November. Es schneit. Fast könnte man meinen, es seien gefrorene Tränen. Freudentränen? Eisige Freude also – Sarkasmus und Zynismus entfalten eine eigene Ästhetik. So wie der Industriegeruch eines Datenträgers oder eines Neuwagens irgendwie interessant ist.
Die Wähler der „Rust Belt“ Staaten haben dem Establishment den Finger gezeigt, liest man.
Es scheint, als ob die „Bernie or Bust“-Bewegung ihre Drohung wahrgemacht habe, keinen anderen Kandidaten – genauer: keine andere Kandidatin – zu akzeptieren, trotz der nun eingetretenen Gefahr des Verlustes von Repräsentantenhaus, Senat und Präsidentschaft.
„Überraschenderweise“ haben nämlich jene nördlichen Bundesstaaten, die in den Vorwahlen – trotz gegenteiliger, Clinton favorisierender Umfragen – an Sanders fielen nun auch bei der Hauptwahl mehrheitlich für Trump gestimmt.
Es ist bezeichnend für unser Zeitalter, dass die Frontlinie nicht mehr links und rechts verläuft, sondern vorne und hinten.
Das heißt: natürlich verläuft sie rechts wie eh und je – Evangelikale und andere Republikaner-Stammwähler sind nun ja nicht einen Deut von ihren ursprünglichen, erzkonservativen Prinzipien abgerückt.
Aber links war nicht mehr „real“, denn der einzige Kandidat, der die weißen, ungebildeten Wähler hätte mitreißen können wurde vom Parteiapperat abgesägt. Die Arroganz der Macht der Parteieliten, die auf die Selbstbeweihräucherungen aus ihrer Filterblase vertrauten, ließ sie nun in ihren eigenen Abgrund taumeln.
Die Gruppe der weißen Arbeiter, die mittlerweile nur noch knapp unter 40 % der Wähler stellt, hat sich diesmal dazu entschieden kollektiver, d.h. wie andere Minderheiten auch, zu wählen. Sich nicht als Anhängsel einer abgehobenen, städtisch geprägten Nomenklatura mitschleifen zu lassen.
Man muss vermuten, Clinton habe während des Wahlkampfes Wisconsin aus jenem Grund nicht einmal besucht, da sie und ihre Planer sich der Unterstützung der weißen Arbeiter dort sicher waren – „die hatten ja sogar für einen Schwarzen gestimmt!“ — das „links liegen lassen“ hätte also System gehabt.
Vordergründig wurde die Welt mit einem Konglomerat aus fehlerhaften Umfragen und tendenziösen Meinungen zugepflastert, so dass hintenherum der gegenteilige Effekt ausgelöst wurde. Der weiße Mann – er ist in der Mehrzahl zwar ungebildet aber nicht unbedingt masochistisch, hörte wieder und wieder: du hast keine Chance! Er ergriff sie.
Ihm wurde vorgekaut und er spuckte aus. Er wurde verspottet und schloß die Reihen.
Er ahnte: es war ein „last stand“ und er war mutig, statt verzagt, traute sich zur Urne.
In allen Kleinstädten des mittleren Westens wogte diese Gefühlslage, ur-amerikanisch gewissermassen, wie schon 1776, als sich in den ländlichen Provinzen Milizen formten, um die Unabhängigkeit zu verteidigen.
Viele der neuen Trump-Wähler, oft (sozial)demokratisch sozialisiert, haben sich der Bewegung angeschlossen, da sie nicht nur intuitiv ahnten, sondern auch unwiderlegbar – „in your face“ – belegt bekamen, dass der verordnete Führungszirkel der lange von ihnen unterstützten Demokraten viel zu eng mit den Finanzeliten verwoben war.
Sie wählten also den Teufel, der sich nicht verstellte, statt den Engel, der mit gespaltener Zunge sprach. Sie wählten den zornigen Narzissten, der nie erwachsen werden wollte, statt die Gouvernante mit dem erstarrten, eiskalten Lachen.
Ohnmachtsgefühle und Trotz auf der einen, Arroganz und Neusprech auf der anderen Seite.
Die „Bernie or Bust“ Bewegung hatte eine Tatsache vollkommen richtig erkannt: mit dem nun angetretenen, neoliberalen Establishment der Demokraten zeichnete sich eine weitere Verwässerung des Profils ab – wovon die SPD in Deutschland bei Umfragewerten um die 20% ein Lied singen kann.
Hier eine Kehrtwende zu vollziehen kann nur durch eine beherzte Opposition, mit der die Runderneuerung der Partei einhergeht, gelingen. Nur so können die Grundlagen gelegt werden, die die deutliche Entflechtung vom Establishment zur Folge hat – und somit eine Option für die Rückkehr der verlorenen Kernwählerschaft generiert, die sich eher früher als später, angewidert vom Schwefelduft republikanischer Menschenfeindlichkeit von den Rechten abwenden dürfte – spätestens, wenn sie wieder ohne Krankenversicherung aufwacht.
Sollte das geschehen, wird den geläuterten Demokraten die Presse jedoch nicht mehr wie in diesem Wahlkampf nach dem Mund schreiben – was aber, angesichts des nun vorliegenden Ergebnisses, nicht unbedingt ein schlechtes Zeichen sein muss.
Die FAZ titelt am 10. November 2016 als Reaktion auf die US-Wahl:
„Der Dritte unter den 9. Novembern“
Nach meiner Zählung (ja, auch mit Unterstützung von Wikipedia…) komme ich auf wenigstens sechs historisch bedeutsame und teilweise unrühmliche Tage der Deutschen. Interessant, dass die Trumpwahl nun auch dazu gezählt wird. Deutschland – eine heimliche Kolonie?
9.11.1911 Novemberrevolution
9.11.1923 Hitler-Ludenhoff-Putsch
9.11.1925 Gründung der SS (Schutzstaffel)
9.11.1938 Pogromnacht
9.11.1967 Beginn der 68-er Zeit mit dem an der Uni Hamburg entfalteten Plakat:
„Unter den Talaren – Muff von 1000 Jahren“
9.11.1989 Mauerfall
9.11.2016 Die Wort(ver)wendung „trump mich nicht an“ wird ab sofort als
sexuelle Nötigung des so Beschimpften gewertet und kann so auch als
eindeutiges „NEIN“ strafverfolgend gelten. (copyright)
Novemberrevolution 1911 – in China? Da wurde in diesem Jahr die spröde Kaiserinwitwe verjagt. Hier gemeint ist wohl die Novemberrevolution in D, aber die war 1918 … auch paste & copy aus Wikipedia will gelernt sein…