Ein Briefwechsel, weiblich

Oder: wenn die Lust zur Last wird

28. Oktober

Liebe Frau  Kleist,

Ihre langjährige Erfahrung mit guter Prosa beeindruckt mich so sehr, dass ich nunmehr beschlossen habe, selbst etwas zu verfassen. Doch bin ich noch ungeübt und in den Kinderschuhen mit meinen Texten. Ich möchte eine Erzählung, vielleicht sogar etwas mehr aus diesen Fragmenten machen. Vielleicht wird es sogar ein Roman! Doch ich weiß nicht, ob ich alles richtig mache, da ich eine blutige Anfängerin bin. Für Tipps aus Ihrem Nähkästchen, wäre ich sehr dankbar,

herzlichst,

Ihre Marianne Kramer

***

29. Oktober (gibt es den eigentlich?)

Liebe Frau Kramer,

vielen Dank für Ihre netten Worte und Ermunterungen, die man auch nach Jahren schreibender Tätigkeit immer gut gebrauchen kann – denn das kreative Loch, in das man fällt, ist tief – eine Erfahrung, die immer wieder gemacht werden muss.

Was Ihre eigenen Schriften anbetrifft: Bewahren Sie sich so lang als möglich Ihre Unbefangenheit! Später erst werden Sie wissen, welch ein Geschenk diese war – wenn Sie, wie auch ich, überreflektierend vor Ihrem Bildschirm sitzen und nicht mehr einfach so anfangen können, wie es aus Ihrem Antrieb heraus eben einfach geschieht und geschehen muss. Es wird zu harter Arbeit, es wird zum Zwang, dem Ihr Körper, Ihr Geist sich widersetzt….

Doch heute denken Sie bitte nicht so weit. Schreiben Sie einfach weiter und werten Sie nicht – solange wie möglich. Sollte Sie jedoch das Bedürfnis nach einem Urteil zwicken, so bleiben Sie wachsam und rechnen Sie mit dem Schlimmsten: dem Verlust Ihrer schreibenden Jungfräulichkeit, die paradoxerweise die schönsten Früchte erwachsen lässt – sehen Sie, vielleicht hat das sogar etwas mit dem christlichen Glauben (dem ich nicht zwangsweise anhänge) zu tun.

Melden Sie sich also erst wieder, wenn ein ernsthaftes Schreibproblem Sie plagt und seien Sie sich sicher, dass Ihnen dann nur noch mit Spritzen und Verbänden zu helfen sein wird.

Herzlichst,

Frau Kleist

***

31. Oktober (Valentinstag?)

Liebe Frau Kleist,

danke für Ihre Antwort. Leider bin ich noch nicht so weit, dass ich alles verstehe, auch empfinde ich Schreiben nicht als Arbeit, sondern als Spaß, über den ich aber nur mit sehr vertrauten Menschen sprechen möchte. Ich weiß nicht, was beispielsweise mein professor denken würde, wenn ich, anstatt brav meine Seminare vorzubereiten, heimlich nachts mir selbst Geschichten erzähle, das als lustvoll empfinde und erst aufhören kann, wenn die Uhr bereits vier Uhr früh anzeigt. Dann plagt mich das schlechte Gewissen ob eines nicht genug vorbereiteten Referats und ich gehe müde zur Uni, halte es, und bekomme wieder nur eine drei, obwohl ich mindestens eine zwei hätte haben können. Wenn nur diese verdammte Schreiberei nicht schon zur Sucht geworden wäre, zum Kick, den ich brauche. ein objektives Urteil habe ich leider nicht. Aber da ich es nicht lassen kann, möchte ich doch gern irgendwann mal etwas damit anfangen – und dann muss ich natürlich sicher sein, dass es auch etwas taugt. Blamieren will ich mich nämlich nicht.

Also, Sie meinen ich soll einfach weiter machen, wenn ich Lust dazu habe? Ist das denn nicht nur Spielerei? Natürlich, andere gehen in die Kneipe und betrinken sich, jeder muss ja irgendein Laster haben. Aber manchmal schäme ich mich fast für diese Lust am Schreiben! Kommt Ihnen das bekannt vor?

Alles Liebe,

M. Kramer

(Anm.: Die Rechtschreibung und Grammatik des Originals wurde aus urheberrechtlichen Gründen beibehalten)

crysantheme
Wer eine Crysantheme verblühen lässt oder ihr den Kopf vor ihrer Zeit abschneidet, der erntet zur Strafe nur noch grünes Friedhofskraut.

2 Kommentare

  1. Früher bekam ich viele Briefe. Es begann mit kleinen Zetteln in der Federmappe, auf denen mit Bleistift HB stand: „Isch möchte diech Heihrathen“. Der sich so frühzeitig Festlegende wurde nach seinem weiteren, wesentlich längeren Brief erst mein Nachhilfeschüler, dann mein Kurzzeit-Freund. Meine Mutter bestand darauf. Denn der Vater war Wirt und konnte uns so die Gaststätte für diverse Familienfeiern reservieren. Die Liasson brach beim dritten Brief „Ich glaube, du willst mich garnicht heirathen. den du liepst doch den Maike. nuhr weil er boxer ist.“
    Die Orthografie wird auch hier aus urheberrechtlichen Gründen beibehalten.
    (PS: Verzeih mir Stephan A.: Ich weiß, du bist wie dein Vater Wirt. Und wer nichts wird, wird… Und der Maik, also der konnte sogar Handstand auf seinen Fäusten! Und Mathe. Das brachte mich dann doch wesentlich weiter. Eine Frau muss halt ihre Möglichkeiten ausloten.)

  2. Heute, kurz vor drei, während im Backofen ein Kuchen schmort: Tortenguss von Albo-Rhythmen. Das sind die notwendigen kleinsten Schritte. Wir haben alle mal so angefangen.

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