Im Innern gefrorener Schuhe [12]

und beim erwachen war er stets vor der lampe

und begriff sich als einen offensichtlich vorhandenen

selbsterlösenden garten

Gennadij Ajgi, Blumen von mir für mich

Aber was ist nun ein Vektorraum, was eine Ringstruktur … gibt es Idealteiler?

(Februar 1990)

Wir zelteten zwei Kilometer oberhalb der Sängerwiese, knapp neben der Burg. Und es war alles noch eine exakte Folge halbeinfacher Moduln, Pause, so klar wie im Auge – und du lachtest herzerfrischend – bereits merklich anschwellenden Windes.

Für dich, Brüderchen – für immer.

Zhenja
Künstlername des aus Südrußland stammenden Dichters Jewgeni Sacharow; hob unter nickname Zhenja 2007 gemeinsam mit Gesche Blume und Viktor Kalinke den literarischen Blog www.inskriptionen.de aus der Taufe. Das seit 2009 verwendete Pseudonym stand dabei zunächst Pate für eine Reihe von Versuchen, sich zugleich die Bild- und Klangsprache des 1922 verstorbenen futuristischen Dichters Viktor Vladimirovic Chlebnikov und die Ausdrucksmöglichkeiten des Deutschen als literarischer Nichtmuttersprache zu eigen zu machen. Zunehmende Vermischung eigener Sprachschöpfungsprozesse mit dem Ideenfundus des russischen Avantgardisten bis zur „non-rem-fusion“. Sacharow lebt und arbeitet seit 2008 als Garderobier und freischaffender Autor in Frankfurt am Main. Projekt der beiden in Deutschland ansässigen russischen Dichter Jewgeni Sacharow und Sascha Perow, „Brüder im Namen“. Jewgeni beschäftigt sich seit 1990 mit Drama in - wie er es nennt - Außenprojekten, ich dagegen (Perow) versuche mich gelegentlich an Übersetzungen aus dem Russischen; mein Ziel: Erschaffung eines neuen Dialekts der Weltpoesie, der „Sternensprache“. Wichtig war für unser Inskriptionen-Doppelleben die Begegnung mit der deutschen Dichterin Hanna Fleiss im Winter 2012 in Berlin.

9 Kommentare

  1. Beim Erwachen spürte ich kühles Haarfell an meinen Fingern. Louises Katze konnte es nicht sein, denn die war schon vor ein paar Tagen unter dem Welterlöser-Zaun hindurch in Freie geflüchtet. Dabei hatten wir sie doch erst kürzlich die Treppe hinunter getragen, um sie langsam mit dem Garten vertraut zu machen. Das scheue Geschöpf hatte stark an Gewicht zugenommen, und war, trotz seiner Jugend, rasch unseren Händen entglitten. Um Katzenfell handelte es sich bei dieser weichen Kühle also kaum. Ich öffnete langsam die Augen und wurde von Lampenlicht geblendet.

  2. Weiße Rechtecke, in Grün gefasst. Fast ehrfurchtsvoll tippen meine nackten Füße auf die Badezimmerfliesen. Ein wenig eng, vielleicht. Das Hotel in der Seitenstraße, South Kensington. Durch das schmalgekipptes Fenster fiel Morgenlicht herein. Frühling 1985, und noch ahnte ich nichts von den Qualen des folgenden Herbstes. Ich rubbelte meinen Körper trocken und legte eine Kassette in den Walkman. Das Falsetto von Nicolas‘ Stimme nahm mir fast den Atem, der sich durch den Dunst des Badewassers kämpfte. Noch immer schwamm es lau und reglos in der Wanne. Tears 4 somebody else. Sein Herz, in Butterbrotpapier gewickelt.

  3. Sein Herz, in Butterbrotpapier gewickelt. Endlich. Er hatte neben Louise an der Bar gesessen. Das falsche Spiel begann, Piek Sieben hatte den Platz ergattert und saß da, erforschte die Rillen in den Fingernägeln meines Idols. Mit ihrer Brille frisch vom Optiker, unbescheiden auf die Nase gerückt. Spartanisches Horn. Louise la doctoreuse. Studierte seine labilen Nägel, deren schlanke Finger unabsichtlich über die Vodkareste auf der Theke fuhren und schließlich das Coctailglas ergriffen. „Längsrillen in den Nägeln stehen für eine schwache physische Konstitution“, hatte sie mir später erläutert. Die hellrote Coctailkirsche lag zwischen seinem Daumen und dem Zeigefinger. Verschwand im Mund. „Louise, sei lieb zu mir und erzähl weiter.“ Ihr Glockenrock aus den Dreißigern war knitterfrei. White Lady, Cherry Blossom. Peach and Honey. „Ich musste mich zusammenreißen. Fast wäre ich so unbeherrscht gewesen, ihn zu bitten, die Kirsche mit den Zähnen zu hälften.“ Welches war doch gleich Louises Lieblingslied? „I’ve been in love before, it’s true – been learning to adore – just you. Some old romance tought me how to kiss: to smile like that: to sigh like this…“ Jetzt lachte sie mich aus damit.

  4. „Shoot that poison arrow to my heart…“ Louise hatte noch andere Lieblingslieder. So dachte sie vermutlich an dieses hier, als sie eine gehörige Portion „Clandestine“ in mein Klo schüttete. Was ich lange Zeit für einen natürlichen Verdunstungprozess hielt. Wahrscheinlich hatte ich den Flakon nicht korrekt verschraubt. Ich schüttelte ungläubig den Kopf. Chemische Prozesse verstehen war nie eine meiner Stärken. Ich drehte „Clandestine“ noch fester zu. Doch wie sollte ich mein und Nicolas‘ Parfum aufbewahren? Ich riss eine Seite mit der Werbung für „Clandestine“ aus der letzten Ausgabe von „Vogue“. „Darling, solange du hinter ihm her bist, wirst du nie aus deiner Pubertät heraus kommen. Want to buy some illusions?“ Ich saß vor dem Flakon, bis es dämmerte. Bis das Tageslicht aus meinen Räumen schwand und dunkelblauer Nacht Platz machte. Endlich zog ich die Schreibtischlade auf, holte das mintgrüne Briefpapier hervor und griff zur Feder. „I’m really shocked to hear that you were so…“ „Clandestine“ kippte zur Seite, eine ölige Flüssigkeit ergoss sich über den Briefbogen und verbreitete einen süßlichen Geruch. Ich musste es zuvor aufgeschraubt haben. Der Duft regte meinen literarischen Nerv an. „Are you better now? I hope so 4 I can’t live in this world w out y .“ Mein Gesicht sank in die Parfumlake.

  5. Wasserstoffperoxyd – oder so ähnlich. Ich schüttelte das Thermometer. Es erreichte kaum zehn Grad Celsius über Null. Weich hüllte das Fuchsfell mich ein und schaffte es, meinem fröstenden Leib langsam zu erwärmen. Der war noch von Nicolas‘ imaginierten Händen elektrisiert, von ihrer nervösen Hitze. Meine eingeschäumten Haare wurden starr vor Kälte. Meeresgischten jenseits der Themse, Dreiviertelmonde dahinter. Blick durch die Glasscheibe, es wurde früher Morgen. Louise, Liebe, denk bitte an die chicken-rolls, wenn du gegen sieben Uhr vor meiner Tür stehst. Bitte koch uns Kaffee. Bitte sag, du hättest ihn heute Nacht an der Station Holland Park mit dem Opernglas erspäht (bitte, sag‘ nichts, nichts…). Du drücktest es dir gewichtig in deine Manteltasche, das Glas, gewichtig nur, weil dein Puls normal schlägt, wo meiner schon aus dem Takt geraten wäre. Das Leder deiner Handschuhe reibt aneinander. Wenn Nicolas, an der Station vorbei, bei Seveneleven Vanilleeis kaufte.

  6. „Mein Onkel, als man ihn gesalbt,
    Rief zu sich seinen einzigen Neffen,
    Zwang sich zur Achtung seiner selbst
    Und konnte es nicht besser treffen.
    (…)
    Also musst du endlich lernen zu verzeihen,
    Oder du wirst zwischen deinen Hunden grau.“

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