Eifersüchtig\\Entgleisen

„Ich bin soeben aus Darmstadt gekommen.
Worauf, auf wen bist du eifersüchtig?“
Eduard streifte seine Floris van Bommel noch
am Eingang ab und zog sich die ziegenledernen
Handschuhe umständlich aus. Die Auftraggeber
hatten sich früh verabschiedet, der Wein war sauer,
der Braten fett gewesen. Abends wurde exerziert.
Und die Freunde der Zitronenpresse konnten es sich
leisten, ihn zu düpieren. Eduard hatte die ganze
Nacht Aufstoßen. Sicher wurde heute ein Tag,
an dem die Sonne nur bleiern schien. Aus dem blassgelben
Wohnzimmer zog eine dünne Rauchsäule. „Eifersüchtig?
Eduard, Darmstadt ist die Moderne, aber du holst da
einfach nichts für uns raus.“ Vyvyan lag auf dem Sopha.
„Du hast mir den Himmel ohne Sterne gebracht.
Die Gassen da unten riechen faulig, nur hier oben
lässt es sich aushalten.“ Er zeichnete mit den nackten Füßen
Linien in den Samt. „Du denkst, es ist Liebe, doch
für mich ist es Schmerz. Du wirst es noch dazu bringen,
dass ich aus Langweile zur Kur fahre.“ Vyvyans Makel
waren die zu lang gewachsenen Zehen, die er sich in
Abwesenheit Eduards am Schneesternlüfter gestoßen hatte.
Er zog erneut an der Zigarette und legte die Stirn in Falten.
„Eduard, du bist dabei, dir mit deiner Solopartie selbst
zu entgleiten. Zu entgleisen. Eine Straßenbahn.
Todesangst ist durchaus legitim.“

 

 

Bildergebnis für speisezimmer

Schöner wohnen, besser leben: Der Architekt und Innenausstatter Peter Behrens entwarf 1901/02 sein klar geordnetes »Wertheim-Speisezimmer«.

© 2017 Frankfurter Neue Presse

crysantheme
Wer eine Crysantheme verblühen lässt oder ihr den Kopf vor ihrer Zeit abschneidet, der erntet zur Strafe nur noch grünes Friedhofskraut.

7 Kommentare

  1. Wieder mal Eduard und Freunde! Ich bin mir sicher, liebe crysantheme, dass da bei Ihnen ein ganz besonderer Roman entsteht. Zaghaft habe ich die Puzzleteile zusammengesetzt. Jugendstil, scheint mir, Dekadenz, weit ab vom Mainstream. Das nenne ich Mut! Und angesichts der Bücherschwemme bzw. des Büchereinheitsbreies längst überfällig. Ich gehe davon aus, dass Sie wissen, wie handverlesen Ihre künftige Leserschaft sein wird. Grämen Sie sich nicht darüber. Genießen Sie den Luxus, ein Alleinstellungsmerkmal zu haben.
    Und: Wo ist das Werk? Schon fertig und demnächst beim Buchhändler des Vertrauens?

  2. Vorläufig ist es das Lebensgefühl einer Generation, die am Ende einer langen Generationenkette von vergangen Mythen zehrt. Während sich jedoch die Lebensmüden des fin de siècle auf 2000 Jahre Kulturgeschichte stützten, blicken die heutigen Spätlinge nur noch auf 100 Jahre Geschichte und ihre Mythen/Antimythen zurück. Oberflächenphänomene, die sinnlich fühlbar sind, Emotionen und Sexualität drängen in den Vordergrund. In einer Zeit, die Emotionalität weitgehend verwissenschaftlicht oder anderweitig instrumentalisiert hat. Gleichzeitig wage ich die kritische Illumination von Jahrhundertwendeströmungen: Faschismustendenzen, Verherrlichung des Körpers etc.
    Aber wir bewegen uns zu lange im Vorläufigen.

  3. Letztgenanntes finde ich sehr spannend: Faschismustendenzen der Jahrhundertwende. Ich wünsche Kraft, Ausdauer und gutes Gelingen.

  4. Sie, crysantheme, waren schon immer Meisterin in der Darstellung und im Auslösen ambivalenten Gefühls. Sie stechen da an, wo es weh tut – aber sie tun es elegant. Sie entkleiden Haltungen und Klischees, zeigen sie in ihrer Nacktheit und scheuen sich nicht, bei ihren literarischen Gestaltungen Anleihen an die faschistische Ästhetik zu nehmen – wenn auch sehr zurückhaltend und mit einem immanenten Ekel. Ihre eigene Geisteshaltung überprüfen Sie täglich, ebenso ihre Verdauung. Was soll denn da schief gehen? Wir erwarten gegen Ende des Jahres einen Roman, der uns die Hosen auszieht, uns zeigt, dass wir nackt sehr schön sind oder waren – uns zeigt, wo es mal weh getan hat und immer noch tut. –

  5. He Grübler! Wieso nur die Hosen? Nicht die Röcke? Was ist das für eine leichtfertig dahingestellte und damit diskriminierende Aussage.

    Und nun zur Stechkunst der Crysantheme: elegant ja, weh tun = nein. Warum? Weil nur das Klare schmerzt. Aber eben das Klare meidet Crysantheme (das wäre ihr nämlich viel zu hart und ungelegen). Sie verliert sich gern im Detail. Zögert raus, will nicht gleich ran „an die Buletten“. Denn das ist ihr eigen: das Schnörkelhafte, das Verspielte (gern auch mit sich selbst), das Dekor. Klar ist rational, kalt und eben stechend.

  6. „Schwerer fällt es schon, mit der Tatsache fertig zu werden, daß noch der Rilke der reifen Jahre sprachlich ausgleiten konnte, fast wie zur Bestätigung des vielzitierten winzigen Schrittes vom Erhabenen zum Lächerlichen.“ (Hellmuth Karasek)

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