wir dichter

wir dichter sind freundliche schafe : lassen uns
herumführen von ort zu ort : immer einen scherz
auf der zunge : dabei sind wir melancholisch
nur aufzuheitern durch gutes essen : bitte drei gänge

und ein paar gläser wein oder zwei flaschen bier
damit sind wir schon zufrieden und lassen uns
herumkutschieren : kreuz und quer durchs land
um am abend ein paar minuten lang unsere genialität

zu preisen : indem wir möglichst gleichgültig verse
vorlesen vor fünf oder fünfzehn leuten : von denen man nie weiß
was sie ins publikum verschlagen hat : uns verschafft es
den nächsten aufenthalt : die nächste beteiligung

an einer anthologie (nicht an aktien) : wir sind so einfach
zufriedenzustellen : am tage reicht uns eine leere landschaft
mit weitem blick und bitte eine portion
einsamkeit : romanschriftsteller lieben es etwas belebter

sie brauchen eine unterkunft in kleinen großstädten
wo verbrechen und verfolgung mit der sirene ins hotelzimmer tönen
wir dichter lassen uns ohne widerstand abführen
in irgendeine idylle : ohne zu murren

Theodor Holz
geb. in Dresden im Herbst 1989, hab die Wendewirren mit der Muttermilch aufgesogen, Pflastersteine wurden aus dem Bahnhofsvorplatz gerissen und flogen knapp an meinem Kinderwagen vorbei, meine Mutter konnte ihren Beruf als Jungpionierleiterin auf dem Albrechtsberg nicht mehr ausüben, sie nahm an einer Umschulung zur Altenpflegerin teil, während ich brav die Kreuzschule besuchte.

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