Aufatmen

Dreizehn Jahre und drei Kritiken
älter, du hängst nun
als Ikone
über Schreibtischen.

Wohin werden sie dich
geleiten?
Wozu werden sie dich
befragen?

Dreizehn Jahre, die Abstände
zwischen den Ereignissen
suchen nun
ihre Logik in dir.

Du bist nicht mehr
der du bist –
Gletscherspalte & naive
Nachahmung.

Du bist nun eine
Frau mit einem Körper
aus Glas, Fensterscheibe –
Mauer – Eingangstür.

Ein Mensch in
der Blüte seiner Kraft,
ein Mann in seiner
Kindlichkeit.

Du bist nun das Kind
das du immer sein wolltest.

Zeit, endlich erwachsen zu werden

Der Schreibtisch wartet
auf dich wie ein
gealterter Geliebter,
sicher schwebst du
zwischen die Fächer des
Bücherregals.

Flieder? Tempera? Arsen?

Am Bahnhof warten sie auf dich,
immer wieder.
Am Bahnhof haben sie immer
eine offene Hand für dich übrig.

J. W. Rosch
geb. 1967 in Charkiv, lebt in Frankfurt am Main. Gedichte, Prosa, Roman. Bisher bei LLV erschienen: Jokhang-Kreisel. Gedichte und kurze Prosa mit Zeichnungen von Anna H. Frauendorf (2003), Goðan Daginn. Gedichte. Mit Radierungen von Mechthild Mansel (2010).

3 Kommentare

  1. Morgens halb sechs beginnt der Verkehr
    Die Schüler gähnen an der Haltestelle
    Früher lasen alte Männer Zeitung
    In der Straßenbahn : heute wirkt

    Jeder gebeugt : überm Handy
    Blaues Licht beleuchtet die Gesichter
    Kein Auge leuchtet mehr : matt
    Geworden sind die Pupillen : niemand

    Spricht mit keinem : schon gar
    Nicht begeistert : Lieferwagen
    Hetzen rechts vorbei auf endlosen
    Wegen : den Schülern und Lageristen

    Folgen junge Manager in weißen
    Schlitten : als letzte verlassen
    Die Mütter mit Neugeborenen
    Im Tuch vorm Bauch das Haus

    Es ist hell geworden : der Verkehr
    Beruhigt sich eine Halbzeit lang

  2. ich stolpere und stolpere erneut über die funktion dieses gegengedichtes – es ist für mich wie die vielzitierte kellertreppe nach unten, nachdem oben am schreibtisch noch leichthin, in farbiger mixtur, gleich einer sanften brise am morgen, ein hauch von seidenen vorhängen in gelblich-weißen tönen, vanilleweiß veilleicht, filosophiert wurde. falsch geschrieben. und das ganz bewusst. aus dem gleiten in den keller des gegengedichts wird ein stolpern. und jeder keller hat ein abdeckgitter vor dem fenster. schade, das mancher es mit einer plastikfolie zuklebt und steine drauflegt nur damit kein herbstlaub rein kann. und die schwarze witwe nistet sich dennoch ein. brauner kellerschwamm im hirn & im herzen? ich weiß es nicht. ich stolpere.

  3. gott liebt nicht jeden. denn, anstatt ihn zu sich zu holen, wirft er ihm einen stützstrumpf hinterher. ruhig ausatmen und nicht ärgern – aufhören ist nämlich nicht ihr ding. das klappt noch nicht so ganz. stützstrümpfe auffangen bitte. ein trost: diese geschütze tun nicht weh.

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