Die große Entmündigung

Ihr Verbrechende an Maß und Grenze …“ Dass wir diese Verbrechenden sind, ist Ausgangs­punkt für unzählige weitere Verbrechen, nicht die von sogenannten „Verbrechern“, sondern jene, die durch unser normales Darleben verursacht werden, durch unsere stets neu kreierten Sicherheitskon­zepte, die aus eingebildeter Angst aufsteigen. „Was groß ist, kann auch größer“ möchte man das Zi­tat fort­setzen, wo es im Orignal „was hoch ist, kann auch höher“ (George) heißt. Aber in der neues­ten Hy­bris geht es weder um „höher“ noch um „größer“, sondern um unbeschränkten Machtzu­wachs, um die Auslöschung regionbezogener politischer Willensbildung, um Beendigung demokra­tischer Macht­kontrolle. Der Maßstab ist, keinen zu haben.

Früher stand in nahezu jedem Wohnzimmer ein Globus. So konnte man ein wenig „Herr“ der Erde sein. Welchem imperialen Herzen ist die Idee des „Globalen“ entsprossen? Wenn der eine Gott überall der gleiche eine Gott ist, dann haben wir eine Voraussetzung und vielleicht auch eine Be­rechtigung, in jedem Menschen und in jeder Religion diesen einen Gott zu suchen. Aber ist der Um­kehrschluss auch richtig, dass überall der Weg zu diesem Gott der gleiche sein muss? Wann sind wir der zwanghaften Gleichmacherei verfallen? Wann dem Glauben, dass Unterschied Minderung be­deutet? Ist hier nicht das uralte Muster, die Verwechslung von Gott und Opfer, reaktiviert worden, aber jetzt, weil es um den einen Gott geht, weltweit? Das Opfer ohne Gott soll über­all gleich sein. So wurde aus der Einheit Gottes die Einheit der Welt oder vielmehr die Bestre­bung, eine einheitli­che Welt zu erschaffen. Dieses Opfer zu vollziehen gab und gibt es plausible Gründe, wie z.B. die Waren- und Verkehrswege zu verbessern. Dafür galt es, die Erde zu er­obern, zu erforschen, zu be­reisen. Ein Interesse, das jede Expansionsbestrebung sofort zu teilen be­reit war. Da man den Gott mit dem Opfer verwechselte, verwechseln wollte, war es gleichgültig, wer nun jen­seits des Meeres wie lebte. Der Räuber-Sinn fügte sich nahtlos ein ins Modell des Un­terschiedslosen, dem Gleichma­cherischen. Die Idee des Globalen wird Wahn und Wunschdenken der Ge­walttätigen hinter der Tarn­kappe der Philanthropie. Jemand will weltweit agieren, aber weiß nicht einmal, was sich im Zwanzig-Kilometerumkreis seines Hauses befindet, kennt nicht die Fuß­wege der Nähe. Das Projekt der globalen Besetzung, also dem Erdkreis eine Uniform zu verpassen, ist das Simul­tanprojekt von Technokratie, Szientismus und Oligarchie. Alle sind den gleichen Herrschaftsvorstell­ungen unter­worfen. Niemandem fällt indessen mehr auf, dass die Welt des Blicks überall mit Werbung zuge­stellt ist. Der Raum, der allen zu gleichen Teilen ge­hört, ist verkauft. Wo ich mich auch aufhalte, überall stoß ich über kurz oder lang auf Werbung. Sollte ich eine dieser Werbetafeln übermalen oder wegreißen, habe ich’s sofort mit den Häschern der Oligar­chie zu tun. Der Mensch ist aber ein We­sen, das sich veräumlichen muss. Genau dieser Raum wird markiert, wird qua Werbung ausgedeu­tet. Was für den Bildraum gilt, gilt auch für den Klang­raum. Wer an der allgemeinen gesellschaftli­chen Kommunikation teilnehmen will, muss sich Wer­bung anhören oder anschauen. Die Wahrneh­mungsräume sind be­setzt, sind fremdcodiert.

Zu allen Zeiten haben die Mächtigen und Gewalttätigen ihre Bilder aufgestellt. Doch jetzt haben diese Bilder eine subkutane, universalmanipulierende Qualität erreicht. Wir kennen nur noch Ziele, keine Wege mehr. Der besetzte Raum ist verwahrlost. Ist ein einziger In­dustrievorort der immerglei­chen Labels geworden, ein Ort, der mit seinen Fahnen, Lagerhallen, Fa­briken, Hochstra­ßen, Büros und Malls nicht aufhört. Er ist überall zeichenhaft zugegen. Konnten sich bisher die Bevölkerungs­gruppen per erkämpftem politischen Mandat gegen die schlimmsten Übergriffe, Zu­mutungen und Bevormundungen zur Wehr setzen, so ist nun auch dieses verkauft. Die Politik wird nicht mehr von der Bevölkerung und ihren Vertretern bestimmt (wurde sie das je?), sondern direkt von den Beset­zern des Raums: Der Monopolwirtschaft, der Technokratie, der Oligarchie. Jetzt muss sich kein Lobbyist mehr als Politi­ker tarnen. Nein, die „Sache des Volkes“ ist Sache der Monopoleigner ge­worden. Eine Herr­schaftsriege hat die übrigen Menschen ans Smartphone gefesselt, das diese nur zu gerne in der Hand halten. Die Demokratie ist ein Dino­saurier. Im Projekt der globalen oligarchi­schen Tech­nokratie gibt es kein Mitspracherecht, keine Machtkontrolle, keine Wahlen. Und wer wollte an­gesichts von Klima­wandel, Ressourcen-Knapp­heit, globaler Kapital- und Warenströme be­zweifeln, dass wir eine Glo­bal Governance, eine Weltregierung brauchen? Doch wie eine multikul­turelle Welt regieren, ohne sie zu uniformieren, ohne Wert-Normierung, ohne globales De­sign und deren gewalt­tätige Durchsetzungsmanöver?

Aber wir brauchen keine Demokratie, keine demokratische Willensbildung mehr. Diese geschieht automatisch, indem mein Verhaltensprofil, das sich im Smartphone manifestiert, statistisch ausge­wertet wird. So werden automatisch Mehrheitsbedürfnisse berücksichtigt. Die Ökonomie pro­duziert angesichts dieser Bedürfnisse. Oder ist es umgekehrt? Die Bedürfnisse wer­den manipulativ erschaf­fen? Der politischen Willensbildung bedarf es nicht, denn es gibt nichts mehr zu wollen. Alles ge­schieht bereits nach dem statistisch festgestellten Willen der Mehrheit. So befinden wir uns in einer manipulierten und manipulierenden Mehrheitsdiktatur. Was die Mehrheit will, bestimmen Glo­bal Player und Monopolisten. Das heißt der Mensch als ein Wesen, das Wahlfrei­heit zu seiner Selbster­fassung benötigt, ist geopfert. Es herrscht planwirtschaftliche Ökonomie und normative Verhaltens­kontrolle, welche die Welt in einen kakophonischen Gleichklang versetzt.

Das Soziale, der Geist des Miteinanders und der Polis, ist zum Geist der Überwachung geworden. Statt Empathie füreinander ist unser Interesse nun die Kontrolle des andern. Diesen Geist der Überwa­chung zu installieren gibt es kein tauglicheres Mittel als eine tatsächliche oder gemutmaßte Seuche. Jetzt ist die Welt nicht mehr meine Welt, sondern eine, darin ich potenzieller Verbrecher, Gefähr­der bin. Meine Spuren werden gespeichert, nachgelesen. Mir wird grundsätzlich misstraut. Es ist mir unmöglich, mich richtig zu verhalten. Über mir schwebt das Urteil. Kein metaphysisches oder religiöses, son­dern das der Grausamkeit des Man, das alle Mittel der Zivilisation in seine Gewalt gebracht hat.

„We all live in America“ oder „we all live in China“. Wer das Ganze liebt, wird auch das Detail lieben. Das Detail, das sind die verschiedenen Bevölkerungsgruppen und ihre je eigene Kultur, das ist der Einzelne. Ein politisches Han­deln und Trachten, das dies außer Acht lässt, heißt Totalitaris­mus. Das Detail ist jedoch nicht das Nationale. Es ist das Partikular-Verantwortliche, das um das Ganze weiß. Was im Kleinen verantwortet ist, kann im Großen nicht falsch sein. Umgekehrt hinge­gen schon. Die neue Tyrannis kommt nicht mit Stiefeln und Ledermänteln daher, sondern mit subti­ler Verführung und einem großartigen tech­nischen Knowhow. Diese Tyrannis erschafft die glo­bale Sprachlosigkeit, die globale Amnesie. Allein die Tyrannis darf reden, darf erinnern. Das bereitet die Grundstimmung der Unterwerfung. Wer nicht mehr sprechen kann, dem bleibt nur Schreien oder Verstummen. Der erste Schritt der Unterwerfung ist, sich von jeglichem Eigentum zu trennen. Ist es nicht beque­mer, alles nur ge­liehen zu bekommen? Die neue Tyrannis aus Technokratie, Szientis­mus und Oligarchie bedarf zu ihrer Machtentfaltung und Machterhaltung der genauen Kontrolle der Be­völkerung. Die technischen Mittel dafür hat sie. Sie gibt diese Überwachung als unseren Schutz, un­sere Sicher­heit aus. Globalis­mus bedeutet Detailvernichtung, und da wir Menschen nur en detail Vertrauen fas­sen und erleben können, bleibt uns nur das Gegenteil von Vertrauen: Angst. Dieser Angst begegnet der globale Si­cherheitsapparat mit der Anonymität von Schaltungen und Regelun­gen, mit abstrakten Vorgängen, mit panoptischer Überwachung. Am besten wir internalisieren dies und verhalten uns im vorauseilenden Gehorsam regelkonform.

Wir erleben kaum Protest gegen den drohenden Verlust der Freiheit … „Freiheit“ ist ein janusköp­figes Gut. Die Diebe der Freiheit arbeiten, wie stets, mit unseren allzumenschlichen Schwä­chen. Ein Besteller des Bestellten per Tastendruck zu werden, überall jedermann erreichen zu können, Te­lefon, Musik, Videos, Fotos, Nachrichten, Landkarten usw. in einem kleinen handgroßen Gerät bei sich zu tragen, das fühlt sich an wie Freiheit, ja, wie Allmacht. Die bedrohlichen Nahräu­me ver­nachlässigen und die Fernräume bespielen können hat etwas Verzauberndes. Die andere Blickrich­tung der Freiheit: In die Qual der Wahl, in verantwortete Nähe, vom Fliehenden der Schrift in die Gegenwart des Wortes, in den Akut von Feier und Fest, in die analoge Ausführung und Vor­führung, kurz, in die befreiende Schwerkraft. Das hat jedoch der Mensch nie wirklich haben wollen. Die Mündigkeit zu erringen war nicht erste Wahl. Also warum nicht brav an der Leine der Überwa­chungskameras, des elektronischen Fingerabdrucks, der Trojaner und anderer Datensamm­ler her­umlaufen? Die Freiheit ist ein Versprechen, das nur ich selbst einlösen kann.

Vermag der Mensch überhaupt unter globalistischen Umständen zu leben? Ist sein Körper nicht auf re­gionspezifische Nahrung, Bakterien, Viren angewiesen? Um im globalen Virenhaushalt nicht von einer Pandemie in die andere zu geraten, muss sich fortan die gesamte Weltbevölkerung konti­nuierlich impfen lassen. Impf­stoffe stellen Technokratie und Oligarchie gerne bereit. „Weltbevölke­rung“, das sind die Mehrwertbeschaffer, die von ihrem Überlebensanteil an diesem Mehrwert sich die Impf­stoffe per Steuerabgaben kaufen müssen. Ein für die Herrschaftselite ökono­misch ergiebi­ges Hamsterrad.

Sollen wir jetzt zu „Ludditen“, zu jenen Maschinenstürmern von Nottingham des 19. Jahrhunderts werden und unsere „dark Satanic Mills“ (William Blake), die Smartphones, in der Badewanne ver­senken und unsere WhatsApp-Chats und unsere Impfzertifikate verlöschen sehen? Werden wir dann, wie jene Ludditen, hingerichtet oder statt nach Australien auf den Mond verbracht? Können wir die Ver­wechslung von Gott und Opfer noch rückgängig machen? Dazu müssten wir es wollen. Aber um es wollen zu können, müssen wir uns von den tagtäglichen Einreden befreien, die uns aus jedem Gerät, das für unsere Alltagsbewältigung unabdingbar ist, wie z.B. das Smartphone, entge­genschlagen, müssen wir es wagen, den Raum der Dauer neu zu eröffnen.

Walter Thümler, Juni 2022

Walter Thümler
schreibt Poesie, Philosophie, Erzählprosa

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