Der See, er schwieg

Der kleine See lag still, als ob er schliefe,
kein Vogellaut, der sich aus Lüften schwang.
Vom fernen Dorf ein leiser Glockenklang,
es war, als ob mich eine Stimme riefe.

Am Ufer stand ich, blickte in die Tiefe
des Sees, wohl mehr als nur minutenlang.
Hoch über mir bog sich ein Felsenhang,
so hoch, als ob die Wolke drüberliefe.

Ich fragte mich, was ist des Lebens Sinn,
woher wir kommen und wohin wir gehen
und was aus dieser Welt wird fürderhin.

Der See, er schwieg. Von irgendwo ein Wind,
fuhr durch die Bäume, ließ das Laubwerk wehen.
Ich fühlte es, er war mir wohlgesinnt.

Antigone
Weder gewesene Pionierleiterin, Mitglied des Politbüros oder gar Geliebte des Staatsratsvorsitzenden (wie hier vermutet), sondern schlichte DDR-Bürgerin, nunmehr für 18 Milliarden DM zusammen mit 17 Millionen DDR-Bürgern zwangsweise verkaufte Bürgerin des Staates BRD. Hanna Fleiss: geb. 1941, wohnhaft in Berlin, Veröffentlichungen: zwei Gedichtbände "Nachts singt die Amsel nicht" und "Zwischen Frühstück und Melancholie" sowie in zahlreichen Anthologien und im Internet.

3 Kommentare

  1. Guten Tag.
    Das Gedicht erinnert mich ganz stark an meine Jugendzeit, die ich ja in der DDR verlebte, verleben musste. Es gab ja keine Wahl und da stellt man sich oft die Frage nach dem Sinn des Lebens. Ich musste miterleben, wie sich drei meiner Freunde das Leben nahmen. Die eine war erst sechzehn, weil ihre Eltern Akademiker/Ärzte waren, verweigerte man ihr das Medizinstudium. Darüber wurde sie depressiv. Wolf Biermann sang es ja: „Lieben kann ich nur, wenn ich die Wahl habe. Egal ob Land oder Frau.“ Dafür hat man ihn ja auch ausgebürgert.
    Naja, und dieses Gedicht ist eben so pessimistisch. Da ist auch keine Freude zu sehen. Mir kommt gerade die erste Strophe so vor, als würde da eine leise Todessehnsucht mitschwingen: es war, als ob mich eine Stimme riefe. Das ist schön düster.
    Ich frag mal an: Ist das Gedicht von früher oder denken und fühlen Sie auch heute noch so?

  2. für mich scheint hier kein pessimismus durch. eher asiatische gelassenheit. es erinnert mich an japanische holzschnitte: keine linie ist hier überflüssig – alle führen zueinander, ergeben ein ganzes – ein meditatives gedicht. eine einladung, ein gebet.

  3. @crysantheme: Im Stil von „Amen“ = „So sei es“? Das kann man auch kürzer und sachlicher, will meinen: un-kitschiger haben. Das Teil hier erinnert an bemühte Romantik, milde belächelt. Ich tippe auf Adoleszenzlyrik oder Alterstrauer. Kann aber auch sein, dass da jmd. zuviel Eichendorff, Rilke, Claudius etc. gelesen hat und nun ganz beduselt davon ist. Interessant das Wort: fürderhin. Das ist gehobene Stilebene. (Alte) Schreibschule. Gelernt ist eben gelernt. Das Gefühl kann dabei schon mal auf der Strecke bleiben. Schließlich geht es hier um das Handwerk.

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