Echo auf: Chamisso

Wie erschrak ich, als ich den Mann im grauen Rock hinter mir her und auf mich zukommen sah. Er nahm sogleich den Hut vor mir ab, und verneigte sich so tief, als noch niemand vor mir getan hatte. Es war kein Zweifel, er wollte mich anreden, und ich konnte, ohne grob zu sein, es nicht vermeiden. (…)

»Möge der Herr meine Zudringlichkeit entschuldigen, wenn ich es wage, ihn so unbekannter Weise aufzusuchen, ich habe eine Bitte an ihn. Vergönnen Sie gnädigst –« (…)

»Während der kurzen Zeit, wo ich das Glück genoß, mich in Ihrer Nähe zu befinden, hab‘ ich, mein Herr, einige Mal – erlauben Sie, daß ich es Ihnen sage, – wirklich mit unaussprechlicher Bewunderung den schönen,, schönen Schatten betrachten können, den Sie in der Sonne, und gleichsam mit einer gewissen edlen Verachtung, ohne selbst darauf zu merken, von sich werfen, den herrlichen Schatten da zu Ihren Füßen. Sollten Sie sich wohl nicht abgeneigt finden, mir diesen Schatten zu überlassen. (…)

Ich hab‘ in meiner Tasche manches, was dem Herrn nicht ganz unwert scheinen möchte; für diesen unschätzbaren Schatten halt‘ ich den höchsten Preis zu gering.«

Aus: Adelbert von Chamisso, Peter Schlemihls wundersame Geschichte (Erstdruck 1814)

Versuch über den Schatten

Endlich springe ich über meinen Schatten und wage es, diesen Text zu schreiben. Wenn ich versuche, mich auf Deutsch auszudrücken, sind meine Ideen nur undeutlich erkennbare Gestalten. Und dann fürchte ich mich sogar vor meinem eigenen Schatten: Könnte ich es in meiner Muttersprache besser machen? Mir gefällt, dass es „Wörter” und „Worte” in dieser Sprache gibt, auf Portugiesisch ist der Unterschied nicht so deutlich. Einerseits sind Wörter konkrete Dinge und wenn wir sie übersetzen möchten, ist es, als ob wir sie mit unserer Interpretation beleuchten und nur Schatten bleiben würden. Umfang und Auflösung dieser Schatten hängen dann von der Entfernung der Empfänger ab. Andererseits frage ich mich, ob Worte, egal in welcher Sprache, nicht schon per se Eigenschaften des Schattens besitzen. Wie platonische Figuren sind sie in ihrer genauen Bedeutung unerreichbar. Ich möchte nicht dramatisch sein und meine dunkle Stelle zeigen, doch manchmal fühle ich mich einfach unverständlich, unklar. Allerdings kann auch die neue Sprache wie ein schattenspendender Baum sein, da sie manchmal eine gute Ausrede ist, um mich zu schützen. Ich beschwere mich immer, dass ich im Deutschen nur ein Schatten meiner selbst bin. Kennt man mich hier? Und falls ein Schatten auf mein Glück fällt, beschwere ich mich, dass die Fremdsprache mich in den Schatten  stellt. Unter diesem Vorwand sollte die Sprache mein Ruhekissen sein, aber ein schlechtes Gewissen verfolgt mich wie ein Schatten: Ich bin einfach eine Schwindlerin. Glücklicherweise fiel  noch nicht der leiseste Schatten des Verdachts auf mich und ich habe noch meinen Platz an der Sonne.

Renata Perez de Medeiros

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