Flucht und Wiederkehr V

Der Himmel lächelte milchig blau zur Nacht. An seinem Rand verwischten, verführerisch in seidenes Orange gehüllt, rosa Streifen – blässlich, verschämt und doch verheißungsvoll.

‚Ach, Sommer – Wie bist du mir ein Schwerenöter und Freund zugleich!‘, dachte ein alternder Mann, der langsam einen jener begrünten Kanäle entlang wanderte, die die wohlhabenden Viertel seiner friedlichen Stadt durchzogen.

‚Jene brennenden Tage, an denen jegliche Bewegung mit unendlichen Strapazen verbunden ist und jene nie enden wollenden Nächte, in denen die Klänge von ausgelassenen Festen und die schweren Düfte der Pflanzen emporsteigen und sich an einem mystischen Ort zwischen allen Sinnen zu einem melancholischen Bouquet vereinen, das, wenn auch für kurze Momente, Jugend weint… ach Sommer – all das bist du mir – und noch viel mehr.‘

Der Mann hielt inne und starrte wie gebannt auf den Weg, als öffne sich ein endlos tiefer Spalt vor seinen Füßen, als könnten ihn seine daraus heraus wuchernden Erinnerungen in einen flüsternden Abgrund locken.

„Sommer, bald welkt auch deine Blüte, bist du – wie ich – nicht mehr der Jüngste.“ Der Mann murmelte nun leise und trottete weiter, nicht resigniert jedoch, eher beschwingt – als treibe ihn ein unaussprechlicher, aufmunternder Gedanke aus der Ferne voran und alle Last sei vergessen.

War es ein Spaziergang oder war es etwas anderes? Ja, was war überhaupt möglich, was Einbildung, was Realität – gab es Ziele, noch einen letzten, verschütteten Wunsch? Seine Gedanken huschten wie fröhliche Motten zu den Laternen, die mittlerweile den Weg beleuchteten.

Der Mann hatte auf einer Bank am Kanal Platz genommen und die Zeit war verflogen, eine, zwei, vielleicht sogar drei Stunden vergangen – er fror nicht, denn es war Sommer – Zwischenzeit – und sein Freund spendete ihm erfrischenden Trost. Tanzender Gaukler, ewige Hoch- und Traumzeit, wohlan! So voll wie alles Fühlen ward, so glückstrunken oder schmerzverzerrt, so süß und zäh, nie war ihm Wind wärmer, nie der Regen weicher erschienen, keine Melancholie konnte Vergangenes so unmittelbar und täuschend echt beschwören wie sein Reich.

Die Stimmen aus der Ferne klangen zunächst wie singende Vögel. Erst als sie sich näherten, bemerkte der Mann, dass es sich um Jugendliche handelte, die sich – leicht angetrunken – zwitschernd neckten. Die Mädchen lachten viel und hoch, oft ein wenig zu lang, was ein schelmisches Grinsen auf das Gesicht des alternden Mannes zeichnete, bevor er – war es diese Nacht? – glücklich in den Fluten der Jahre versank.

Faron Bebt
schreibt Geschichten mit bunten Botschaften und einem hartem Kern. Immer etwas dogmatisch, aus der Zeit gefallen, verstörend verträumt - wie letzte, angemalte Großstadtbunker --Farbbeton.

4 Kommentare

    1. Ach, lass den Herren im Text doch ruhig mal ‚wohlan‘ denken. Hört sich vielleicht für seinen alternden(!) Retro-Ästheto-Geist eben wohl an.
      In diesem Zusammenhang erinnere ich mich an den renomierten Literaturwissenschaftler Heinz Schlaffer, der in seinem Buch „Geistersprache – Zweck und Mittel der Lyrik“ andeutet, dass insbesondere der Klang von Sprache, wie sie beispielsweise oft veraltete Begriffe oder Wortwendungen aufweisen, einen starken emotionalen Bezug zu dem kolportierten Inhalt aufbauen, ihn ggf. sogar transzendieren, d.h. weniger der konkrete Inhalt als vielmehr das „Lied“ hinter den Worten vermag in den Hauptaugenmerk des Rezipienten vorzudringen.

  1. der literaturwissenschaftler spricht (und kommentiert). ein background-sound, der nicht zu überhören ist: wenn literaturwissenschaftler schreiben. und da gerade doktorarbeiten und romane wieder quantitativ an umfang zunehmen, ist noch einiges zu erwarten. der liedermacher reinhard mey sprach dereinst von einem „recken mit übergewicht“. also tapfer weiter machen.

  2. Wenn „nett“ die kleine Schwester von „Sch…“ ist und „stets bemüht“ ein „genügend“ ergibt, was bedeutet dann „tapfer weiter machen“?

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