Schnellfertig und Weilehaben

Schnellfertig besucht Weilehaben. Er sieht, wie Weilehaben sein Geschirr umständlich mit der Hand abwäscht und fragt: „Sag, hast du keinen Geschirrspüler? Wie viel Zeit verschwendest du mit dieser Arbeit!“

Weilehaben: Wenn ich mit der Hand abwasche, vollziehe ich das Speisen und die dazu gehö­rigen Eindrücke nach. Ich erinnere die Gedanken und Gefühle, die ich beim Essen hatte, und war Besuch da, erinnere ich unsere Gespräche. Es reißt mich aus der Geschwindigkeit mit mir selbst, in die mich ständig etwas hineinzwingen will. Hast du jemals deinen Geschirrspüler eingeschaltet und dir gesagt, so, in der freien Zeit mache ich etwas Schönes? Keiner tut das. Stattdessen telefoniert man oder verschafft sich weitere Beschäftigungen und verfällt dem Ge­triebensein.

Schnellfertig: Dann hast du bestimmt auch kein Smartphone oder Computer?

Weilehaben: Doch hab ich. Aber das Smartphone ist ausgeschaltet. Ich verwende es nur zwei­mal am Tag. Nach dem Frühstück und nach dem Abendessen.

Schnellfertig: Klingt nach Technik-Kritik.

Weilehaben: Wenn du so willst, ja, es ist Technik-Kritik.

Schnellfertig: Kannst du dir vorstellen, wo wir heute wären ohne die technischen Hilfsmittel? Kein Auto, keine digitale Uhr, keine Waschmaschine, keinen Computer, kein Telefon, keine Heizung, kein Radar, keine digitalgestützte Medizin, keine Flugzeuge, keine Landmaschinen, keine industri­elle Produktion, keine selbstfahrenden Staubsauger und Rasenmäher.

Weilehaben: Ja, wo wären wir? In der Steinzeit vermutlich. Ich denke, wir müssen in uns zwei Men­schen unterscheiden: Den des Aktes und den der Schrift. Jener der Schrift führt unwei­gerlich zur Technik, zur Digitalisierung und zu dem, was danach kommt. Der Mensch des Ak­tes ist der Hören­de, der Auswendigkennende, der Feiernde und Spielende. Jener der Schrift doppelt die Wirklichkeit, er lässt das Original nach und nach verschwinden.

Schnellfertig: An das Original glaubt schon lange niemand mehr. Wir haben es überall mit Kopien und Palimpsesten zu tun. Man könnte sagen, die ganze Wirklichkeit ist Schrift gewor­den. Das hat uns einen großen Bewegungsraum verschafft. Wir können fast überall hin. Und das nicht nur im Sinn des Reisens. Wir können per Video-Anruf kommunizieren, uns über tausende Kilometer hin­weg auf dem Bildschirm sehen. Ich kann über Computer oder Smart­phone bei einer Veranstaltung zeitgleich dabei sein, obwohl ich in meiner Wohnung sitze.

Weilehaben: Diese Errungenschaften sind nicht zu bestreiten. Die Frage ist, wie machen wir sie uns dienlich? Um das zu schaffen, müssten wir zu allererst wissen, wer das ist: Wir. Dieses Wissen ver­lieren wir mehr und mehr mit jeder weiteren technischen Errungenschaft. Warum? Weil die Technik uns die Kontaktfläche der Hand und somit die nachvollziehbare Wahrneh­mung ersetzt und bestrei­tet. Die Haptizität geht verloren. Es macht einen Unterschied, ob ich einen Menschen leibhaftig er­fahre oder nur seine E-Mail lese oder mit ihm per Video kommu­niziere.

Schnellfertig: Das kann ich ja trotzdem tun.

Weilehaben: Macht man aber nicht. Das Laster der Faulheit und Bequemlichkeit wird ausge­weidet. Wir leben mit dem Smartphone nur noch auf Zuruf. Es ist ein Sprechen, kein Schrei­ben. Interessant wie wir alles erfinden, aber nicht für uns sorgen können, was unsere seelische Gesundheit betrifft. Die Welt wird uns eine machbare, eine, die uns immer dichter bedrängt, uns knebelt. Der mangeln­de Kontakt mit Welt macht uns aseptisch, lässt uns einem Hygienis­mus verfallen. Wir können nichts mehr hergeben. Niemanden mehr in die Wohnung lassen z.B. Fern bleibt uns die nicht meßbare Wirklichkeit und der Kontakt zu unserer in der Tiefe waltenden dramatischen Verflechtung. Wir werden notlos und damit gesichts- und charakter­los.

Schnellfertig: Jetzt trägst du aber dick auf.

Weilehaben: Wenn es aber so ist … Der unter technisch-modizfizierten Lebensvollzügen le­bende Mensch wird eine große Affinität zum Totalitären entwickeln. Zum Rausch des Alles-Mach- und Dominierbaren. Er kann kaum innere Gegenwehr aufbringen. Wozu auch?

Schnellfertig: Die Technik hat sich rasch sehr hoch entwickelt. Das können wir nicht wieder von uns stoßen. Nichts würde mehr funktionieren.

Weilehaben: Nein, umgekehrt, die Technik weiter und weiter gesponnen, dann funktioniert nichts mehr, nämlich das soziale Leben. Die Technik liefert eines nicht mit: Die vertrauensbil­denden Maß­nahmen. Warum nicht: Weil sie davon lebt, genau diese Maßnahmen zu über­springen, scheinbar überflüssig zu machen. Außerdem verbirgt sich hinter der Technik eine Auslegung von Welt, die die Welt von uns ausschließt und in uns die Einbildung nährt, wir wüssten, was das ist: Welt. Die Welt und auch die Natur sind in Wahrheit nie so eindeutig, dass sie eine gesetzliche Fixierung zulassen. Eigentlich gibt es nur Bewegungen und Übergän­ge. Was man erkennen kann, ist Stückwerk. „Mehr als je/ fallen die Dinge hinab, die erlebba­ren, denn/ sie werden verdrängend ersetzt durch ein Tun ohne Bild“, zitiere ich den Dichter.

Schnellfertig: Meinst du, statt eines Bildersturms bräuchten wir einen Sturm gegen das Digita­le, ei­nen neuen Maschinensturm?

Weilehaben: Nein, es geht darum, den selbstreferentiellen selbsthergestellten Mangel zu ver­stehen. Es muss klar gegeben sein, dass wir Herr der Maschine sind, wir uns ihrem Sog ent­ziehen können. Dass wir unsere tieferen Lebenswerte über jene des Machbaren zu stellen in der Lage sind: z.B. die Maschinen abstellen und Schichtarbeit verbieten. Wir müssen die Technik an kurzer Leine halten und nicht diese uns. Dafür müssen wir jedoch einen Besin­nungsraum jenseits des Machbaren betre­ten. Eine menschliche gesunde Kultur besteht aus Schrift und Akt. Und die Schrift darf den Akt nicht entleeren, sondern soll ihn zeigen, für ihn zeugen.

Schnellfertig: Könnte ich mir vorstellen, was da am Ende herauskommen soll, würde ich dir viel­leicht folgen. Aber Geschirrspülen würde ich trotzdem nicht.

Oktober 2022

Anmerkung: „Mehr als je/ fallen die Dinge hinab, die erlebba­ren, denn/ sie werden verdrängend ersetzt durch ein Tun ohne Bild“, Rainer Maria Rilke, aus der neunten Duineser Elegie

Publikation dieses Autors in Vorbereitung

Walter Thümler
schreibt Poesie, Philosophie, Erzählprosa

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