Echo auf: Tomas Tranströmer

Der Name

Ich werde schläfrig während der Autofahrt und fahre unter die Bäume neben der Straße. Rolle mich auf dem Rücksitz zusammen und schlafe. Wie lange? Stunden. Das Dunkel ist schon eingefallen.

Plötzlich bin ich wach und erkenne mich nicht wieder. Hellwach, aber das hilft nicht. Wo bin ich? WER bin ich? Ich bin etwas, das auf einem Rücksitz erwacht, in Panik umhertobt wie eine Katze in einem Sack. Wer?

Endlich kehrt mein Leben wieder. Mein Name kommt wie ein Engel. Außerhalb der Mauern ertönt ein Trompetensignal (wie in der Leonorenouvertüre), und die rettenden Schritte kommen rasch rasch die viel zu lange Treppe herunter. Das bin ich! Das bin ich!

Aber unmöglich, die fünfzehn Sekunden Kampf in der Hölle des Vergessens zu vergessen, ein paar Meter von der Landstraße entfernt, wo der Verkehr mit angeschalteten Lichtern vorbeigleitet.

Aus dem Schwedischen von Hanns Grössel

Mein Name

Als Hanna in die Klasse kam, stellte sich Hannas Welt auf den Kopf.

Auf einmal musste sie die Grundlage ihrer Identität teilen. Wenn ihr Name gerufen wurde, konnte sie nicht mehr sicher sein, dass sie gemeint war: „Ah, ich meinte nicht dich“ wurde ein Satz, den sie oft zu hören bekam. Beim Klang ihres Namens horchte sie auf, ihr Rücken versteifte sich, ihr Kopf drehte sich herum; dann sackte sie immer wieder in sich zusammen, mal erleichtert, mal enttäuscht. Die Erwähnung ihres Namens löste nicht selten Verwirrung aus; bei Lehrern, bei Mitschülern, bei ihr selbst.

„Warum heißt die Neue auch Hanna?“, fragte sie eines Tages ihre Mutter.

Die zuckte nur mit den Schultern. „Das ist normal. Viele Leute haben den gleichen Namen. Es gibt noch mehr Hannas auf der Welt, genauso wie es noch mehr Annikas und Michaels und Maxe gibt.“

„Aber warum?“, fragte Hanna empört, doch ihre Mutter war schon wieder in den Wirtschaftsteil der Frankfurter Allgemeine vertieft.

In der Schule gab es viele Experimente, um Missverständnisse zu vermeiden. „Hanna eins und Hanna zwei“ wurde schnell verworfen, genauso wie „Hanna Susanna und Hanna Marie“ oder „Die eine Hanna und die andere Hanna“.

Durch Herumprobieren einigte sich das Kollektiv schließlich darauf, die beiden anhand der ersten Buchstaben ihrer Nachnamen zu unterscheiden: Hanna P. und Hanna N. Damit konnte selbst Hanna – Hanna P. – sich anfreunden. Sogar genug, um sich ein bisschen mit Hanna N. anzufreunden. Sie war nicht mehr eine Rivalin, die darauf aus war, ihren Platz einzunehmen, sondern eine klar von ihr getrennte Einzelperson.

Nach langem Kampf hatte Hanna P. also ihre eigene Identität zurückerlangt, oder zumindest eine eigene Identität. Sie hatte wieder eine Bezeichnung, die unverwechselbar und unmissverständlich auf sie hinwies; sie konnte sich wieder darauf verlassen, wer sie war.

Manchmal fragte sie sich, was passieren würde, wenn eine zweite Hanna P. in die Klasse käme.

Julie Schneider

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