Hotel Magonza

Schlaf gut. Träum süß von sauren Gurken! Über mir die Gesichter von Tante Anni, von Mutter und Großmutter. Neben dem Bett die feuchte Schnauze von Snoppy. Noch einmal die Stimme. Von sauren Gurken! Tante Anni. Dann geht das Licht aus, die Tür geht zu. Nun soll das Kind schlafen. Der Vater hat Nachtschicht bei der Feuerwehr.

Hier bin ich. Eingemietet im zweiten Stock eines Hauses, das dem Haus meiner Kindheit so nahe ist wie nur möglich. Ein geräumiges Hotelzimmer mit Balkon, Doppelbett, Kleiderschrank und riesigem Bildschirm. Der Rollkoffer steht noch auf dem Boden, unausgepackt. Das Zimmer blickt auf die Straße, auch der Balkon.

Auf den Balkon bin ich schon einige Male gegangen, doch es ist Sommer und heiß. Jetzt, am Nachmittag, auf einem der beiden Stühle zu sitzen, wäre eine Qual, und so nutze ich den Balkon nur, um ein paar Fotos zu machen. Von der Straße vor dem Hotel, der bescheidenen Schlucht, die sich in beiden Richtungen auftut, von den Häusern, die sich mir eingeprägt haben müssen als Kind und die ich nicht wiedererkenne. Einmal sah eine junge Frau zu mir auf, aus dem ersten Stock gegenüber, als ich eben auf den Auslöser drückte. Offenbar hielt sie mich für einen Voyeur. Empört sah sie von einem großen Schreibtisch am Fenster zu mir herüber, ich hatte sie in dem Augenblick erst bemerkt. Die Kamera war nebenan auf das Eckhaus gerichtet, auf den nicht mehr vorhandenen Laden, in dem ich oft das verbotene Bier für Tante Käthchen geholt habe. Bomben hatten das Haus im Krieg getroffen, nur Parterre und erster Stock waren stehengeblieben. Bis vor wenigen Jahren hatte es von dem Eckhaus nichts als das Parterre und die erste Etage gegeben. Der Eingang zum „Leineweber“ aber war wie der Laden selbst schon lange verschwunden. Nun sah ich eine neue, weiße Fassade über dem Erdgeschoß aufragen, vier Stockwerke hoch, auch das Dach schien ausgebaut. Noch immer schaute die Frau hinter dem Schreibtisch böse zu mir her. Ich tat, als bemerkte ich sie nicht, fotografierte noch einmal in die andere Richtung, die Straße entlang, wie um sie zu beruhigen. Nun aber zog sie den Vorhang zu und verdeckte ein seltsam langes, niedriges Fenster. Ich ging ins Zimmer zurück, es war ohnehin zu heiß.

(Auszug aus einem neuen Roman)

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