Die Frankheimer Spezielle. Eine Groteske

Einst erfreute sich die Frankheimer Spezielle Zeitung (FSZ) einer verstohlenen Beliebtheit unter den Kulturherren des Landes: Man empfand einen gewissen Stolz, in ihr erwähnt zu werden, „besprochen“. Die Kritik adelte den Künstler. Professoren gaben Eitelkeiten zum Besten. Zyniker fielen über Novizen her und schlachteten sie genüßlich. Patricia von Todtental hatte lange Jahre des Volontariats hinter sich gebracht, um in diese Kreise aufgenommen zu werden. Wieviel Schlappen hatte sie einstecken müssen, wie wenig hatte ihr der Adelstitel genutzt. Endlich hatte sie es geschafft, sie wurde Redakteurin.

Warum blieb die Freude an dieser Zeitung verstohlen? Jeder vernünftige Leser bekam das unheimliche Gefühl nicht los, explosiven Stoff morgens aus dem Briefkasten zu ziehen. Oder wollte er sich von niemandem in seiner heimlichen Liebe zum Konservativen erkennen lassen, wenn er das dünne Papier mit der markigen Frakturschrift neben dem hartgekochten Frühstücksei ausbreitete, um sich auf die Bosheiten des Tages einzustimmen?

Doch dann kam das Internet. Schon bei seinem ersten Erscheinen war zu ahnen, daß es einem Meer glich, abgrundtief, dunkel, salzig. Und daß Papier in ihm rasch aufweichen, in Einzelteile zerfetzen würde, um in den runden Mäulern der Fische zu verschwinden. Die FSZ warf ihr Blatt Tag für Tag hinein und hoffte, es würde standhalten. Perlenfischer – ein hierzulande längst ausgestorbener Beruf – erlebten eine unerwartete Nachfrage. Sie warfen ihre Netze aus und zogen kleine Schätze aus der Tiefe ans Licht, quirlten sie ordentlich durch zu einem verdaulichen Brei, den sie vorbeischlendernden Touristen feilboten. Ab und zu war eine schillernde Gemeinheit aus der Feder eines FSZ-Kritikers darunter, die sonst längst untergegangen und vergessen worden wäre.

Die Redakteure schäumten, ihr Boss explodierte fast: Wie kann das sein? Wer angelt hier nach unseren Artikeln? Wo bleibt die Polizei? Die ließ sich nicht blicken. Sie mied das Meer und die Netze. Zumindest in der Anfangszeit. Eine Zeit des Wilden Westens. Virtuelle Schießereien aus verbalen Kanonen. Die Frankheimer Spezielle besann sich auf ihre besten Freunde. Professoren rieten ihr – und ließen sich den guten Rat auskömmlich vergolden – eine Abteilung für Haarspalterei an Bord zu holen, die werde es schon richten. Sie könne die Perlenfischer jagen wie Piraten vor der somalischen Küste.

Gesagt, getan. Doch die Perlenfischer retteten sich an die nächstgelegene Küste und verschanzten sich hinter eigengeschöpften Sätzen, sie waren von den Haarspaltern nicht angreifbar. Dafür gingen die Haarspalter nun selbst auf Fang hinaus auf hohe See. Ihren sorgfältig programmierten virtuellen Treibnetzen und Hecktrawlern sollte niemand entgehen. Und sie wurden fündig: in den tieferen Schichten des Meeres, hinter Klippen und Riffen hockten die Künstler und Dichter, die Musiker und Maler, die sich noch immer darüber amüsierten, in der FSZ „besprochen“ zu werden. Sie hockten da, aus der Ferne kaum zu erkennen, aus der Nähe betrachtet ein Haufen bunter Parasiten. Sogar Händler und Zwischenhändler hatten sich unmerklich untergemischt. Keiner ahnte, daß ihre Freude an einer Erwähnung in der FSZ nunmehr zum Delikt erklärt worden war. Sie alle hatten sich Perlen aus der FSZ zwischen die Zähne geklemmt, um den Hals gelegt oder an die Ohrläppchen gehangen und sie brüsteten sich öffentlich damit.

Diesen Schmuck wollte die FSZ den Möchtegern-Helden gern wieder entreißen. Gebt sie her, das sind unsere Perlen, riefen die Redakteure empört. Stellt euch der Perlenpolizei, ihr bösartigen Geistesdiebe. Könnt ihr euch nicht selbst bejubeln, wozu braucht ihr unsere Kritiken? Patricia bewies ihr Talent zur besonders eifrigen Perlenpolizistin. Äußerlich erinnerte sie eher an eine Hofdame, nun wurde sie in den Stürmen des neuen Zeitalters mit einer Station auf den weltweiten Meeresboden herabgesenkt, um dort das Übel an der Wurzel zu packen: Keine Toleranz für Parasiten! Dem Geistesdieb auf Land und Meer gebet keine Perle mehr!, skandierte sie kämpferisch in unterseeische Schalltrichter.

Die Gerichte erteilten der FSZ Absolution, erkannten ihre Wahrheit in Leninscher Manier als die einzige Wahrheit an und die fällige Säuberungsaktion konnte beginnen. Was dann geschah? Nichts. Es kehrte Stille ein, im Meer und auf dem Land. Künstler, Dichter, Sänger, Maler – all diese Perlenparasiten wurden verfolgt und sie igelten sich ein, bezahlten brav ihre Bußgelder und hielten den Mund. Die vermeintlichen Perlen, die sie so lange festgekrallt hielten, spuckten sie aus, rissen sich die Ketten vom Hals und die Klunker von den Ohrläppchen. Sie wollten von all dem nichts mehr wissen, warfen es beiseite wie Spielzeug, mit dem sie lange genug ihre Lebenszeit verschwendet hatten. „Verwunderung“ löste diese Mißachtung aus – immerhin gab es ja, behauptete die FSZ, außer ihr keine andere überregionale Zeitung mehr, die sich derart detailversessen, hartnäckig und verbissen der Parasitenbekämpfung auf künstlerischem, literarischem und musikalischem Gebiet verschrieben hatte.

Nun endlich hatte die FSZ die ersehnte Alleinherrschaft, das Monopol, erreicht. Sie war am Ziel ihrer Träume angekommen, sogar der Brandung des weltweiten Meeres hatte sie mit ihrem Papier getrotzt. Von wegen aufgeweicht und zerfetzt! Das einzige Problem war, daß sich keiner mehr für sie interessierte. Statt sich im Ruhm einer Erwähnung in der FSZ zu sonnen, wandten sich die Dichter, Musiker und Maler – aus Sicht der FSZ rückständig wie im Mittelalter – der Dichtung, der Musik und Kunst zu. Sie hörten auf, sich auf Erwähnungen in der Zeitung etwas einzubilden. Wo immer sie wohnten, in Sekundenschnelle hatten sie miteinander Kontakt. Das Netz, jaja, das Netz erlaubte ihnen den Austausch. Nur Patricia auf dem Meeresgrund rief warnend in die Trichter, nun sei das Ende nah.

Marquis de Passade
geb. am 2. Juni 1940 in Triest, slowenischer Adliger mit französischen Wurzeln, wurde bekannt dank ei-ner Reihe kirchenfeindlicher und philosophischer Essays, die er im Gefängnis schrieb. Nach seiner Ent-lassung wanderte er aus und nahm eine halbe befristete Stelle an einer deutschen Hochschule an, um die Sadismen des akademischen Prekariats zu studieren. Passades Werke nehmen Kritiken am effizienzbasierten Studium vorweg, dessen Auswirkungen erst mehr als ein Jahrhundert später im Niedergang des westlichen Zivilisation sichtbar werden.

9 Kommentare

  1. was ist das für ein darmschlingentext in den inskriptionen? was für ein name! wenn Anonymus hier nun neu einsteigen will, dann muss man sagen, diese schreibe ist nicht neu, sondern ein Konglomerat.

  2. in der tat: warum schreibt ER nicht einfach klartext, also „faz“ und „perlentaucher“ etc.? und wieso steht der text hier (wo er zwar stehen darf, aber einfach völlig deplaziert ist) und nicht in der faz oder im perlentaucher? und warum wird dieses mediengequengel unter einem pseudonym auf einem literaturblog gepostet? (ist mielke etwa immer noch nicht tot?) fragen eines lesenden arbeitslosen.

  3. ja, ja – konglomerat. ja,ja – anonymus. diese schreibe ist nicht neu. als hätt ichs selbst geschrieben. aber zum glück leben wir ja nicht hinterm mond… und wir lassen uns nicht unsere gedanken klauen. von niemanden. wer schmückt sich schon gern mit fremden feder?

  4. mielke ist leider nicht ri(e)lke…

    …und der marquis gehört möglicherweise dem dekadenten landadel an. ein hessischer landbote, gefällig?

  5. witzbolde! faz und sz verstehen da keinen humor! deshalb lieber gleich fsz. wer klartext lesen will, kann das ja hier tun:

    http://www.3sat.de/page/?source=/kulturzeit/themen/160212/index.html

    die kampagne richtet sich gegen theater, verlage, künstler – schon verlinkte überschriften auf der dichter-homepage können als „snippets“ teuer werden, lieber eisenhans …

    http://www.boersenblatt.net/525286/

    nun ja, spielt nur ruhig weiter namensdetektive! was gehts uns in den inskriptionen an? immerhin hat crysantheme einst die rubrik satire auf den plan gerufen.

  6. verehrtester herr marquis von und zu paranoia, jetzt wird’s ja gleich ganz verquirlt. so lange man nischt VON den edlen blättern kopiert bzw. zitiert, sondern bloß ÜBER sie meckert (mit eigenen worten), können die einem gar nischt! drum bitte die allgemeine medienschelte in//an die medien! verstellung ist nicht nötig, so lange das monopole urheberecht gewahrt bleibt… oder ist ihr text etwa geklaut? (zumindest wird er im stillen winkel der inskriptionen kaum die gescholtenen adressaten erreichen. oder soll er das gar nicht? m-hm…)

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