Sie war ein Mädchen, und sie war verliebt.
Malfilatre
„Wohin? So sind sie, die Poeten!“
– Mach’s gut, Onegin, ich muss los.
„Ich halt‘ dich nicht, nur sag mir: wo denn
Soll’s hingeh’n so Hals über Kopf?“
– Zu Larins. – „Das ist eigenartig.
Mein Gott, wie viele Jahre war ich
Nicht mehr bei denen! Rotz und Gicht,“
– Schweig, Bruder! – „Ich versteh‘ das nicht.
Ich sehe dort nur Kraut und Rüben:
Als erstes (Sag mir, hab‘ ich recht?)
Wie war das Essen? War nicht schlecht.
Danach der Rundgang: Kommt, Ihr Lieben,
Hier also seht Ihr unser Vieh,
Gespräche, die vergisst du nie…“
Als das japanische Pärchen auf der Tower-Bridge uns bat, sie zu photographieren, fiel Louise die Camera aus der Hand. Ich stutzte, scharrte mit den Schuhspitzen in den Rillen der Gehsteigplatten. Staub und Kiesel formten kleine Inseln auf dem hellen Ziegenleder. Etwas vor fremden Leuten fallen lassen, sich an Sylvester mit Kaviar bekleckern, den falschen Mann ansprechen, im Mühle-Spiel verlieren – all diese Dinge waren eigentlich immer mein Part gewesen. Seltsamerweise war ich seit dem 2. Februar 1983, dem Tag, an dem ich meine Liebe zu Nicolas manifestierte (ja, ich weiß es noch genau, es war sein Auftritt in der Hamburger Musikhalle, es ging ihm gut damals, und seine Anzüge schillerten silbern und dunkelblau im Scheinwerferlicht, many happy returns…) also, ich war seit jenem Tag irgendwie … tough, ja, so drückte Louise sich aus. Ich musste auf der Zugfahrt dorthin bereits die Flucht empfunden haben, das Versprechen, das hinter dem Nieslregen dieser kleinen Provinzstadt, das über und weiter hinaus über diesen Nieselregen, diesen Nebel, ein Sentiment begann, das ich wie Vodka-Orange in mich aufsaugen würde, ohne je betrunken zu werden, ohne je genug zu bekommen. Ich war klar im Kopf, völlig, Nicolas mein Vitamin C-Stoß.
Louise handelte alles allein aus. Sie brachte die Camera zur Reparatur, kaufte für das japanische Paar statt la vie en rose Tulpen in chamois, Europas Frühling. Ihre Entschuldigungen hatten Grandeur. Ich spürte wieder diesen scharfen Kitzel in der Magengrube. Im Geschäft plauderte sie angelegentlich über unseren Besuch in Great Britains Metropole, erzählte von Nicolas‘ neuer Platte und bekräftigte ihren Wunsch, dem Konzert beizuwohnen. Ich sah auf das sandige Ziegenleder meiner Schuhe, die ich ganz vergessen hatte, ich sah ein staubiges Dornröschen. „Louise, ich geh heim ins Hotel und leg mich hin. Vergiss nicht, ihm diese Nachricht zu hinterlassen.“ Ich legte einen dicken Brief mit Goldfilzstift beschrieben neben die Freundin auf die Ladentheke, während sie die eben reparierte Camera inspizierte. Sie sah auf das Couvert. „Holland Park reicht nicht. Ich kann nicht zwanzig Straßenfluchten abspazieren. Meine Liebe, Du neigst sonst nicht zur Faulheit. Hier kommt dein Part. Durchgelaufene Schuhsohlen – der Preis für die Liebe.“