Kultur ist also ein Zeichensystem, das auf eine ganz bestimmte Weise organisiert ist. Dabei fungiert gerade das Moment der Organisation – verstanden als die Summe von Regeln und Einschränkungen, denen das System unterworfen ist – als das bestimmende Merkmal der Kultur.
Die Definition der Kultur als eines Zeichensystems, das bestimmten Strukturregeln unterworfen ist, erlaubt es uns, die Kultur als eine Sprache auszufassen – in der allgemeinsemiotischen Bedeutung dieses Terminus.
Unweigerlich nimmt die Kultur den Charakter eines sekundären Systems an, das jeweils über einer in der betreffenden Gemeinschaft üblichen natürlichen Sprache errichtet wird, und in ihrer inneren Organisation reproduziert die Kultur das Strukturschema der Sprache.
Die Übersetzung ein und derselben Texte in verschiedene andere semiotische Systeme, die Identifizierung unterschiedlicher Texte, Grenzverschiebungen zwischen den Texten, die einer Kultur zugehören, und denen, die sich jenseits ihrer Grenzen befinden – diese Vorgänge bilden den Mechanismus der kulturellen Wirklichkeitsaneignung. Die Übersetzung eines Ausschnitts de Wirklichkeit in eine „Sprache“ der Kultur, seine Umwandlung in einen Text, das heißt in eine auf bestimmte Weise fixierte Information, und die Aufnahme dieser Information in ein kollektives Gedächtnis – dies ist die Sphäre der tagtäglichen kulturellen Tätigkeit. Nur das, was in ein Zeichensystem übersetzt wurde, kann Gedächtnisbesitz werden, und in diesem Sinne kann man die Geistesgeschichte der Menschheit als einen Kampf um das Gedächtnis betrachten. Nicht zufällig erfolgt jede Zerstörung von Kultur als Vernichtung von Gedächtnis, als Tilgung von Texten, als Vergessen von Zusammenhängen.
Die Chronik war der Wirklichkeit isomorph: Die alljährliche Aufzeichnung ermöglichte es, einen endlosen Text aufzubauen, der sich entlang der Zeitachse immer weiter ausdehnte. Der Begriff des Endes bekam in diesem Kontext eine eschatologische Einfärbung, er stimmte überein mit den Vorstellungen über das Ende der Zeiten, das heißt der irdischen Welt. Das Herausheben eines markierten Endes im Text (die Umwandlung der Chronik in eine Geschichte oder einen Roman) stimmte überein mit seiner kausalen Modellierung. In dieser Hinsicht war die Umwandlung des Lebens in einen Text verbunden mit der Erklärung seines geheimen Sinns. Im Aufbau der Chronik wird ein anderes Schema realisiert:
Leben –> Text –> Gedächtnis
Die Umwandlung des Lebens in einen Text dient hier nicht der Sinnerklärung, sondern der Eintragung von Ereignissen in ein kollektives Gedächtnis… Das gemeinsame Gedächtnis verwies auf die bewußt wahrgenommene Einheit der Existenz. In diesem Sinne konnten die Chronik und die ihr funktionsverwandten Gedächtniszeichen (Gräber und Epitaphien, Denkmäler, Inschriften auf Gebäudemauern, Toponymik) für die Gemeinschaft die Funktion von Existenzzeichen erfüllen, weil sie – im Unterschied zu historischen Texten mit pragmatischer Ausrichtung – nicht Erklärungen von Ereignissen, sondern die Erinnerung an Ereignisse darstellten.
Zwei einander entgegengesetzte Verfahrensweisen:
1. Die Welt ist ein Text. Sie stellt eine sinnvolle Mitteilung dar, als Schöpfer des Textes können auftreten: Gott, Naturgesetze, die absolute Idee usw. Die kulturelle Aneignung der Welt durch den Menschen besteht im Erlernen der Sprache des Textes, in seiner Entschlüsselung und Übersetzung in die dem Menschen zugängliche Sprache… Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, daß zum Beispiel die armenische Kirche einen besonderen Feiertag der Heiligen Übersetzer kennt, der als Tag der nationalen Kultur begangen wird.
2. Die Welt ist kein Text. Sie hat keinen Sinn… Hier haben wir es nicht mit der Übersetzung eines Textes zu tun, sondern mit der Umwandlung von Nichttext in Text. Die Umwandlung von Wald in Ackerland, die Trockenlegung von Sümpfen oder die Bewässerung von Wüsten, kurz: jegliche Umwandlung von nicht kultivierter Landschaft in kultivierte kann man als Transformation von Nichttext in Text auffassen. In diesem Sinne gibt es zum Beispiel zwischen dem Wald und der Stadt einen prinzipiellen Unterschied. Die Stadt trägt in sich in sozialen Zeichen fixierte Information über verschiedene Seiten des menschlichen Lebens, das heißt, sie ist ein Text in demselben Ausmaß wie jede Produktionsstruktur.
beim entziffern des textcodes steigt am geistigen horizont schemenhaft ein betonklotz auf. ich kann die lettern im grauen beton deuten: geisteswissenschaftliches institut. ich rieche holz und plastik, gauloises und nil, nescafe und mensa. hauptseminar ct! der tag – ein text. zäh kriecht er dahin. nie wieder, schwor ich mir, nie wieder träge masse verdauen. beam me up, scotty und lass‘ mich auf saftige wiesen fallen…
fluffy schuffy doooh
es sind überhaupt keine sterne am himmel.
nur, weil du sie nicht siehst…
Das ist doch Luhmann!