Rotation

Die Stadt hatte ihn müde gemacht, wie jedes Jahr, der Winter war ein einzig Überstehn. Waren das Anzeichen des Alterns ? Oder war es wirklich so, daß diese Zusammenballung von Menschen, Häusern, Autos und Cafés, der ganze Glamour und der Plunder, der Lärm und der Gestank, daß all das hier auf engstem Raum auf der einen Seite diese belebende Rotation erzeugte, der man sich kaum entziehen konnte und die doch andrerseits die pure Lähmung war ? Die Drehbewegung starrer Körper. Wer bemerkte noch, daß er längst gedreht wurde, mitgerissen in rastloser Bewegung, gezwungen, das künstliche Gefüge mit aufrecht zu erhalten, wollte er nicht an den Rand gedrängt werden, abdriften an den Rand der Scheibe, abstürzen.

fryxell
Ilona Schlott: geb.1953, Studium Germanistik/Slawistik, 3 Jahre Lehrerin, 2 Kinder, Studium Gesang an der Hochschule für Musik Leipzig, seit 1984 freiberuflich als Sängerin und Autorin, lebt in Leipzig, Veröffentlichungen u.a.: Sol sajn (CD, Büchergilde 2009), Steißvogel (Leipziger Literaturverlag 2010).

6 Kommentare

  1. Ich möchte noch hinzufügen: lieber eisenhans, der Text mutet mich ein wenig an wie eine Fortschreibung Ihres „Auftriebes“. Ein Geflecht, komplex gedacht und mit Leichtigkeit geschrieben. Freue mich auf weitere Fragmente.

  2. Gewährt mir die Bitte – die Dritte:
    Les ich das Textchen, dann kommts mir vor wie aus dem Verwaltungskästchen geplaudert… Ich spreche hierbei aus langjähriger Erfahrung. Einzig die Gewissheit, jederzeit abstürzen zu dürfen (!) erleichtert den täglichen Bürogang.

  3. ach nö, diesen winterlichen stadtüberdruss empfinden beileibe nicht nur verwaltungsversklavte bürogänger… kann auch den notorischen caféhausrumhänger ereilen. (ich sprech aus langjähriger erfahrung. ha!)

  4. ein caféhausgänger im 21. jahrhundert, das ist der erlösende klapps auf crysanthemes popöchen, das immer noch fest auf dem späten 19. jhd. sitzt.

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