Libre

Er bietet mir eine von den herben Zigaretten an und betrachtet dabei mein Profil. Im Grün der Blätter käme es vielleicht noch besser zur Geltung, im Gelb des Herbstlaubes wirkt es eventuell schon zu scharf. Oder es löst sich auf im Kontrast zum Licht in der bereits teilweise fehlenden Belaubung der Bäume, und so schauen wir uns an und hoffen, dass Esther und Miranda nicht streiten, was sie vor uns auch so bald nicht tun werden, wenn es überhaupt einen Anlass dafür gibt und geben wird.

Wir werden sehen, die Ebene ist blank und kein Weg vorgezeichnet. Wir treffen auf die Dinge erst, wenn sie uns hautnah begegnen. Zuvor sind sie eine Illusion. Und weil die Glückserfahrung eher eine Seltenheit bleibt und auch schnell wieder zur Ausnahme wird, pflegt man sie nicht. Sie verschwindet einfach. Es gibt in ihr keine Körperlichkeit, die uns erinnert, dass sie noch da ist, keine Körperlichkeit, die einen Vorwurf entfalten könnte – wie der Körper vielleicht eines Kindes, das erkrankt, weil es vernachlässigt wurde – während seine Seele, Eduard, lass mir ausnahmsweise dieses altmodische Wort, ich werde jetzt nicht Descartes vor dir und vor Esther bemühen, um es zu rechtfertigen – also lass mir einmal dieses altmodische Wort.

Auch wenn wir sonst mit Worten fechten, so sehr, dass wir andere damit indignieren. Also nutze ich Seele als eine Metapher und gehe zurück in eine Zeit, in der dieses Wort gerade obsolet zu werden begann. Zurück in die junge Erwachsenenzeit meiner Urgroßmutter, die anscheinend ihren ganz eigenen Entwurf von so etwas wie Glück hatte. Sie wurde vorgeführt und war zynischer als jeder Mann ihrer Generation. Was ist schon ein Glück, eine chemische Einheit, an der sich die Medizin damals gerade abzuarbeiten begann.

crysantheme
Wer eine Crysantheme verblühen lässt oder ihr den Kopf vor ihrer Zeit abschneidet, der erntet zur Strafe nur noch grünes Friedhofskraut.

6 Kommentare

  1. Liebe Chrysantheme,

    dein Text ist angestrengt um Intellektualität bemüht, die er nicht hat. Was für ein Bolzen: Glück als chemische Einheit. Ja, wir leben in einer Zeit, in der man gar nicht mehr weiß, was Glück eigentlich ist. Interessant auch am Anfang:
    Das Ich sieht sich selbst im Profil. Wunder geschehen eben immer wieder. Kann man nichts dagegen machen.

    Gruß, Antigone

  2. Sehr schön, Chrysantheme! Mit einer spielerischen Leichtigkeit entsteht ein melancholisches Bild vor meinen Augen. Wie eine „Glückserfahrung, die verschwindet.“ Das Herz tut mir dabei wohltuend weh. Auffällig auch Ihre gewählte Sprache: indigniert, obsolet.
    Nein, ich habe keinen Grund, mit Worten hier zu fechten!
    Mit Grüßen,
    D.L.F.

  3. Literarisches Forum, nun spiel dich mal nicht so auf, sonst entweicht dir die Luft aus dem Bauch. Wenn du feststellst, dass dieser Text, der dem Leser „Bildung“ vorspiegeln will, indem er die Wörter „indigniert“ und „obsolet“ aufweist, dann ist alles klar. Mehr musst du nicht schreiben.
    Der Text täuscht Tiefe vor, wo er im Seichten plätschert. Was hast du eigentlich mit Literatur zu tun? Eine Frage, die ich mir nicht zum ersten Mal stelle.

    Gruß, Antigone

  4. „die Ebene ist blank und“ – willkommen im vektorraum! amöben, die sich allmählich ihrer fähigkeiten vergewissert haben, jubilieren in formlosigkeit. die materie schmilzt, still in sich hinein. der mensch – ein descartscher wirbel. selbst die wirbeltheorie, von newton gnadenlos widerlegt, hat nun ihre chance. tiere unter tieren, so gewinnen die gedanken kraft. es wird frühling, zeit mal wieder die scheiben (21-23) zu putzen

  5. Nicht wirklich hilfreich und erleuchtend dieser Comment. Geht’s zur Abwechslung auch mal einfacher? Lassen Sie uns doch alle teilhaben an Ihren Gedanken…

  6. Die drei Absätze (im Unterschied zum Vers in Bezug auf den poetischen die Grundeinheiten des Prosatexts…) in Verbindung mit dem vielsagenden, geschickt verfremdenden Titel wirken wie aus einem Guss. Der hoffnungslose Kritiker freut sich: endlich mal wieder WAS DAS es sich lohnt: zu be-, zer- und ent-X-en.
    Die drei Absätze, als Textgerippe eines umfänglichen Organismus gedeutet, haben das Zeug zum Roman. Wollen wir doch alle hier. Was ist neu in Bezug auf das Alte? Mit dieser Frage muss das ästhetische Urteil Farbe bekennen oder ganz verblassen; könnte ja auch ein Irrtum gewesen sein, etwa, weil das Wetter gerade so gut ist oder in Nachwirkung der spektakulären Einschlafszene von gestern Abend.
    Neu ist ja wohl, dass Eduard endlich ins Erzähler-Ich „eingesickert“ ist; tja, so einfach ist das manchmal … Esther und Miranda sind noch genauso sympathisch wie früher, scheinen aber an Profil zu gewinnen. Schließlich: DIE Urgroßmutter, fast wie im Märchen; keine der mythischen Mütter, dafür einmal vom Wolf verschlungen und nun also wieder ausgespuckt. Nun sind die Figuren in Tuchfühlung mit ihrer Handlungsverstrickung. Werden sie dem Leistungsdruck standhalten und nicht nur ihre Geburt überleben, sondern auch alle sich systematisch daran anschließenden Krisen?
    Schlaglicht zur „Romantechnik“. Der Übergang vom zweiten in den dritten Absatz ist – im Prinzip – stark. Nach diesem Prinzip hat das Dostojewski auch gemacht. Bitte nicht erschrecken!! Ich versuche es in meiner ganz subjektiven Art zu veranschaulichen. Der Text geht nach innen, bäumt sich auf, schüttelt sich kurz und – weiter gehts; die vorher aufgebaute Spannung bleibt. Nach zwei-drei Malen wird’s der Durchschnittsleser gar nicht mehr merken, bis ihm flau wird im Magen … willkommen auf der Verfahrensebene; nennen wir es nicht – unglückliches Bewusstsein. Oder doch – nennen wir es gerade so. Im vollen Bewusstsein sprachlicher Befreiung.
    Zum Verhältnis von erzählender und beschreibender Rede. Die Kunst des unterhaltenden Gequatsches. Metaphysik des Romans: A die Seele zwischen Glück und Körperlichkeit; das Unkörperliche sowie B Zynismus und „Glückswürdigkeit“, da schlüpft der Volks-Kant aus seiner alten Kiste. Pflicht! Pflicht! Pflicht! und sei es die zum einmal zugeeigneten Zynismus. Ja, Zeiten gab es, da war ein Gespräch über Bäume. Auf-Bäume –
    Herzlichen Glückwunsch uns allen

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