Zeitwall

Meine Sehnsucht schweigt
sich alt.
Die Zeit hat mir
in dieser Nacht
vom Haar genommen.
Ich träumte schwarzen Sand,
der fiel und fiel
und an den Ufern Falten legte.
Dort rauscht ein Fluss
und nagt am Tagesrand.
Ich bäumte mich im Schlaf
und legte Jahresringe
ans Gestade,
doch das Wasser
zog sie in den Sog
der Wellen.

Am Morgen ragten
sieben Deiche
tief ins Land.

Sigune
1981 in Filderstadt geboren; Diplom-Studiengang Literaturübersetzen in Düsseldorf; Veröffentlichungen in Zeitschriften und Anthologien; unter den Preisträgern beim 5. Brüggener Literaturherbst (2014), beim Kempener Literaturwettbewerb und beim Badener Lyrikbewerb zeilen.lauf (2015).

4 Kommentare

  1. Ein wunderbares, traumatisches Statement zur zuvor häufiger thematisierten Zeit. Sie greift hier nach dem lyrischen Ich, das leidet und im Schlaf den Kampf aufnimmt. Indem es sich „bäumt“ werden ihm seine Jahresringe bewusst, die das lyrische Ich an die Gestade des gleichförmigen, ausufernden Zeitflusses legt. Es setzt auf eine natürliche, sich aus dem eigenen Wachstum und damit der Zeit selbst ergebende Struktur. In der Kreisform der Jahresringe offenbart sich, im Gegensatz zur äußerlichen Uhr-Zeit, nicht nur die Doppelgesichtigkeit des Lebens in der Zeit: die Untrennbarkeit von Wachstum und Vergänglichkeit. Die Jahresringe werden zudem „Inskriptionen“ gleich von der Zeit selbst in das Leben eingeschrieben. Ihre Jährlichkeit bindet sie auch an den Kreislauf der Natur. Sie stehen damit für einen langen Atem im Bewusstsein eigener Vergänglichkeit im Gegensatz zu jedem kleinteiligen, äußerlichen Umgang mit der Zeit als reiner Uhr-Zeit. Indem das lyrische Ich sich so jenseits aller Taktungsversuche eines durchrationalisierten, „wachen Geistes“, im Traum also der Zeit symbolisch nähert und sich so ihrem Geheimnis verschreibt, ändert es zwar nichts an ihrer allesfressenden Gleichgültigkeit. Auch den Jahresringen blüht die Vergänglichkeit. Doch die Zeit verwandelt sich und das lyrische Ich gewinnt: Siebenzeit. Sigune, Ich bin begeistert!

  2. die sieben deiche erinnern an die sieben zwerge, die sieben todsünden und noch so mancherlei 7-faches. es zeigt mir ein lyrisches ich, das als opfer daherkommt, und zum schluss seine sehr finstere seite offenbart. dem sollte man nicht trauen…

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