Renaissance staatsmonopolistischer Kontexte

„Was mit Haken und Schnur, Zirkel und Winkelmaß zurechtgerückt wird, ist zu­recht­ge­stutzte Natur; was mit Schnur, Leim und Lack wiederhergestellt wird, büßt seine Lebens­­­kraft ein … Die gewöhnliche Natür­lichkeit biegt ohne Zu­hilfe­nahme von Haken, richtet gerade ohne Schnur, run­det ab ohne Zirkel, macht rechteckig ohne Winkelmaß, fügt zusammen ohne Leim und Lack, verbindet ohne Stricke.“ (Zhuangzi, 8.2)

Der freie Wettbewerb ist eine lebendige, vorwärtstreibende, schöpferische Angelegenheit. Ihm ver­dankt die Marktwirtschaft ihre Dynamik. Der Kapitalismus jedoch pervertiert die Marktwirtschaft durch die ihm innewohnende Tendenz, daß der auf dem Markt Erfolgreiche den einmal er­wirt­schaf­teten Vorteil in der Regel zur Vervielfachung seines Vorsprungs nutzt – dieser selbst­referentielle Ver­stärkungsprozeß stimmt strukturell mit dem Zinseszins-Effekt überein und führt ungeregelt mit mathe­matischer Zwangsläufigkeit zur exponentiellen Beschleunigung des wirtschaftlichen Wachs­tums, der Akkumulation des Kapitals, der Konzentration der Produk­tionsmittel in der Ver­fügungs­gewalt weniger, der Polarisation und Spaltung der Gesellschaft in eine extrem dünne Glanzschicht der Superreichen und eine wirtschaftlich machtlose Mehrheit der abhängig Beschäftigten (auch wenn sie unternehmerisch selbständig sind, sind sie abhängig von den Aufträgen der Groß­industrie). Mit einem Wort: die freie Marktwirtschaft tendiert im Kapitalismus, der sich der feudalen Bindungen, Adelshierarchien und Beschränkungen entledigt hat, zur Monopolbildung – daran konnten auch die Kartellbehörden in den letzten hundert Jahren er­staun­lich wenig ändern.

Die Kreativität der kapitalistisch motivierten technischen In­no­vation war der Trägheit der staat­lichen Aufsichtsbehörden meist um Lichtjahre voraus. So konnten aus unscheinbaren, studen­tischen Hinterhaus- und Garagenfirmen im Siliconvalley die mono­polistisch agierenden Tech-Giganten erwachsen. Bevor irgendein Kartellamt dieser Welt Verdacht geschöpft hatte und schnel­ler als alle Konkurrenz, hatten sie innerhalb von zwei Jahrzehnten den Markt der Com­putersysteme (Microsoft, Apple), Internet­wer­bung (google, Facebook) und der virtuellen Zahlungsmittel (paypal) er­obert. Die Monopolbildung ist das Gegenteil des freien Wett­be­werbs. Sie garantiert un­genügenden Pro­dukten (Ford, IBM, MS-DOS, Windows) weltweite Verbreitung, erstickt aufkeimende Konkurrenz, wo sie ihrer habhaft wird und versucht, sich zu verstetigen, indem sie die Kundschaft von ihnen ab­hängig macht (z.B. Antivirensoftware für Mi­cro­softprodukte). Soweit die klassische marxistische Kapitalismusanalyse.

Zur Kundschaft der Monopole gehört jedoch auch der Staat: auch die staatlichen Organe be­nö­tigen technische Geräte, Transportmittel, finanzielle Transaktionen, das Internet, auch sie geraten damit unwillkürlich in Abhängigkeit der zu Monopolen pervertierten Anbieter, die zum Bestimmer mu­tiert sind. Im Anfangsstadium dieser Abhängigkeit bedient sich der Staat der angebotenen Produkte mit einer gewissen Entscheidungsfreiheit. Das Instrument der Ausschreibung soll den Bieterwettbewerb aufrecht erhalten. In der zweiten Phase der Abhängigkeit sind die Produkte der Mono­pol­inhaber bereits in die staatlichen Organisationsprozesse eingebaut: Indem Behörden beispielsweise Windowssysteme einsetzen, sind sie gezwungen, Antivirensoftware zu beschaffen und zu aktualisieren – auf diese Weise wird der Produktabsatz zum staatlich subventionierten Selbstläufer. Die Monopole müssen ihre Produkte nicht mehr bewerben, sie können durch ver­meintliche Innovation (Updates, Versionen) die Nutzer, d.h. auch die staatlichen Behörden, nötigen, regelmäßig erneut bei ihnen einzukaufen. Damit kehrt sich das Verhältnis von Anbieter und Kunde, das den freien Markt kenn­zeichnet, um: die Wahlfreiheit des Kunden, die den Wettbewerb stimuliert, wird durch Stan­dards beschnitten, die von den Monopolisten gesetzt werden. In der dritten Phase spannen die Monopolisten die Politik aktiv in die Erweiterung ihre Absatzmärkte ein.

Damit staatliche Kam­pag­nen initiiert werden können, bedarf es handfester Krisen. In der Krise ist die Handlungsfähigkeit der Politik gefragt, sucht die Politik die Nähe der Monopole, um dank deren Einfluß die Hand­lungs­fähigkeit des Staates zu beweisen. Das Stolpern von einer Krise in die nächste ist der Normal­mo­dus des Monopolkapitalismus. Jede Krise bringt ihre eigenen Regeln, ihre eigene „Normalität“ hervor. Ölkrise, Kubakrise, Sputnikschock, Wettrüsten, Kriege in fernen Ländern, Finanzkrise, Pandemien – sie alle bringen die westlichen Staaten als Einkäufer in Stellung. Steuer­gelder werden nicht nur zum Aufbau und zur Unterhaltung von Infrastruktur, die für die Distribution erforderlich ist, aufgewendet, sondern für unmittelbare Großaufträge des Staates – damit sichern die Monopole einerseits ihr Fortbestehen und vertiefen andererseits die Abhängigkeit des Staates. Soweit die leninistische Theorie vom staatsmonopolistischen Kapitalismus:

„Die Kartelle werden zu einer der Grundlagen des ganzen Wirtschaftslebens… Die Kartelle ver­ein­baren Verkaufs­bedingungen, Zahlungstermine u.a. Sie verteilen die Absatzgebiete untereinander. Sie bestimmen die Menge der zu erzeugenden Produkte. Sie setzen die Preise fest. Sie verteilen den Profit unter die einzelnen Unternehmungen… Das ist schon etwas ganz anderes als die alte freie Konkurrenz zersplitterter Unternehmer, die nichts voneinander wissen und für den Absatz auf un­bekanntem Markte produzieren … Die qualifizierten Arbeitskräfte werden monopolisiert, die besten Ingenieure angestellt… In seinem imperialistischen Stadium führt der Kapitalismus bis dicht an die allseitige Vergesellschaftung der Produktion heran, er zieht die Kapitalisten gewissermaßen ohne ihr Wissen und gegen ihren Willen in eine Art neue Gesellschaftsordnung hinein, die den Übergang von der völlig freien Konkurrenz zur vollständigen Vergesellschaftung bildet. Die Produktion wird vergesellschaftet, die Aneignung jedoch bleibt privat. Die gesellschaftlichen Pro­duktionsmittel bleiben Privateigentum einer kleinen Anzahl von Personen. Der allgemeine Rahmen der formal anerkannten freien Konkurrenz bleibt bestehen, und der Druck der wenigen Monopolinhaber auf die übrige Bevölkerung wird hundertfach schwerer, fühlbarer, unerträglicher. Der deutsche Ökonom Kestner hat den ›Kämpfen zwischen Kartellen und Außenseitern‹, d.h. Unternehmern, die dem Kartell nicht angehören, ein spezielles Werk gewidmet. Er betitelte sein Werk ›Der Organisationszwang?, während man natürlich, um den Kapitalismus nicht zu be­schönigen, von einem Zwang zur Unterwerfung unter die Monopolverbände sprechen müßte. Es ist lehrreich, wenigstens einen flüchtigen Blick auf die Liste der Mittel des gegenwärtigen, modernen, zivilisierten Kampfes um die ›Organisation‹ zu werfen, zu denen die Monopolverbände greifen: 1. die Materialsperre (mit ›die wichtigste Methode des Kartellzwanges‹) 2. Sperrung der Arbeitskräfte durch ›Allianzen‹ (d.h. Vereinbarungen zwischen Kapitalisten und Arbeiterverbänden derart, daß die Arbeiter nur in kartellierten Betrieben arbeiten dürfen) 3. Sperre der Zufuhr; 4. Sperre des Absatzes; 5. Verträge mit den Abnehmern, wonach diese ausschließlich mit kartellierten Firmen Geschäftsverbindungen haben dürfen; 6. planmäßige Preisunterbietung (um die ›Außenseiter‹, d.h. die Unternehmungen, die sich den Monopol­inhabern nicht unterordnen, zu ruinieren; es werden Millionen ausgegeben, um eine Zeitlang unter dem Selbstkostenpreis zu verkaufen; 7. Sperrung des Kredits; 8. Verrufserklärung. Wir haben es nicht mehr mit dem Konkurrenzkampf kleiner und großer, technisch rückständiger und technisch fortgeschrittener Betriebe zu tun. Durch die Monopolinhaber werden alle diejenigen abgewürgt, die sich dem Monopol, seinem Druck, seiner Willkür nicht unterwerfen. Im Bewußtsein eines bürgerlichen Ökonomen spiegelt sich dieser Prozeß folgendermaßen wider: ›Auch innerhalb der rein wirtschaftlichen Tätigkeit‹, schreibt Kestner, ›tritt eine Verschiebung vom Kaufmännischen im früheren Sinne zum Organisatorisch-Spekulativen ein. Nicht der Kauf­mann kommt am besten vorwärts, der auf Grund seiner technischen und Handelserfahrungen die Bedürfnisse der Kunden am genauesten versteht, der eine latente Nachfrage zu finden und wirksam zu erwecken vermag, sondern das spekulative Genie (?!), das die organisatorische Entwicklung, die Möglichkeit der Beziehungen zwischen den einzelnen Unter­nehmungen und zu den Banken voraus­zuberechnen oder auch vorauszufühlen vermag.‹ In eine menschliche Sprache übertragen, bedeutet das: Der Kapitalismus ist so weit entwickelt, daß die Warenproduktion, obwohl sie nach wie vor ›herrscht‹ und als Grundlage der gesamten Wirt­schaft gilt, in Wirklichkeit bereits untergraben ist und die Hauptprofite den ›Genies‹ der Finanz­machenschaften zufallen. Diesen Machenschaften und Schwindeleien liegt die Vergesellschaftung der Produktion zugrunde, aber der gewaltige Fortschritt der Menschheit, die sich bis zu dieser Vergesellschaftung emporgearbeitet hat, kommt den – Spekulanten zugute. Wir werden weiter unten sehen, wie ›auf dieser Grundlage‹ die kleinbürgerlich-reaktionäre Kritik des kapitalistischen Imperialismus von einer Rückkehr zur ›freien‹ ›friedlichen‹, ›ehrlichen‹ Konkurrenz träumt… Das Herrschaftsverhältnis und die damit verbundene Gewalt – das ist das Typische für die ›jüngste Entwicklung des Kapitalismus‹, das ist es, was aus der Bildung allmächtiger wirtschaftlicher Monopole unvermeidlich hervorgehen mußte und hervorgegangen ist. Die Ausschaltung der Krisen durch die Kartelle ist ein Märchen bürgerlicher Ökonomen, die den Kapitalismus um jeden Preis beschönigen wollen. Im Gegenteil, das Monopol, das in einigen Industriezweigen entsteht, verstärkt und verschärft den chaotischen Charakter, der der ganzen kapitalistischen Produktion in ihrer Gesamtheit eigen ist. ›Je entwickelter eine Volkswirtschaft ist‹, schreibt Liefmann, ein vorbehaltloser Verteidiger des Kapitalismus, ›um so mehr wendet sie sich riskanteren oder ausländischen Unternehmungen zu, solchen, die einer sehr langen Zeit zu ihrer Entwicklung bedürfen, oder endlich solchen, die von nur lokaler Bedeutung sind.‹ Das gesteigerte Risiko hängt in letzter Instanz mit der ungeheuren Zunahme des Kapitals zusammen, das sozusagen überschäumt, ins Ausland strömt usw. Und zugleich bringt das beschleunigte Tempo der technischen Entwicklung immer mehr Elemente des Mißverhältnisses zwischen den verschiedenen Teilen der Volkswirtschaft, immer mehr Chaos und Krisen mit sich. Dieser selbe Liefmann ist gezwungen einzugestehen: ›Wahrscheinlich stehen der Menschheit in nicht zu ferner Zeit wieder einmal große Umwälzungen auf technischem Gebiete bevor, die ihre Wirkungen auch auf die volkswirtschaftliche Organisation äußern werden … In solchen Zeiten grundlegender wirtschaftlicher Ver­änderungen pflegt sich auch in der Regel eine starke Spekulation zu entwickeln.‹ Die Krisen – jeder Art, am häufigsten ökonomische Krisen, aber nicht nur diese allein – verstärken aber ihrerseits in ungeheurem Maße die Tendenz zur Kon­zen­tration und zum Monopol.“ (Lenin, 1917, S. 209 ff.)

Lenin entwickelte die Theorie vom „Stamokap“ (Staatsmonopolistischer Kapitalismus) während des Ersten Weltkriegs im Zürcher Exil. Die Aufteilung der Absatzgebiete mündete in seinen Augen direkt in imperialistischen Ambitionen: Territorien zu erobern und der Warendistribution einzuverleiben. Die territoriale Orientierung der Monopolisten entsprach einem „analogen“ Modus des Wirt­schaftens: Eisenbahn und Schiffahrt dienten als Distributionsmittel. Die Kolonialisierung war eine un­mittelbare Folge des kapita­li­stischen Expansionsstrebens. Dazu brauchten die Monopole die Mit­wirkung der Staaten. Das Militär wurde vom Steuerzahler finanziert, die Ausbeutung der unter­worfenen Länder privatisiert. Die analoge Ausweitung der Absatzgebiete kam an ihre Grenzen, als die Kolonien auf der gesamten Welt aufgeteilt waren. Galt bis dahin, daß die westlichen Binnen­märkte als Konsumtreiber möglichst intakt und liquide bleiben sollten, richtete sich die Konkurrenz der Monopole untereinander nun auf die westlichen Länder selbst – das Resultat war der Erste Weltkrieg, der aus ökonomischer Sicht den Versuch einer Neugliederung der bereits aufgeteilten Kolonial­gebiete darstellte.

In der dekolonialisierten, digitalen Welt spielt die physische Eroberung von Territorien keine wesent­liche Rolle – es reicht, wenn die technische Infrastruktur (Elektrifizierung, Internet, virtuelle Finanztransaktionen) global zugänglich ist. Wo der Westen noch einmal versucht hat, auf dem Kriegs­weg seine Einflußsphäre zu erweitern (Kuba, Vietnam, Chile, Irak, Afghanistan) ist er kläglich gescheitert. Die Erfindung des Internets hat diese Niederlagen vergessen gemacht. Das Internet wurde ursprünglich für militärische Zwecke entwickelt. Es sollte die Kräfte des Westens gegenüber dem flächenmäßig zeitweise überlegenen Sowjetsystem (Rußland, China, Osteuropa) bündeln. Indem es etwa ab dem Jahr 2000 massentauglich wurde, mutierte es zur gigantischen, globalen Distri­butionsform, um Größenordnungen mächtiger als das in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts überwundene, bis heute nicht aufgearbeitete und im Westen begriffene Kolonial­system. In der ersten Phase seiner ökonomischen Entfaltung offerierte das Internet die Bühne für eine neue Spielart der freien Marktwirtschaft. Amazons „Marketplace“ scheint den Prototyp dieser Plattform für die Neue Ökonomie (New Economy) darzustellen – doch der Eindruck täuscht: Der sogenannte „Marketplace“ gehört bereits zur zweiten Phase der monopolistischen Durchdringung des freien Internetmarktes. Amazon bietet keine neutrale Verkaufsfläche an, vielmehr agiert Amazon selbst als größter Verkäufer und nutzt seine Sonderstellung als Betreiber der Plattform, um den Markt zu beobachten, erfolgreiche Produkte zu kapern und ins eigene Portfolio aufzunehmen – dies ist die konkurrenzvernichtende, erstickende Seite des monopolistischen Wirtschaftens. Wenn die Kartell­be­hörde die Entwicklung nicht gänzlich verschlafen hätte, hätte sie die Doppelrolle Ama­zons als Pattformbetreiber und Verkäufer frühzeitig unterbinden und zerschlagen müssen, um der schädlichen Monopolwirkung vorzubeugen.                     

These 7: Wir befinden uns gegenwärtig in der dritten Phase der Monopolbildung der Internetwirtschaft: die ein­stigen Startups, die sich in den letzten 20 Jahren zu globalen Monopolisten ge­mau­sert haben, sind nun dabei, sich mit staatlichen Strukturen zu verflechten, um ihre digitalen Ein­flußmöglichkeiten (Absatzmärkte) zu er­weitern. Sie nutzen die Deklaration einer Pandemie aus, um hoheitliche Akte wie die Ausstellung eines (Impf-) Passes mit Hilfe privatwirtschaftlicher Tech­no­logie zu digitalisieren. Die angepeilte Durchimpfung der ge­sam­ten Weltbevölkerung dient als Vehikel, um das eigentliche Ziel zu erreichen: die bisher qua Geburt ver­briefte, ana­loge bürgerliche Existenz (Reise-, Berufs-, Versammlungs-, Meinungsfreiheit usw.) in Ab­hän­gig­keit von digi­talen Werkzeugen zu bringen.   

„Google Adwords“ und „cookies“ wirken angesichts dieser Aktion wie Dinosaurier des Internet­mar­ketings. Wenn es den Tech-Giganten mit Hilfe der staatlichen Organe gelingt, jede physische Person mit einer digi­talen Identität zu verlinken, die den Zugang zu den bis zu Beginn des Jahres 2020 als „Grund­rechte“ bezeichneten bürgerlichen Freiheiten reguliert, entsteht die Möglichkeit einer technokratischen totalitären Herrschaft. Sie kann einerseits von den Techfirmen genutzt werden, um ihre Produkte noch weiter zu „personalisieren“, auf den Einzelnen zuzuschneiden und pass­genauer an die Person zu bringen. Andererseits erhält der Staat dank automatisierter Informa­tions­tech­nologie die Möglichkeit, sowohl die körperliche als auch die geistige Beweg­lichkeit jedes Bür­gers effi­zient zu kontrollieren. Wessen Profil den digital gesteuerten staatlichen Vorgaben nicht entspricht, der erhält keinen Zugang mehr zu bisher selbstverständlichen sozialen Räumen (Gastro­no­mie, Hotellerie, Schule, Theater, Kino, Kultur etc.). Wird außer den Personaldokumenten auch das Bargeld zugunsten einer staatlichen digitalen Währung („digitaler Euro“) abgelöst, ist die digitale Abhängigkeit und Kontrollierbarkeit des gläsernen Bürgers perfekt. 

Dafür ist es nicht nur gleichgültig, sondern geradezu hilfreich, daß die in den Vordergrund gerückte Impfkampagne holprig verläuft. Daß sich die überstürzt auf den Markt gekippten Impf­stoffe in der praktischen Anwendung als unwirksam („Mutanten“) oder unsicher („Hirn­venen­thrombosen“) erweisen, macht die Fortführung und Verstetigung des Impfens erforderlich – damit erhält der Staat die notwendige Zeit, um von den bisherigen analogen Personaldokumenten auf Papier („Impf­aus­weis“) oder Plastik („Personalausweis“) auf digitale Dokumente umzurüsten. Ge­schenkt, daß es in der Anfangsphase zahlreiche Betrüger geben wird, die sich einen gefälschten pa­piernen Impf­ausweis beschaffen, den sie in den digitalen Impfausweis 1.0 übertragen lassen werden – Haupt­sache, sie sind erfaßt. Die kontinuierliche Auffrischung der Impfung im Halbjahres- oder Jahres­rhythmus wird dafür sorgen, daß die Datenqualität der neuen digitalen Identitäts­zertifikate mit der Zeit besser und genauer wird. Digitaler Impfausweis 2.0 etc. Die Falle schnappt zu.   

Zu Beginn des Jahres 2020 verkündeten die Experten, Masken würden nicht vor Viren schützen – es kam die Maskenpflicht; verkündeten die Politiker, es werde keinen Impfzwang geben – es kam die Aufhebung der bürgerlichen Grundrechte und die Bedingung, geimpft zu sein, um sie wieder­zuerlangen. Internetindustrie und Gesundheitslobby gehen Bündnisse ein, um die Trans­for­mation des Westens in digitale Gesellschaften voranzutreiben. Die Initiative anmaßender Weniger, ge­stützt auf Impfung und digitale Technologie die Menschheit zu retten, bedient sich massen­psycho­logischer Manipulationsmethoden und subtiler Propaganda im Stile Edward Berneys. Im Ergebnis steht nicht die Wiedererlangung der bürgerlichen Freiheiten, sondern eine neototalitäre Wen­de: Sämtliche Bereiche des persönlichen, sozialen, kulturellen und gesellschaftlichen Lebens werden reduziert und auf die digitale Spur gebracht.

Erstaunlich, wie wenig Widerspruch gegen diesen Kurs ertönt. Die parlamentarische Opposition (mit Ausnahme von Rechtsaußen) hat ihre Oppositionsrolle im Zuge der „Pandemiebekämpfung“ aufgegeben und überbietet die amtierende Regierung durch die „Kritik“, daß Impfung und Digitalisierung nicht schnell genug in die Wege geleitet werden oder mangelhaft organisiert seien. Es hat sich eine „kapitalistische Einheitsfront“ herausgebildet, wie ein Satiriker in Anspielung auf die „sozialistische Einheitsfront“ bei Wahlen in der DDR feststellte. Dramatisch daran ist, daß Rechts­außen auf diese Weise ein Monopol auf Opposition wahrnehmen kann, wenn Linke, Grüne und (zumeist) auch Liberale lediglich versuchen, die Regierung vor­weg­eilend zu überbieten, ohne Fundamentalopposition zu äußern.

Die Gesellschaft befindet sich im Doppelblind-Versuch: Die ökonomisch Mächtigen glauben an die Technokratisierung der Welt, die politisch Mächtigen an die Pflicht zur Volksfürsorge – die Be­völ­kerung fürchtet das Virus und blendet die Folgen der rabiaten und zer­störerischen Form der „Pandemiebekämpfung“ mittels Lockdown aus, es sei denn, man selbst gehört zu den Betroffenen und Verlierern, deren Existenz gefährdet ist. Gleichermaßen blenden Politiker die Interes­sen der profitierenden Konzerne aus, die sie als Teil ihres technokratischen Erlösungs­narrativs betrachten: Testen, Isolieren, Impfen. Tatsächlich wirksame medizinische Maßnahmen, die Exzesse der Krankheit mildern würden, werden zielgerichtet unterlassen, etwa Maß­nahmen zur Stärkung des Immunsystems, psychischen Stabilisierung der Älteren usw., da sie patentfrei, kostengünstig und natürlich sind. Aus dem Zusammentreffen der mit doppelter Blindheit geschlagenen Akteu­re keimt die technologisch gestützte Autokratie (tracking, tracing, genetic modu­lating).  

Es ist die bewährte staatsmonopolistische Schockstrategie, zu der westliche Regierungen auch in der Corona-Krise greifen. Schockstrategien sind im Westen erprobt (Naomi Klein, 2007). Die Medien, ob öffentlich oder privat, rea­gie­ren reflexartig und ziehen freudig mit in die Kampagne – sie sind auf Sensationsreize konditioniert. Während Korea, Vietnam, Irak und Afghanistan weit weg erschienen, ist diesmal jedoch die Bevölkerung des Westens direkt betroffen.

Internetkonzerne treiben die gewählten Regierungen vor sich her. Sie brauchen die Ge­sundheitspanik, um unter den Rahmenbedingungen liberaler Verfassungen den Ausnahme­zu­stand auszurufen und im Sinne der Konzerninteressen durchzuregieren – was nach staatlichen Ein­griffen und Maßnahmen aussieht, ist tatsächlich nur die Begleitmusik für die wenigen Solisten, die auf dem monopolisierten Terrain, das von der Marktwirtschaft übrig blieb, für die passende Stim­mung sorgen, damit die von Herdenimmunität träumende Masse schweigend und einvernehmlich auf die über Jahrhunderte erstrittenen Grundrechte pfeift – Rebellion, Kampf um die Freiheit wird durch Schockstarre, Panik und stündlich propagierte Todesangst paralysiert – die Be­völkerung ist gefügig geworden.

These 8: Die extreme Minderheit der neuen Superreichen hat die Netzwerke der von ihr abhängigen Erfül­lungsgehilfen (Zulieferer, Distribution, die technische Intelligenz, Lobbyisten) global auf­ge­spannt, so daß west­liche Regierungen in ihre Abhängigkeit geraten sind und Politik nicht ent­sprechend des „Wählerauftrags“ (der eine Illusion ist) gestalten können, sondern ihre Maßnahmen in Rücksicht auf die Kartelle ausrichten müssen. Weder Lockdown noch weltweite Impfkampagnen sind ohne Tech- und Pharmaindustrie durchführbar. Um­­gekehrt braucht die mono­polisierte Internetwirtschaft den Staat, um ihre Kampagnen in der Fläche aus­zu­weiten. 

Während des Ersten Weltkriegs entwickelte Sigmund Freuds Neffe Edward Bernays einen Acht-Punkte-Plan zur psychologischen Kriegsführung, den er später für Werbekampagnen etwa im Inte­resse der Tabakindustrie zivil weiter vermarktete (Ziele definieren, Recherchieren, Ziele anpassen, Strategie festlegen,  Symbole und Anreize schaffen, Organisationen gründen, Zeit­plan festlegen, Durchführung). Er kann als Blaupause für heutige PR-Kampagnen herhalten. Unverblümt plädierte Bernays für die massenpsychologische Manipulation als politisches Mittel in Demokratien:

„Die bewußte und intelligente Manipulation der organisierten Gewohnheiten und Meinungen der Massen ist ein wichtiges Element der demokratischen Gesellschaft. Diejenigen, die diesen unsichtbaren Mechanismus der Gesell­schaft manipulieren, bilden eine unsichtbare Regierung, die die wahre herrschende Macht unseres Landes ist. Wir werden regiert, unser Geist wird geformt, unser Geschmack geformt, unsere Ideen vorgeschlagen, größtenteils von Menschen, von denen wir noch nie gehört haben. Dies ist ein logisches Ergebnis der Art und Weise, wie unsere demo­kratische Gesellschaft organisiert ist. Sehr viele Menschen müssen auf diese Weise zusammenarbeiten, um als reibungslos funktionierende Gesellschaft zusammenleben zu können. Unsere unsichtbaren Gouverneure sind sich in vielen Fällen der Identität ihrer Kollegen im Innenkabinett nicht bewußt. Sie regieren uns durch ihre natür­lichen Führungsqualitäten, ihre Fähigkeit, die benötigten Ideen zu liefern, und durch ihre Schlüsselposition in der sozialen Struktur. Unabhängig von der Haltung, die man gegenüber diesem Zustand einnimmt, bleibt es eine Tat­sache, daß wir in fast jedem Akt unseres täglichen Lebens, sei es im Bereich der Politik oder der Wirtschaft, in un­serem sozialen Verhalten oder in unserem ethischen Denken, von der relativ kleinen Zahl dominiert werden von Personen, die die mentalen Prozesse und sozialen Muster der Massen verstehen. Sie ziehen an den Drähten, die das öffentliche Bewußtsein kontrollieren, nutzen alte soziale Kräfte und erfinden neue Wege, um die Welt zu binden und zu führen.“ (Bernays, 1928)

Daß manipulative Ambitionen in der Corona-Politik eine Rolle spielten, zeigt das berüchtigte, ge­heime Strategiepapier des deutschen Innenministeriums vom März 2020 – Hauptsache, so schien es See­hofers Maxime zu sein, es kehre wieder Autoritarismus in die freiflottierend liberale deutsche Gesellschaft zurück. Und bitte nicht kleckern, sondern klotzen: schwarze Pädagogik, Kinder er­schrecken, indem man ihnen einredet, daß sie am Tod ihrer Großeltern Schuld seien, wurde als Mittel der Wahl gepriesen. Offiziell hat sich die Regierung nie zu dieser Schock­strategie bekannt. Merkel vollstreckte nahezu kommentarlos eine Politik, in der Kinder sozial isoliert, von Bildung fern­gehalten und in psychische Zwangssituationen getrieben werden, wenn sie nicht der körper­lichen Gewalt in der Familie ausgesetzt sind. Linke Politiker – mit Ausnahme von Sahra Wagen­knecht – sind auf diese vermeintlich sachorientierte Politik hereingefallen. Haben früher einmal anti­­kapitalistisch denkende JUSOs wie Olaf Scholz oder ein Ministerpräsident wie Bodo Ramelow ihren Lenin nicht gelesen oder ist der Stamokap-Flügel insgeheim weiterhin von autoritären Träu­men beseelt?

Viktor Kalinke
geb. in Jena, Studium der Psychologie und Mathematik in Dresden, Leipzig und Beijing, Kreativitäts-Preis der Hans-Sauer-Stiftung, Mitbegründer der Edition + Galerie Erata, Promotion, Professur, lebt in Leipzig.

8 Kommentare

  1. Irgendwo in Russland, das im zwanzigsten Jahrhundert noch Rußland war, hängt ein Pendel in einer Kirche und dreht sich im Kreis. Hast du Geduld und Zeit, kannst du dich einmal rundherum drehen lassen – n/ach//denkend über die alte Frage: „Wer wen?“
    In den achtziger Jahren jenes Jahrhunderts forderte eine deutschsprachige Kapelle ein ganzes Publikum dazu auf, endlich – auszutrinken und die Gläser an die Wand zu schmeißen.

    Wenn ich mich recht erinnere, wollten die Jungs im chinesischen Staatsfernsehen auftreten. Ob und wie es ihnen gelang, nun, das weiß nur der Wind unter den Flügeln des Adlers überm Tal, an dessen gebirgigen Rändern der Amur entspringt:

    mal hier, mal dort!

  2. Toller Artikel. Bringt Gestalt und Sinn in das nebulösen Geschehen, dem wir ausgesetzt sind. Jetzt verbinden sich all die gesellschaftlichen Zeichen.

    Doch was sollen wir dagegen tun? Nicht impfen? Den Impfpass boykottieren? Das Smartphone boykottieren? DieBasis wählen? Ohne Computer leben? Was kann jeder einzelne tun?

    1. Das ist die einfachste und zugleich schwierigste Frage überhaupt. Lenin glaubte ja, durch die Konzentration des Eigentums in den Händen der Monopolisten, sei die Vergesellschaftung der Produktion derart fortgeschritten, dass es genüge, die Eigentümer zu enteignen und der Sozialismus/Kommunismus könne beginnen – das hat bekanntlich nicht funktioniert. In Kürze bildete sich eine neue Oberschicht, Nomenklatura genannt, die die Verfügungsgewalt an sich zog. Stalin erfand den Fünfjahrplan und setzte ihn mit Terror durch – nein, danke. Die technischen Mittelchen der Internetökonomie zu boykottieren, ist wahrscheinlich nur eine Spielart der Maschinenstürmerei. Ein reflektierter Umgang damit könnte aber schon ein wenig nutzen: die Dinger so oft es geht, in den Flugmodus befördern, digitale Pässe, Tracking & Tracing wie auch die Impfung ablehnen in dem Bewußtsein, dass ich damit nur an der Oberfläche kratze. Tatsächlich braucht es strukturelle Änderungen, nämlich a) die Abschaffung des Zinseszins (und das geht wohl nicht ohne ein Dekret – aber immerhin konnte die Menschheit bis zum Ausgang des sog. Mittelalters bereits gut darauf verzichten) und b) die Einführung einer Obergrenze für das Privateigentum an Produktionsmitteln, z.B. auf dem Weg der Besteuerung – eine Bundesnotbremse gegen pervertierten Reichtum, die automatisch mit exponentieller Progression greift. So dass es sich lohnt, unternehmerisch tätig und schöpferisch zu sein, aber nicht lohnt, Vermögen zu horten – das hat dann nichts mit dem, was im Osten „Sozialismus“ genannt wurde, zu tun, aber reguliert die Überlebensfähigkeit einer Assoziation freier und gleicher Menschen.

  3. Sich Klarheit verschaffen, negativ bleiben, denken lernen. Deutlich werden; richtig fragen! sagt:

    „Das Mehr (…) ist das Weniger des (…) Subjekts.“

    (ca. S. 180)

  4. Zum Vergleich: „Im Jahre 1948 veröffentlichte der Soziologe W. Lloyd Warner ein Buch mit dem Titel ‚Gesellschaftliche Klassen in Amerika‘. Beflügelt von der Nachkriegseuphorie schrieb er, daß die alte, strenge Einteilung in Arbeiter und Kapitalisten, wie sie sich in den schlimmen dreißiger Jahren bewahrheitet hatte, sich zu überleben begänne und sehr bald in einer allgemeinen Mittelstandsgesellschaft aufgehen würde. Trotzdem teilte er die Amerikaner nach ihrem Einkommen in eine obere, mittlere und untere Klasse ein, diese wiederum je in eine obere, mittlere und untere Schicht. Die Basis der sozialen Schichtung sah er als kleine Randgruppe mit sozialer Aufwärtstendenz. Natürlich hat diese Einteilung etwas Bestechendes – bis zum heutigen Tage. Besonders für die Werbung und ihre Zielgruppentheorie, mit der man nun ganz systematisch Verkaufsstrategien planen konnte. Aber auch für die Ideologen der Sozialharmonie, die behaupten, daß Klassenkampf etwas Veraltetes ist und von regelbaren Gruppendifferenzen in einer Massenkonsumgesellschaft ersetzt worden sei.“ Frage: Welche der beiden Positionen vertritt nun der Text? Etwa beide gleichzeitig? Und wo bleibt der Widerspruch? Und antworten Sie mir nicht, er wäre „aufgehoben“ worden; das ist der altbekannte Hut, aus dem schon der Diamat [eine Art russischer Fluch auf Geschlechtsteile…] seine Denkunfähigkeit zu bemänteln versucht hatte.

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