Intrigantenstadl

Da gab es also eine Gelegenheit, den Kollegen eins auszuwischen. Eine Stelle war zu besetzen. Klara Klarsack genoß nach Abendgymnasium und Studium des Klassischen Materismus bei Heidi Gotthold-Morgenroth, das sie mit Auszeichnung bestanden hatte, die besten Chancen, ihren Job in der philosophischen Praxis einzutauschen gegen eine „eigenverantwortliche Lehrtätigkeit“. Zu erzählen hatte sie wahrlich einiges. Zuvor hatte sie jedoch – unter den ersten drei Bewerbern war sie dank ihrer hervorragenden autodidaktischen Qualifikation gelandet – zum Vorsingen anzutreten und dies bot die  Gelegenheit, Madame Pikante zu begegnen. Klara hielt einen Probevortrag zum bedeutungsschwangeren Thema „Die Bedeutung des Bieres in Abgrenzung zum Wein in der männlichen Sozialisation“, womit sie grundsätzlich schon mal den Geschmack von Fräulein Pikante zu treffen wußte. Alkohol war Pikantes Lieblings-Topos, in der Theorie versteht sich. Sie konnte stundenlang über die Wirkungen, physiologischen Veränderungen, die kreativen und adiktionalen Potentiale der weltweit anerkannten (na die muslimischen Länder gehörten nicht zu Pikantes Spezialgebiet…) referieren. Zugleich bedeutete das einschlägige Fachwissen Fräulein Pikantes, das in ihrem Falle nicht an einer geröteten, sondern einer leicht erhobenen Nase zu erkennen war, einschlägiges Glatteis für Klara Klarsack, die sich keinen Fehltritt bei ihren Ausführungen erlauben durfte. So zählte sie zu den Vorteilen des Bieres den – relativ gerechnet – niedrigen Alkoholgehalt im Vergleich zum Wein, der durch Mixturen mit Cola oder Limonade noch weiter zu verringern sei, so daß Bier als Begleiter für länger andauernde Festivitäten geeignet erscheine, ohne daß sein Konsum zwangsläufig zum berüchtigten Koma führen müsse, den Umzug der jugendlichen Komiker im einschläfernden Vollrausch, der schon den Griechen ein Begriff war. An dieser Stelle hakte Fräulein Pikante scharfzüngig ein und erhielt Schützenhilfe von einem älteren Lehramtskollegen, der durchaus Selbsterfahrung auf dem Gebiet ausweisen konnte. „Wie kommen Sie darauf“, hub Fräulein Pikante an, die Stimme gefährlich nach oben schraubend, „daß Bier weniger Alkoholgehalt enthalte als Wein? Auf den Etiketten ist doch allgemeinverständlich zu lesen 10, 11 oder 12 Grad Promille.“ Fräulein Pikante senkte die Stimme wieder und blickte mit blitzendem Auge über den oberen Rand ihrer Brille, die sie auf die leicht erhobene Nasenspitze vorgeschoben hatte. Der ältere Kollege nickte bestätigengend. Die beiden waren sich ihres Triumphes sicher. Sie hatten Kandidatin Klara Klarsack bei einem faux pas erwischt, den sie nicht durchgehen lassen konnten, wollten sie die „Qualität der Lehre“ nicht gefährden. „Das ist nicht der Alkoholgehalt“, widersprach Klara kleinlaut, aber vernehmlich, „das ist die Stammwürze.“ „Stammwürze, Stammwürze“, höhnte Fräulein Pikante, „reden Sie keinen Unsinn.“ Damit war das Vorsingen beendet und dem akademischen Geschmacksnerv alle Ehre erwiesen.

Marquis de Passade
geb. am 2. Juni 1940 in Triest, slowenischer Adliger mit französischen Wurzeln, wurde bekannt dank ei-ner Reihe kirchenfeindlicher und philosophischer Essays, die er im Gefängnis schrieb. Nach seiner Ent-lassung wanderte er aus und nahm eine halbe befristete Stelle an einer deutschen Hochschule an, um die Sadismen des akademischen Prekariats zu studieren. Passades Werke nehmen Kritiken am effizienzbasierten Studium vorweg, dessen Auswirkungen erst mehr als ein Jahrhundert später im Niedergang des westlichen Zivilisation sichtbar werden.

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