Spaziergang I

Der Morgenregen
hat das Fallen eingestellt, erste Hitze
in der Stadt und ich fremd
im fremden Viertel.

Bejahrte Wesen joggen sich jung,
jemand schließt resignierend das Fenster,
eine Haustür schnappt ins Schloss.
Katzen streunen, unzufriedene alte Männer
queren die Straße. In den Betten
die Nachtvögel jetzt, erschöpft
von Geschäften.

Durchs Vierteljahrhundert
mein Schritt, unter frischgetünchten
Fassaden alter Häuser, längs penibel
rasierter Hecken, vorbei an der
bankrotten Kneipe.

Frieden. Satter Frieden überall.
Ein weißer Vogel fliegt auf, nicht
von Picasso.

Antigone
Weder gewesene Pionierleiterin, Mitglied des Politbüros oder gar Geliebte des Staatsratsvorsitzenden (wie hier vermutet), sondern schlichte DDR-Bürgerin, nunmehr für 18 Milliarden DM zusammen mit 17 Millionen DDR-Bürgern zwangsweise verkaufte Bürgerin des Staates BRD. Hanna Fleiss: geb. 1941, wohnhaft in Berlin, Veröffentlichungen: zwei Gedichtbände "Nachts singt die Amsel nicht" und "Zwischen Frühstück und Melancholie" sowie in zahlreichen Anthologien und im Internet.

11 Kommentare

  1. Wenn du hier über einen Theodor Holz plaudern willst, dann schreib doch was über ihn. Bei meinem Spaziergang jedenfalls war er nicht dabei. Ich möchte hier einmal erleben, dass wenigstens einer was Gescheites zum veröffentlichten Text schreiben würde. Aber das ist wohl zuviel verlangt?

  2. indifferent ist der ab-schluss „nicht von picasso“ – indifferent – und auch richtig gut, weil es eine frage auffwirft: warum hier ein bezug zu picasso – und seinem weißen vogel – warum eine verdopplung, wenn es doch um etwas anderes geht? „nicht von“ hieße doch, dass es dem vogel völlig gleichgültig wäre, von wem er stammt? beklagt der text etwa die kunstlosigkeit – von was, vom leben, einer zeit, in der künstler wie picasso und ihre botschaften vergessen werden…

  3. Indifferent,

    mit dem weißen Vogel ist die weltweit bekannte Friedenstaube von Picasso gemeint. Vorher spreche ich ja von einem „satten Frieden“. Kannst du jetzt einen Zusammenhang herstellen?

    Gruß, Antigone

  4. Das mit dem weißen Vogel finde ich platt und verstörend. Und wie soll man satten Frieden interpretieren? Behäbige Menschen, vollgestopft und rotgesonnt in Short auf Platikgestühl im Schrebergarten, das ist zumindest meine Assoziation von satten Frieden.
    Und jetzt bekomme ich bestimmt was auf die Mütze, denn Antigone ist ja hier im Blog bekannt für ihre Empfindlichkeit…

  5. Höre ich Neid bei „bejahrten Wesen Joggen sich jung“? Oder etwa Lächerlichkeit bei „penibel rasierten Hecken“? Fremd im fremden Viertel… wie liest sich das Gedicht aus der anderen Perspektive, also zu Hause im eigenen Viertel? Sitzen da die bejahrten Wesen, wie sich das angeblich für ihr Alter gehört, mit Büchern und Lesebrillen im verwilderten Garten?
    Kurz: Antigone, Sie bleiben sich treu! Die Sozialkritik kommt einfach überall durch. Durch die küchenpsychologische Brille betrachtet hört sich das alles nach einer leicht unzufriedenen Mittsechzigerin an, die die Welt mit Worten verändern möchte. Lobenswerte Einstellung!

  6. Hallo SambalOlek,

    Ihr Kommentar macht mir eines klar: Das anerzogene Nichtdenken in gesellschaftlichen Zusammenhängen lässt Sie schon empfindlich werden bei dem Wort Sozialkritik. Vermutlich leben Sie in Verhältnissen, die allein den Gedanken an Kritik obsolet machen. Als ob ein Gedicht dann gut ist, das sich nur mit den offiziell erlaubten Schönheiten abgeben würde, in Absurdität und Irrationalität badend, sinnfrei daherkommt, Hauptsache, es „liest sich gut“. Falls es Sie interessiert, ich bin weder eine Mittsechzigerin, noch will ich die Welt mit Worten verändern. Was ich will, ist, meine Ansicht zur heutigen Gegenwart im Gedicht zu äußern, und das mit lyrischen Mitteln, und Leute wie Sie wenigstens in Ansätzen zum Nachdenken über die Gegebenheiten der heutigen Welt zu bringen. Das ist nicht nur legitim, sondern das A und O jedes Schreibens, und das seit Urzeiten, angefangen bei Homer. Ihr verständnisloser und hämischer Kommentar beweist, dass das sehr nötig ist, falls Sie vorhaben, als Mensch und Autor (!) ernstgenommen werden zu wollen.

    Hallo Der Kritiker,

    nein, besonders empfindlich bin ich nicht, jedenfalls hält sich meine Autoreneitelkeit in Grenzen. Wenn aber nur die dümmsten Dummheiten von der Leserschaft geäußert werden, ist es selbst für meinen Langmut mitunter etwas anstrengend. Aber das ist heutzutage nichts Ungewöhnliches, die Plattheiten purzeln nur so durch die Literatur, dass man sich fragt, wie es die Menschheit bis heute geschafft hat, zu überleben. Gut finde ich, dass die letzte Strophe Sie verstören kann. Könnte es sein, dass das Absicht war? Ich weiß, meine Gedichte sind in Ihren Kreisen nicht erwähnenswert, aber vielleicht meine ich mit meinen Gedichten Ihre Kreise auch nicht. Wenn Sie sich darin wohlfühlen, sollten Sie sich auf deren literarische Erzeugnisse spezialisieren. Jedem das, wozu er sich berufen fühlt.

    Gruß, Antigone

  7. Jedem das und Jedem das Seine… Ist Ihnen da unbedacht Freud über die Zunge gepurzelt? Aber Spott beiseite: Bitte sperren Sie doch Ihre Kommentartaste. Das macht es für Sie erträglicher.

  8. Hallo Der Kritiker

    nein, mit Freud habe ich nichts im Sinn. Aber wie sperrt man hier seine Kommentartaste? Ich sehe es nämlich ein, es bringt nichts, sich die Leute hier austoben zu lassen. Wenn Sie so freundlich wären, mir das mitzuteilen?

    Gruß, Antigone

  9. vor veröffentlichung einfach irgendwas anklicken wo ‚kommentardingsbums‘ draufsteht und dann weitersuchen bis die frage sich beantwortet hat

  10. ich möchte einmal erleben, dass von der straße auch bei 38 Grad ein vernünftiger geruch zu mir herauf weht. doch ich werde umwölkt von zwiebeln, mettwurst, nudeln aus der tüte. dazu noch kindergeplärr. ich glaub ich mach das fenster dann mal zu. im künstlichen duft der lampe lässt es sich besser schreiben.

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