Testament

I

Baudelaire hatte grüne Haare, hatte die Syphilis, Nietzsche hatte sie, und diverse Nervenkrankheiten, das nervöse Leiden, die Bleichsucht, schwere Anfälle von Melancholie, was sollte er also haben, sei denn es wären die alten Leiden der Dekadenz und die des ausgehenden 19. Jahrhunderts? Irgendein Verrückter, der Gürteltiere züchtet und isst, Ratten im Käfig hält und sie kocht, die Köpfe von Schildkröten zubereitet, auch wenn sie, wie gut er sie auch anrichtet, immer wie alter Kerzendocht schmecken, woher weiß er denn wie der schmeckt, einer, der immer weiß, wann nachts, x-mal der Tod an seine Tür klopft mit steinernem Herzen, und bei dem, entgegen aller Hoffnungen, niemals etwas besser wird, um hernach nicht umso verheerender über ihn herzufallen? Er hat sich hinein gewühlt, hineingesteigert in all diese betörenden Krankheiten des fin de siècle, bevor er sich eines Tages, frühlingshaft und unbedarft, an den Küchentisch setzt, mit einer noch dampfenden Tasse Tee in der Hand, und so auf einmal recht in der Stimmung ist, zu jammern, krank zu sein, die bodenständige Hausmannskost seiner Schwester, das olle ungesunde Weizenbrötchen, den schmierigen Brotaufstrich aus Kakaobutter, Parafin und ein bisschen Nuss und Schokolade, und nicht zu vergessen, einer Menge Zucker, als ungesund ablehnt und nach geschmortem Hahnenkamm in Burgundersauce verlangt. Er verlangt.

Und du hast mir gesagt, das wird schnell und elegant, atmet aus allen Poren, als ein flammendes Plädoyer aus zarter Haut und Parfüm den Geist des fin de siècle, du hast mir Abenteuer von Verlaine und Baudelaire versprochen, gezwirbelte Bärte, feine Cigarren, Herrengelage, gekritzelte und gestochene Karikaturen und bissigen Witz, geschmorte Kalbsleber, den Geruch von Kohle und Abwässern, den Mief und den Dunst der Industrie, den Dreck an den Kleidern und die Pferdeäppel hinter die Kutschen und dann noch all die eleganten Worte.

II

In einer Akadmie: Herr Doktor, erklären sie mir seine Krankheit. Seien Sie Arzt. Seien Sie das, was sie sind. Geben Sie sich Mühe. Ich quetsche mich neben Sie an den Schreibtisch und dann zeigen Sie mir das Radiogramm. Die Tomographie. Irgend so ein schwarzgraues Computerbild mit weißen Strichen. Ein Röntgenbild der Lunge. Die fein verzweigten Äste, tiefe Atemzüge. Sie sagen, das ist es, das Bild. Es sind nur ein paar harmlose Schatten. Er wird nicht daran sterben. Es ist nur eine ererbte Schwäche aus der Kindheit. Ich stoppe die Zeit. Und lasse die angehaltene Luft wieder heraus.

Der Atem strömt in die feuchte Außenluft. Er steht neben dem Arzt, seinem Peiniger. Der stellt ihm ein Rezept aus. Er zerknüllt es und wirft es in den Papierkorb. Komm, gehen wir. Ich möchte diese Geschichte nicht noch einmal erzählen. Ich greife nach einem Stift und schreibe was mir gerade mal zwischen Denken und Nichtdenken so einfällt. Weil es eine Wunderwaffe ist, mit der man es vielleicht doch in die Welt schafft. Worte wie Blitzgerät, Planlosigkeit, Frischhaltefolie, Kosmetiksalon, Volkswagen, Schreibtischarbeit, tastende Blicklosigkeit, Luft – werden wir irgendwann sagen, wenn der letzte Funken Sauerstoff veratmet ist.

III

Ich stehe, bin ich ein Kind, neben meiner Mutter, die eine Gesellschaft gibt, da ist sie glücklich, nicht mit meinem Vater, der schon wieder am Schreibtisch sitzt und rechnet, und ich tollpatschige, bewegungsfaule Tochter, latsche ihr voll aufs Kleid, dass es nur so kracht. An diesem Abend gab es für mich nichts zu essen. Und Jahre später rächte ich mich mit Portionen en miniatüre, Hahnenkamm und Fliegengewicht, und immer nach rechts rühren, sonst gibt’s Klumpen. Meine Taille war dünn wie ein Fliegenbein. Wer war doch gleich die Frau mit dem Tapirgesicht?

crysantheme
Wer eine Crysantheme verblühen lässt oder ihr den Kopf vor ihrer Zeit abschneidet, der erntet zur Strafe nur noch grünes Friedhofskraut.

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