche Informationsgewebe zu starren, umhüllt vom Summen der Lüfter, Brummen der Kühlschränke und Flugzeuge, dem Rauschen des Stadtlärms, dem Vibrieren der Handcomputer, deren kühle, glatte Oberfläche tagein, tagaus auf der Haut gleitet — sind wir in diesem Versuch – uns auf der Suche nach dem höheren Mehr stets schneller ent- und ver-werfend – nicht dem Ursprung der Existenz dieser Einsiedler immer näher gekommen – und blinder dem Frieden leisen Lebens?

Was in ihren unruhigen Zeiten Einzelne in aufopfernder Vertretung für alle unternahmen – ihr Leben der Gnade Gottes zu weihen, auf dass die erlittenen Qualen und die offenbarten Erfahrungen jenes Weges der Erlösung von weltlichem Leid diene, und diese Erlösung dann, im Zeichen ihres Meisters, von den Heiligen auf alle Menschen ihrer Wirkungsstätten übergehe — ist jenes dieser Tage ein Massenphänomen geworden? – Unüberschaubar große Heere digitaler Heiliger, in fliegenden Büchsen, auf federnden Rädern, in Parks und an Straßenecken: steinern die Blicke, versunken im Fort.

Konsumwünsche, Statusmeldungen – Gebete erfüllen monetarisierte Äther, zuckenden Augen naht rasende Zukunft, und über den Häuptern brauen hochfrequente Zischgewitter unablässig neue Mythen. Unser Vermächtnis: riesenhafte Kabelstränge, dick wie Säulen – erbrochene Zeit.

Faron Bebt
schreibt Geschichten mit bunten Botschaften und einem hartem Kern. Immer etwas dogmatisch, aus der Zeit gefallen, verstörend verträumt - wie letzte, angemalte Großstadtbunker --Farbbeton.

2 Kommentare

  1. Es sind ganz zuletzt einzelne Wörter und Gedanken, die mir hier gefallen und mir den Tag bereichern: Kabelstränge sind unser Vermächtnis, erbrochene Zeit.
    Ansonsten möchte ich anmerken, dass monumentale Bauten der Antike, Kirchen etc. oder auch nur Landschaften solche und ähnliche Fragen aufwerfen. Man kennt es, man artikuliert es, man will es besser/anders machen und vergisst es dann doch. Die Zeit erbricht sich und läuft weiter, weiter, weiter… Allein das Darüber-mal-reden bringt Erleichterung.

  2. Hier liegt ein Text unter allerhand Zivilisations- und Kulturschrott begraben. Ja, und der besteht ebenfalls aus Text. Als Autor würde ich an diesem Punkt die Tätigkeit des Archäologen hinzuziehen. Noch kann ich nicht sagen, ob etwas auffindbar ist, das Kontinuität verheißt – vorausgesetzt, unser Hirn und der Autor sind tatsächlich darauf ausgerichtet. Aber als Lesende sage ich dies.

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