Die Philosophie, der Fluss, der aufrecht stehende Körper

Die Richtung ändert sich mit den Jahren. Möglichkeiten haben sich vereinigt, der Fluss aber behält seinen Namen. An den Ufern bleibt nichts wie es ist, aufrecht stehender Körper – du hast keine Chance gegen das Wasser.
Die Richtung wird mit jedem Gedanken neu bestimmt. Aus dem Geflecht der Verbindungen von Wörtern zu Sätzen, von Sätzen zum Blick in den Raum, den das Gedächtnis einnimmt, ersteht eine Landschaft.
Der Fluss fließt immer weiter, die Körper beginnen die Landschaft zu füllen, der aufrecht stehende Körper sieht sich zum Verwechseln ähnlich – ist das jenes Wesen mit Namen Mensch? Nein, das ist nur ein aufrecht stehender Körper.
Der Fluss verschwindet hinter einer Biegung. Der Körper setzt sich in Bewegung. Die Biegung verschwindet, der Fluss kehrt wieder. Die Bewegung dauert an, der aufrecht stehende Körper ist nun ein vorwärts schreitendes Wesen, aber die Erscheinung des Schreitens fehlt dem Wasser.
Der aufrecht stehende Körper war einmal ein vorwärts schreitender Körper. Der Körper kann sich daran erinnern. Der vorwärts schreitende Körper war einmal die Erinnerung einer Landschaft. Die Wörter können sich daran erinnern. Die Erinnerung war einmal eine Landschaft, durch die ein Fluss fließt.
Der aufrecht stehende Körper am Rande des Flusses, die Wörter sammeln sich zu Klumpen und treiben dahin. Da – einer springt aus dem Wasser und taucht wieder ein, der Blick in den Raum weitet sich ins Unsichtbare. Möglichkeiten werden sichtbar, die Landschaft aber scheint sich gleich zu bleiben. Eine Landschaft mit Fluss und darin ein aufrecht stehender Körper.
Da scheint sich etwas gleich zu bleiben angesichts des Rinnsals, das einmal Fluss genannt wurde. Ist das noch ein aufrecht stehender Körper? Das Wesen Mensch hat mit der Zeit die ganze Landschaft eingenommen, in der es nach wie vor fließt, in der sich die Richtung ändert, obwohl sich nichts mehr ändert in der Landschaft.

J. W. Rosch
geb. 1967 in Charkiv, lebt in Frankfurt am Main. Gedichte, Prosa, Roman. Bisher bei LLV erschienen: Jokhang-Kreisel. Gedichte und kurze Prosa mit Zeichnungen von Anna H. Frauendorf (2003), Goðan Daginn. Gedichte. Mit Radierungen von Mechthild Mansel (2010).

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