Der erste Morgen

Tage nach einer schlaflosen Nacht sind nicht so schlecht, wie immer behauptet wird. Man ist zu müde um in Erregung zu geraten. Die Alarmzentrale im Gehirn heißt Amygdala und funktioniert am besten im hellwachen Zustand, las ich neulich im Internet. Wenn keine unmittelbare Gefahr lauert, schlägt die Amygdala, falls gut in Form, auch bei unschönen Phantastereien an. Führt man ein ungefährliches Leben fernab von Wildnis und Hauptverkehrsstraßen und möchte bestimmte Situationen nicht visualisieren, ist es demnach gar nicht so ratsam, ausreichend zu schlafen.

K. ist in aller Frühe losgefahren; die Einweisung muss abstempelt werden.

Ich streiche unterdessen durch die Zimmer. Den sonst vollkommen automatisierten Ablauf nach dem Aufstehen habe ich über Nacht vergessen. Ich bin irritiert. Wachte auf, und etwas war anders. Stehe im Flur, stehe in der Küche. Ich trinke morgens Kaffee, so wird es wohl sein. Rechts am Spülbecken die Kanne, cremeweiß, Design schlank mit Kurven, 1950iger Jahre. Ich will mir einen Kaffee kochen. Wie mache ich das sonst nur? Die Kanne nehme ich morgens nicht, wird mir klar, die ist zu groß für mich allein; morgens stelle ich Kaffeefilter auf Blumenbecher, lasse den aber nicht vollaufen, ein paar Schlucke, das genügt doch so kurz nach dem Aufstehen.

Später finde ich mich im Bad wieder. Schaue mich im Spiegel an. Weiß der Mensch in dieser gegenüberliegenden Welt bereits, was geschehen ist? Kann der Mensch so etwas überhaupt jemals begreifen, hier wie dort? Verblüffter Blick wie schon mein Leben lang. Augenränder, na, schön, das ist normal nach einer schlaflosen Nacht.

Ich steige unter die Dusche. T. erzählte mir einmal, ziemlich verlegen, er habe beim Duschen manchmal Angst. Das komische Wasser. Damals habe ich gestaunt, natürlich stillschweigend, ich wollte T. nicht beschämen, wenn er mich schon einweihte in solch seltsame Zustände. Als sei es das normalste der Welt, habe ich nachgefragt, warum er das Wasser beim Duschen komisch, gar beängstigend fände. Er wusste es nicht und wurde immer verlegener. Da habe ich das Thema gewechselt.

Und plötzlich weiß ich genau, was er meinte. Wachte doch auf, und etwas war anders. Die Dinge um mich herum verloren mit einem Schlag die Bedeutung, die wir ihnen verliehen haben. Jetzt ist alles nur da. Ganz für sich. Wasser? Wasser, das auf einen niederprasselt, bedroht.

Ju3iane
Juliane Beer: geb. 1964 in Bonn, Autorin, Wirtschaftsübersetzerin, Kindheit und Jugend in Norddeutschland und Lon-don, 1986 nach Berlin gekommen und geblieben, nach viel Off-Theater um die Jahrtausendwende mit dem Schreiben begonnen. Zuletzt: Arbeit kann zu einem langsamen und schmerzhaften Tod führen, Roman, Berlin 2010 Nach viel Off-Theater fing ich um die Jahrtausendwende mit Prosa an. Daraus wurden bislang einige Romane und Beiträge in Anthologien und Magazinen.

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