Das Testament der Gräfin Ulrike

Kapitel 1

„Dauernd lädt sich die Gräfin Gäste ein. Und ich muss sehen, wie ich die Arbeit schaffe!“
Marietta, die Köchin auf Schloss Rheinstein, schimpfte. „Aber das Essen muss pünktlich um eins auf dem Tisch stehen! Eine Pedantin, unsere liebe Frau Gräfin!“

Jochen, der in der Küche am Tisch saß, ließ die Litanei der Mutter über sich ergehen.
Er wusste, dass Klappern zum Handwerk gehörte. „Ja“, sagte er nach längerem Schweigen, „unsere Gräfin ist schon eine recht seltsame Frau.“

„Und du, Jochen, plünderst mich aus!“ Die rundliche Marietta stemmte die Arme in die Seiten. „Keinen einzigen Monat kommst du mit deinem Lohn hin! Was soll das bloß werden, wenn die Gräfin mich eines Tages entlässt, weil ich ihr zu alt geworden bin! Oder weil der Braten verbrannt ist. Oder weil ich das Kochen verlernt habe! Verhungern würdest du! Und wenn sie stirbt, was keiner annehmen will …“

Bei diesen Gedanken musste sie sich setzen. Im Herd brutzelte ein Rehbraten. Sie lauschte auf das Geräusch. „Das Essen ist bald fertig“, sagte sie.

„Na, so alt ist ja noch nicht. Höchstens siebzig“, sagte Jochen.

„Dreiundsiebzig“, korrigierte Marietta. „Aber seit der Herr Graf gestorben ist, wird sie wunderlich. Dauernd tauchen hier Bittsteller auf, und sie gibt ihr Geld mit vollen Händen aus!“

„Wer ist denn heute bei ihr?“ Jochen blickte die Mutter gespannt an.

„Na wer schon! Wieder dieser Typ vom Kunstverein! Der mit dem Rauschebart! Der hat einen Appetit, sage ich dir! Der frisst der Gräfin noch die Haare vom Kopf! Sie soll ja dem Kunstverein eine Menge Geld vermacht haben. Schon zu Lebzeiten. Und wer weiß, was sie in ihr Testament geschrieben hat. Wo sie doch keinen leiblichen Erben mehr hat seit dem Unfall des jungen Herrn Grafen. Na, und der Rest fällt in den gefräßigen Rachen des Staates.“

Jochen nickte bekümmert. „Hoffentlich wirst du wenigstens bedacht. Wo du dich all die Jahre für die Rheinsteins abgeschuftet hast.“

„Das lass mal meine Sorge sein. Die Frau Gräfin war immer gut zu mir, und ich kann mir nicht vorstellen, dass sie mich nicht bedacht hat in ihrem Testament.“

Marietta schreckte zusammen. „Da plaudere ich hier mit dir, und oben sitzt die Frau Gräfin und wartet auf ihren Tee!“ Hastig stellte sie Teekanne, Tasse und Zuckerdose auf ein Tablett. An der Tür wandte sie sich um: „Und dass du verschwunden bist, wenn ich wiederkomme!
Du weißt, die Frau Gräfin hat dir verboten, dich noch einmal hier blicken zu lassen.“

Jochen sah der Mutter sauertöpfisch nach. Dann stürzte er zum Herd. Er hob einen Topfdeckel ab. „Bloß Suppe“, sagte er enttäuscht. Der Deckel fiel mit einem Scheppern auf den Steinfußboden.

Angelika
Bin 75, Rentnerin, alleinstehend. Denke mir Geschichten aus, um die Leute zu erfreuen.

7 Kommentare

  1. Für wen war denn nun die Suppe gedacht? Für Jochen, für die Gräfin oder für alle? Wir erfahren nichts über die Zusammensetzung der Suppe. Jochen aber ist enttäuscht. Hat er mehr erwartet? Und im Bezug worauf? Im Bezug auf sich selbst? Im Bezug auf den Appetit der Gräfin? Und: ist Jochen zu dumm, sich den Rehbraten aufzuschneiden? Oder einfach nicht hungrig genug? Oder zu devot? Lösung: Der Rehbraten ist noch gar nicht fertig. Warten wir noch ein Weilchen…

    Es gibt nun mehrere Möglichkeiten:
    – Die Gräfin will nur die Suppe. Entweder hält sie streng Diät, hält sich für selbstlos und verzichtet auf mehr – oder ihre Gäste müssen ihr Essen selbst mitbringen.

    Der Rehbraten: Ein Irritationsmoment, da von ihm nie mehr die Rede ist.

  2. Ich habe das irgendwie hier nicht so richtig verstanden. Es war einmal Angelika, und die stellte Auszüge aus einem Text (Roman?) ein, den sie vermutlich selbst geschrieben hat. Egal. Jedenfalls stellte sie ein, insgesamt 8 Teile. Ich weiß ja nun nicht, wie sie selbst zu dem, was sie schreibt, steht, und was so ihr Wunsch wäre, also was sie schreiben möchte und könnte, aber mir schien das hier doch recht plausibel. Man stellt ein. Eine Geschichte, einen Roman, ein Gedicht. Vermutlich findet man das, was man schreibt, bzw. einstellt, ganz in Ordnung. Bei Angelika hält sich dieser Eindruck erst einmal recht lange, bis sie dann irgendwann in den Kommentaren (ich weiß nicht mehr wo, und finde es im Grunde auch zu unwichtig, das mal nachzukucken, nun ja, es ist Sonntag Nachmittag, man ist, obwohl draußen die Sonne scheint, irgendwie zum Rausgehen zu faul, und irgendetwas muss man ja machen, um sich halbwegs wohl zu fühlen, und da geht man halt auf Inskriptionen und stellt fest, dass jemand die Texte von Angelika wieder rausgeholt hat. Und freut sich: Endlich lohnt sich das Kommentieren wieder! Doch nun noch mal zum Text: Sie schrieb in einem ihrer Kommentare, dass sie den Test selbst trivial fände und Lust hätte mal was richtig Blödes (oder so ähnlich) zu schreiben. Mich hat das doch sehr irritiert. Warum findet sie ihre eigenen Texte trivial? Ich war auf der Suche nach Indizien und konnte einfach nicht erkennen, weshalb der Text trivial sein sollte. Zugegeben, ich fand ihn jetzt auch nicht besonders toll, eher etwas langweilig. Aber trivial fand ich nun doch zu hart. Vor allem, sich selbst gegenüber. Sie hat sich doch hingesetzt und sich etwas einfallen lassen, das kostet doch Zeit und Energie. Die Figuren waren doch gar nicht so schlecht. Ich bin immer noch ratlos. Was genau war denn nun Trivial an diesem Text? Kann mich mal jemand aufklären? Wahrscheinlich bin ich, bezüglich Angelika, immer noch nicht auf dem Laufenden.

  3. Sie fühlte sich Ihrer Freundin und VerehrerIn gegenüber so haushoch überlegen, dass sie von ihrer Gelegenheitslyrik auf das Feld der sonntagsfüllenden Prosa überging. Ihre Motivation bestand darin, Ihnen Köder hinzuwerfen, um an der Reaktion „dem aufgeklärten Publikum“ zu demonstrieren, wie es um den – öffentlichen – Diskurs steht. Und…

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