Pandemische Paradoxien 2: Zahlenspiele

Nachdem Hand- und Fußballspiele verboten sind, hat Corona den Kopfball als neue olympische Sportart hervorgebracht: die Zahlenspiele. „Die Corona-Krise hat uns alle zu Zahlenjunkies gemacht. Wie entwickeln sich die Fallzahlen? Gibt es neue Todesfälle? Wie hoch ist der Fall-Verstorbenen-Anteil? Wie hängt er vom Alter der Patienten ab? … Es ist in un­über­sicht­lichen Situationen gut, sich an Zahlen statt an Emotionen zu orientieren, aber Zah­lenwerte sind oft trügerisch: Sie verstecken ihren Kontext. Wenn wir uns heute anhand von Zahlen ein Bild von der aktuellen Situation zu machen versuchen, dürfen wir dies nie aus dem Blick ver­lieren.“ warnte Sybille Anderl bereits Mitte März in der FAZ. Entsprechend ihrer medialen Reichweite sind Fehl­in­ter­pretationen von Jour­nalisten keine Privat­an­ge­legen­heit, insbesondere wenn sie mit politischem Kal­kül oder auch nur in sen­sations­erheischender Absicht be­gin­nen, die öffentliche Mei­nungs­bildung zu dominieren. Im folgenden geht es um Datenkompetenz, also um eine Mini­malkenntnis der Spielregeln, um sta­tisti­sche Zahlen lesen und interpretieren zu kön­nen – und daran zu erkennen, welches Spiel mit uns ge­spielt wird.

Spielregeln

Grundlagen für die länderübergreifende Vergleichbarkeit von Public-Health-Daten

Damit Forscher, Politiker oder Journalisten die statistischen Angaben zur öffentlichen Gesundheit in unterschiedlichen Ländern miteinander vergleichen können, müssen bei der Datenerhebung und bei der Auswertung eine Reihe von Voraussetzungen erfüllt sein. Man spricht auch von Stan­dar­disierung bei der Erhebung, die  etwa durch folgende Maß­nahmen erreicht werden kann:

  1. Bestandsaufnahme der nationalen Erfassung von Gesundheitsdaten
  2. Klärung von Mindeststandards an die Erfassung von Gesundheitsdaten
  3. retrospektive Analyse von Gesundheitsdaten zur Untersuchung der Dynamik einzelner Va­riab­­len (Ver­änderungen, Trends usw.) einschließlich Re­gres­sions­techniken und anderer Ansätze zur Zeitreihenanalyse
  4. Ver­gleichsanalysen mit historischen Gesundheitsdaten
  5. Etablierung eines einheitlichen analytischen Ansatzes
  6. Pilotprojekte zur Schaffung eines einheitlichen europäischen Verfahrens  für die Echtzeit-Erfassung von Gesundheitsdaten
  7. Fragebogenerhebungen bei den teilnehmenden Staaten
  8. Literaturauswertung

Beispielhaft werden diese Vorkehrungen zur Standardisierung der Datenerhebung von EuroMOMO erfüllt, dem euro­päischen Projekt zur Überwachung der Sterblichkeit. Es handelt sich hier um eine Vollerhebung der Mortalität in den teilnehmenden Ländern. Federführend erfaßt das Serum-Institut in Kopenhagen  im Wochenrhythmus die Anzahl der Todesfälle, um frühzeitig Hinweise in Bezug auf Bedrohungen der öffentlichen Gesundheit zu erkennen. Das System wird kontinuierlich in den europäischen Ländern eingesetzt, die die Mindestanforderungen erfüllen. Den Anlaß zur Schaffung von EuroMOMO bildete im Frühjahr 2009 die Ausrufung der sog. „Schweine­grippe“. Obwohl sie für die öffentliche Gesundheit keine Gefahr darstellte, tätigte die Politik – angestachelt von der WHO sowie der mit ihr verstrickten Pharmakonzerne – enorme In­vesti­tionen für die vorsorgliche Beschaffung von Impfstoffen, die am Ende ungenutzt entsorgt werden mußten. Auf Grund­lage der zeitnahen, standardisierten und koordinierten Erhebung der Sterb­lichkeit gelang es mit Hilfe von EuroMOMO im Winter 2009/10, Re­gierungen und Behörden in den europäischen Ländern zu einer an­ge­messenen Vor­be­reitung der Gesundheitssysteme auf die Auswirkungen der In­fek­­tions­welle zu be­wegen. Wir haben es hier mit der aus wissenschaftlicher Sicht solidesten Datenbasis zu tun, die gegen­wärtig zur Beurteilung der Sterblichkeit sowie der Übersterblichkeit in den europäischen Ländern zur Verfügung steht. Aufgrund ihrer hohen Standardisierung erlaubt sie den Ver­gleich der Kenn­zif­fern über die Ländergrenzen hinweg. Wir werden daher später in diesem Beitrag auf die Frage zurück­­kommen, ob sich Wirkungen von Covid-19 in EuroMOMO erkennen lassen.  Leider nehmen aus Deutschland nur Hessen und Berlin an EuroMOMO teil. Im Lagebericht vom 24.4.2020 teilte das RKI mit, daß Deutschland ab 2021 beabsichtige, sich an EuroMOMO zu beteiligen. Eine nüchterne und zugleich auch soziale und ethische Perspektiven umfassende Situations­ana­lyse in Be­zug auf das neue Coronavirus ist im Thesenpapier der Gesundheitswissenschaftler um Matthias Schrappe (Universität Köln) vom 5.4.2020 zu finden. Aus der epidemiologischen Ein­ord­nung des neuen Virus – soweit das angesichts der Datenlage möglich ist – werden hier allgemeine und spezifische Präventionsstrategien sachlich gegenüber gestellt – für unseren Schiedsrichter eine hilfreiche Handreichung.

Foulspiel

Schwachpunkte der Datenerhebung zum neuartigen Coronavirus

Wir haben nun eine Ahnung zum Rahmen, in dem sich seriöse epidemiologische Forschung bewegt. Und damit ahnen wir, wann uns der Schiedsrichter zurückpfeifen wird, weil wir uns mit unseren Interpretationen zu weit vorgewagt haben. Der Schiedsrichter ist übrigens kein Statist auf dem Spielfeld, sondern eine entscheidende Figur: ohne ihn würden sich die Spieler anfangen zu zer­flei­schen. Ich spreche hier bewußt vom „Schiedsrichter“, denn jeder weiß, daß Schiedsrichter nicht unfehlbar sind, sondern irren und Fehlentscheidungen treffen können. Ihre Fehlbarkeit unter­scheidet sie von „Faktencheckern“, die, wie es scheint, einer leninistischen Haltung verhaftet sind, indem sie davon ausgehen, es gebe eine ob­jek­tive Wahrheit und sie seien ermächtigt zu bewerten, wer die Wahrheit spricht und wer der Lüge zu bezichtigen sei. Ein neuralgischer Punkt ist der Grenzbereich zwischen Wissen­schaft und Publizistik. Natürlich kann ein „Faktenchecker“ einen „Fachidioten“ zu Recht auf blinde Flecken hinweisen. Im besten Fall – um an Thomas S. Kuhn (1962) zu erinnern – behält der Faktenchecker die paradigmatischen Linien der widerstreitenden Ansätze und Theorien im Blick und fokussiert sich eben gerade nicht kleinteilig auf Fakten. Sein Dilemma ist jedoch, daß er sich mittels journalistischer Recherchen, gerne mal mit einem Telefonanruf, mal per eMail-Anfrage bei einem als Autorität geltenden Wissenschaftler nach dessen Meinung erkundigt.  ohne eigene Forschung bzw. Recherche der Forschungsliteratur und vor allem bei Unkenntnis der Grundlagen empirischer For­schungs­methoden kann der Faktenchecker in der Regel nur Anleihen bei der Konkurrenz im wissenschaftlichen Diskurs nehmen, kann Autoritätsbeweise sammeln, aber gewinnt keinen unabhängigen Standpunkt – damit läuft der Faktencheck auf eine Parteinahme für ein momentan vor­herr­schen­des oder in Mode gekommenes Paradigma aus und trägt leidlich wenig zur wissenschaftlichen Auf­klä­rung bei. Um im Bild zu bleiben: bei den Zahlenspielen treten die Faktenschecker in der Rolle von Linien­rich­tern auf. Das Problem ist nur, daß es auf zahlreichen Corona-Spielfeldern, auf denen die poli­tischen und wissenschaftlichen Diskurse ausgefochten werden, noch gar keine Linien eingezeichnet sind.  Orien­tieren wir uns also vor allem am Schiedsrichter, um den seit Wochen zu beobachtenden Wettkampf um die Interpretation der Corona-Zahlen ohne Selbstzerfleischung mitzuverfolgen, wohl wissend, daß Schiedsrichter keine Päpste und wir im Nachhinein häufig schlauer sind… Was fällt als erstes auf? Es ist kein klar umgrenztes, gut definiertes Spielfeld, auf dem der Wett­kampf um die Deutung der Corona-Zahlen ausgetragen wird. Jede Mannschaft zieht ihre eigenen Linien, die Spielfelder unterscheiden sich nach Größe und Art des Untergrunds, mal wird auf Rasen gespielt, mal auf Asphalt, die Tore sind unterschiedlich groß, mal wird ein Handball, mal ein Eishockeypuck als Spielobjekt benutzt – da rauft sich unser Schiedsrichter schon recht verzweifelt die Haare: Er kann zwar jedes einzelne Spiel pfeifen, aber ein Tournier kommt auf diese Weise nicht zustande. Die Ergebnisse sind in keiner Weise vergleichbar.  Die Reporter aber rennen bereits wie verrückt um die so unterschiedlichen Spielfelder, interviewen nicht nur Spieler, son­dern auch die Trainer und Masseure, und insgeheim vergeben sie schon Punkte, wer den Wett­kampf gewonnen habe. Damit gelangen wir zur unsicheren Datenbasis, die momentan von den staatlichen Gesund­heitsbehörden und den öffentlichen Me­dien in Bezug auf das neue Coronavirus verbreitet werden und den Regierungen als Begründung für massive Einschränkungen der bürgerlichen Grundrechte dienen. In den Medien grassieren diese Zahlen – häufig ohne vor­han­de­nes Basiswissen in statistischen Fragen, ja ohne erkennbares Bemühen um Sach­ver­stand – in Form eines epidemischen Da­ten­­jour­nalismus. Losgelöst vom Kontext der Datenerhebung werden seit Anfang März bis heute nackte Zahlen als scheinbar objektive Fakten präsentiert. Verführt von der Scheinobjektivität des unreflektierten Nennens von Zahlen, bleibt unerwähnt, daß

  1. gravierende Unterschiede der nationalen und regionalen Erfassung der In­fektion und Mor­talität aufgrund einer fehlenden exakten und weltweit gül­tigen Definition der Diagnose „Covid-19“ mit positivem Labortest, Lungen-CT mit oder ohne klinische Symptome be­ste­hen,
  2. unklar ist, wer wo mit welcher Motivation getestet wird und wer nicht,
  3. Definitionen fehlen, ob die erfaßte Sterblichkeit ausschließlich, haupt­sächlich oder nur bei­läu­fig oder überhaupt nicht durch das neuartige Coronavirus verursacht und ent­sprechend zu zählen ist, d.h. Messung der attributable mortality (vgl. Schrappe et al., S. 13)
  4. die Grundgesamtheit der Erhebung infolge fortlaufender Er­höhung der Zahl der Tests täglich wechselt und damit die Vergleichbarkeit im Zeitverlauf torpediert wird,
  5. die Analyse statistischer Trends fehlt, z.B. probabilistische Test­statistiken wie odds ratio (Verhältnis von positiven zu negativen Befunden), Zeitreihen- und Regressionsanalysen,
  6. bislang kein internationales Bemühen um Einheitlichkeit und Mindest­standards für die Er­fas­sung der Infektion durch Covid-19 und der damit zusammenhängenden Mortalität vorhanden ist.

So zählt das RKI alle Verstorbenen, bei denen ein positiver Laborbefund in Bezug auf Covid-19 vorliegt, als „Corona-Tote“, unabhängig davon, ob und wenn ja in welchem Anteil das neue Virus zum Tod beigetragen hat. Gezählt werden beispielsweise auch Personen, die  durch Unfälle, Suizid oder Ge­walt­kri­mi­nalität ums Leben gekommen sind, um die Corona-Mortalität nicht zu unter­schätzen (Antwort auf Anfrage von Correctiv vom 22.4.2020) Die Differentialdiagnostik zwischen verschiedenen medizinischen Todesursachen bei multi­mor­biden Patienten hält das RKI für schwierig. Bis Anfang April empfahl das Institut, Obduktionen zur Aufklärung der jeweiligen Todesursache wegen der ver­meintlichen Ansteckungsgefahr zu meiden. Daraufhin regte sich der Widerstand von Rechts­me­dizinern. Karl-Friedrich Bürrig, Präsident des Bundesverbands Deutscher Pathologen, und Gustavo Baretton, Vorsitzender der Deutschen Gesell­schaft für Pathologie, schrieben an das RKI: „Gerade aktuell sollten Obduktionen bei diesen Verstorbenen nicht ver­mieden, sondern im Gegenteil so oft wie möglich durchgeführt werden, auch um den Zu­sam­menhang mit anderen Grunderkrankungen der Verstorbenen zu erhellen. Daran besteht ein hohes öffentliches Interesse.“ (Quelle: Wulf Roh­wed­der auf tagesschau.de vom 9.4.2020) Unser Schiedsrichter hätte keine andere Wahl, als an dieser Stelle das Zahlenspiel zu unter­brechen, die Zahlensportler aller Länder zusammenzutrommeln und zu fordern: „Wenn ihr einen ordent­lichen Wettkampf wollt, sei es eine Olympiade oder ein Punktetournier, dann einigt euch auf Re­geln, bevor ihr versucht, Tore zu schießen.“ Warnend würde der Schiedsrichter hinzufügen: „Glaubt nicht, daß Quantität die Qualität ersetzt. Ihr könnt Weltmeister in der Produktion von Bäl­len sein. Wenn am Ende die Einigung daraus hinausläuft, mit einem Puck zu spielen, sind all eure Bälle wertlos. Ihr könnt zehn Tore am Spielfeldrand platzieren – wenn ihr keine Regeln vereinbart, sind eure Tore überflüssig.“ Diese Warnung war auch an Deutschland, den selbsterklärten „Zahlen-Weltmeister“, ge­richtet – auch hier litt die Qualität der Ideen und Konzepte unter der dümmlichen Dominanz nackter Zahlen. Wir stehen im Plus, wir können uns alles leisten – lautete ein verbreiteter Aberglaube.

Wer zählt was? Äpfel und Birnen in Corona-Form

Im internationalen Vergleich treten die Folgen des Fehlens gemeinsamer Regeln bei der Er­fas­sung von Zahlen zu Covid-19 ans Tageslicht: Unterschiede bei der Testerhebung, ins­be­sondere bei der Zielgruppe der zu testenden Personen, spiegeln sich direkt in der Varia­tion der Positivrate wider:

Tabelle 1:  Zahl der Coronatests im internationalen Vergleich (Quelle: ALM e.V., Stand: 15.4.2020)

Diese – vorwiegend auf Angaben aus Wikipedia stammende – Übersicht wurde am 15. April vom In­te­res­senverband der akkreditierten Labore der Medizin, der dem RKI nahesteht, in einer virtuellen Pressekonferenz verbreitet. Sie soll in erster Linie verdeutlichen, daß in Deutschland ver­gleichs­weise viel labordiagnostisch auf Covid-19 getestet wird. Das stimmt – der Übersicht zufolge wird Deutschland nur von den USA in der Zahl der Testungen übertroffen. Die letzte Spalte offenbart jedoch das methodische Dilemma, das den Ländervergleich unmöglich macht: Die extremen Schwankungen zwischen 2% und knapp 30% sind nicht auf die unter­schiedliche „Aus­brei­tungs­geschwindigkeit“ des Virus in den einzelnen Län­dern zurück­zuführen, son­dern auf die jeweilige Teststrategie, d.h. die Art der Rekrutierung der Stichprobe. Wenn in einem Land erst in den Kran­ken­häu­sern oder gar erst auf der Station für Atemwegserkrankungen begonnen wird zu testen, dann fällt die Positivrate selbstredend höher aus, als wenn in einem Land bereits bei eigentlich unspezifischen Hinweisen wie Schnupfen und Hu­sten getestet wird. Eine Aussage wie „In den USA hat sich das Coronavirus 2.5 mal so häufig ausgebreitet im Vergleich zu Deutschland“ ist schlichtweg irreführend, weil sie den hier vorgelegten Zahlen nicht entnommen werden kann. Zahlen sind Sym­bole, die etwas repräsentieren. Wenn nicht klar definiert wird, wofür sie stehen, sind Zahlen nicht ver­gleich­bar, sondern „nackte Zahlen“ – dieser Anfängerfehler bei der Interpretation von Sta­tistiken wird „Äpfel mit Birnen vergleichen“ genannt. Die Leserin dieses Beitrags mag selbst im Laufe eines Tages erforschen, wie oft ihr in den Nachrichten­sendungen eines Tages irreführende Vergleiche von „Äpfeln und Birnen“, also Zahlenvergleiche zu Infizierten- und Todesfällen in Zusammenhang mit Covid-19 zwischen verschiedenen Ländern oder Regionen begegnen… „Der Vergleich der absoluten Zahlen Infizierter und der absoluten Todeszahlen zwischen Ländern oder Kantonen ist Unsinn. Das ist genauso aussagekräftig wie die Behauptung, in den USA hätte es mehr Autos als im Andorra. Damit solche Vergleiche aussagekräftig werden, müssen die Todeszahlen pro 100’000 Einwohner gerechnet werden; und auch die Anzahl Patienten auf den Intensivstationen müssen pro 100’000 Einwohner angegeben werden“, erkennt nun auch Paul Robert Vogt nun in seinem „Update“ zum Coronovirus vom 20.4.2020. Dieser Versuch einer Kontex­tua­lisierung anhand einer festen Bevölkerungszahl erhöht zwar auf den ersten Blick die Ver­gleich­barkeit. Jedoch wird dafür lediglich ein formales Mittel aufgewendet, ohne den Mindeststandards für empirische Sozialforschung, wie oben skizziert, gerecht zu werden. So werden bei­spielsweise in Schweden nur Ältere, Schwer­kranke und Klinikmitarbeiter auf Covid-19 getestet. Logischerweise fällt die Sterblichkeitsquote für Covid-19, d.h. der Quotient, der aus der Zahl der Todes­fälle und der (zeitversetzten) Zahl der Infizierten gebildet wird, damit höher aus als in Ländern, wo auch Per­sonen mit milder Symptomatik getestet werden. Daher nützt es nichts, die Bevölkerungsgröße zur Eichung heranzuziehen. So ver­zeichnete Schweden 156, Deutschland 58, Norwegen 33 und Finn­­land 18 Ver­storbene pro eine Million Einwohner seit Beginn der Corona-Krise (Quelle: Deutschland­funk am 22.4.2020). Die Be­zugnahme auf die Bevölkerungsgröße führt nicht aus dem metho­dischen Dilemma heraus, denn niemand weiß, wie hoch die Dunkelziffer der Infektion bei der Ge­samt­heit der Verstorbenen aus­fällt. So ist weiterhin bekannt, daß auch die ita­lie­ni­schen Gesundheits­behörden nicht zwischen Verstorbenen „an“ oder „mit“ Covid-19 oder sonstigen Todes­ursachen unter­scheiden (Tagesschau vom 21.3.2020). Derart unsaubere Zählweisen eignen sich nicht für weitergehende Aus­wer­tungen. Bemerkenswert ist auch die Behauptung von Paul Robert Vogt: „Die Sterberate von COVID-19 ist – wie wir aus geschlossenen Populationen (Kreuzfahrtschiffen) wissen – rund 20x höher als die der Grippe.“ (Update vom 20.4.2020) Auf der Diamond Princess waren, als sie in Yokohama anlegte, 10 von 3711 Passagieren mit Covid-19 infiziert. Nach 17 Tagen „Quaran­täne“, in denen sich das Virus auf dem Schiff vermutlich ungehindert ausbreiten konnte, hatten sich 705 Passagiere, d.h. 20% angesteckt und 6 waren gestorben (Quelle: Tagesspiegel vom 25.3.2020). Woher wis­sen wir aber, ob die geschlossene Gesellschaft der Schiffspassagiere einen re­prä­sen­tati­ven Bevöl­kerungs­querschnitt darstellt – dies erscheint eher zweifelhaft. Vermutlich waren auf dem Schiff eher ältere und weniger zu Aktivurlaub motivierte Men­schen anzutreffen… Vogts Verall­ge­meine­­rung zur Sterblichkeit durch Covid-19 ist also unzulässig. Die beobachtete hohe An­steckungs­gefahr mit Covid-19 läßt sich dagegen nicht von der Hand weisen. Auf der Insel Taiwan leben 24 Millionen Einwohner. Sie teilt sich eine Grenze mit der VR China und galt zu Beginn der Corona-Krise als eines der am meisten gefährdeten Gebiete, zumal Taiwan nicht Mitglied der WHO ist. Auf sich selbst gestellt, entwickelte Taiwan jedoch weltweit die erfolg­reichste Strategie im Umgang mit dem Virus. Es wird wesentlich weniger in den Labors getestet als in Deut­schland, dagegen vor allem Fieber gemessen, insbesondere bevor man öffentliche Gebäude wie Schulen, Restau­rants, Einkaufszentren, Theater oder Museen etc. betritt – die weiterhin geöffnet sind. Am 23.4.2020 gab es in Taiwan 58.003 Fälle mit Covid-19-Symptomatik. Nur bei 427 Fällen wurde  der neue Coronavirus labor­diagnostisch nachgewiesen, eine extrem geringe Zahl. Davon sind bislang bereits 253 Personen aus der Quarantäne wieder entlassen worden. Insgesamt waren bisher nur 6 Todesfälle mit nachgewiesener neuartiger Coronainfektion in Taiwan zu verzeichnen (Quelle: Tai­wan Centers for Desease Control, www. cdc.gov.tw, Download am 23.4.2020) – diesen Erfolg erreichte Taiwan im übrigen ohne „Lockdown“. Auf der Pausenbank plaudert unser statistischer Schiedsrichter während der notwendigen Spiel­unterbrechung ein wenig aus dem Nähkästchen: „In Deutschland ist mir bisher noch nirgendwo auch nur eine einzige Fiebermessung vor dem Betreten öffentlicher Versammlungsorte begegnet. Möglicherweise erscheint unseren politischen Entscheidern diese Lösung als zu einfach und zu billig. Zahllose Experten würden sich möglicherweise sofort zu Wort melden, wie ungenau, unsicher und un­spezifisch Fiebermessen sei, man denke doch bitteschön an die Inkubationszeit – dabei ist mit der fehlenden Spezifik des Fiebermessens eine Reihe unschätzbarer Vorteile gegenüber den Labortests auf Covid-19 verbunden: Fiebermessungen können nicht nur hundert­tausendmal pro Woche, sondern millionenmal vorgenommen werden – überall, wo es sinn­voll erscheint. Das Ergeb­nis ist sofort ablesbar – wer mit Fieber krank ist, kann nach Hause geschickt werden, während er bei uns mit Mundschutz in den Supermarkt rennt. Last not least ist der Blick nicht auf Covid-19 ein­geengt – wir vergessen derzeit schnell, daß es noch andere Krankheiten gibt…“ Summa sumarum geben die in Tabelle 1 aufgelisteten Unter­schiede zwischen den Ländern hin­sicht­lich der der Corona-Positivrate einen sta­ti­sti­schen Artefakt wie­der. Sie zu ontologisieren, d.h. die Zahl der positiven Testbefunde mit der Zahl der tatsächlich der Infizierten in einem Land gleichzusetzen, wie es in den täglichen Schlagzeilen der Zahlenreporter geschieht, bedeutet nichts anderes, als Äpfel mit Birnen zu vergleichen: „Schwedens Sonderweg droht zu scheitern – Sterbe­rate bei 10 Prozent“ titelte der Focus am 17.4.2020. Auf diese Weise lassen sich vortrefflich Falsch­meldungen produzieren – diese immerhin feiern momentan eine epidemische Kon­junktur. Valide Erhebungen beziehen sich auf repräsentative Stichproben oder Vollerhebungen, sowohl von erkrankten als auch gesunden Personen, aus allen Be­völ­kerungsschichten. Auf diese Weise entsteht Ver­gleich­barkeit. Doch repräsentative Studien zu Covid-19 sind bisher Mangelware.

Positiv oder falsch-positiv, negativ oder falsch-negativ – das ist hier die Frage

Der Labortest (RT-PCR) für das neue Coronavirus wurde von Drostens Mitarbeitern in fieberhafter Eile entwickelt. Dazu wurden zunächst RNA-Muster des SARS-1-Virus von 2002/2003 verwendet und dann mit Proben aus Wuhan abgeglichen. Validierungen durch Forscher in London, Rotterdam und Hongkong bestätigten die Resultate, beteuerte Drosten: Es sei kein einziges, falsch positives Ergebnis festgestellt worden. „Und die Art der technischen Validierung ist auf so hohem Niveau, und das haben wir im Januar bereits publiziert, das war eine der ersten wissenschaftlichen Veröffent­lichungen überhaupt über dieses neue Virus, daß eine unglaublich große Reihe von Firmen, nicht nur in Deutschland, sondern in der ganzen Welt, dazu übergegangen ist, diesen Test wegen dieser so guten Validierungsdaten sofort in kommerzielle validierte Testsysteme zu überführen. Und gleich­zeitig hat die Weltgesundheitsorganisation sofort dieses Testprotokoll öffentlich gestellt auf ihrer Seite, damit alle Agenturen des öffentlichen Gesundheitswesens das benutzen können.“ (Drosten im NDR Podcast vom 18.3.2020). Falsch-positives Ergebnis meint einen Befund, demzufolge eine Infektion mit dem neuen Virus vorliege, während in Wirklichkeit keine Infektion mit dem neuen Virus stattgefunden hat. Im Volksmund wird ein solches Ergebnis auch „falscher Alarm“ genannt. Unser statistischer Schiedsrichter greift zu Pfeife und läßt einen lauten Pfiff durch die Arena hallen: Eine Falsch-Positiv-Rate von 0% hört sich nach einer phantastischen Bilanz an. Ging das nicht ein bißchen zu schnell? Tatsächlich ist sie unwahrscheinlich. Bisher wurden bei jedem seriösen Testverfahren sowohl falsch-positive als auch falsch-negative Befunde festgestellt. Von falsch-negativen Befunden wird gesprochen, wenn der Test keine Infektion anzeigt, obwohl sie in Wirklichkeit stattgefunden hat. Eine hohe Falsch-Negativ-Quote bedeutet, daß die Dunkel­ziffer deutlich höher liegt, als der Test es zeigt. Beide Fehler­ar­ten hängen miteinander zusammen: Je höher die Zahl der falsch-po­sitiven Be­funde, desto geringer die Zahl der falsch-negativen und um­gekehrt. In der Praxis kommt es darauf an, den Test so zu entwickeln, daß beide Fehler in Bezug auf das Anwendungsziel in einem  ent­sprechenden Verhältnis stehen. Will man falsch-positive Befunde vermeiden, wird man falsch-negative Befunde in Kauf nehmen müssen… Die Behauptung Drostens, sein Test habe in der Erprobungsphase zu keinerlei falsch-positiven Er­gebnissen geführt, läßt aufhorchen. Zu erwarten ist, daß sich diese Bilanz nicht replizieren läßt. In un­abhängigen Folgestudien wird auch mit falsch-positiven Befunden zu rechnen sein. Alles andere wäre ein Märchen. Die Frage ist, welchen Anteil die falsch-positiven Befunde einnehmen. Drosten äußerte sich in seinem Podcast zur Fehlerquote des RT-PCR-Tests nicht mehr. Ausführlich widmet er sich lediglich der Fehlerhaftigkeit der Antikörpertests, die er auf 2% bezifferte (Folge 33 vom 20.4.2020). Auf Youtube be­haup­tete unter anderem der Internist Claus Köhnlein, der RT-PCR-Test sei zu 30-50% fehlerhaft – was in der Tat gravierend wäre. Tatsächlich hatte eine chinesische Forschergruppe bei nahen Angehörigen von Covid-19-Patienten, die keine klinische Symptomatik aufwiesen, eine Falsch-Positiv-Quote von 80% gefunden und mit einer Wahrscheinlichkeit von 75% ermittelt, daß die Falsch-Positiv-Quote bei asymptomatischen Personen etwa bei 47% oder höher liege (Zhang et al., 2020). Nachdem diese Zahlen in sozialen Netzwerken auftauchten, widmete sich Christina Helberg von Correctiv dem Thema. Ihre Anfrage beim RKI ergab, daß das Institut über keine Angaben zur Spezifität und Sensitivität des RT-PCR-Tests verfüge. Vielmehr verwies das RKI auf das Kon­si­liarlabor, also das Team von Drosten. Helberg fragte daraufhin auch bei Laboren in Köln, Stuttgart und Dresden an. Alexander Dalpke, Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene der TU Dresden, antwortete: „Nein, die RT-PCR sind hochspezifisch (Spezifität sicher im Bereich >95/98%).“  Eine Falsch-Positiv-Quote von 2-5% wirkt dem Anschein nach realistisch und läge im übrigen in der Größenordnung, die Drosten den Antikörpertests vorwirft. Die eMail-Anfrage von Correktiv  ersetzt aber breit angelegte Kreuz­vali­die­rungs­studien mit Doppelblind-Design nicht, d.h. die Ana­lysten in den For­schungs­laboren dürfen nicht wissen, ob die Proben von Covid-19-Pa­tien­ten oder von anderen Probanden stammen. Denn Labore, die ohne Untersuchungsdesign routine­mäßig mit der Analyse von Proben be­schäf­tigt sind, können die Fehlerhaftigkeit der Ergeb­nisse nicht feststellen. Vielmehr benötigen sie im Vorfeld die Angaben zur Sensitivität und Spe­zifität, um ihrerseits die Fehlerhaftigkeit der Befunde im Einzelfall ausweisen zu können. Für die Einzel­fallauswertung sind schließlich Angaben zur Reliabilität und Konfidenzintervalle notwendige Voraussetzungen. Gerade der klinische Praktiker muß genau wissen, wie zuverlässig der Test bei wiederholter Anwendung sowie bei Anwendung durch verschiedene Laboranten und Auswerter ist – darüber wurde bisher noch gar nicht diskutiert. Alexander Dalpke wies zumindest auf eine weitere Fehlerquelle hin, wenn die RNA-Proben in Form von Abstrichen aus dem Rachen­raum entnommen werden: „Es gibt tatsächlich Hinweise, daß Rachenabstriche nur 70% der Er­krankten erkennen.“ Dies würde eine Falsch-Negativ-Quote von 30% bedeuten. Die journalistische Recherche der Faktencheckerin konnte keine zuverlässigeren Angaben ermitteln. Dabei hatten chinesische Radiologen bereits im Februar bei 1014 Covid-19-Patienten in Kranken­häusern von Wuhan den PCR-Test und ein Lungen-CT parallel eingesetzt, wobei sie über das Ergebnis des Labortests „verblindet“ wurden, um Verzerrungen durch Vorein­ge­nom­menheit zu minimieren (Tai Ai et al., 2020). 59% der Patienten wurden mit dem RT-PCR positiv getestet, jedoch 88% wiesen einen positiven Befund im Lungen-CT auf. Von den 413 Patienten, bei denen der Labortest negativ ausgefallen war, hatten 75% einen positiven Befund im Lungen-CT. Die Computer­tomo­graphie der Lunge erwies sich damit als deutlich sensitiver als der Labortest, der eine hohe Zahl falsch-negativer Befunde produzierte. Die Autoren empfahlen das Lungen-CT als Referenz­methode, um Covid-19 zu diagnostizieren. Eine hohe Falsch-Negativ-Quote fanden auch die Forscher der Stanford-University in Santa Clara County, die Antikörpertests und PCR verglichen. Demnach würde der RT-PCR-Test nur 1 von 50 bis 80 Infizierten erfassen. Die positive Botschaft einer derart hohen Falsch-Negativ-Quote lautet: Damit würde die Fallsterblichkeit auf 0.1 bis 0.9% sinken (Bendavid et al., 2020). Ebenfalls bereits im Februar erschien eine Analyse von 1099 Patientenakten, die im Dezember 2019 und Januar 2020 an Covid-19 litten, durch die Medizinische Expertengruppe der VR China (Guan et al., 2020). Die Akten stammten aus 533 Krankenhäusern in 30 chinesischen Provinzen oder Regionen. Bei allen Patienten lag ein positiver Labortest vor. Ein positiver Befund im Lungen-CT konnte jedoch nur bei 86% festgestellt werden. Hier zeigte der Labortest also eine Falsch-Positiv-Quote von 14%. Bemerkenswert ist, daß CT und Labortest bei Patienten mit schwerer Symptomatik, die eine Beatmung erforderlich machte, nur zu 2.9% voneinander abwichen, bei milder Symp­to­matik dagegen zu 17.9% (vgl. Sturts, 2020).

Die Prävalenz-Falle

Insgesamt wirft diese Befundlage zur Fehlerhaftigkeit des RT-PCR-Tests mehr Fragen auf, als sie be­antwortet. Eine indische Forscher­gruppe wertete im April 2020 die Corona-Zahlen aus 210 Ländern aus und korrelierte sie mit demographischen, soziologischen sowie gesundheitspolitischen Daten, auf die ich inhaltlich im Abschnitt „Kontexte“ zurückkomme. Dabei stellten die Forscher ver­schiedene Un­gereimtheiten fest, die auf methodische Mängel der Erhebungen zu Covid-19 zurück­zuführen seien: „Die gegenwärtige Form der Diagnostik überschätzt wahrscheinlich die SARS-CoV-2-Infektiosität sowie die Morbidität und Mortalität von Covid-19, da sie darauf abzielt, SARS-CoV-2 in allen vermuteten Grippefällen und allen Todesfällen in den Pandemieregionen nachzuweisen. Eine höhere Anzahl von Fällen wurde in Ländern mit einer hohen Alphabetisierung und stärkeren Volkswirtschaft registriert, die auch über eine höhere Testkapazität verfügen, was ebenfalls darauf hinweist, daß sie möglicherweise überdiagnostiziert wurden. Gegenwärtig folgt das Testen auf COVID-9 nicht dem Ziel, die wahre Verbreitung der Krankheit (disease mapping) zu identifizieren. Bis die Tests nach einem soliden Stichprobenplan durchgeführt werden, kann die tatsächliche Inzidenz und Prävalenz der Krankheit nicht genau bestimmt werden. Wenn keine repräsentativen Erkennt­nisse zur wahren Verbreitung der Krankheit vorliegen, sind auch ihre Determinanten nicht korrekt beschreibbar … Ein hoher Anteil falsch-positiver Befunde von Covid-19-Tests hat kostspielige Folgen, die für eine wirksame Seuchenbekämpfung in Kauf genommen werden. Der aktuelle RT-PCR-basierte Labortest zeichnet sich jedoch durch einen hohen negativen Vor­hersagewert aus und kann dazu führen, daß eine große Anzahl positiver Fälle übersehen wird, was zur anhaltenden Ausbreitung der Pandemie beitragen kann. Negative RT-PCR-Ergebnisse für Covid-19 erfordern wiederholte Tests, um das negative Ergebnis zu bestätigen. Daher ist ein besserer Test mit höheren positiven und negativen Vorhersagewerten erforderlich, um die wahre Anzahl positiver und negativer Fälle bestimmen zu können.“ (Singh et al. 2020, Übersetzung VK)

Die Strategie, von Personen mit Erkältungssymptomen einen Abstrich für den Labortest zu nehmen, erweist sich also aus mindestens zwei Gründen als fragwürdig: Erstens entsteht auf diese Weise kein realistisches Bild von der Verbreitung von Covid-19, da die Stichprobe nicht re­prä­sentativ ist und Prävalenz sowie Inzidenz nicht bestimmt werden können. In den täglichen Nachrichtenmeldungen wird aber seit Anfang März so getan, als handelte es sich um diese Werte, indem irreführend von täglichen Neuinfektionen und ähnlichem gesprochen wird. Zweitens ist das klinische Bild, das den Corona-Labortest veranlaßt, identisch mit den Anzeichen einer „Grippe“, wie sie durch Influenza und andere Erkältungsviren hervorgerufen wird. Getestet wird aber nur das neue Coronavirus – wahr­schein­­liche Komorbiditäten mit anderen saisonalen Viren bleiben unerkannt. Eine derartig frag­mentarische Diagnostik ist nicht nur für den medizinischen Er­kennt­nis­gewinn unbrauchbar, son­dern auch für die Ableitung eines angemessenen individuellen Thera­pieplans. Daraus wiederum resultieren zahlreiche praktische und ethische Probleme.

Bereits während des Vietnamkrieges, als es darum ging, mit welcher Wahrscheinlichkeit ameri­ka­nische Piloten vietnamesische von kambodschanischen Kampfjets unterscheiden können, (CIA, 2008), später bei der Interpretation von massenhaft gespeicherten Fluggastdaten nach 9/11, schließ­l­ich auch bei  Einstufung der Zahl zu Unrecht verdächtigter Personen bei Rasterfahndungen mit DNA-Tests – immer wenn es sich um große Zahlen handelt, können auch kleinste Meßfehler zu gra­­vierenden Fehlinterpretationen beitragen. Menschen lassen sich in ihrem intuitiven Zahlen­ver­ständnis eher vom Augenschein als von bedingten Wahrscheinlichkeiten leiten (Tversky & Kahne­man, 1974). So mag ein Patient glauben, wenn ihm der Arzt die Kunde von einem positiven Corona-Laborbefund überbringt, daß er sich also mit 98%iger Sicherheit nun mit Covid-19 infiziert habe, denn der PCR-Test habe doch eine solch hohe Genauigkeit (Spezifität). Dieser Glaube, der gegenwärtig weit verbreitet zu sein und auch von unseren Datenjournalisten geteilt, zumindest nicht aktiv ausgeräumt zu werden scheint, beruht jedoch auf einem folgenschweren Irrtum, der in der Literatur als „Prävalenzfehler“ oder „Base Rate Fallacy“ bekannt ist und ins Erstsemester Sta­tistik gehört. Wenn pro Woche, wie es seit Ende August 2020 in Deutschland der Fall ist, eine Million PCR-Tests durchgeführt werden, dann führt auch eine scheinbar kleine Falsch-Positv-Rate von 2% zu einer immensen Anzahl irrtümlich mit einer Covid-19-Erkrankung („Infektion“) verdächtigter Per­sonen: Nehmen wir an, das neue Coronavirus hat sich bereits bei 1% der Bevölkerung aus­ge­breitet – diese Zahl wird Prävalenz genannt.  Dann sollte der Test bei 10’000 der untersuchten Personen ein po­sitives Ergebnis anzeigen. Mindestens, muß man sagen, denn aufgrund der durchaus realistschen Fehlerquote wird er darüber hinaus bei 2% der 990000 Personen, die keinen Abschnitt des Corona­virus in sich tragen, ebenfalls mit einem positiven Laborergebnis anschlagen: es handelt sich um  19800 falsch positive Laborbefunde, die pro Woche allein durch die Falsch-Positiv-Quote „ein­ge­preist“ werden müssten – davon aber ist in unseren Nachrichten keine Rede. Vielmehr wird irre­füh­rend ein positiver Laborbefund mit einer aktiven klinischen Infektion gleichgesetzt, was schlicht­weg eine Falschmeldung ist. Tatsächlich beträgt die Wahrscheinlichkeit, erkrankt zu sein, wenn ein positiver Labor­befund vorliegt, bei einer Prävalenz von 1% lediglich 33.5%

Prävalenz

Falsch-Positive

Wahrscheinlichkeit einer Infektion

0.5%

19900

20.0%

1%

19800

33.5%

1.5%

19700

43.2%

2%

19600

50.5%

3%

19400

60.7%

5%

19000

72.5%

10%

18000

84.7%

25%

15000

94.3%

50%

10000

98.0%

Tabelle 2: Modellrechnung zur Auswirkung der Prävalenz (base rate) auf die Wahrscheinlichkeit, bei einem positiven PCR-Laborbefund tatsächlich mit Covid-19 infiziert zu sein (Parameter:  N= 1’000’000, Spezifität 98%, Sensitivität 100%)

Deutlich wird, daß die Wahrscheinlichkeit, mit der bei einem positiven Laborbefund auch von einer tatsächlichen Infektion auszugehen ist, keinesfalls a priori mit 100% anzusetzen ist, sondern maß­geblich von der aktuellen Gesamtzahl der bereits Infizierten, der Basisrate, abhängt. Dabei handelt es sich nicht im epidemiologischen Sinne um die sogenannte „Durchseuchung“, also dier Personen, die die Erkrankung bereits durchstanden haben und damit immun geworden sind, sondern um die Zahl der aktiven Fälle, die mit einem PCR-Test erfasst werden können.  Erst wenn jeder Zweite, der einen positiven Laborbefund empfängt, auch klinische Symptome zeigt, können wir von einer 98%igen Wahrscheinlichkeit ausgehen, daß er auch an Covid-19 erkrankt ist.

Die Prävalenz ist also ein ausschlaggebender Faktor, um die täglich im Halbstundentakt ver­mel­dete Zahl der Positivbefunde, die von den Datenjournalisten irrreführend mit der Zahl der In­fi­zierten gleichgesetzt wird, realistisch einordnen zu können. Die Testkapazität hat keinen Einfluß auf die Infektionswahrscheinlichkeit. Bei einer geringen Prävalenz schießt vielmehr bei einer gleichzeitig hohen Testkapazität die absolute Zahl der fälschlicherweise mit einer Covid-19-In­fek­tion in Verbindung ge­brachten Personen in die Höhe – was nicht im Sinne der Gesundheitsvorsorge sein kann, aber just zum Herbstbeginn der Fall war. Das Mot­to „Test, test, test!“ erweist sich damit als irreführend – es kommt vielmehr auf die Qualität der Teststrategie an.

Um die Prävalenz zu messen, benötigt man eine re­prä­sen­tative Auswahl der Stich­probe. Davon ist die „nationale Teststrategie“ in Deutschland weit entfernt (vgl. „Aktualisierung der Nationalen Teststrategie vom 15.10.2020 auf www.rki.de). Wurden im Frühjahr 2020 selektiv Per­sonen mit Erkältungssymptomen getestet, waren es im Sommer die Urlaubs­rück­kehrer aus dem Ausland und vor den Herbstferien die Inlandstouristen, die aus Regionen mit hö­herer Inzidenz in eine Region mit niedrigerer Inzidenz fahren wollten – mit einer wissen­schaft­lichen Studie, die anhand demo­gra­phischer Kriterien einen repräsentativen Be­völ­ke­rungs­quer­schnitt testet, hat all das nichts zu tun – Zweifel an der wissenschaftlichen Ernsthaftigkeit der Re­gierung sind daher mehr als angebracht, mag sie sich selbst noch so häufig als wissenschaftlich orientiert gegenüber der Willkürherrschaft autoritärer Machthaber in anderen Ländern bezeichnen. Die anhaltende Ver­wei­gerung, eine fundierte Prävalenz­studie für Deutschland zu initiieren, gibt gesund­heitspolitische Rät­sel auf.

Seit April 2020 erfaßt das RKI das Vorkommen von Corona-Antikörpern bei Blutspendern (SeBlu­Co-Studie). Alle zwei Wochen werden ca. 5000 Blutproben gesunder erwachsener Personen von 13 Blutspendediensten, die auf 28 Regionen Deutschlands verteilt sind, auf Seropositivität untersucht. Eine Zwischenauswertung zum 19. August 2020 brachte folgende Ergebnisse: „Der Anteil von Personen mit spezifischen Antikörpern gegen SARS-CoV-2 unter blutspendenden Erwachsenen ist mit 1.25% weiterhin gering.“ Ergänzend wurden bei 65% der Proben ergänzende „Neu­tra­li­sa­tions­tests“ durchgeführt, um falsch-positive Befunde auszuschließen. „Von diesen hatten ca. 27% (96/362) auch nachweisbare neutralisierende Antikörper.“ – d.h., die korrigierte Prävalenz lag im August bei ca.  0.34%. „Die Seroprävalenz war bei Männern signifikant höher als bei Frauen (1.48 bzw. 0.96%) Es wurden Unterschiede in der Altersverteilung der Seropositiven erkennbar. Die drei jüngsten Altersgruppen (18-29 Jahre) der SeBluCo-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer zeigen nach Auswertung von ca. 50% der Studiendaten die höchste adjustierte Prävalenz. Die Regionen Freiburg und Bayern Süd-Ost haben den höchsten Anteil an Seropositiven.“ (Quelle: www.rki.de)

Im Hotspot Gangelt ermittelte das Team von Hendrick Streek dagegen eine Prävalenz von 20% – sie kann jedoch ebenfalls nicht als repräsentativ angesehen werden.

In seiner umstrittenen Berechnung des Nutzens des Lockdowns für die Eindämmung der Pan­demie ging das Imperial College im Juni 2020 von 0.85 % Prävalenz für Deutschland aus (Flax­man, 2020).

Eine der bisher qualitativ besten Prävalenzmessungen stammt von Mai 2020 aus Brazilien (Hallal et al., 2020). Es wurde eine anhand von 25 Census-Kriterien ausgeglichene Zufallsstichprobe in 133 Städten, proportional zur Bevölkerungsgröße gezogen, mit mindestens jeweils ca. 250 Teilnehmern. Insgesamt nahmen 25955 Probanden an der Studie teil. Es wurde wiederum die Seropositivität be­stimmt. Ohne statistische Korrekturen betrug die krude Prävalenz 1.39%.

Im WHO Bulletin vom 15. Oktober 2020 veröffentlichte John Ioannidis eine Übersicht zu allen serologischen Corona-Antikörpertests weltweit seit Beginn der Pandemie (es wurden vor allem Studien während der ersten Welle ausgewertet). Dabei wurden Prävalenzstudien zur Verbreitung des Coronavirus im Krankenhauspersonal oder in bestimmten religösen Gruppen nicht berück­sichtigt. Im Ergebnis wurden 61 Studien mit ingesamt 74 Prävalenzschätzungen zusammengetragen – Deutschland war lediglich durch die Streek-Studie in Gangelt und eine Unter­suchung in Frank­furt a.M. vertreten. Die Prävalenz schwankte weltweit zwischen 0 und 54.4% (in den Slums von Mumbai).

Zahlen ohne Bezugsgröße sagen nichts

Als wissenschaftlich unhaltbar muß die Verwendung allein der Zahl der Positiv­befunde unter Ausblendung der Datenbasis, d.h. der Gesamtzahl N der angewandten Tests, betrachtet werden (vgl. Schrappe et al., S. 4 f. und S. 9 ff.). Seit Monaten wird hammerartig in den halbstündlichen Nachrichtensendungen ausgerechnet mit diesen nichtssagenden Zahlen hantiert. Bis Ende März dominierte in der Diskussion über Kriterien zur Lockerung oder Beendigung der rigiden Schutz­maß­nahmen der sogenannte „Ver­dop­pe­lungs­zeitraum“. Angela Merkel nannte am 28. März als Cut-off-Kriterium einen Ver­dop­pelungs­zeitraum von 10 Tagen, um die Ein­schrän­kun­gen der elemen­taren Grund­rechte wieder aufzuheben. Wieder zucken wir beim Pfiff unseres statistischen Schiedsrichters zusammen: „Jeder Schülerin im Physik­leistungskurs“, ruft er, „muß klar sein, daß eine Vergleichbarkeit von Test­ergeb­nissen nur dann gegeben ist, wenn an den Randbedingungen nichts verändert wird.“ Gerade dies ist aber, wenn man den Blick auf die Zahl der Positivbefunde einengt, nicht der Fall. Um zu einer valideren Beurteilung der statistischen Angaben zur Verbreitung des neuartigen Coronavirus zu gelangen, ist die Berücksichtigung der Baseline und der Zahl der Testungen eine unabdingbare Voraussetzung. Daß die Zahl der an­ge­wandten Tests den maßgeblichen Virologen bis Ende März nicht bekannt gewesen sei, sondern nur grob geschätzt werden könne (Drosten am 26.3.2020), verwundert sehr. Das Robert-Koch-Institut hat die örtlichen Ge­sund­heitsämter Anfang März ver­pflichtet, auch die Zahl der Negativbefunde zu mel­den, nachdem bereits in der Melde­pflicht­­ver­ordnung §1 vom 1.2.2020 vor­ge­schrieben wurde: „Dem Gesundheitsamt ist auch zu melden, wenn sich der Verdacht einer Infektion nach Satz 1 nicht bestätigt.“ In erster Näherung kann daher – wenn man die Zahl ungültiger oder möglicherweise nicht eindeutiger Tests ver­nach­lässigt – die Summe der positiven und negativen Befunde als Schätzung für die Gesamtzahl der vor­genommenen Tests herangezogen werden. Damit sollte es ge­lingen, den angst­starren Blick von den Absolutzahlen zu lösen.

Exponentionalfunktion oder Wellenform

So wenig sich der „Verdopplungszeitraum“ allein auf Grundlage der Positivbefunde ausrechnen läßt, so wenig ist dies für die „Ausbreitungsgeschwindigkeit“ möglich. „Genau“, ruft unser Schieds­richter von der Seitenbank, wo er sich noch immer von den Strapazen der Zahlen­spiel­schieds­rich­terei ausruht, „denkt noch einmal an die Schülerin im Fach Physik: Wie soll sie die Geschwindigkeit eines Objekts bestimmen, wenn sie nur die Zeit kennt, aber nicht die Länge des Weges, den es zurückgelegt hat.“ Tatsächlich dürfte die „Ausbreitungsgeschwindigkeit“ eines Virus nicht mit den Mitteln der klassischen Physik zu beschreiben sein – sie auf Grundlage der un­ge­wichteten Positiv­be­funde zu berechnen, gleicht aber einem solchen Versuch. „Das hätte unserer Physikschülerin spätestens in Klasse 7 auffallen müssen“, murmelt der Schiedsrichter. Anzunehmen war tatsächlich, daß die Ausbreitung des neuen Virus nichtlinear erfolgen wird. Paradoxer­­weise wurde die dabei allein die Möglichkeit von einer exponentieller Ausbreitung in Be­tracht gezogen. Die Vorstellung einer exponentiellen Virusverbreitung basiert auf abstrakten kom­binatorischen Modellen, die lediglich in der Anfangszeit plausibel sind. Nur in einer un­end­lichen Wirtspopulation kann sich ein Virus exponentiell ausbreiten. Da dies nur theoretisch vorstellbar ist, muß die weitverbreitete Rede von der exponentiellen Verbreitung des Virus als falsch bezeichnet werden. Tatsächlich wird die Aus­breitungsgeschwindigkeit mit zu­neh­mender Infek­tion gebremst durch die Zahl der im­mu­ni­sierten Personen. Es bildet sich ein dynamisches Gleichgewicht der Kräfte. Rea­listi­scher­weise ist daher von einem wellen­förmigen Verlauf der Epi­demie auszugehen, d.h. zu Beginn kann es zu einem starken Anstieg kommen – der „exponentiell“ erscheinen mag, wenn man den Blick auf diesen Arm der Welle einengt. Die Welle kann ver­schie­de­ne Formen annehmen, steil, langgestreckt, mehrgipflig. Jedoch kommt die Aus­breitung des Virus zwangs­läufig – d.h. auch ohne weitere vom Menschen getroffene Maß­nahmen – an den Gleich­ge­wichts­punkt, wenn Infizierte und Immunisierte sich in etwa die Waage halten. Danach ist die Aus­breitung des Virus rückläufig, zumindest für eine gewisse Zeit. Peter Rottier, emeritierter Professor für Virologie und Viruserkrankungen am Institut für Tiermedizin der Universität Utrecht, schildert diese Dynamik folgendermaßen: „Wenn ein Virus auf einen neuen Wirt übergeht, kommt es in der Regel zu sehr starken Krank­heitssymptomen, bis hin zum Tod. Kann sich ein solches Virus in seiner neuen Wirtspopulation halten, hat es die Chance, zu mutieren. Und der darwinistische Selektionsprozess begünstigt in erster Linie Mutationen, die die Ausbreitung des Virus erleichtern. Das geht natürlich nicht so gut, wenn der Wirt innerhalb von 24 Stunden stirbt. Es liegt nicht im Interesse des Virus, seinen Wirt schnell zu töten … Wenn ein Virus eine Zelle infiziert, kommen so nach 10 bis 16 Stunden Tausende neuer Viren heraus. Jedes von ihnen trägt im Durchschnitt drei Mutationen in sich. Mit jeder Replikationsrunde entstehen so neue Varianten des Virus. Einige Mutationen sind für das Virus nachteilig oder sogar tödlich, aber manchmal ist eines dabei, das besser an neue Umstände angepasst ist … Das Sars-CoV-2 hat ein chinesischer Forscher vor etwa sieben Jahren zuerst bei Fledermäusen identifiziert. Das ent­scheidende Virusprotein passt zufällig auch zu unseren Rezeptoren. Nicht perfekt, aber gut genug, damit es in die Zelle eindringen kann. Und dann beginnt die Fein­abstimmung über Mutationen. Natürlich lassen Zellen das nicht einfach so geschehen, sie reagieren mit einer Immunantwort auf Eindringlinge. Viren haben ihrerseits Tricks entwickelt, um damit umzugehen. So entwickelt sich ein unglaublich faszinierender Kampf … Auch das Mers-Virus schien die Welt zu erobern. Glücklicherweise ließ sich die Ausbreitung weitgehend auf Saudi-Arabien beschränken. Das Mers-Virus gibt es noch, aber nur wenige Patienten sterben daran. Das mag daran liegen, dass das Virus mutiert und mit der Zeit schwächer geworden ist.“ Wenn die Ausbreitung des Virus gestoppt werden soll, so muß ihm sehr frühzeitig und sehr konsequent begegnet werden – etwa wie es Taiwan gehandhabt hat. Die taiwanesischen Maßnahmen zielen vordergründig weder auf ein Kontaktverbot zwischen den Menschen noch auf einen generellen „Lockdown“, sondern auf eine kleinteilige, individuelle Ver­hin­derung der Ausbreitung des Virus, indem jeder Infektionsfall einzeln nachverfolgt wird. Die Fieber­messungen er­weisen sich dabei um Größenordnungen niedrigschwelliger als Labortests. Mit ihrer Hilfe kann sowohl der Ausbreitung des neuen Virus als auch von anderen Erkältungskrankheiten vor­gebeugt werden, während man bei der Anwendung von Labortests dem Virus hinterherläuft. Dieser Nachteil wurde von den politischen Entscheidern und ihren Ratgebern in der WHO nicht erkannt oder zu wenig be­rücksichtigt. Direktor Tedros Adhanom Ghebreyesus propagierte am 16. März einzig und allein die Strategie „Test, test, test!“, um Infektionsketten zu unterbrechen. Die umfassende Ver­hinderung der Ausbreitung des Virus wie auf Taiwan oder die Wahl einfacher ver­füg­barer Mittel als Labor­tests würde gerade für Länder mit schwacher medizinischer Versorgung eine praktikable Alternative darstellen. Auch eine regionale Differenzierung der Schutzkonzepte sucht man in den WHO-Empfehlungen vergebens. Klug wäre es gewesen, bereits im Januar sämtlichen Verkehr aus der VR China und sukzessive aus den anderen Ländern, in denen das neue Virus festgestellt wurde, zu kontrollieren, einzuschränken, medizinisch zu überwachen. Statt dessen überwog die Illusion, das Virus werde schon nicht in den Westen gelangen. Seitdem es da ist, richtet sich Blick wie gebannt auf die gefürchtete exponentielle An­fangs­phase, ohne langfristige Effekte – sowohl hin­sichtlich der Aus­breitungs­dyna­mik als auch der Folgen der Schutz­maßnahmen – realistisch ein­zu­schätzen und abzuwägen. Laissez-faire kippte um in Rigidität.

Zwischenspielstand

Unser statistischer Schiedsrichter nutzt die Pause der Spielunterbrechung, bis valide Gesund­heits­daten in Bezug auf Covid-19 vorliegen, um sich einer ersten Zwischenbilanz zuzuwenden. Ja, er muß zugeben, daß sich trotz der unsicheren Datenbasis bereits einige Erkenntnisse festhalten lassen.

Lineare Abhängigkeit und parabelförmiger Abfall

Mitte bis Ende März 2020 war es noch schwierig, Angaben zur Zahl der Covid-19-Testungen in Deutschland in Erfahrung zu bringen. Am 19. März berichtete die Deutsche Kran­ken­haus­gesell­schaft: „As the German Hospital Society (DKG) announced on Thursday, 167,009 samples were tested in 148 laboratories by the end of last week, of which 6540 were positive. We interpret ‘the end of last week’ as the 15 March.“ (zitiert nach ourworldindata.org, Download vom 22.03.2020). Das Verhältnis ergibt eine Positivrate von 3.9%. Am 26.3.2020 erwähnte Andreas Gassen, der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, 410.000 Labortests in Deutschland im Zeitraum vom 9. März an mit einer Positivrate von 6.8% (zitiert nach Focus Online, Download am 30.3.2020). Am selben Tag waren im Lagebericht des RKI (S. 5 f.) die ersten Ergebnisse einer Laborumfrage (174 beteiligte Labore) enthalten. Im Wochentakt mittwochs veröffenlicht das RKI die Aktualisierung der Laborumfrage. Folgende Zusammenfassung stellt den Versuch dar, die Gesamtzahl der Testungen, die Zahl der be­rich­teten Positivbefunde, der Fälle mit Angaben zur klinischen Symptomatik, der Genesenen, daraus folgend die Zahl der aktiven Fälle sowie der ITS-Auslastung ins Ver­hältnis zu setzen. Der Über­sicht halber wurden in die Tabelle vorzugsweise die Meldungen vom Sonntag (d.h. die Kalen­derwoche) und Mittwoch (d.h. den Tag, an dem das RKI die Ergebnisse der Laborumfrage bekannt gibt) aufgenommen:

Datum

positiv kum

gene­sen

aktiv

ITS

ITS  / aktiv %

ITS insg.

ITS %

ITS frei %

04.03.

262

0

11.03.

1.567

3

18.03.

8.198

12

20.03.

13.957

323

16.000*

2.0

31

25.03.

31.554

-5.600

25.805

769

2.9

4.8

149

01.04.

67.366

-18.700

47.934

2139

4.5

13.4

732

08.04.

103.228

-46.300

55.067

1841

3.3

15.981

11.5

1.861

15.04.

127.584

-72.600

51.730

1872

3.6

22.912

8.2

42

3.254

17.04.*

133.830*

-81.800*

52.030*

2684*

5.1*

27.566*

9.7*

41.6*

22.04.

145.694

-99.400

41.415

2777

6.7

33.399

8.3

42.7

4.879

29.04.

157.641

-120.000

31.526

2414

7.6

32.824

7.3

39.3

6.115

06.05.

164.807

-137.400

20.411

1884

9.2

31.893

5.9

38.5

6.996

13.05.

171.306

-148.700

14.972

1465

9.8

32.310

4.5

37.5

7.634

20.05

176.007

-156.900

11.017

1045

9.5

32.251

3.2

36.8

8.090

27.05.

179.364

-162.800

8215

763

9.3

32.516

2.3

36.5

8.349

03.06.

182.370

-167.300

6519

632

9.7

32.335

1.9

36.5

8.551

10.06.

184.861

-170.700

5432

492

9.0

32.057

1.5

35.2

8.729

17.06.

187.184

-173.600

4754

406

8.5

31.711

1.3

34.7

8.830

24.06.

191.449

-176.300

6235

331

5.3

27.154

1.2

34.7

8.914

01.07.

194.725

-179.800

5940

329

5.5

32.614

1.0

34.4

8.985

08.07.

197.341

-183.100

5205

292

5.6

32.379

0.9

34.9

9.036

15.07.

199.726

-186.000

4655

248

5.3

32.520

0.7

33.9

9.071

22.07.

202.799

-188.600

5104

250

4.9

32.781

0.76

34.3

9.095

29.07.

206.926

-191.300

6498

261

4.0

33.220

0.8

34.5

9.128

05.08.

212.022

-194.600

8254

239

2.9

30.388

0.78

29.7

9.168

12.08.

218.519

-198.800

10.512

224

2.1

30.427

0.73

28.6

9.207

19.08.

226.914

-203.900

13.771

228

1.6

30.625

0.74

28.5

9.243

26.08.

236.429

-210.600

16.549

228

1.4

30.764

0.74

29.0

9.280

02.09.

244.855

-219.100

16.442

228

1.4

30.779

0.74

29.0

9.313

09.09.

253.474

-228.000

16.136

227

1.4

30.658

0.74

28.6

9.338

16.09.

263.663

-236.000

18.295

233

1.3

30.759

0.76

28.0

9.368

23.09.

275.927

-245.400

21.118

293

1.4

30.595

0.96

28.4

9.409

30.09.

289.219

-256.000

23.731

355

1.07

30.679

1.15

28.4

9.488

07.10.

306.086

-267.700

28.824

470

1.6

30.311

1.55

27.9

9.562

14.10.

334.585

-281.900

43.008

602

1.39

30.208

1.99

28.8

9.677

21.10.

375.995

-302.100

64.020

943

1.47

29.895

3.15

28.3

9.875

28.10.

464.239

-332.800

121.256

1569

1.29

29.336

5.35

25.7

10.183

04.11.

577.593

-381.400

185.381

2546

1.37

28.763

8.85

24.6

10.812

11.11.

705.687

-454.800

239.100

3127

1.3

28.502

10.97

23.6

11.767

18.11.

833.307

-546.500

273.700

3561

1.3

28.281

7.94

22.0

13.119

25.11.

961.320

-656.400

290.100

3781

1.3

27.863

13.57

20.7

14.771

02.12.

1.084.743

-779.500

288.100

3957

1.37

27.543

14.37

19.1

17.123

09.12

1.218.524

-902.100

296.500

4.278

1.44

27.348

15.64

17.8

19.932

16.12.

1.379.238

-1.025.000

330.800

4.836

1.46

27.081

17.86

16.8

23.427

23.12.

1.554.920

-1.160.100

366.900

5.243

1.43

26.742

19.6

18.0

27.968

30.12.

1.687.185

-1.302.600

352.500

5.648

1.60

26.691

21.16

17.7

32.107

Tabelle 3: Das Corona-Zahlenwerk – Überblick zur Zahl der Positivbefunde – inklusive Mehrfachtestungen bei denselben Personen –, der Schätzung der von Covid-19 genesenen Personen, der ITS-Belegung durch Covid-19-Pa­tien­ten sowie zur ITS-Kapazität in Deutschland (Quel­len: RKI, ITS bis 3.4.2020 Reinhard Busse, TU Berlin, Fachgebiet Management im Gesund­heits­wesen, Covid-19 Datenbank), ab 8.4.2020 aktuelle An­gaben vom RKI und DIVI-Intensivregister. „ITS/aktiv %“ gibt den Anteil schwerer Verläufe an den aktiven Fällen wieder, „ITS %“  den Anteil der Covid-19-Patienten in Bezug auf die ITS-Gesamtkapazität. Die Auslastung beschreibt die ITS-Bet­ten­­be­le­gung insgesamt. Ab dem 16.4.2020 ist die Teilnahme der Kliniken mit Intensivbetten am DIVI-Register ver­pflichtend – daraus erklärt sich der zwischen dem 15. und 16.4. zu be­ob­ach­ten­de, vermeintliche Kapazitäts­zuwachs – bis zum 15.4. wurde die ITS-Kapazität im DIVI-Register eher unter­schätzt. KW 37/2020 verzichtete das RKI auf dieBerichterstattung zur Zahl der Fälle mit Angaben zur klinischen Symptomatik. Mit Stern hinterlegt die realen Zahlen zum Vergleich für die Hochrechnung  für den 17.4. (in Tabelle 4)

Im bisherigen Verlauf mutet das Er­geb­nis geradezu trivial an: Mit der exponentiellen Steigerung der Zahl der durch­geführten Tests stieg auch die Zahl der Positivbefunde. Beide Variablen unter­scheiden sich lediglich durch eine lineare Verschiebung und ihr prozentuales Ver­hältnis ist nahezu konstant. Dies gilt zumindest solange, bis die Dunkel­ziffer aus­­geschöpft ist.

KW

Datum

N

positiv kum

pos kum %

pos KW %

10

08.03.

124.716

3.892

3.1

3.1

11

15.03.

252.172

11.474

4.5

5.9

12

22.03.

600.791

35.303

5.9

6.8

13

29.03.

962.165

66.694

6.9

8.7

14

05.04.

1.370.338

103.544

7.6

9.0

15

12.04.

1.749.219

134.244

7.7

8.1

17.04.*

3.900.000*

273000*

16

19.04.

2.072.669

155.773

7.5

6.7

17

26.04.

2.430.545

173.647

7.1

5.0

18

03.05.

2.755.770

186.331

6.8

3.9

19

10.05.

3.147.771

197.101

6.3

2.7

20

17.05.

3.595.059

204.757

5.7

1.7

21

24.05.

3.952.971

210.255

5.3

1.5

22

31.05.

4.348.880

214.373

4.9

1.1

23

07.06.

4.694.147

217.680

4.6

0.9

24

14.06.

5.029.696

220.534

4.4

0.8

25

21.06.

5.412.655

225.640

4.2

1.3

26

28.06.

5.873.563

229.240

3.9

0.8

27

05.07.

6.376.054

232.261

3.6

0.6

28

12.07

6.884.614

235.274

3.4

0.6

29

19.07.

7.418.812

238.694

3.2

0.6

30

26.07.

8.006.135

243.590

3.0

0.8

31

02.08.

8.586.648

249.242

2.9

1.0

32

09.08.

9.265.361

252.348

2.7

1.0

33

16.08.

10.197.366

264.990

2.6

0.97

34

23.08

11.208.091

274.030

2.4

0.88

35

30.08.

12.383.035

282.600

2.3

0.74

36

06.09

13.436.301

290.372

2.2

0.74

37

13.09

14.557.136

300.047

2.1

0.86

38

20.09.

15.642.654

312.964

2.0

1.16

39

27.09.

16.999.253

328.566

1.9

1.22

40

04.10.

18.129.900

346.865

1.9

1.66

41

11.10.

19.276.507

375.995

1.9

2.49

42

18.10.

20.380.376

418.871

2.0

3.54

43

25.10.

21.882.967

497.656

2.3

5.50

44

01.11.

23.393.311

611.248

2.6

7.16

45

08.11.

25.010.416

736.792

2.9

7.86

46

15.11.

26.456.866

865.595

3.3

9.00

47

22.11.

27.859.242

993.128

3.6

9.23

48

29.11.

29.141.172

1.115.228

3.8

9.14

49

06.12.

30.494.036

1.252.323

4.1

10.03

50

13.12.

31.974.158

1.421.702

4.4

11.31

51

20.12.

33.708.381

1.612.012

4.8

11.57

52

27.12.

34.801.593

1.750.584

5.0

12.96

Tabelle 4: RKI Laborumfrage (kumulativ), Überblick zur Zahl der Tests (N) – inklusive Mehrfachtestungen bei denselben Personen –, Positivenquote kumulativ und wochenweise, * Schätzung / Hoch­rech­nung zum 17.4.2020 (mit Stern hintergelgt)

Linear_Cov_Tests_2020_12_27

Abbildung 1: Zahl der Tests und Positiv-Befunde des neuen Coronavirus (kumulativ) und Scheitelpunkt der Corona-Welle in Deutsch­land (Prozentwerte linear skaliert)

Mit anderen Worten: anhand der täglich berichteten Absolutzahl der positiv ge­testeten Personen ist nicht erkennbar, ob sich das Virus weiter ausbreitet oder ledig­lich bereits infizierte Personen mit mildem Verlauf oder ohne wahrnehmbare Symp­tome erfaßt werden. Beide Einflüsse sind in der Absolutzahl der positiv Getesteten kon­fundiert. Die Konstanz der Positivrate besagt nichts weiter, als daß die Labor­testun­gen zwischen Mitte März und Mitte April 2020 in Deutschland etwa auf dieselbe Zielgruppe – nämlich Personen mit Erkältungssymptomen – ausgerichtet war. Das heißt, die Teststrategie ist ab der 12. Kalenderwoche etwa dieselbe geblieben. Zu diesem Zeitpunkt hat das RKI die Bedingung aufgehoben, daß sich die zu testende Person zuvor in einem „Risikogebiet“ aufgehalten haben muß, beispielsweise in China oder Südtirol. Betrachtet man den Verlauf von diesem Zeitpunkt an, ist auch nach einem Monat noch keine Verdoppelung des Prozentsatzes der positiv Getesteten in Sicht. Ein Verdoppelungszeitraums von zehn Tagen – von Angela Merkel im März als Cut-off-Kriterium angeführt, um die rigide Einschränkung der Grundrechte wieder aufzu­heben – muß bei Berücksichtung der „fieber­haften“ Steigerung der Testaktivitäten in den deut­schen Laboren, spätestens seit Anfang April 2020 als übers­chritten gelten. Isaac Ben-Israel, Vorsitzender der israelischen Weltraumbehörde, analysierte die amtlichen Angaben zur Zahl der Neuinfektionen in 25 Ländern rein statistisch: Er beobachtete stets den Höhepunkt der Welle nach ca. 40 Tagen und nach 70 Tagen ein so starkes Abebben daß nicht mehr von einer Epidemie die Rede sein könne. Große Flächenstaaten wie die USA und Rußland gingen nach ihren Regionen in die Analyse ein. Die Corona-Welle zeigte diesen Verlauf unabhängig davon, ob die jeweilige Regierung einen harten Lockdown angeordnet hatte oder nicht. „In den Ländern, die einen Shutdown vollzogen, verringerten sich die Neuinfektionen nach fünf oder sechs Wochen. Und die Leute sagen: Schaut, der Shutdown hift uns. Sie haben aber nicht gesehen, dass die Abnahme zur selben Zeit auch in anderen Ländern passierte, die keine extremen Maßnahmen ergriffen haben. Das ist ein psychologischer Effekt. Aber dafür gibt es keinen wissenschaftlichen Beweis. Wenn wir den Shutdown nicht beenden, verlieren wir viel mehr Menschen in der Zukunft.  Wir werden weniger Geld haben, um mit Gesundheitsproblemen umzugehen und Menschenleben zu retten. Nicht nur Corona-Erkrankte, sondern alle Erkrankungen. Die Armut wird steigen, Depressionen und weitere nicht nur seelische Krankheiten, die zum Tod führen können. Das Virus wird nicht verschwinden. Es wird wahrscheinlich noch Jahre bleiben. Aber wenn die Neuinfektionen so gering sind, sind die Maßnahmen nicht angebracht.“ (Ben-Israel in DIE WELT vom 8.5.2020) Bemerkenswert ist, daß die Zahlen im Lagebericht des RKI den Erkenntnissen aus der Labor­umfrage etwa fünf bis sieben Tage hinterherhinken. Diese Verzögerung aufgrund der Be­ar­beitungs­zeit ist der Inkubationszeit noch hinzuzurechnen, wenn es um die Beurteilung der Wirk­sam­keit von ver­­hangenen Schutzmaßnahmen geht. Berücksichtigt man eine etwa 14tägige Verschiebung infolge der In­kubationszeit sowie der Dauer der Bearbeitung der Labortests, so ist der Scheitelpunkt der Wel­le in Deutschland etwa bei Mitte März 2020 anzusetzen, d.h. kurz vor Beginn des „Lockdown“. Das RKI berechnet den Scheitelpunkt der Infektionswelle in Deutschland unter Berück­sichtigung des Verzugs (Nowcasting) auf den 17. März 2020 (Lagebericht vom 20.5.2000, S. 8, Abb. 7). Bemerkenswert ist, daß die Zahlen im Lagebericht des RKI den Erkenntnissen aus der Labor­umfrage etwa fünf bis sieben Tage hinterherhinken. Diese Verzögerung aufgrund der Be­ar­beitungs­zeit ist der Inkubationszeit noch hinzuzurechnen, wenn es um die Beurteilung der Wirk­sam­keit von ver­­hangenen Schutzmaßnahmen geht. Paul R. Vogt weist in diesem Zu­sam­men­hang auf einen weite­ren epidemischen Interpretationsfehler hin, der von manchen Zahlenreportern bis heute tagtäglich wiederholt wird: „Der Vergleich der Gesamtzahl der Toten mit der Gesamtzahl der Infizierten vom selben Tag ist ebenso falsch. Richtig wäre, die Anzahl Toter heute durch die Anzahl tatsächlich Infizierter (inklusive Dunkelziffer) vor 16 Tagen zu dividieren, denn vom Zeitpunkt des «Infiziert-werdens» bis zum Tod vergehen durchschnittlich 16 Tage. Und darum muß man die Gesamtzahl der Toten mit der Gesamtzahl der Infizierten vor 16 Tagen ver­gleichen.  Diese Methode heißt Kaplan Meier Estimator und wird von allen Lebens­ver­siche­rungen be­nutzt. Wieso wurde diese Methode bei der COVID-19 Pandemie bis jetzt nie angewendet?“ Wendet man die Kaplan-Meier-Schätzung ohne Berücksichtigung der Dunkelziffer an, steigt die Sterblichkeitsquote durch Covid-19 – denn vor 16 Tagen waren jeweils noch weitaus weniger Menschen nachweislich infiziert. Voraus­gesetzt, die Zah­len an sich sind valide – davon kann leider weder in Bezug auf die Zahl der tat­säch­lich In­fi­zierten als auch auf die Todesursache nicht ausgegangen werden. Die große Unbekannte ist die Dunkelziffer.

Die Dunkelziffer: Spekulationen, Schätzungen, erste Studien

Die Dunkelziffer der bereits vorhandenen Ausbreitung des neuen Coronavirus wird von manchen Experten auf das 20fache der Positiv-Getesteten geschätzt (Gert Antes im Spiegel vom 31.3.2020). In seinem „Update“ vom 20.4.2020 postuliert Paul Robert Vogt eine Dunkelziffer zwischen 30-90% je nach Land – was ein gutes Zeichen wäre, denn damit würde die Mortalitätsquote sinken und die Immu­ni­sierung wachsen. In der ersten repräsentativen Studie in Deutschland zum neuen Corona­virus ermittelte der Bonner Virologe Streeck für eine Gemeinde im Kreis Heinsberg eine Prävalenz von 15%. Damit sinkt die Mortalitätsrate auf 0.3%, d.h. ein Fünftel der bislang angenommenen Mor­talität. In einer Anfang April von der österreichischen Regierung in Auftrag gegebenen re­prä­sen­tativen Studie mit 1500 Teilnehmern, überschritt die Dunkelziffer (hochgerechnet auf ganz Österreich 28.500 Infizierte) die Zahl der bis dahin positiv getesteten Personen (8.500) um mehr als das Dreifache (Sybille Anderl in der FAZ vom 10.4.2020). Auch die vor­läufige Analyse des prozentualen Ver­hält­nisses der Positiv­befunde zur Gesamt­zahl der Testungen laut Laborumfrage des RKI deutet eher auf eine Ab­schwächung hin: Im März war von Woche zu Woche noch eine Zunahme von etwa einem Prozentpunkt fest­zustellen, der sich zwischen den Variablen „Ausbreitung des Virus“ und „Auf­­deckung der Dunkelziffer“ aufteilt (in welchem Ver­hältnis wissen wir nicht). Im April stagnierte die prozentuale Entwicklung. Bei einer exponen­tiellen Ausbreitung des Virus wäre zu erwarten, daß die Zahl der positiv Getesteten der Zahl der Testungen „davonläuft“ bzw. sich der Prozentsatz der Positivbefunde sprunghaft erhöht. Dies ist bisher in Deutschland nicht der Fall. Ab der 15. Kalenderwoche läßt sich genau das Umgekehrte beobachten: die Zahl der positiven Tests fällt nach unten von der Zahl der Tests ab. Wenn von der Infektion mit dem neuartigen Coronavirus vor allem die mittlere Altersgruppe betroffen ist, aber überwiegend ältere und vorerkrankte Menschen durch Covid-19 gefährdet sind, dann ist die Fokussierung auf die „Ausbreitung der Infektion“ sinnfrei. Erstens ist sie auf­grund der Konfundierung mit der Dun­kelziffer schwer meßbar – die Tester begeben sich in einen Hase-und-Igel-Wett­lauf mit der Dunkelziffer, die sozusagen vom anderen Ende des Feldes ruft „Ick bin schon allhier.“ Es wäre die regelmäßige Testung von repräsentativen Stichproben mit Zufallsauswahl der getesteten Personen notwendig. Diese finden aber bislang nicht statt. Daher kann auch die „Aus­brei­tungs­­geschwindigkeit“ nicht als Cut-off-Kri­terium für die Beendigung der rigiden Schutz­maß­nahmen herangezogen wer­den. Außerdem spricht eine hohe Zahl von Infizierten ohne spürbare Symptomatik eher für eine Gesundung infolge der Immuni­sierung. Am Rande sei angemerkt, die WHO in Windeseile, gültig ab 1. April, eine neue ICD-10-Kategorie eingeführt hat, mit Hilfe derer Covid-19 attestiert werden kann, ohne daß eine Laboruntersuchung vorliegt: Mit dem Code „U07.2 !“ sollen „Verdachtsfälle“ (Paranthesezeichen von der Kassen­ärzt­lichen Bundesvereinigung) ko­diert werden, bei denen klinisch-epidemiologisch eine Covid-19-Erkrankung diag­nostiziert wurde – also Husten, Schnupfen, Fieber –, aber SARS-CoV-2 durch einen Labortest nicht nachgewiesen werden konnte. „Das hat die Welt­ge­sund­heits­organi­sa­tion festgelegt, um die Fälle besser unterscheiden zu können“, schreibt die Kassen­ärztliche Bundesvereinigung in ihrer „PraxisInfo Corona­virus“ vom April 2020. Im Lagebericht vom 13.4. (S. 6) beteuert das RKI, daß nur Fälle veröffentlicht werden, bei denen eine labordiagnostische Bestätigung un­ab­hängig von kli­ni­schen Bild vorliegt.

In seiner oben bereits erwähnten Übersicht zur Verbreitung und Lethalität von Covid-19, die John Ioannidis im Herbst 2020 für die WHO zusammenstellte, betrug die Infektions-Fatalitätsquote 0-1.63% (im US-Bundesstaat Louisiana). Aufgrund dieser großen Spannbreite kam Ioan­nidis zu dem Schluß, daß eine klassische Meta-Analyse, um die Daten mehrerer Studien zusammenzufassen, nicht in Frage komme. Vielmehr grup­pierte er die Ergebnisse anhand des globalen Mittelwertes (118 Coronatote /1 Million Einwohner): in 51 Regionen, die unter diesem Mittel­wert lagen, betrug die Fatalitätsquote 0.09%, in Regionen mit überdurchschnittlicher Mor­talität schwankte die durchschnittliche Fatalitätsquote zwischen  0.20% und 0.57%. Bei Menschen, die jünger als 70 Jahre waren, lag die krude Fatalitätsquote bei 0.31%, nach statischer Korrektur bei 0.05%.

Ioannidis folgerte, daß die Sterblichkeit an Covid-19 damit deutlich unter den Befürchtungen vom Beginn der Pandemie und den Zahlen aus Wuhan einzustufen sei. Regionale Unterschiede ergeben sich in Folge der Altersstruktur der Bevölkerung, Bevölkerungsdichte und der Vorbelastung mit Atemwegserkrankungen, z.B. in Zusammenhang mit der Luftverschmutzung.

Ioannidis’ Metastudie gibt am Ende beiden Lagern recht: den Alarmisten, die nicht genug vor der Gefährlichkeit des neuen Virus warnen und mahnen können, wie auch den Verharmlosern, die Covid-19  keine besondere Gefährlichkeit zuschreiben: Es hängt jeweils von den Kontext­be­din­gungen ab. In einigen wenigen Regionen übersteigt die Tödlichkeit des neuen Virus um das Zehn- bis Zwanzigfache die Tödlichkeit der bekannten Grippeviren. In vielen anderen Regionen ist es aber im Durchschnitt ähnlich oder sogar weniger gefährlich als die Grippe.

Genesen: Wie wird man Covid-19 wieder los?

Die kumulative Häufigkeit der positiven Labortestbefunde sagt nichts über die potentielle Aus­lastung des Gesundheitssystems. Die Zahl der mit dem neuartigen Coronavirus Infizierten wird an einen Punkt kom­men, wo sie Hoffnung stiftet: Je mehr Infizierte in der Summe gezählt werden, die Covid-19 überstanden haben, desto mehr immunisierte Personen gibt es, was in den Anti­körpertests – die technisch wesentlich einfacher und kostengünstiger durchzuführen sind – einen Evidenz­nachweis finden wird. In erster Näherung werden in Tabelle 4 die von Covid-19 gesundeten Personen subtrahiert, um zu einer Schät­zung des Anteils der Menschen mit „klinisch aktiver Symp­tomatik“ zu gelangen. Folgende Abbildung stellt den Anteil der „Genesenen“ in Bezug auf die Zahl der Fälle dar, in denen überhaupt Angaben zu einer kli­nischen Symptomatik an das RKI gemeldet wurden:

Datum

positiv kum

klinische Angaben

gene­sen

gene­sen klin %

gene­sen Total %

25.03.

31.554

22.581

-5.600

24.8

17.8

01.04.

67.366

48.767

-18.700

38.3

27.8

08.04.

103.228

77.538

-46.300

59.7

44.8

15.04.

127.584

104.218**

-72.600

69.7

56.9

22.04.

145.694

115.384

-99.400

86.1

68.2

29.04.

157.641

126.880

-120.000

94.6

76.1

06.05.

164.807

134.728

-137.400

—*

83.4

13.05.

171.306

142.118

-148.700

—*

86.8

20.05.

176.007

147.398

-156.900

—*

89.1

27.05.

179.364

151.106

-162.800

—*

90.8

03.06.

182.370

154.532

-167.300

—*

91.7

Tabelle 4: RKI- Schätzungen zur Zahl der Genesenen, * ab Mai 2020 übertrifft die Zahl der vom RKI als „genesen“ geschätzten Personen die Zahl derjenigen, zu denen dem RKI Angaben zu einer klinischen Symptomatik vorlagen, was bedeutet, daß das RKI alle positiv getesteten Personen als „erkrankt“ betrachtet, auch wenn ihm dazu keine Angaben vorlagen. **Angabe im Lagebericht des RKI erscheint fehlerhaft.

Genesen_2020_04_30

Abbildung 2: Prozentsatz der von Covid-19 genesenen Personen, in Bezug auf die Zahl der Personen, zu denen Angaben zu einer klinischen Covid-19-Symptomatik vorlagen, im April 2020

Ab dem 8.4.2020 revidierte das RKI seine Schätzung zu den Infizierten mit klinischer Covid-19-Symp­­­tomatik, die wieder genesen seien. Es handelte sich um über 60% der Pa­tienten, Tendenz rasant steigend. Mittlerweile hat der recovery-Prozentsatz bereits 95% überschritten. Diese Zahl ist für die Fra­ge, wie stark das Ge­sund­­heitssystem durch die Be­hand­lung von Covid-19 belastet ist, von großer Trag­­weite, reicht aber nicht aus, um gesundheitspolitische Entscheidungen zu treffen. Bei einem Großteil handelt es sich um Spontan-Remissionen, d.h. die Infizierten mit kli­nischen Symp­tomen wie Hu­sten, Schnupfen und Fieber sind ohne weitere medizinische Versorgung im Laufe ihrer häuslichen Quarantäne wieder gesund ge­worden. Die Verläßlichkeit der An­gaben zur Zahl der Genesenen ist daher zweifelhaft und wird – wie auch die Dun­kelziffer selbst – wegen der hohen Anzahl milder Ver­läufe mutmaßlich unter­schätzt. Umso erstaunlicher, daß viele Zahlen­reporter in den täglichen Nachrichten die Zahl der „nachweislich Genesenen“ vermelden – woher sie diese nehmen, weiß Gott allein. Vielleicht glauben sie, wenn von „nachweislich Infizierten“ die Rede ist, müsse per Analogieschluß wohl auch von „nachweislich Genesenen“ gesprochen werden können. Dabei handelt es sich jedoch nur um eine sprachliche Suggestion, leider ohne Evidenz­nachweis. Es wäre tatsächlich wünschenswert, wenn Antikörpertests im selben Umfang wie Corona-Labortests durchgeführt und dokumentiert werden würden. Nils Kucher, Angiologe und Kardiologe an der Universität Zürich, bescheinigte der im März und April 2020 praktizierten Covid-19-Fern­diag­nose per Telefon und der im positiven Falle folgenden Quarantäne jedoch einen gravierenden ärzt­lichen Kunst­fehler: Zwar erholt sich ein Großteil der Patienten zu Hause von der Covid-19-Symp­to­matik, bei ca. 10-15% entwickeln sich jedoch schwere Verläufe, die zu Hause nicht versorgt wer­den kön­nen. Daraus ergibt sich ein fundamentales Paradoxon: Einerseits wäre auch bei einem kumulativ ex­ponen­­tiellen Wachstum der Zahl der Infizierten aufgrund der hohen Zahl der Spontan­remis­sionen in der klinischen Praxis ein exponentieller Ansturm auf die Kliniken aus­geblieben. Andererseits wurden Covid-19-Patienten, geschürt von den Bildern aus der Lombardei, aus Furcht vor der Überlastung der Kliniken und Intensivstationen in die häusliche Quarantäne geschickt. Offen­sicht­lich starben mehr Patienten mit schweren Verläufen zu Hause oder in Heimen als in den Krankenhäusern. Wie sich die Auslastung des Gesundheitssystems während der Corona-Zeit tat­säch­lich entwickelt hat, be­schäftigt uns im folgenden Abschnitt.

Schiedsrichterentscheidungen

Ab wann ist das deutsche Gesundheitssystem überlastet?

Ent­scheidend für die Überlastung des Gesundheitssystems ist vielmehr die Ge­schwin­digkeit, mit der ITS-Betten von Covid-19-Patienten belegt werden und wie sich die Ver­weil­dauer von Covid-19-Pa­tienten auf der ITS erhöht. Oder um es ressourcen­orientiert zu formulieren: Inwieweit die Belegung der vorhandenen ITS-Betten durch Covid-19-Patienten abnimmt. Um die Gefährlichkeit des neuartigen Virus einzuschätzen und an­gemessene gesundheits­poli­tische Ent­schei­dungen zu treffen, sind vor allem die Zah­len zur Ge­ne­sung und ITS-Auslastung re­levant. Tatsächlich war vom 20. März bis zum 3. April 2020 eine rapide Zunahme der ITS-Auslastung in Deutschland durch Covid-19-Patienten zu beobachten. Seitdem ver­lang­samt sich sie sich, stag­niert bzw. geht wieder zurück – nicht zuletzt dank des Ausbaus der verfügbaren ITS-Plätze, viel­leicht aber auch aufgrund der Entscheidung von Patienten oder Ärzten für eine palliativ-medizinische Behandlung, die im Vergleich zum Fetisch ITS in Zusammenhang mit Covid-19 nicht dokumentiert, erfaßt und gezählt wird – was eine weitere gravierende Lücke in den RKI-Erhebungen dar­stellt. Die Leistungs­grenze des in­tensiv­­medi­zi­nischen Ver­sorgungs­­systems in Deutsch­­­­land ist etwa um das Achtfache höher als die gegen­wär­tige Auslastung.

ITS-Auslastung_2020_04_30

Abbildung 3: Enwicklung der ITS-Belegung durch Covid-19-Patienten in Deutschland während der Corona-Zeit (Ende März-April 2020), die obere Linie zeigt die jeweilige Kapazitätsgrenze an

Andere Corona-Zahlen, insbesondere die unsichere Angabe zu den sogenannten „Corona-Toten“, die un­­ablässig von manchen Zahlenreportern verkündet werden, sind sachlich irrelevant, da die Todes­ur­sache nicht näher untersucht und spezifiziert wurde. Die Ländertabelle des DIVI-In­ten­siv­registers offenbart darüberhinaus, daß lediglich in Bayern, NRW und Baden-Würt­temberg Covid-19-Patienten in nennenswerter Zahl auf der ITS liegen: In diesen Bundesländern schwankt die Auslastung der ITS durch Covid-19 stabil zwischen 17% (BW), 18% (BAY) und 16% (NRW). Von einer apokalyptisch hereinbrechenden Über­forderung des bay­rischen, baden-württembergischen und nordrhein-west­phälischen Gesundheitssystems kann keine Rede sein – in den übrigen Bun­des­ländern ohnehin nicht. Insgesamt stehen momentan über 40% der ITS-Plätze in Deutschland leer, d.h. sie wer­den weder durch Covid-19-Patienten noch durch ander­weitig Erkrankte in An­spruch genommen. Auch eine „Ausweitung der Kampfzone“, d.h. eine Näherung an eine kritische Auslastung in einzelnen Bundesländern ist nicht in Sicht. Gunnar Jeschke resümierte in seinem Beitrag auf dem Blog des FREITAG am 5.4.2020: „Bei der Ab­wägung ist zu berücksichtigen, daß das Gesundheitssystem gegenwärtig nicht überlastet ist, aller Voraussicht nach mindestens weitere drei Wochen lang nicht überlastet sein wird und sehr wahr­scheinlich sehr viel länger nicht. Gleichzeitig braucht man für die Planung unbedingt zu­verlässige Kennzahlen. Es ist höchste Zeit, ein Programm repräsentativer Tests zu starten. Damit – und nur damit – erhält man auch eine brauchbare Abschätzung der absoluten Infektionszahlen. Diese wie­derum braucht man unbedingt für eine realistische Vorhersage von Epidemieszenarien.“ Verschärfend ist dem hinzuzufügen, daß die Empfehlung, bei Erkrankung an Covid-19 zu Hause zu bleiben, um Klinikkapazitäten zu schonen, zur Erhöhung der Sterblichkeit beigetragen hat: Letzen Endes standen viele Kliniken und ITS während der Scheitelwelle der Infektion leer. Patienten mit schweren Verläufen hatten eine hohe Wahrscheinlichkeit, ohne umfassende medizinische Diag­nose in häuslicher Quarantäne zu sterben.

Multimorbidität und Implikationen für die ITS-Praxis

Bereits am 17. März 2020 veröffentlichte das italienische Gesundheitsinstitut (Instituto Superiore di Sanita, ISS) ein Papier, in dem nähere Angaben zu 2003 verstorbenen Covid-19-Patienten aus­ge­wer­tet wurden. Der Altersmedian lag bei 80.5 Jahren, dabei war der jüngste Verstorbene 31, der älteste 103 Jahre alt. Von 355 Verstorbenen (17.7%) konnten aus den Krankenakten die Vorerkrankungen ermittelt werden, woraus sich folgendes Bild in Bezug auf die vorhandenen Vorerkrankungen ergab:

Vorerkrankung

N

%

Arterielle Hypertonie (Bluthochdruck)

270

76.1

Diabetes mellitus

126

35.5

Koronare oder Ischämische Herzkrankheit (CIHK)

117

33.0

Herzrhythmusstörung (Vorhofflimmern)

87

24.5

Aktiver Krebs in den letzten 5 Jahren

72

20.3

Chronisches Nierenversagen

64

18.0

Schlaganfall

34

9.6

chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD)

47

13.2

Demenz

24

6.8

Chronische Lebererkrankung

11

3.1

Tabelle 4: Vorerkrankungen von Verstorbenen im Zusammenhang mit Covid-19 in Italien (Quelle: ISS, 17.3.2020), N=355

Bei knapp der Hälfte der untersuchten Verstorbenen lagen drei dieser Vorerkrankungen parallel vor (48.5%), bei jeweils einem Viertel waren zwei (25.6%) bzw. eine (25.1%) vorhanden. Nur bei drei Verstorbenen (0.8%) wurde keine Vorerkrankung in den Akten festgestellt. Komplikationen resultierten am häufigsten durch Atemversagen (97.2%), darüberhinaus durch akute Nierenschäden (27.8%) sowie von akuter Herzinsuffizienz (10.8%) und Superinfektion (10.2%). Die Behandlung umfaßte in der Hauptsache eine Therapie mit Antibiotika (83%), mit Steroiden (27%) sowie mit antiverialen Medikamenten (52%). Darüberhinaus beobachtete Nils Kucher, daß nicht allein das akute Atemnotsyndrom (ARDS) bei Covid-19 zu schwierigen Verläufen bis hin zum Tod beitragen kann, sondern Lungenembolien, d.h. Verstopfungen der Blutgefäße in der Lunge durch Gerinnsel. Die äußerlichen Symptome ähneln denen einer Lungenentzündung: Atembeschwerden, verbunden mit Schmerzen im Brustkorb und Fieber. „Wir messen hohe Kon­zen­trationen von Blut­ge­rinnungs­faktoren wie Fibrinogen und dessen Spaltprodukte, die D-Dimere. Das führt letztendlich zu Thrombosen und Lungenembolien. Wichtige Gefäße verstopfen. Der Patient stirbt. Und zwar schnell – so wie auch ein Schlaganfall oder Herzinfarkt rasch zum Tode führen kann. Meine Hypothese ist, dass viele gar nicht mehr dazu kommen, den Notruf zu starten, weil es ihnen plötzlich so schlecht geht.“ (Kucher im Tagesspiegel vom 20.4.2020). Diese mögliche Todes­ursache bei Covid-19-Patienten ist bisher nur sel­ten genauer untersucht worden. Lungenembolien können vor allem mit Hilfe der Com­puter­tomographie (CT), die bereits von chinesischen Forschern als validere Diagnosetechnik als der PSR-Labortest für Covid-19 empfohlen wurde. Auf den ITS werde die Durchführung von CT’s wegen der Infektionsgefahr jedoch vermieden. „In einer Studie an zwei Unikliniken in Holland fanden die Forscher bei 18 Prozent der Covid-19-Patienten Gerinnsel. In einer Mailänder Klinik wurden unter 388 Covid-19-Patienten bei fast acht Prozent Lungenembolien entdeckt.“ Das entsprach 36% der mit bildgebenden Verfahren untersuchten Patienten (Lodigiani 2020), da überhaupt nur 10 Prozent aller Covid-19-Patienten auf Embolien untersucht wurden. Kucher stellt daher die bisherige medizinische Behandlung von Covid-19-Patienten grundsätzlich in Frage: Weder das RKI noch Schweizer Behörden hätten die Frage beantworten können, wo Corona-Tote tatsächlich versterben. In Kuchers eigenen Anfrage an die großen Krankenhäusern der Schweiz ergab sich, daß es am 20. April insgesamt 206 Verstorbene in den Kliniken gegeben habe. Zugleich wurden aber für diesen Tag 1500 Corona-Tote in der Schweiz gemeldet. „Mein Fazit also: Der Großteil der Menschen stirbt zu Hause oder im Heim. Und das zeigt, dass wir das Virus gar nicht verstanden haben. Wir haben es von Anfang an falsch eingeschätzt. Alle haben sich auf die Krankenhäuser gestürzt, die Intensivstationen wurden vorbereitet, man hatte Angst, sie würden überlastet – doch in vielen Krankenhäusern herrschte statt dessen gähnende Leere. Deshalb hoffe ich, daß wir Patienten künftig besser untersuchen, dass wir mehr Tests durchführen, ihre Blutwerte untersuchen. Ich vertrete folgende Hypothese: Wenn wir in Zukunft Todesfälle durch Embolien verhindern können, dann ist das Virus nicht mehr ganz so gefährlich.“ (Nils Kucher auf Focus Online vom 14.5.2020) Für die Therapie ergibt sich daraus die Perspektive, durch die Behandlung mit Medikamenten zur Blut­ver­dünnung (z.B. Enoxaparin) Gerinnsel in der Lunge zu verhindern und damit viele Er­krank­te mit schwerer Symptomatik zu retten. An der Uniklinik Zürich hat Nils Kucher dazu eine RTC-Studie mit 1000 Covid-19-Patienten über 50 Jahre angeregt, von denen randomisiert eine Hälfte mit Blutverdünnern behandelt werden sollen, während die andere Hälfte als Kontrollgruppe die Standard-Behandlung erfährt. Bislang beteiligen sich daran weder Pharmakonzerne, deren Patente an den entsprechenden Medikamenten bereits ausgelaufen ist und daher kein Interesse mehr besteht, noch Bundesbehörden, da der Schweizer Nationalfonds seine Gelder bereits Anfang März verteilt habe: Wieder wurde eine Chance vertan, wohl weil sie zu einfach, zu naheliegend und zu billig erschien. Wie bereits die Empfehlung, Obduktionen zu meiden, erwiesen sich auch die Empfehlungen, Men­schen mit Covid-19-Symptomen am Telefon ärztlich zu beraten und dann in die häusliche Quarantäne zu schicken sowie Covid-19-Patienten  auf den Intensivstationen keiner bildgebenden Diagnostik zu unterziehen, auch wenn diese angezeigt wäre, allein virologisch motiviert: Es sollten um jeden Preis weitere Ansteckungen verhindert werden. Die Patienten angemessen medizinisch zu be­handeln, wurde gänzlich unterlassen oder stand erst an zweiter Stelle: eine ethische Fehl­entscheidung. Die gesundheitlich risikoreiche und teure Fremdbeatmung dominierte die Diskussion. Die Zahl der beanspruchten Beatmungsplätze wird vom RKI täglich dokumentiert. Ausgeblendet wird, daß die künstliche Beatmung in zahlreichen Fällen aufgrund von Thrombosen der Lungen­gefäße nicht erfolgreich sein kann und einen ärztlichen Kunstfehler darstellt. Allgemein gesprochen: Die Engführung der Betrachtung durch die Reduktion auf die virologische Perspektive hat tödliche Folgen. Sie zu kor­ri­gieren, bedeutet, medizinische und schließlich auch psychologische sowie pä­dagogische Gesichtspunkte synchron zu berücksichtigen – diese Perspektiverweiterung mußte sehr mühsam eingefordert werden. Von Verfechtern der reinen virologischen Lehre wird sie anhaltend verdrängt. Klaus Püschel, Rechts­medi­ziner am UKE und Mitglied der Leopoldina, fand nach Obduktion der bislang etwa 192  Hamburger „Corona-Toten“ bei keinem einzigen die Infektion mit dem neuen Virus als alleinige Todesursache, dafür in der Regel mehrere gravierende Vorbelastungen, vor allem:

  • Lungenembolien (ca. bei 50% der Verstorbenen, vgl. Wichmann et al., 2020 zu den ersten zwölf Autopsien)
  • kardiovaskuläre Erkrankungen (CV) wie Bluthochdruck, Herzinfarkt, Arterio­sklerose
  • Diabetes
  • Krebs
  • Lungenerkrankungen
  • Übergewicht
  • Organtransplantationen

Nicht immer wußten die Betroffenen selbst etwas davon. Das Durch­schnitts­alter der Obduzierten lag bei über 80 Jahren. (Püschel in der Tagesschau am 21.4.2020). Alexandar Tsankov, Pathologe an der Uni Basel, stellte bei ca. 20 Obduktionen außerdem fest­, daß alle „Corona-Toten“ ausnahmslos an Blut­hoch­druck gelitten hatten. Nur in wenigen Fällen sei eine Lungenentzündung aufgetreten, viel­mehr sei unterm Mikroskop bei den meisten Verstorbenen eine schwere Störung der Mikro­zirkulation in der Lunge feststellbar ge­wesen.  Daraus würden sich die Schwierigkeiten erklären, die bei der künstlichen Beatmung von Covid-19-Patienten in der ITS-Praxis auftreten. „Man kann den Patienten soviel Sauerstoff geben, wie man will, der wird dann einfach nicht mehr weiter transportiert.“ (Tsankov in der SZ vom 21.4.2020). Eine für die Behandlung der von Covid-19 verursachten Atemnot entscheidende Er­kenntnis. Am Uniklinikum der RWTH Aachen wurde Mitte April 2020 ein zentrales Register für Covid-19-Ob­duk­tionen eingerichtet. Mit ersten Auswertungen und Veröffentlichungen sei in frühestens einem halben Jahr zu rechnen (Karl-Friedrich Bürrig in der SZ vom 21.2.2020).

Das neue Virus wird harmloser!

Eine der für medizinische, aber auch juristische Gesichtspunkte entscheidenden Fragen betrifft die Entwicklung des neuen Coronavirus: Wird es im Laufe der Zeit, d.h. im Zuge der für RNA-Viren typischen zahllosen Mutationen, für den Menschen gefährlicher oder harmloser?

Vermeintlich liegen uns dazu keine Erkenntnisse vor. Die Erfahrung mit SARS-1 und MERS aus den letzten Jahren legt nur nahe, daß das neue Virus wahrscheinlich im Laufe der Zeit harmloser wird. Es hat evolutionsbiologisch wenig Sinn, wenn es seine Wirtsorganismen vermehrt umbringt. So resümierte Christian Drosten in seinem „Corona-Update 47“ vom 11.6.2020: „Und dieses An­passen, das kann eben durch zueinander Zufügen von unterschiedlichen Mutationen in unter­schiedlichen Populationsabteilungen passie­ren. Und die phänotypischen Veränderungen, die dabei entstehen können, wären zum Beispiel, dass das Virus noch besser in der Nase repliziert und besser über­tragen wird. Aber in der Nase werden wir nicht allzu krank davon. Das heißt, das Ganze wird auf lange Sicht zu einem Schnupfen, der sich für die Lunge gar nicht mehr interessiert. So etwas könnte passieren.“ Drosten relativiert dieses Szenario auf seine gewohnt flapsige Art im nächsten Atemzug und kehrt es in sein direktes Gegenteil um: „Das Virus optimiert sich auf die Nase und sagen wir mal, lässt die Lunge außer Acht, dann wird das ein Vorteil für das Virus sein. Im anderen Fall, wenn das Virus in seiner Evolution das allgemeine Replikationsniveau steigert, dann haut das überall so richtig rein – in der Nase, aber auch in der Lunge. Und wir fühlen uns dann schneller krank oder viel mehr von uns fühlen uns krank.“

Bevor wir beginnen, auf Grundlage von Spekulationen auf Molekülebene gesundheitspolitische Horrorvisionen zu entwickeln, lohnt es sich, einen Blick auf die tatsächliche Entwicklung der Fallzahlen der Patienten mit Covid-19 in den Intensivstationen zu werfen. Während zu Beginn des Lockdown die befürchtete Überlastung des Gesundheitssystems zum Rechtfertigungsgrund für die grundrechtseinschneidenden Maßnahmen herangezogen wurde, ist es medial in den letzten Monaten bemerkenswert still um die Situation der ITS geworden. Nun neigen sich die Sommerferien des Jahres 2020 dem Ende zu, etliche Urlaubsrückkehrer haben mit PCR-Positivbefunden für Aufsehen  gesorgt. Weiterhin wird – genau wie im März und April – im Halbstundentakt die Absolut­zahl der Infizierten berichtet, als handele es sich um eine valide und interpretierbare Größe.  In einigen Bundesländern hat die Schule bereits begonnen und das Bekanntwerden einzelner Infek­tionen – hier ein Schüler, dort eine Lehrerin – genügte, um ganze Schulen vorübergehend zu schließen.

Tatsächlich beobachten wir eine Schere zwischen der Zahl der PCR-Positivbefunde und der Schwere der Krankheitsverläufe. Ein aussagekräftiges Maß für diese Entwicklung ist der Anteil der ITS-Patienten an der Zahl der aktiven Fälle. Betrachten wir die vom RKI zusammengeführten Angaben der deutschen Gesundsämter, so ist von Mitte April bis Mitte Juli eine kontinuierliche, ja dramatische Abnahme der aktiven Fälle um das Zehnfache, von ca. 50000 auf ca. 5000, festzustellen. Die Zahl der Positivbefunde war zum Anfang des Sommers so gering, daß Gesundheitsminister Spahn bereits auf die Gefahr hinwies, Falsch-Positiv-Befunde könnten zu einer Überinterpretation der Fallzahlen beitragen: „Weil die Tests ja nicht 100 % genau sind, sondern auch eine kleine, aber eben noch eine Fehlerquote haben. Und wenn sozusagen insgesamt das Infektionsgeschehen immer weiter runter geht und sie gleichzeitig das Testen auf Millionen ausweiten, dann haben sie auf einmal viel mehr falsch-positive als tatsächlich positive.“ (in: „Bericht aus Berlin“ vom 14.6.2020)

Von Mitte Juli bis Mitte August 2020 zog die Zahl der (Falsch-) Positiv-Befunde wieder an, im übrigen synchron zur gesteigerten Testaktivität, mit der die Urlaubsrückkehrer willkommen ge­heißen wurden. Was geschah im selben Zeitraum mit der Zahl der wegen Covid-19 auf einer ITS behandelten Patienten? Diese Gruppe scheint aus dem Fokus der Medien beinahe vollkommen verschwunden zu sein, obwohl es doch ursprünglich vor allem um die ITS-Kapazitäten, so die Vorgabe, ging. Für den totalen Verlust an öffentlicher Aufmerksamkeit für die coronainfizierten ITS-Patienten ist ein triftiger Grund zu nennen: Ihre Zahl nimmt, ungeachtet der Urlaubsreisen und Schul­öffnungen, seit Mitte Mai stetig ab! Wir haben auf der einen Seite also in der zweiten Sommerhälfte wieder moderat steigende (Falsch-) Positivbefunde, auf der anderen Seite kontinuierlich sinkende Coronafallzahlen auf den ITS. Der Quotient zwischen  der Zahl der ITS-Patienten mit Corona und der aktiven Fällen drückt diesen Sachverhalt plastisch aus:

ITS vs aktive Fälle 2020_12_30

Abbildung 4: Verhältnis der Zahl der in Zusammenhang mit Covid-19 auf der ITS behandelten Patienten zur Zahl der aktiven Fälle in %  (Daten laut RKI entsprechend Tabelle 3).

Mit anderen Worten: das Corona-Virus hat seine epidemiologische Gefährlichkeit in den letzten Monaten stark eingebüßt. Obwohl es sich wieder zu verbreiten scheint (wenn es sich nicht um Meßfehler handelt), verharrt der Anteil schwerer Krankheitsverläufe an den „aktiven Fällen“ im unteren einstelligen Prozentbereich. Dies bedeutet nicht, daß es im Einzelfall keinen schweren Verlauf geben kann. In der Summe treten schwere Verläufe jedoch viel seltener auf. Warum berichtet darüber niemand? Der beruhigende Kern dieser Erkenntnis geht unter anderem darauf zurück, daß die Zahl der ITS-Patienten eine recht valide Größe darstellt, repräsentativ für alle ITS und weitaus weniger fehleranfällig erfaßt wird als der Genomabschnitt, den wir seit Januar das neue Coronavirus nennen.

ITS-Kapazitäten in europäischen Ländern

Zum Vergleich sei die Auslastung der intensivmedizinischen Ver­sor­gung in den Regionen Italiens aufgeführt, also in einem Land mit einer hohen berichteten „Mortalität im Zusammenhang mit Covid-19“. Die Aufstellung läßt erkennen, daß auch in Italien die medizinische Versorgung nicht flächendeckend kollabiert ist. In einzelnen Orten und Regionen mußte von einer Überforderung der Ver­sorgungs­strukturen gesprochen werden, insbesondere in der Lombardei. In den übrigen Regionen erscheint die Auslastung mit der Beanspruchung der Intensiv­medizin in Deutschland vergleichbar bzw. fällt sogar niedriger aus, was in den schockierenden Medienberichten über Italien nicht zur Sprache kam. Zu berück­sichtigen ist allerdings, daß die Kapazität an intensiv­medizinischen Be­hand­lungs­plätzen in Italien insgesamt geringer ausgebaut ist als in Deutschland. So ver­fügte die Lombardei vor dem Ausbruch von Covid-19 nur über 650 ITS-Plätze, Ende März 2020 bereits über 1328, wobei die ­eilig neu geschaffenen ITS-Betten nur minderwertig aus­gestattet sind (Quelle: Davide Manca, ESA European Society of Anaestetiology, Stand 31.3.2020).

Region

Patienten auf der ITS

Lombardei

1317

Piemont

444

Emilia-Romana

375

Venetien

329

Toscana

276

Latium

197

Ligurien

165

Apulien

159

Marche

151

Kampanien

108

Trento

80

Sizilien

76

Abruzzen

67

Bolzano

53

Friuli-Venedig Giulia

50

Umbria

45

Sardinien

25

Aosta Tal

23

Basilicata

18

Kalabrien

13

Molise

6

Summe

3977

Tabelle 5: Covid-19-Patienten in intensivmedizinischer Versorgung in Italien (Quelle: Statista, Stand: 5. April 2020)

Einen Überblick zur Beanspruchung der Gesundheitssysteme in Europa gibt die Corona-Datenbank der TU Berlin (Reinhard Busse et al.). Zeynep Or, Forschungsdirektorin am Institut de recherche et documentation en économie de la santé (IRDES) hat sie in einer Graphik zusammengefaßt:

Zeynep Or - Hospitalisations in Europe

Abbildung 4: Zahl der Krankenhauseinweisungen und Tests in Zusammenhang mit Covid-19 in Europa (Stand 24.4.2020)

Offenkundig variiert die Belastung der Gesundheitssysteme sehr stark. Dabei geht eine hohe Test­aktivität, insbesondere auch bei asymptomatischen Teilen der Bevölkerung, mit einer relativ gerin­gen Zahl an Kranken­haus­ein­weisungen einher. Das heißt, je mehr infizierte Personen tatsächlich auch positiv getestet und damit in Quarantäne geschickt werden, desto weniger Behandlungen im Krankenhaus und auf der ITS sind notwendig. Im Vergleich zum permanenten Fiebermessen auf Taiwan erweist sich der Weg des Labortests, den einige westliche Länder beschreiten, immerhin als zweitbeste Lösung. Von allen europäischen Ländern versucht allein Schweden beharrlich, die Gefährdung durch das neue Virus und die gesellschaftlichen Kosten, die mit der Verlangsamung der Infektion verknüpft sind, im Gleichgewicht zu halten, Selbstverantwortung und Freiheit als Einsicht in die Not­wen­dig­keit weiterhin den mündigen Bürgern zu überlassen. Sicherlich wäre es für Anders Tegnell, den  schwedischen „Staatsepidemiologen“, beruhigend zu wissen, wie sehr sich Covid-19 in einem reprä­sentativen Bevölkerungsquerschnitt bereits verbreitet hat und „Herden­immunität“ ent­stan­den ist. Immerhin soll die Zahl der Testungen nun auf 50 bis 100.000 pro Woche erhöht (bisher in der Summe erst 75.000 Tests) und auf alle Arbeitnehmer ausgeweitet werden – was eher ein re­prä­sentatives Bild ergäbe, als würde man nur Menschen mit Erkältungssymptomen testen. (Quelle: Diana Prutzer in der Südwestpresse vom 24.4.2020). Das Vertrauen auf die Selbstverantwortung der Bürger ist einer demokratischen Gesellschaft würdig. Epidemiologisch gestützt wird es zudem durch das grundsätzliche Wissen um die Non­linea­rität des Infektions­verlaufs. Die unbekannten Parameter in dieser Rechnung und auch der Verzicht auf die vergleichsweise „smarten“ Maßnahmen nach dem taiwanesischen Modell erfordern recht großen Mut.

Spitzenspiel

Ende März: Hochrechnung zur ITS-Auslastung in Deutschland

9.5% der in Deutschland positiv getesteten Personen wurden bis Ende März in ein Krankenhaus auf­­­­genommen, 1.5% litten an einer Lungenentzündung (RKI Lage­bericht vom 1.4.2020, S. 5, hier jedoch bezogen auf die Gesamtzahl der Positiv Ge­testeten ein­schließ­­lich der Menschen ohne Angaben zu einer klinischen Symptomatik). Wagen wir auf dieser Grundlage eine grobe Schätzung: Ab April 2020 soll die Zahl der Tests in Deutsch­land auf 200.000 pro Tag erhöht wer­den. Damit  ist zu erwarten, daß auch die Zahl der positiv getesteten Men­schen weiter steigt (siehe die farbig unterlegte Zeile für den 17.4. in Tabelle 2). Prozentual ist von einer Abnahme der Zahl der Infizierten auszugehen, wenn die Ränder des Dunkelfeldes erreicht werden und sich die Ausbreitung des Virus nicht beschleunigt. Für die Prognose behalten wir den bisher stabilen Wert von 7% jedoch bei. Kalkuliert man kon­servativ, daß kein Covid-19-Patient ent­lassen wird (was unrealistisch ist), ergäbe sich für Mitte April eine Betten­belegung von 25953. Bei 4095 Patienten würde eine Lungen­entzündung auftreten. Tatsächlich sind viele der seit Anfang März wegen Covid-19 im Krankenhaus unter­gebrachten Patienten wieder entlassen worden. Knapp jeder dritte Patient überlebt die intensivmedizinische Behandlung nicht – das RKI weist die Mortalitätsquote der Covid-10-Patienten auf der ITS konstant mit ca. 30% aus. In seiner eigenen Modellierung vom 20. März geht das RKI von 14 Tagen Aufenthalt im Krankenhaus und 10 Tagen auf der ITS aus. Dies entspricht auch den italienischen Erfahrungen (Davide Manca, Mitteilung vom 18.3.2020). Es ist nicht anzunehmen, daß die Patienten in Zukunft vier bis sechs Wochen, sondern weiterhin etwa 10-14 Tage stationär behandelt werden, viele noch kürzer, einige mit schweren Verläufen auch länger. Dies be­deutet, daß die Betten­auslastung Mitte April bei kon­servativer Schätzung etwa mit 8651 anzusetzen wäre (wobei sich Schätzungen dieser Art natürlich in einem Fehler­intervall bewegen). Voraus­sichtlich müßten nicht alle dieser Pa­tienten auf der ITS versorgt werden, denn „nur“ ca. 5% der Covid-19-Patienten entwickeln eine lebens­be­droh­liche Atemwegserkrankung. Um einzuschätzen, wann das Gesundheitssystem angesichts der Herausforderungen durch Covid-19 als überfordert gilt, muß zum einen die Zahl der verfügbaren Be­atmungsplätze als auch der primär palliativ zu behandelnden Patienten be­rück­sichtigt werden. Ende März standen in Deutschland ca. 16000 von 33000 Betten für Covid-19-Patienten zur Verfügung. Davon war die Hälfte der Betten frei. Die andere Hälfte könnte laut RKI binnen 24 Stunden neu belegt werden. Eine Über­forderung des medi­zinischen Systems er­scheint da­mit unwahrscheinlich. Die hier vorgenommene Schätzung ist nicht „smart“ in dem Sinne, daß sie lokale Unterschiede berücksichtigt. Es kann in einigen Regionen vorkommen, etwa in Bayern, Baden-Württemberg, NRW und Hamburg, daß die Betten ausgelastet sind, während sie in anderen Bundesländern weiter­hin frei stehen. Diese Situation ist nicht neu, sie besteht auch für andere Krankheiten. Für eine optimale Nutzung erscheint eine trägerübergreifende Vernetzung der Kran­kenhäuser vordringlich, so daß Ärzte in Echtzeit sehen können, wo sich die nächst­gelegenen freien Betten­kapazitäten befinden. Mitte März erfolgte die Freischaltung des „Intensivregisters“ im Internet durch die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI), das Robert Koch-Institut (RKI) und die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG). Darüber können freie Beatmungsplätze in allen Kliniken Deutschlands re­gi­striert und abgefragt werden. Mittlerweile ist die Teilnahme am Intensivregister für die Kliniken verpflichtend. Außer in Bayern, Baden-Württemberg, im Saarland, in Hamburg sowie in etwas geringerem Ausmaß in NRW ist die Auslastung der ITS-Plätze durch Covid-19-Patienten momentan gering, vie­ler­orts stehen die Intensiv­stationen leer. Die Abwägung, ob ein flächendeckender wirtschaftlicher und sozialer Ruin oder einige Hubschraubereinsätze zu Krankenhäusern mit freien Be­atmungs­plätzen billigend in Kauf genommen werden sollten, dürfte nicht schwer fallen. Das moralische Dilemma, das häufig als unzumutbar für die behandelnden Ärzte bezeichnet wurde und ein Generalargument für die Kontaktverbote darstellt, wurde im übrigen voraus­eilend von den Kliniken in Angriff genommen: Die Ärzte haben bereits jetzt entschieden, welche Opera­tionen ausgesetzt oder verschoben werden, damit Betten für eventuelle Covid-19-Patienten frei werden. In vielen Kliniken wurden reguläre Operationssäle zu ITS-Stationen umgebaut und stehen seitdem leer. Für den von der Politik gewollten Umbau wurden den Krankenhäusern Prämien gezahlt, auch um den Ausfall der regulären Behandlungen zu kompensieren. Die ethische Frag­wür­digkeit derartiger Entscheidungen wird zu diesem Zeitpunkt dadurch verschärft, daß sie nicht durch eine reale, sondern lediglich durch eine erwartete  Not­lage motiviert sind. Auch viele Pa­tienten haben – verängstigt von den verbreiteten Horrorszenarien – „freiwillig“ oder „von sich aus“ in den letzten Wochen auf Arzt- und Krankenhausbesuche verzichtet und sind womöglich damit tödliche Risiken eingegangen. Auch das Besuchsverbot in den Kliniken hat Menschen mit anderen Erkrankungen als Covid-19 davon abgehalten, sich für einen Krankenhausaufenthalt zu entscheiden.

Mitte April: Resümée zur Hochrechnung

Eine exponentielle Entwicklung der Zahl der positiv getesteten Personen konnte in Deutschland trotz erheblicher Erweiterung der Testkapazität nicht beobachtet wer­den. Die Auslastung der inten­sivmedizinischen Versorgung durch Covid-19-Pa­tien­ten in Deutschland unter­schritt das hier prog­nostizierte Worstcase-Szenario um das Vier­fache. Wichtiger ist jedoch die inhaltliche Interpretation: Offenbar ist eine Über­forderung des deut­schen Gesundheitssystems bisher nicht eingetreten. Den Preis für die vorsorgliche Freihaltung von ITS-Plätzen hatten Patienten mit anderweitigen Erkrankungen zu tragen. Die „Triage“, die es zu ver­meiden galt, wurde in vielen Fällen zeitlich vorgezogen. Ob zu dem bisher glimpfligen Ausgang der Corona-Krise  auch die rigiden Schutz­maß­nahmen  bei­getragen haben, läßt sich kontrovers dis­ku­tie­ren. Aufgrund der Inkubationszeit werden Effekte erst mit einer etwa vierzehntägigen Verspätung sicht­bar. Bisher wurden wir weder Zeugen einer exponentiellen Steigerung der Infiziertenzahlen noch eines Millionenheers von Toten – die Epidemie bleibt für die meisten Menschen abstrakt. In vielen deut­schen Kliniken fahren die Intensivstationen deutlich auf Unterlast. Teilweise werden Ärzte, die eigentlich doch die Helden der Pandemie sein sollten, in Kurzarbeit geschickt. Für die Auf­recht­erhaltung der Restriktionen und Not­maß­nah­men, die von den Regierungen beschlossen wur­den, gibt es daher momentan keine sach­lichen Argu­mente. Das einerseits verspätete und andererseits überhäufte In­kraft­set­zen der Maßnahmen, läßt im Nachhinein keine differenzierte und auf empirische Beobachtung ge­gründete Aussage zu ihrer jeweiligen Wirksamkeit zu. Während in Südkorea und Taiwan dank frühzeitiger und gezielter Prävention kein „Lockdown“ erforderlich war und die Folgen des neuen Virus effektiver als hier­zu­lande begrenzt werden konnten, muß Deutschland mit einer überaus teuren Taktik der Trippel­­schritte eine halb­wegs „smarte“ Strategie, die ein Gleich­ge­wicht zwischen Gesundheitsrisiko und gesellschaftlichem Leben herstellt, erst noch aus­gelotet werden. Zu befürchten ist, daß Bereiche, in denen bisher praktisch keinerlei Gesundheitsgefährdung durch das Virus vorhanden war – beispielsweise Kindergärten und Schulen – noch auf Wochen und Monate in die Einhaltung von Abstands- und Hygieneregeln gezwungen und damit funktions­un­tüchtig gehalten werden.  Nicht nur daß der Umbau der schulischen und frühpädagogischen Infra­struktur und die entsprechende Aufstockung des pädagogischen Personals in dem Maße, wie Klassen verkleinert werden müssten, damit Abstandsregeln eingehalten werden können, alles andere als trivial ist und nicht mal so nebenbei gestemmt werden könnte. Vor allem: Kinder brauchen soziale und – ja, wie konnte das in Vergessenheit geraten? –  körperliche Kontakte, da­mit sie sich psychisch gesund entwickeln. Wir würden also mit pedantischem und hypo­chon­drischem Eifer auf Dauer ein Regime der sozialen Distanzierung in unseren Kindertagesstätten und Schulen etablieren, daß sich aller Voraussicht nach schädlich auswirkt. Da möchte man lieber kein Kind sein müssen, trauriges Europa.

Erst hämmern, dann tanzen – ein Storyteller erobert die westliche Welt

Tomas Pueyo, 1982 in Frankreich geboren, studierte an der Stanford-University Betriebswirtschaft mit den Schwerpunkten Verhaltenspsychologie, Design und Storytelling. Ab dem 10. März 2020 entfaltete er sein er­zäh­le­risches Talent in zwei weitweit beachteten Internetartikeln. Begonnen hatte er zuvor schon mit  Twitter-Meldungen, nun rückte er als Corona-Geschichtenerzähler und viraler Influenzer ins Ram­pen­licht. Sein Erfolgsrezept: kurze Hauptsätze, bunte Graphiken und schließlich die schlichte Präsentation zweier Alternativen – das Virus laufen lassen (R>2) und in die exponentielle Katastrophe rasen oder das Virus ausmerzen (R<0.6), also zerhämmern, und danach mit den Füßen auf ihm herumtanzen, was hierzulande „behutsam lockern“ genannt wird. Würde man die Infektion mit dem neuen Coronavirus einfach laufen lassen, behauptete Pueyo, so wäre auch das beste Gesundheitssystem der Welt innerhalb weniger Tage hoffnungslos überfordert. Zur Ver­an­schau­lichung dieses Schreckenszenarios führte Pueyo folgende Abbildung ins Feld:

Pueyo - ICU

Abbildung 5: Das Schreckensszenario nach Pueyo: Es ist nirgendwo auf der Welt eingetreten.

Bei über zwölf Millionen Patienten in den USA, die wegen Covid-19 ins Krankenhaus eingeliefert werden müß­ten, wären in der Spitze über zwei Millionen Patienten intensivmedizinisch zu be­handeln – das wäre tatsächlich eine Katastrophe, wenn sie denn je eingetreten wäre. In Deutschland sah die Situation die gesamte Corona-Zeit hindurch komplett umgekehrt aus: die Kapazität der ITS-Plätze überstieg den Bedarf um ein Vielfaches, siehe Abbildung 3. Doch nun war das Bild von der Parabel, die von allen „exponentiell“ genannt wurde, in den Köpfen. Als Lösungsstrategie griff Pueyo nun eine nichtpharmazeutische Intervention auf, die der re­nom­­mierte Epidemiologe Neil Ferguson vom Imperial Collage gerade verworfen hatte: den Lock­down.

Pueyo - shutdown

Abbildung 6: Fergusons Annahme einer Verschiebung des Scheitelpunktes der Infektionswelle durch den Lockdown

Während Ferguson davon ausging, daß ein Lockdown die Infektionswelle lediglich in den Herbst verschiebt – und zwar mit umso höherer Wucht, je härter die Restriktionen im Frühjahr greifen – behauptet Pueyo, mit Hilfe des Lockdowns könne der Westen seine Gesund­heits­systeme auf Vordermann bringen, China’s Politik der Restriktionen kopieren und überhaupt von Asien lernen, wie man Infizierte testet, Kontakte nach­ver­folgt und unter Quarantäne setzt. Die versprochene Lösung, besser gesagt: Erlösung, sähe dann so aus:

Pueyo - hammer und dance

Abbildung 7: Pueyo’s Umdeutung des Lockdown als Lösungsstrategie

Indem der Westen, der im Unterschied zu Taiwan den Ausbruch der Pandemie verschlafen hat, die Infektionswelle durch einen Lockdown, der ein paar Wochen durchgehalten werden müsse, zerhämmere, könne er danach beginnen zu tanzen… Die Metapher vom „Austrocknen des Virus“, die der Epidemiologe Michael Meyer-Hermann vom Helmholtz-Institut im Munde führt, beschreibt im Grunde dasselbe. Tomas Pueyo’s Storytelling setzte sich durch, indem er Wörter mied, die allzu  ab­­schreckend klingen: „eindämmen“, „austrocknen“, „Bekämpfung“, „Krieg gegen den un­sicht­baren Feind“ – derartige verbale Grobschlächtigkeiten finden sich in seinen Artikeln nicht. Sie sind im Ton vielmehr von Menschlichkeit und Vernunft getragen. Zwar mag die Rede vom „Ham­mer“ aggressiv klingen, was sie tatsächlich auch ist, die Vision vom „Tanz“ entspricht aber ganz der Erlösungssehnsucht, die westliche Gesellschaften seit biblischen Zeiten anspricht. Pueyo’s Strategie folgt dem Muster der großen eschatologischen Erzählungen. „Pueyo’s article quickly became the defining piece on the outbreak of COVID-19“, bemerkte Ryan Broderick, Reporter bei den BuzzFeed News bereits am 18. März 2020, obwohl Pueyo bei weitem nicht der einzige Corona-Laienprediger im Internet war. Binnen kurzem erreichten seine Artikel nicht nur 50 Millionen Leser in 37 Sprachen, sondern vor allem auch politische Entscheider: darun­ter Kongreß­ab­ge­ordnete, Politiker und Politikberater. Mitarbeiter des deutschen Innenministeriums und des Robert-Koch-Instituts fragten bei ihm nach. „Ich bin auch mit einer Handvoll Regierungen in Kontakt, die ich darin berate, wie sie mit dieser Krise umgehen.“ Er sei froh, in dieser dunklen Stunde etwas Wertvolles beitragen zu können, sagte Pueyo in einem Interview mit dem Capital-Magazin vom 17.4.2020. Mittlerweile warnen die Staatsvirologen hierzulande bereits vor der zweiten Welle, die uns drohe, wenn wir leichtfertig lockern oder um im Bild zu bleiben: wenn wir leichtfüßig tanzen. In unserer Zahlenspiel-Weltmeisterschaft haben wir in Tomas Pueyo den begehrtesten aller Trai­ner kennen­gelernt, um den sich die Kapitäne und Kapitäninnen der Ländermannschaften reißen.

Made by man: Schrecken ohne Ende

Kehren wir also von unserem gedanklichen Ausflug nach Amerika zurück zu Deutschland. Man muß kein Prophet sein, um Fehler in der Strategie zu er­kennen, die von der Bundesregierung spätestens seit Mitte März eingeschlagen wurde. Schon die Prämissen erweisen sich – teilweise von vornherein, teilweise nach wenigen Tagen aufmerksamer Beobachtung der zahlenmäßigen Entwicklung – als falsch: Die Corona-Krise, hervorgerufen durch die politischen Überreaktionen auf das neue Virus, ist nicht ver­gleichbar mit dem Zustand Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg. Dieser Vergleich ist der Bundeskanzlerin mög­licherweise nur rhetorisch „herausgerutscht“, möchte ich wohlmeinend unterstellen, um keine Gedankenlosigkeit behaupten zu müssen. Offen­bart er doch das grund­sätzliche Mißverständnis der sogenannten Corona-Krise durch die Regie­rung: 1945 war Deutschland selbst­ver­schuldet nahezu komplett zerstört, die materiel­len Lebensgrundlagen, Strukturen der Daseins­vorsorge, hatten einen un­er­meß­lichen Schaden erlitten. Deutschland hatte Millionen Menschen den Tod gebracht und selbst Millionen von Todesopfern zu beklagen. Im Jahr 2020 stehen einige Teile der Wirt­schaft und der Kultur still. Finanzielle Schäden lassen sich in Größenordnungen von Milliarden beziffern, aber die Strukturen der Daseinsvorsorge funktionieren uneingeschränkt und die materielle Basis des Wirtschafts- und Kultur­lebens existiert unbeschadet fort. Ergo: Der Vergleich mit der Situation nach dem Zweiten Weltkrieg entbehrt jeder sachlichen Grundlage und erweist sich als Teil einer taktischen Propaganda, die der Bevölkerung auf drastische Weise die Gefährlichkeit der Pandemie suggerieren soll. Die Wissenschaftler, die die Regierung zum Umgang mit Covid-19 beraten haben, sind in An­leh­nung an Tomas Pueyo von drei grundsätzlichen Szenarien der pandemischen Ent­wicklung aus­ge­gangen: a) milder Verlauf mit wenigen Toten, b) mittlerer Verlauf mit einer moderaten Zahl an Verstorbenen und c) exponentieller Verlauf mit Millionen Toten. Nun mag es sein, daß Mitte oder Ende Januar die Ge­fährlichkeit des neuen Virus noch nicht verläßlich einzuschätzen war oder die Daten, die die chinesischen Behörden meldeten, als unglaubwürdig galten. Eine adaptive Strategie – die mit der höchsten Erfolgsaussicht verknüpft ist – nimmt bei einer der­artigen Ungewißheit hinsichtlich der Ausgangsposition zunächst die mittlere Position als gegeben an und beobachtet dann permanent, ob sich die Entwicklung innerhalb dieses Szenarios bewegt, ob sie nach unten in das milde oder nach oben ins Schreckensszenario überspringt. Eine adaptive Strategie in dieser Form ist alles andere als neu. Sie gehört seit der Antike zum Menschheitswissen. Die Bundesregierung hat zutreffend kommuniziert, daß es letztlich auf die Belastbarkeit des deut­schen Gesundheitssystems ankomme. Als Indikator zur Beurteilung der Dynamik der pandemischen Entwicklung wählte sie – bzw. das RKI –  jedoch irrtümlich die Absolutzahl der positiv getesteten Personen, ohne in Rechnung zu stellen, daß diese Ziffer nicht unabhängig von der Teststrategie besteht und daher keinen geeigneten Indikator darstellt.  Denn die Zahl der positiv getesteten Personen besagt wenig bis nichts über die Belastbarkeit des Gesundheitssystems: Sie ist abhängig von der Zahl der Tests sowie von der Dunkelziffer und wird minimiert von der Zahl der genesenen Personen. Geht man von den positiv getesteten Personen aus, muß zudem geschätzt werden, wieviele davon einen schweren Krankheitsverlauf aufweisen – eine Schätzung, die ihrerseits auf wackeligen Füßen steht, da sie von unbekannten Parametern wie der Zahl der Vor­erkrankungen und dem Alter abhängt (vgl. Robert Verity et al., 2020). Der grundsätzliche Fehler der Bundesregierung bestand darin, von vornherein vom exponen­tiellen Schreckensszenario auszugehen statt frühzeitig eine adaptive Strategie zu wählen. Offenbar hat die Befürchtung, daß sich die Pandemie mit exponentieller Geschwindigkeit ausbreiten und eine Mortalitätsrate im einstelligen Prozentbereich – bei einer Bevölkerung von 80 Millionen immerhin mehr als eine Million Todesopfer – hervorrufen könne, den Ausschlag gegeben. Möglicherweise hat auch die übliche sozial­psycho­lo­gische Dynamik bei Gruppenentscheidungen im Regierungshandeln die Oberhand ge­wonnen: Gruppen entscheiden in der Regel riskanter und nehmen leichter katastrophale Folgen in Kauf als Einzelpersonen. Zu den Denkfehlern gehört, daß die vorläufige Annahme einer adaptiven Strategie eine exponen­tielle Ausweitung der Todesrate ausschließe oder unterschätze. Adaptiv bedeutet unablässige Beobachtung valider Indikatoren und daraufhin erfolgende Kurskorrektur. Eine adaptive Strategie ist keinesfalls gleichzusetzen mit Laissez-faire: diese Autobahn hat drei Spuren. Angemessen ist es, zu­­erst die mittlere zu wählen und dann den Blick aufmerksam zwischen Rückspiegel und Vorausschau zu wechseln, um zu entscheiden, ob der Übergang in die Überholspur oder in die Kriechspur erfolg­ver­spre­chender erscheint. Die nur mit Verdachtsmomenten begründete Annahme des drohenden Schreckensszenarios wurde mit immensen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, kulturellen, psychologischen und nicht zuletzt ethischen Kosten billigend in Kauf genommen: –  verordnete „Schocktherapie“ für die Bevölkerung als „Einstimmung“ auf eine hohe Zahl von Todes­opfern, damit verbunden die Aushebelung der jour­nalistischen Un­abhängigkeit zu­gunsten einer selektiven Berichterstattung über Hotspots der Pan­demie, beispielsweise die Gleichsetzung der Ereignisse in Ber­gamo mit ganz Italien, Bilder statt valide Zahlen, eklatante sprachliche Verzerrungen und Ungenauigkeiten („Corona-Tote“, „Verstorbene infolge von Corona“) als Mittel der Worstcase-Pro­pa­ganda, damit Hin­­nahme des Ver­trauens­verlusts weiter Teile der Bevölkerung in die Be­richt­er­stat­tung, der mit­tels permanenter Wiederholung selek­tiv heraus­­­gegriffener Einzelschicksale kom­pensiert werden sollte –  Stillegung weiter Teile der Wirtschaft –  immense Staatsverschuldung –  Abwertung von Bildung und Kultur durch die pauschale Schließung von Schulen, Theatern, Galerien, Museen und anderen Orten des Soziallebens –  Quarantäne und Besuchsverbote für Krankenhäuser, Alten- und Pflegeheime und Inkaufnahme seelischer Nöte wie Vereinsamung bis hin zur Todesfolge Das Diktum der „Alternativlosigkeit“, das während dieser Kanzlerschaft bereits mehrfach zum Leitmotiv avancierte, hat auch hier zu einem suboptimalen Vorgehen geführt. Absprachen inner­halb Europas wären Anfang März noch möglich gewesen. Auch innerhalb Deutschlands wurde der Diskurs nicht zugelassen, Kritiker wurden verunglimpft. Damit wurde die Chance einer frühen Kurs­korrektur verpaßt, um die Strategie des einmal angenommenen Schreckensszenarios nicht ändern zu müssen. Auf das eigentliche Erfolgskriterium – die Belastung des deutschen Gesund­heits­systems, ins­be­son­dere die Kapazität der intensivmedizinischen Ver­sorgung – wurde erst spät und dann auch nur sporadisch in den Zählungen des RKI Bezug genommen. Es zeigte sich, daß die Inanspruchnahme der ITS im Laufe des März 2020 zwar stetig zunahm, von einer exponentiellen Entwicklung jedoch keine Rede sein konnte. Die vorhandene – zum Teil auch unter dem Eindruck der drohenden Pandemie – freigesetzten Kapazität der Intensivmedizin in Deutschland wurde um das sechs- bis achtfache unterschritten – d.h. während der Pandemie standen etwa 80-90% der für Covid-19-Patienten reservierten ITS in Deutschland leer oder wurden anderweitig genutzt. Dieses Kriterium hätte aufgrund des selbst gesetzten Ziels der Bundes­regierung, einer Über­forderung des Gesund­heits­systems zuvorzukommen, in den Fokus gerückt werden müssen. Damit wäre zwingend eine Abkehr vom befürchteten Schreckensszenario verbunden gewesen. Eine frühe Kurskorrektur angesichts der der tatsächlichen ITS-Auslastung hätte einen immensen Schaden von der Gesellschaft abgewendet und es der Regierung gestattet, ohne Gesichts­verlust aus der selbst­verschuldeten Folge­krise herauszukommen. Das deutsche Gesund­heitssystem ist beruhigenderweise mit einer hohen Kapazität ausgestattet im Vergleich zu Italien, Spanien, den USA, Großbritannien oder Schweden – das soll über kritische Momente, die insbesondere die Personalsausstattung betreffen, nicht hinwegtäuschen. Angesichts einer drohenden Epidemie ist der ungewichtete Vergleich mit eklatant medizinisch unterversorgten Re­gionen irreführend. Anstelle des Eingeständnisses eines strategischen Fehlers wurde die „konsequente Fortsetzung“ des einmal eingeschlagenen Hammer-Kurses verfolgt. Anstelle einer klugen Kurs­korrektur („Exit-Strategie“) wurde weiterhin die Ungewißheit behauptet, ob es sich nicht doch um eine ex­po­nen­tielle Dynamik handeln könne, die zur Überlastung des Gesundheitssystems führen würde. Das Festhalten an invaliden Indikatoren wie der kumululativen Häufigkeit der positiven Getesteten ohne Berücksichtigung der Genesenen (recovery) sowie der Verstorbenen ohne Berücksichtigung weiterer Todesursachen bzw. der durchschnittlichen saisonalen Sterblichkeit, befestigte den Eindruck von Schein-Objektivität. Von Woche zu Woche wechselte die Regierung die verkündeten Cut-off-Kriterien zur Aufhebung der Grundrechtseinschränkungen. Vom „Verdopplungszeitraum“ und der „Ausbreitungs­geschwin­digkeit“ war seit Anfang April keine Rede mehr, statt dessen galt nun eine Reproduktionszahl R<1 als ausschlaggebend. Als auch dieses Kriterium erfüllt war, wurde eine Absolutzahl von maximal wenigen Hundert Neuinfizierten pro Tag als Bedingung verkündet – damit die Gesundheitsämter nicht durch die Nachverfolgung überfordert werde (Tagesschau vom 24.4.2020). Tatsächlich sendete die Regierung mit diesem Schlingerkurs  das Signal: Es ist gleichgültig, wie sich die Ausbreitung des Virus verändert, wir beharren auf dem abstrakten Ansatz des Schreckens­szenarios, wir behalten die veralteten („konventionellen“) Maßnahmen des Kontaktverbots bei statt von den smarten Stra­te­gien Taiwans zu lernen…

Kontexte

Versuchen wir, mit Altmeister Virchow wieder weniger in Nano-Dimensio­nen zu testen, dafür aber ge­scheit zu denken. Die Corona-Krise wühlt ganze Gesell­schaften auf – sie entfaltet ein Spektrum von Themen, die neu überdacht wer­den wollen. Es geht um Überlegungen, Hypothesen, Reflexionen – kein Spielfeld für Faktenchecker, die häufig, um eine berühmte Redewendung vom Mann ohne Eigen­schaften aufzugreifen, mit ihrem Wirklichkeitssinn beurteilen, was mit dem Möglichkeits­sinn vor­getragen wird. Im folgenden werden weiterführende Ideen gesponnen, Anstöße zum Selbst­denken gegeben.

Hinterläßt Covid-19 Spuren in Bezug auf die Gesamtmortalität in Europa?

Über den Tod und Sterblichkeitsziffern zu sprechen, ist uns nicht geläufig. Hier soll es nicht um die individuelle Bedeutung des Todes gehen, sondern um Sterblichkeit als Sensorium für den Zustand der öffentlichen Gesundheit. Für Westeuropa sammelt das Netzwerk EuroMOMO die amtlichen Angaben zur Sterblichkeit von den nationalen Behörden und sorgt durch Standardisierung der Erfassung und Auswertung für deren Vergleichbarkeit. Noch in der zwölften Kalenderwoche 2020 traten die Wirkungen von Covid-19 auf die Sterblich­keits­­ziffern in den Graphiken von EuroMOMO nicht hervor. Die dänischen Forscher merkten dazu an: „In den letzten Tagen hat der EuroMOMO-Hub viele Fragen zu den wöchentlichen Gesamt­mortalitäts­daten und dem möglichen Beitrag einer COVID-19-bezogenen Mortalität erhalten. Einige fragen sich, warum in den gemeldeten Sterblichkeitszahlen für die von COVID-19 betroffenen Länder keine erhöhte Mortalität beobachtet wird. Die Antwort lautet, daß eine erhöhte Mortalität, die hauptsächlich auf subnationaler Ebene oder in kleineren Schwerpunktbereichen auftreten und / oder sich auf kleinere Altersgruppen kon­zen­trie­ren kann, auf natio­naler Ebene möglicherweise nicht nachweisbar ist, insbesondere nicht in der zusammengefaßten Analyse auf europäischer Ebene, wenn die Bevölkerungsgröße den Nenner bildet. Darüber hinaus verzögert sich die Re­gi­strierung und Meldung von Todesfällen häufig um einige Wochen. Daher müssen die EuroMOMO-Sterblichkeitszahlen der letzten Wochen mit einiger Vorsicht inter­pretiert werden.“ (Download am 30.3.2020, Übersetzung: VK). Die folgende Abbildung zeigt die relative Sterblichkeitsziffer, zu­sam­men­gefaßt für die teil­neh­menden europäischen Länder von der vierten Kalenderwoche 2016 an. Relativ bedeutet, daß die Sterblichkeitsziffer in Bezug auf die jeweilige Altersgruppe gewichtet wurde. In Absolutzahlen wären die Schwankungen bei den unter 65jährigen sonst überhaupt nicht erkennbar. Angesichts der Altersverteilung der berichteten Mortalität mit Covid-19 wäre es allerdings wünschenswert, wenn die Gruppe der 15-64jährigen bei EuroMOMO differenzierter dargestellt wird. Wichtig ist es, die unterschiedliche Skalierung der y-Achsen zu beachten. Die kurz gestrichelte Linie stellt die übliche Schwan­kungsbreite dar. Bei starker Übersterblichkeit in Bezug auf den Gesamt­zeit­raum (excess mortality) wird auch die lang gestrichelte Hüllkurve über­schritten. Nicht gemeint ist jedoch die Übersterblichkeit in Bezug auf die jeweilige Vorjahressaison. Die Kurve differenziert nicht nach Todes­­ursachen. Welchen Anteil Covid-19 an der Über­sterb­lichkeit im März und  April 2020 bei­ge­tragen hat, kann nur gemutmaßt werden.

pooled-number 2020-16

Abbildung 8: Mortalität in Europa von 2016 an, differenziert nach Altersgruppen (Quelle: EuroMOMO, 16. KW)

Anhand der unteren drei Verläufe sehen wir in jahreszeitlicher Rhythmik ein An­schwellen der Sterblichkeit in den Wintermonaten, d.h. in etwa von der 40. Kalender­woche (Herbst) bis zur 12. Kalenderwoche des darauffolgenden Jahres (Frühjahr) – der Volksmund hat dafür den Begriff „Grippewelle“ geprägt. Wir sehen außerdem eine besonders hohe und breite, zweigipflige Verteilung der Todesfälle im Winter 2017/18. Unser Schiedsrichter bei den Zahlenspielen erklärt: „Aus­schlag­gebend für diese Einschätzung ist nicht der Spitzenwert, sondern die Fläche unter der Kurve (AUC: area under the curve), die die Zahl der Verstorbenen in einem bestimmten Zeitraum symbolisiert.“ Anhand der Fläche unter der Kurve ist zu erkennen, daß die Sterblichkeit im Winter 2019/20 im Ver­gleich zu den drei Vorjahren deutlich zurückgegangen ist und sich die Kurve noch im Februar ab­geflacht hat – vermutlich dank des extrem milden Winters, von dem die Metereologen sagen, es sei der wärmste Winter seit Beginn der Wetter­auf­zeich­nun­gen. Der Klimawandel kann – obwohl das bisher selten in Betracht gezogen wurde – als Kon­textfaktor auch in Bezug auf Covid-19 eine Rolle spielen. Im März 2020 bildete sich eine Schere in den relativen Mortalitätsziffern heraus: Während  bei den über 65jährigen Ende März eine substanzielle Steigerung der Mortalität zu verzeichnen war, die mit dem Auftreten von Covid-19 korreliert, setzte sich der Trend des milden Winters bei denen, die jünger als 65 Jahre waren, zunächst weiter fort (die Altersgrenze ist aus statistischen Gründen gesetzt und sollte nicht auf den Einzelfall bezogen werden). Deren relative Mortalität sank im März 2020 auf den niedrigen Wert vom Sommer 2019 und Sommer 2017. Erst Anfang April war auch bei den Jüngeren ein überdurchschnittlicher Anstieg der gewichteten Mortalitätsziffer zu verzeichnen. Paul R. Vogt geht nun einen Schritt weiter und interpretiert den Anstieg der Sterblichkeit im April kausal in Zusammenhang mit Covid-19: „Ältere Covid-19-Patienten haben zwar absolut ein höheres Sterberisiko. Das haben ältere Personen gemäß allgemeinen Sterbetafeln sowieso. Das relative Risi­ko, wegen Covid-19 zu versterben, ist deshalb in allen Altersgruppen beinahe identisch und ent­spricht einer Verdoppelung. Bei einem 85-jährigen Mann erhöht Covid-19 die Wahrscheinlichkeit, das nächste Jahr nicht zu erleben, von 8% auf 16%, bei einem 45-Jährigen von 0.13% auf 0.33%, was sogar mehr als einer Verdoppelung entspricht. In jeder Altersgruppe ist das Sterberisiko bei Männern in etwa doppelt so hoch wie bei Frauen.“ (Update vom 20.4.2020) Zu beachten ist, daß bei derartigen Vergleichen die Bezugsgröße eine entscheidende Rolle spielt. Tatsächlich überschreitet die relative Sterblichkeit die durchschnittliche relative Gesamtjahressterblichkeit, wie in Abbildung 8 ab der 14. Kalenderwoche 2020 klar zu erkennen. Auch der Zusammenhang mit Covid-19 erscheint zumindest plausibel, auch wenn er sich in der Gesamtmortalität nicht differenziert erkennen läßt. Ob die sai­so­nale Sterblichkeit durch Covid-19 signifikant den Wert der Winter in den letzten Vorjahren überschreitet, läßt sich hier nicht erkennen. Ab der Ausgabe für die 16. Kalenderwoche 2020 haben die Autoren von EuroMOMO daher eine Graphik zur saisonalen Übersterblichkeit eingefügt (Abbildung 9). Wenn die Kurve der relativen Sterblichkeit Ende April nämlich genauso schnell wieder abfallen sollte, wie sie angestiegen ist, bleibt die Fläche unter der Kurve vergleichweise klein. Wegen der Verzögerung der Auswertung läßt sich diese Annahme frühestens im Mai überprüfen. Bei der Interpretation von Häufig­keitsd­iagrammen verwechseln Zahlenreporter häufig Spitzen­werte mit der eigentlich interessierenden Fläche unter der Kurve (AUC), die hier das Ausmaß der Mortalität symbolisiert. Ein einzelner Peak wird plötzlich als maximales Integral interpretiert. Beispielsweise ließ sich Julia Merlot am 9.4.2020 im SPIEGEL angesichts der Graphiken von EuroMOMO (14. KW) zu der Behauptung hinreißen, in einigen europäischen Ländern seien „zuletzt so viele Menschen gestorben wie zu keinem anderen Zeit­punkt, keiner Grippewelle und keinem anderen Ereignis seit Beginn der Er­fassung Ende 2015“. Die Autorin hat offensichtlich den Spitzenwert mit der Fläche ver­wechselt. Ob ihre Behauptung zutrifft, können wir erst später wissen – nämlich dann, wenn wir erkennen, ob die mit Covid-19 einhergehende Sterblichkeit abebbt oder länger anhält.

excess mortality 2020-16 all ages

Abbildung 9: Saisonale Übersterblichkeit (excess mortality) in den Jahren 2018-20 in den an EuroMOMO teilnehmenden Ländern

Abbildung 9 dokumentiert klar, daß die gepoolte Übersterblichkeit in den Ländern, die sich an EuroMOMO beteiligen, bis etwa zur 12. Kalenderwoche 2020 deutlich unter den Werten der letzten beiden Vor­jahre lag. Danach stieg sie in kurzer Zeit extrem an, um ab der 15. Kalenderwoche wieder steil ab­zufallen. Zu beachten ist, daß die Kurven die Gesamtsterblichkeit anzeigen und nicht nach Todes­ursachen unterscheiden. Ein Zusammenhang mit Covid-19 erscheint aufgrund der zeitlichen Über­einstimmung zumindest plausibel. Um empirisch geprüft von Übersterblichkeit infolge von Covid-19 sprechen zu können, wären Studien mit einem randomized-controlled-Design oder wenigstens paired matching-Design er­for­der­lich. Studien dieser Art gelten übrigens als Goldstandard bei der Zulassung neuer Medikamente und sonstiger Heilmethoden. Per Zufallszuweisung müßten bei der stati­stischen Auswertung der Sterblichkeitsziffern hinreichend große Gruppen gebildet werden, um  Co­vid-19 und andere Erkrankungen als ausschlaggebende Todes­ursache vergleichen zu können. Bis­lang stehen derartige Analysen noch aus.

Unterschiede zwischen den Ländern

Bemerkenswert ist der Umstand, daß sich der Anstieg der Mortalität nicht in allen europäischen Ländern gleichmäßig zeigt. Vielmehr trat er nur in einzelnen, besonders be­troffenen Ländern in Erscheinung. Ein Blick auf die aktuelle Län­der­verteilung offenbart gravierende Un­terschiede für die Regionen, die an EuroMOMO teilnehmen:

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Abbildung 10: Gegenüberstellung der Länder ohne und mit Übersterblichkeit in der Corona-Zeit (Quelle: EuroMOMO, 16. KW).

Tatsächlich sehen wir auch bei der nationalen Aufschlüsselung der Mor­ta­litätsziffern in zahlreichen euro­­päischen Länder weiterhin eine Abnahme der Sterb­lichkeit im Winter 2019/20, bis Anfang April. Substanzielle Ausnahmen bilden Italien, Spanien, Belgien, Groß­britan­nien, die Niederlanden und Frankreich – also die mutmaßlich besonders von Covid-19 betrof­fenen Länder. In Schweden und in der Schweiz erschien die Entwicklung im März noch unklar, jetzt zeichnet sich eine überdurchschnittliche Erhöhung der Sterblichkeit ab. Einen interessanten Fall stellt Nordirland dar: Während die Republik Irland eindeutig zu den Ländern gehört, die in der Corona-Zeit keine Über­sterblichkeit zu verzeichnen hatten, bewegt sich Nordirland sehr nah an die Grenze zur Über­sterblichkeit heran. Sind klimatische, politische oder medizinische Gründe für diesen Unterschied verantwortlich zu machen? Die Frage, welche Faktoren die Unterschiede hinsichtlich der Sterblichkeit zwischen den Ländern hervorgerufen haben und welchen Anteil Covid-19 daran hat, wird die Epidemiologie noch be­schäf­tigen müssen. Allein biologische oder virologische Faktoren in Betracht zu ziehen, dürfte die Va­rianz nicht erklären.

Ohne Übersterblichkeit in der Corona-Zeit

Geringfügige Übersterblichkeit in der Corona-Zeit

Erhebliche Übersterblichkeit in der Corona-Zeit

  • Dänemark
  • Estland
  • Finnland
  • Griechenland
  • Hessen und Berlin
  • Irland
  • Luxemburg
  • Malta
  • Norwegen
  • Österreich
  • Portugal
  • Ungarn
  • Nordirland
  • Schweden
  • Schweiz
  • Belgien
  • Frankreich
  • Großbritannien (ohne Nordirland)
  • Italien
  • Niederlanden
  • Spanien

Tabelle 6: Länder ohne und mit Übersterblichkeit in der Corona-Zeit (nur für Länder, die sich an EuroMOMO beteiligen)

Deutlich wird in Abbildung 10 weiterhin, daß vor allem in den von Covid-19 betroffenen Ländern die saisonale Mor­talität im Winter 2019/20 geringer ausgefallen ist als in den Jahren zuvor, d.h. die übliche Grippewelle bis März blieb aus oder sehr mild. In Österreich, Portugal, Irland, Malta und Griechenland war die Grippewelle dagegen bereits in den Vormonaten etwas gravierender aus­geprägt – ent­sprechend unauffällig ent­wickelte sich die Gesamtmortalität während des be­fürch­teten Höhe­punktes der Corona-Zeit. Besonders auffällig ist, daß sich die Steigerung der Mortalitätsziffer in den von Covid-19 be­trof­fenen Ländern nicht auf die Monate November bis März verteilt, sondern auf den März/April kon­zen­triert. Die zeitliche Ver­dichtung belastete manche örtliche Gesund­heits­syste­me erheblich. Inner­halb eines Monats kam in einigen Kommunen der Größenordnung nach die Zahl von Todes­fällen zusammen, die sich sonst auf mehrere Wintermonate ver­teilt – daß darauf Orte mit schwächeln­der medizinischer Infrastruktur nicht vor­bereitet sind, liegt auf der Hand.

Klimawandel, milde Winter

Wir hatten 2019/20 einen ausgesprochen milden Winter. Die Sterblichkeitskurve in den Monaten Dezember 2019 bis Ende Februar 2020 flachte europaweit ab. Damit drängt sich die Hypothese auf, daß der milde Winter und Covid-19 in Kom­bi­nation zu einem verspäteten Tod inbesondere in Teilen der Bevölkerung bei­ge­tra­gen haben, mit anderen Wor­ten: einen „normalen Winter“ hätten bereits im Dezember bis Februar weniger Menschen mit ge­sund­­­heitlichen Belastungen überlebt, so daß Covid-19 im März/April zu einer Überlastung führen konnte. Für diese These spricht der extrem milde Verlauf der saisonalen Grippewelle im Winter 2019/20. Im Grippeweb des RKI ist zu lesen: „Nachdem die höchste ARE-Rate [akute Atemwegserkrankung mit oder ohne Fieber] in dieser Saison in der 9. KW mit 8.5% erreicht wurde, ist die ARE-Rate bis zur 14. KW um 80% gesunken (auf 1.7%). Damit hat sie einen Bereich erreicht, der in den Vorjahren erst in den Sommermonaten beobachtet wurde. Noch deutlicher ist der Rückgang bei den grippeähnlichen Erkrankungen (ILI) – der Untergruppe der ARE – zu sehen … Mit 0.2% ist die ILI-Rate die bisher niedrigste, die je bei Grippeweb beoabachtet werden konnte.“ (Download am 16.4.2020) Das Grippeweb führt das Monitoring der grippeähnlichen Erkrankungen in Deutschland seit 2011 durch. Was liegt näher, als diese beiden Zahlen, die das RKI vermeldet – das krasse Ab­flauen der Grippewelle und der Ausbruch von Covid-19 – im Zu­sam­men­hang zu denken? Aller Wahr­scheinlichkeit gehören diejenigen, die im Winter 2019/20 von der Grippe verschont geblieben sind, zu den Opfern von Covid-19. Die schwach ausgeprägte Grippewelle hat das Leben der Betroffenen zuvor geringfügig ver­längert. Gert Antes, Biometriker vom Cochrane-Institut in Freiburg, äußerte im Spiegel-Interview vom 31. März die gegenteilige Vermutung: „… viele von denen, die jetzt am Coronavirus sterben, wären möglicherweise auch ohne das Virus gestorben, aber später.“ Antes’ Hypothese geht von einer zusätzlichen Belastung durch das neue Virus aus, die das Leben, wenn auch vergleichsweise gering­fügig, verkürzen könne. Wir haben es also mit zwei Hypothesen zu tun, um zu erklären, daß ausgerechnet ältere und vorerkrankte Teile der Bevölkerung mit Covid-19 sterben, obwohl die Menschen, die sich mit dem neuen Virus infiziert haben, mehrheitlich jünger und längst wieder genesen sind. Wenn die Gesamt­mortalität im Anschluß an die übliche Grippezeit – d.h. im Mai und Juni – un­er­war­tet auf dem hohem Niveau von Ende März/Anfang April verharren  sollte, dann spricht dies für eine tödliche Wirkung, die vom neuen Virus an sich ausgeht. Wenn die Kurve dagegen in den von Covid-19 betroffenen Ländern von Ende April an wieder ab­sinken sollte, kann davon aus­gegangen werden, daß die auf das gesamte Jahr bezogene Mortalität nicht signifikant gestiegen ist – in diesem Fall wäre Covid-19 den typischen Alters­erkrankungen zu­zu­ordnen, die in der Regel nicht oder nur schwer heilbar sind. Die Überlebens­chancen des chronisch kranken Teils der älteren Bevölkerung – nicht alle sind vorerkrankt – hängt ent­scheidend von sozialen Kontextbedingungen ab, unter anderem von der Struktur und Qua­lität der me­dizinischen Versorgung, aber auch von der sozialen Unterstützung beispielsweise durch Angehörige oder Freunde. Dieser Umstand würde die gravierenden, regionalen und nationalen Unterschiede der Sterblichkeit erklären, die wir momentan noch dem neuen Virus zuschreiben. Tödlich wirkt es in Kombination mit einer unzureichenden me­di­zinischen Versorgung und psychosozialen Unterstützung, die regional sehr unterschiedlich aufgestellt ist. Ein weiterer Aspekt erweist sich als signifikant: die lokale Umweltbelastung.

Feinstaub: Autobahnen für Viren?

Sucharit Bhakdi und Stefan Hockertz gehörten hierzulande zu den ersten, die mit Blick auf Ober­italien die Luftverschmutzung als differenzierenden Faktor in Betracht zogen, um die starken regionalen Unterschiede von Covid-19 zu erklären (z.B. Bakhdi auf Youtube vom 19.3.2020). Reflex­haft wurde ihnen von Faktencheckern vorgehalten, die Luft in Oberitalien sei gar nicht stärker ver­schmutzt als anderswo in Europa, so beispielsweise Alexander Herberstein vom Verein Mimikama (mimikama.at vom 24.3.2020) – was sich nachweislich als falsch herausstellte – mitunter können „Faktenchecker“ in Wirklichkeit „Faktenleugner“ sein, wie hier am Beispiel der NO2-Belastung zu sehen ist:

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Abbildung 11: Stickoxid-Belastung in Europa – Satellitenbild aus einer Höhe von 824 km, Messung mit dem TROPOspheric Monitoring Instrument (TROPOMI) im Rahmen des EU-Projekts „Copernicus“ im Januar und Februar 2020, vor dem Covid-19-Ausbruch (Quelle: Ogen, 2020)

Nils Metzger, Faktenchecker vom ZDF, warf Bakhdi vor, es sei unwissenschaftlich, die Luft­ver­schmutzung als zentralen Auslöser der Pandemie zu präsentieren – das hatte er jedoch gar nicht behauptet (zdf.de vom 23.3.2020). Correktiv wiederum hielt Hockertz entgegen, es gebe keine Belege, daß Feinstaub die Ver­breitung von Viren begünstigt (correctiv.de vom 17.4.2020). Tatsächlich scheint eine Reihe empirischer Erkenntnisse die These zu bestätigen, daß die Fein­staub-Belastung die virale Infektion beschleunigt. Bereits im März verwiesen zwölf Forscher von der italienischen Gesellschaft für Umweltmedizin auf Beobachtungen chinesischer Ärzte, daß Sand­stürme und Staub Atem­wegs­erkrankungen förderten.

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Abbildung 12: Luftverschmutzung und Neuinfektion mit Covid-19 in Brescia (Quelle: Setti et al., 2020)

In Brescia beispielsweise oszillierten  die Luft­ver­schmut­zung und die Neuinfektion mit Covid-19 taggenau. Die Synchronizität ist frappierend. Die Umweltmediziner hielten als Ergebnis fest: „Es wird deutlich, wie spezifisch die Steigerungsrate der Ansteckungsfälle ist: In den besonders von Covid-19-betroffenen Gebieten Norditaliens oszilliert die Verschmutzung durch Feinstaub mit der Infektion, indem sie die Übertragung des Virus be­schleunigt. Wie bereits in früheren Fällen einer starken Ausbreitung von Virusinfektionen in Bezug auf eine hohe Kontamination durch Feinstaub berichtet, wird empfohlen, diese Erkenntnis zu be­rücksichtigen, indem restriktive Maßnahmen zur Eindämmung der Umweltverschmutzung gefordert werden.“ (Setti et al. 2020, Übersetzung VK) In seinem Podcast (Folge 18) bezeichnete Christian Drosten Überlegungen und Forderungen in diese Rich­tung als rein spekulativ. Möglicherweise schien im dies so, weil Forschungsberichte dazu nicht in virologischen Fach­zeitschriften erscheinen… Für die künftige Prävention – nicht nur in Bezug auf Covid-19, sondern in Bezug auf Atemwegserkrankungen überhaupt – lohnt es sich, den Zusammen­hang zwischen Fein­staub-Belastung und der Ausbreitung des neuen Virus auch für Städte wie München, Stuttgart oder Hamburg, Madrid oder London zu untersuchen. Dies kann durchaus retrospektiv geschehen – es müssen nur die Daten aus den jeweiligen Feinstaubmessungen vor Ort mit der Zahl der Covid-19-Infizierter korreliert werden. Diese Aufgabe können die örtlichen Um­welt- und Gesundheitsämter in Kooperation problemlos durchführen. Für den Schweregrad der Atemwegserkrankung erscheint es weniger entscheidend, ob Fein­staub­partikel als Transmitter zur Ausbreitung des Virus beitragen. Vielmehr hat Feinstaub schon vor der An­steckung die Vulnerabilität der Atemwege erhöht. Die Vorbelastung durch Um­weltgifte bietet eine Erklärung dafür, daß mitunter auch Menschen, die nicht zu den typischen Risikogruppen gehören, einen schweren Krankheitsverlauf mit Covid-19 durchleiden – während sie an Orten mit besserer Luftqualität keine oder nur milde Symptome verspüren (vgl. auch Mathias Tertilt). Yaron Ogen von der Universität Halle-Wittenberg untersuchte die NO2-Belastung in Europa vor und während des Ausbruchs der Corona-Krise. Er stellte fest: „Die Daten des Sentinel-5P-Satelliten zeigen zwei wichtige NO2-Hotspots in Europa: Norditalien und die Metropolregion Madrid. Nach diesen Ergebnissen führt eine hohe NO2-Konzentration, begleitet von nach unten gerichteten Luft­­strömen, zu einer NO2-Anreicherung nahe der Oberfläche. Diese topografische Struktur in Kom­bination mit atmosphärischen Inversionsbedingungen (positives Omega) verhindert die Ver­teilung von Luftschadstoffen, was zu einer hohen Inzidenz von Atemproblemen und Ent­zün­dungen in der lokalen Bevölkerung führen kann. Diese chronische Exposition könnte einen hohen Anteil zu den in diesen Regionen beobachteten hohen Covid-19-Todesraten beitragen.“ In den USA führt das Department of Biostatistics der Harvard School of Public Health die nationale Langzeitstudie zum Zusammenhang zwischen Luftverschmutzung und der Sterb­lich­keit an Covid-19 durch (Xiao Wu et al., 2020). Unser statistischer Schiedsrichter nickt erfreut. Denn diese Studie ver­folgt eine virtuose Auswertungsstrategie, um die Unzulänglichkeiten der Corona-Datenerhebung gegen Verzerrungen und Zufallsbefunde so gut wie möglich ab­zu­si­chern. Die aktuelle Auswertung beruht auf den Covid-19-Mortalitätszahlen für die USA, die von der John-Hopkins-Uni­versity bis zum 22.4.2020 erfaßt wurden. Für jede Gemeinde wurde in Binomial­mo­del­len („verstorben“ vs. „überlebt“) die Langzeitbelastung mit Feinstaub (PM2.5) als unabhängige Variable und die Covid-19-Sterblichkeit als abhängige Variable in Beziehung gesetzt. Außerdem wurde der Einfluß von zwanzig Kontextfaktoren in den einzelnen Gemeinden analyisiert, u.a. Bevölkerungsgröße, Be­völkerungs­dichte, Altersstruktur, Zeitspanne seit Beginn des Ausbruchs von Covid-19, Zeitspanne seit Beginn des Lockdowns, Zahl der Krankenhausbetten, Zahl der ge­testeten Personen, Wetter, sozial­ökonomischer Status, gesundheitsrelevante Lebens­ge­wohn­hei­ten wie Rauchen und Über­gewicht. Erwartbare Korrelationen zwischen den Gemeinden, die zu einem Bundes­­staat gehörten, wurden statistisch ausbalanciert. Insgesamt wurden 68 statistische Plausibili­täts­prüfungen vor­ge­nom­men. Von „darüber wird so einiges spekuliert“ – wie Drosten am 20. März im NDR-Podcast ab­schätzig urteilte – kann keine Rede sein. Das Ergebnis: Die Forscher entdeckten, daß bereits eine Steigerung der Feinstaub-Belastung um die sehr geringe Menge von 1 mikro g/m3 (PM2.5) die Sterblichkeit in Zusammenhang mit Covid-19 um 8% erhöht (95%-Konfidenzintervall: 2 – 15%). Dieser Zusammenhang erwies sich als signifikant und war in Sekundäranalysen robust replizierbar. Alle weiteren Faktoren, die in dieser Studie be­rück­sichtigt wurden, übten einen geringeren Einfluß auf die Sterblichkeit aus. Wir befinden uns noch am Anfang der Untersuchungen zu den Determinanten des Schweregrads von Covid-19. Erkennen läßt sich jetzt bereits, daß wir mit diesen Studien einen ersten Schlüssel in der Hand halten: Nicht das Virus an sich wirkt toxisch, sondern die Kombination mit ökologischen, sozialen und individuellen Faktoren, die die Gesundheit beeinflussen. Es mag noch immer politische Ent­­scheider oder Fakten­checker geben, die dem neuen Virus eine genuine Gefährlichkeit zu­schreiben, wie es in der An­fangs­phase der Krise, als noch wenig gesichertes Erfahrungswissen dazu vorlag, aus Vorsicht üblich war. Mögen sie uns erklären, wie es kommt, daß ein und dasselbe Virus in Bergamo und Madrid eine tödliche Spur hinterließ, aber nicht in Stendal oder Rostock. Gefährlich wird das neue Coronavirus in Kombination, d.h. wenn es in Wechsel­­­wirkung mit anderen Exzessen tritt wie der Luft­ver­schmut­zung, dem Mangel an Beatmungsgeräten oder dem, Rauchen. Aber nicht jeder Mißstand der modernen Gesellschaften geht mit dem neuen Corona­virus eine toxische Verbindung ein. Es kommt weniger darauf an, den Erreger isoliert zu be­trach­­ten, sondern vielmehr seine syste­mischen Synergiewirkungen zu erkennen. Als tödlich erweist sich sowohl in der Geschichte als auch in der Zukunft der Menschheit am ehesten das monokausale Den­ken. Die WHO hatte im übrigen bereits 2003 auf die Gefährlichkeit von Feinstaub und NO2 hingewiesen und gefordert, die Bevölkerung vor der Exposition damit zu schützen. Dies ist nun eine zentrale Forderung für „die Zeit nach Corona“, die möglicherweise eine „Zeit mit Corona“ sein wird.

Virenmutation, Zoonose und Massentierhaltung

Der niederländische Virologe Peter Rottier beobachtete in den letzten 50 Jahren eine Zunahme von Zoonosen, also Übersprüngen von Viren, die zunächst in Tieren als Wirtsorganismen beheimatet waren, auf Menschen.  Daß insbesondere RNA-Viren aufgrund ihrer Mutationsfreudigkeit dieser Über­sprung gelingt, verwundert nicht. Die vom Menschen betriebene Tierhandel, Tiermärkte, die industruielle „Tier­pro­duktion“ und die Massentierhaltung schaffen für derartige Übersprünge günstige Bedingungen: „Unser Verhalten erhöht sicherlich das Risiko von Problemen. Es ist kein Zufall, dass viele dieser Viren aus Asien stammen. Das hat zu einem großen Teil zu tun mit den dortigen Essgewohnheiten und dem Umgang der Menschen mit Tieren … Viren von Hühnern oder Schweinen können ebenfalls große Probleme verursachen. Das Grippevirus, das 2009 die Schweine­grip­pe verursachte, ist das beste Beispiel dafür. Es entstand in einem Schwein, setzte sich aber zu­sam­men aus einem menschlichen Virus, einem Schweine- und einem Vogelgrippevirus. Nicht um­sonst nennen wir Schweine einen Schmelztiegel für Viren. Aus dem Austausch von RNA ist ein neues Virus entstanden. Das zeigt, dass so etwas keineswegs nur in einer exotischen, wilden Tier­welt passiert. Die Viren gedeihen auch in unseren Ställen. Je mehr Tiere zusammen auf einer klei­nen Fläche gehalten werden, desto leichter können Viren zirkulieren und desto größer ist die Wahr­schein­lichkeit, dass sie früher oder später auf den Menschen überspringen. In dieser Hinsicht stellt die Massentierhaltung ein Risiko für die öffentliche Gesundheit dar.“ Damit stellt sich die Frage, wie Tierhaltung und Landwirtschaft möglich sind, ohne daß riskante Zoonosen epidemische Ausmaße annehmen. „… selbst in gut geführten Be­trieben ist es fast unmöglich, Viren fernzuhalten. Unter sterilen Bedingungen kann man kein Vieh züchten. Ganz gleich, wie sauber und hygienisch man dabei vorzugehen versucht, man kann solche Fälle nicht ausschließen.“ resümiert Peter Rottier und zeigt generelle Grenzen auf. Zoonosen bieten einen Anlaß, die Formen der Nutztierhaltung zu be­trachten und zu überdenken.  Dabei stellt die Diagnose von Tierseuchenerregern traditionell ein gut aufgestelltes For­schungs­feld dar, das in der Landwirtschaft breite Anwendung findet, der „konventionellen“ Landwirtschaft zur Legitimation und der „biologischen“ Landwirtschaft zum Nachweis der Nachhaltigkeit dient. Um  die Folgen von bak­teriel­len und vira­len Infektionen für den Menschen und für Tiere in der Zusammenschau zu betrachten, wurde 2003 von der EU die „Richtlinie zur Überwachung von Zoonosen und Zoonose­er­regern“ (2003/99/EG) erlassen, die die Mitgliedsstaaten verpflichtet, re­prä­sen­tative und ver­gleich­bare Daten über Zoonosen und Antibiotikaresistenzen zu erheben, aus­zu­werten und zu ver­öffent­lichen (Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebens­mittelsicherheit, BVL). Sie ist auf Lebensmittelsicherheit fokussiert. Ein „smartes“, praxistaugliches, Fehlalarme vermeidendes Monitoring von Zoonosen, die humanmedizinisch bedeutsam sind, gegenwärtig noch als Neuland.

„Medicin im Großen“

Der Zustand unserer Gesundheitssysteme

Krankheit und noch mehr die Heilung von Krankheiten wird maßgeblich von den Umständen her­vor­gebracht, sie resultieren aus dem gesellschaftlichen Kontext. „Die medicinische Wissenschaft ist in ihrem innersten Kern und Wesen eine sociale Wissenschaft“, belehrte uns einst Rudolf Virchow (zit. nach Harro Alb­recht, 2009).  Tatsächlich legt die Corona-Krise offen, in welchen Ländern, Re­gio­nen und Kom­mu­nen das Gesundheitssystem nicht für eine größere Zahl von Notfällen ausgelegt ist. Problematisch am schwedischen Weg durch die Corona-Krise ist weniger die Ablehnung des „Lockdown“, sondern vielmehr die sehr geringe Zahl an ITS-Plätzen. Ende März 2020 verfügte Schweden nur über 523, Mitte April über 1125 Intensivbet­ten für das gesamte Land mit etwa 10 Millionen Einwohnern (Quelle: Deutschlandfunk am 22.4.2020). Dies gilt in ähnlicher Weise für einige Regionen Italiens, Frankreichs und Spaniens – es wird von Ge­sund­heitsökonomen zu dis­ku­tie­ren sein, inwiefern eine auf merkantile Interessen ausgerichtete Strukturierung des Ge­sund­heits­systems Kliniken zum Kaputtsparen motiviert, inwiefern die Abhängigkeit vom Import me­di­zi­ni­scher Aus­rüstung zu tödlichen Engpässen führt, so daß sich das Gesundheitssystem im Krisenfall bin­nen weniger Tage überfordert zeigt. Denken Unternehmensberater, die unsere Klinikketten­kon­zerne  coachen, wenigstens im Hinterkopf auch epidemiologisch oder richten sie die Systeme auf eine Low-level-Beanspruchung in „normalen Zeiten“ aus? Taiwan hat Anfang Januar vorgeführt, wie vergleichsweise geringfügige, aber gezielte staatliche Re­gu­lierungen – insbesondere die Einführung einer Preis­bin­dung für die essentielle Medizin­aus­rüstung – frei flottierende Wucherpreise verhindern können. Offenbar ist der freie Markt keine intelligente Lösung für die befürchtete exponentielle Ausbreitung von Viren. Er reagiert darauf mit exponentiell wachsenden Preisen, die tödlich sind für diejenigen, die sie nicht zahlen können. In den USA bildet die Frage der Bindung der Krankenversicherung an den Arbeitsplatz ein toxisches Amalgam. Lockdown bedeutet für viele US-amerikanische Arbeitnehmer nicht nur Lohn­aus­fall und berufliche Ungewißheit, sondern auch des Ende des Versicherungsschutzes – wenn dieser vom Arbeitgeber als Lohnersatzleistung gewährt wurde. In Lockdown-Zeiten mit 30 Millionen ameri­­kanischen Arbeitslosen, resultiert aus dieser Verknüpfung eine Kettenreaktion sozialer Ver­werfungen, ganz abgesehen von der seit Jahrzehnten umkämpften Einführung einer gesetz­lichen Krankenversicherung überhaupt. Zu den grundsätzlichen Fragen, die Covid-19 in Bezug auf unsere Gesundheitssysteme aufwirft, gehören schließlich auch die Patientenfreiheit und die Angemessenheit der Behandlung, der Um­gang mit Patientenverfügungen und der Tatsache, daß diese oft fehlen, wenn es darauf ankommt, Abwägungen, wann eine palliativ- oder intensivmedizinische Ausrichtung der Therapie angezeigt ist, wie soziale Kontakte ermöglicht und die seelische Gesundheit gestärkt werden können. Es ist zu hinterfragen, inwiefern finanzielle Verführungszwänge das medizinische Ethos auf die Probe stellen, etwa wenn eine 24stündige künstliche Beatmung zu einem Satz von ca. 20.000 Euro vergütet wird, eine palliativmedizinische Begleitung dagegen nur mit ein paar Hun­dert Euro. Hier geht es nicht nur um den sächlichen Kostenaufwand, wie es im Abrechnungsdeutsch so schön heißt, sondern um Anreiz­struk­turen, die Fehlbehandlungen begünstigen. Die Entwicklung eines Impfstoffs zur Milderung der Wirkungen des neuen Coronavirus wird nicht nur in weiten Teilen der Bevölkerung, sondern auch von Medizinern mit genauer Kenntnis der Materie kritisch gesehen, wie beispielsweise Paul R. Vogt in seiner Zwischenbilanz schildert. Seit 17 Jahren ist es nicht gelungen, einen Impfstoff für SARS-1 zu finden. Angenommen, es gelänge dennoch und ein Corona-Impfstoff könnte nach sorgfältiger Prüfung der Risiken und Ne­benwirkungen in zwei bis fünf Jahren auf den Markt kommen, so ist anzunehmen, daß sich die mu­tationsfreudigen Viren in der Form, wie sie uns im Winter 2019/20 begegnet sind, bereits ver­ändert haben. Wenn der neue Corona-Impstoff zur Anwendung gelangen würde, wäre er bestenfalls so wirksam bzw. wirkungslos wie die Grippeimpfungen. Stellt das illusionäre Starren der Politik auf den Einsatz von Impfstoffen tatsächlich keinen Interessen­konflikt mit Pharma­konzernen, Fami­lien­stiftungen, die in Impfstoffe investieren, etc. dar? Christian Drostens Beschwichtigung zur „techno­logischen Validierung“ seines Corona-Tests durch zahlreiche kommerzielle Firmen läßt zumindest ver­muten, daß auch an der Entwicklung und Produktion von Impfstoffen für sieben Milliarden Menschen kein geringes ökonomisches Interesse geknüpft ist.

Das neue Virus aus Sicht der Entwicklungs- und Schwellenländer

Die indische Forschergruppe um Bhoj R. Singh fand Mitte April 2020 anhand der bereits er­wähnten Analyse der Corona-Zahlen aus 210 Ländern wesentliche Zusammenhänge zwischen epide­miolo­­gischen Deter­minanten und Covid-19. Beispielhaft seien hier die Faktoren aufgeführt, die sich auf die Sterblichkeit in Zusammenhang mit Covid-19 auswirken. Eine signifikant erhöhte Sterb­lich­keit mit Covid-19 ist in Ländern oder Regionen zu verzeichnen:

  • die keine verpflichtende TBC-Impfung eingeführt haben
  • in denen weniger Menschen an TBC sterben
  • in denen die Menschen eine höhere Lebenswartung haben
  • in denen die Kaufkraft größer ist
  • in denen mehr Tumorerkrankungen vorkommen
  • in denen weniger HIV-Fälle auftreten
  • in denen weniger Menschen an kardiovaskulären Krankheiten leiden (CV)
  • in denen weniger Menschen an Unterernährung leiden

Um die Ergebnisse trotz der Unzu­läng­lich­keiten bei der Datenerhebung zu Covid-19 abzusichern, haben Singh et al. die Corona-Zahlen der Länder anhand der Bevölkerungsgröße der gewichtet,  odds ratio gebildet, also das Wahrscheinlichkeitsverhältnis für das Eintreffen bzw. Nicht­ein­­treffen des Todes bei Vorhandensein der jeweiligen Kriterien, und Konfidenzintervalle be­rechnet. Nicht aus­schließen lassen sich Mediator­variablen, die mit der Interkorrelation der unter­suchten Deter­mi­nanten verbun­den sind. Leise ertönt an dieser Stelle ein Pfiff unseres statistischen Schiedsrichters. Er unterbricht das Spiel einen kurzen Moment, um den Effekt zu erklären: Es ist eine bewiesene Tatsache, daß die Zahl der Kinder und die Zahl der Störche hochsignifikant miteinander korrelieren, d.h. in Ländern,  wo es nur wenige Störche gibt, werden auch nur wenige Kinder geboren. Das bedeutet aber nicht, daß die Störche die Kinder in die Wiege legen. Vielmehr ist als dritte Einflußgröße die In­du­strialisierung im Spiel. In den Industrieländern nahm unabhängig voneinander sowohl die Zahl der Störche als auch der Geburten ab. Auf diese Weise entstehen Scheinkorrelationen, von der auch die Studie von Singh et al. nicht frei sein wird – multivariate Auswertungsverfahren sind in Feldern mit zahlreichen Va­riab­len angezeigt. Nehmen wir die Ergebnisse von Bhoj R. Singh und seinen Kollegen als erste Hin­weise für weiterführende Studien. Die folgende Abbildung stellt die epidemiologischen Deter­mi­nanten, die in dieser Studie gefunden wurden, an­schaulich dar. Interpretationshilfe: Gravierende Auswirkungen von Covid-19 auf die Sterblichkeit sind dann zu ver­zeich­nen, wenn die Kurve nach rechts hin höher verläuft.

Sing et al - Covid Mortality Determinants

Abbildung 13: Faktoren, die mit signifikanten Unterschieden in der Sterblichkeit mit Covid-19 einhergehen (aus: Singh et al., 2020, Stand vom 15.4.2020)

Die Rolle, die die verpflichtende TBC-Impfung zu spielen scheint, wirft direkt medizinische For­schungs­fragen auf. „This observation indicated that TB, which may result in injured or stressed lungs, may make a patient more prone to the respiratory failures seen with Covid-19.“ (a.a.O.) Die übrigen Faktoren, die die Forscher als signifikant ermittelt haben, gehören im Grunde zu einem Themenkomplex: Die Über­alterung der westlichen Gesell­schaften bietet dem neuen Corona­virus eine größere Angriffsfläche. Das unschöne Wort „Überalterung“ bezieht sich nicht auf den einzelnen Menschen, es meint vielmehr einen soziologischen Sachverhalt: das signifikant höhere Durchschnittsalter der Bevölkerung in der sogenannten „Ersten Welt“ im Vergleich zur „Dritten Welt“, die mit einem signifikant größeren Anteil der älteren Bevölkerung einhergeht. So para­dox es erscheinen mag, resultiert sie aus einer besseren medizinischen Grund­ver­sor­gung, die mit einer Abnahme von TBC-, HIV- und CV-Erkrankungen einhergeht, sowie mit der wirksamen Bekämfung von Hunger. Gleichzeitig haben die west­lichen Industrieländer die TBC-Impfungen in der Regel aus­gesetzt. „Die positive Korrelation zwischen dem hohen Durch­schnitts­alter und der Morbidität (r = 0.44, p = 0.0001) und der Mortalität (r = 0.35, p = 0.0001) in Ländern mit einer höheren Lebens­er­war­tung zeigt, daß die Bedeutung von Komorbiditäten für die Schwere von Covid-19 mög­licher­weise sowohl von einigen derzeit noch unbekannten Kontextfaktoren als auch von der Altersstruktur beeinflußt werden.“ (a.a.O., Übersetzung VK) Bei Covid-19 handelt sich also um eine Krank­heit, die bislang die Wohl­stands­länder stärker betrifft, als die Entwicklungsländer. Mit anderen Worten: in den Ent­wick­lungs­län­dern dominieren nach wie vor andere Faktoren, die die Lebens­erwartung und die Sterblichkeit be­stim­men. Im Um­kehrschluß bedeutet dies wiederum, daß die Auswirkungen von Covid-19 beispielsweise in Afrika wahrscheinlich tatsächlich weniger gravierend ausfallen werden als in den In­dustrieländern. Vor allem deshalb, weil es dort andere schwerwiegende Probleme gibt, die die Lebenserwartung ver­ringern, aber auch, weil dort weniger auf Covid-19 getestet wird. Erwähnenswert sind schließlich auch die Faktoren, die bislang in keinem signifikanten Zu­sam­men­hang mit Covid-19 stehen. Sie erscheinen zumindest teilweise vergleichbar mit den aus­ge­schlos­senen Variablen in der Havard-Studie von Xiao Wu et al. (2020):

  • Malaria
  • Diabetes
  • Bevölkerungsdichte
  • Analphabetentum

Daß die Bevölkerungsdichte in keinem signifikanten Zusammenhang zu Covid-19 zu stehen scheint, überrascht. Zu erwarten wäre, daß sich das Virus in beengten Wohnverhältnissen schneller aus­breitet. Zum einen wird in äußerst dicht besiedelten Regionen jedoch eine geringere Überalterung anzutreffen sein, zum anderen wissen wir nicht, ob es nicht gerade dort bereits eine höhere Hinter­grund­immunität (Dunkelziffer) vorhanden ist.

Bipolare epidemiologische Erinnerungskulturen

Fraglich bleibt, ob es sinnvoll ist, von einer Epidemie oder Pandemie zu sprechen, wenn nur ver­gleichs­weise kleine Subgruppen der Bevölkerung und diese auch nur bei Vorhandensein weiterer Gefährdungsfaktoren durch das Virus bedroht sind. Diese Frage ist vor allem in Hinblick auf künftige, neu entdeckte Viren oder Viren-Mutationen von Bedeutung. Anhand welcher Kriterien sollte die Gefährlichkeit eines neuartigen Erregers beurteilt werden? Möglicherweise offenbart das neue Corona­virus durch sein Auftreten in einem kurzen Zeitraum eher Defizite und Stö­run­gen im Gesundheits- und Sozialsystem sowie im Umweltschutz und nicht nur in der Lunge. Deutschland schneidet dabei im internationalen Vergleich recht gut ab. Als weiteres Ergebnis ist festzuhalten, daß die Infektion durch das neue Virus nicht gleich­zusetzen ist mit der durch ihn hervorgerufenen Krankheit Covid-19. Diese Einsicht erscheint banal, wird in den Medien wie auch in der Ansprache der Bundeskanzlerin jedoch verwischt. Die über­große Mehrheit der mit dem neuen Coronavirus Infizierten erlebt keine oder nur milde Krank­heits­symptome. Die Lungenkrankheit Covid-19, die mit dem neuen Virus in Zusammenhang gebracht wird, wirkt sich vor allem bei über 80jährigen auf die Mortalität aus, wobei wir wegen des milden Winters (Klima­wandel?) nicht wissen, ob Covid-19 zu einem leicht verfrühten oder leicht ver­späteten Ableben der älteren und ältesten Erkrankten beigetragen hat – eine Frage, die noch über­lagert wird vom Grad der lokalen Luftverschmutzung. Ein Vergleich der Mortalitätsziffern früherer Epidemien kann den Horizont erweitern und helfen, die Wirkung des neuen Virus historisch einzuordnen. Warum eigentlich wurde mit dem Auftreten des HI-Virus keine sexuelle Kontaktsperre außer für beiderseitig negativ getestete Ehepartner ausgesprochen? Warum eigentlich durfte der Grippevirus 2017/18 ohne Ein­schrän­kungen über uns herfallen? Stellt SARS-Cov-2 eine Ausnahme dar oder gehören Viren zu un­serem biologischen System, so daß es unmöglich ist, sie zu „besiegen“?

Zeit

Name

Infizierte

Todesfälle

%

1346–1353

1. Pest

25 Mio.

1519/1520

Pocken (Mexiko)

5 – 8 Mio.

1665 – 1714

2. Pest

1.1 Mio

1775 – 1871

Pocken

vor allem indigene Völker

mind. 25.000

1896

3. Pest

12 Mio.

1898-1899

Russische Grippe, Pferdeempidemie

1 Mio.

1918-1920

Spanische Grippe

50 Mio.

1957-158

Asiatische Grippe

1-2 Mio.

1961 ff.

Cholera

mehrere Mio.

1968-70

Hongkong-Grippe

1 Mio.

1977-1978

Russische Grippe

700.000

1980 ff.

HIV

36 Mio.

1997

Vogelgrippe H5N1

861 (milde Krankheitsver­läufe wurden nicht gemeldet)

455

52.8

2002

SARS

9.6

2009-2010

Schweinegrippe H1N1

18.449

0.02

2014-2016

Ebola

28.639

11.314

39.5

2016

Cholera

1.7 Mio

3340

0.2

2017-2018

Virusgrippe

646.000

(in Dtl. höchste Sterblichkeit seit 30 Jahren)

2012

MERS

34.4

Tabelle 7: Ausgewählte historische Epidemien (Quelle: Wikipedia, Statista, Download vom 7.4.2020)

Unser statistischer Schiedsrichter schüttelt angesichts dieser Tabelle den Kopf: Ist sie methodisch nicht genauso fragwürdig wie Tabelle 1 von ALM e.V.? „Nein“, flüstert der Schiedsrichter, „es  gibt einen wichtigen Unterschied: Vor dem 20. Jahrhundert gab es noch keine empirische Sozial­forschung. Es wäre daher unbillig, vergleichbare statistische Ergebnisse zu erwarten.“ Die Zahlen in Tabelle 7 spiegeln lediglich die Größenordnung wieder und dienen der historischen Einordnung. Eine Bemerkung zur sogenannten Spanischen Grippe, die, anders als es der Name sagt, ihren Ursprung vermutlich in den USA hatte und gegenwärtig gern zum Vergleich mit der Corona-Krise herangezogen wird: Die einst vergessene oder verdrängte Spanische Grippe eignet sich hervor­ra­gend, entweder um zu relativeren oder um zu alarmieren. Sie riß weltweit schätzungsweise 50 Millionen Menschen in den Tod, in Deutschland etwa 430.000. Damit stellt sie die schlimmste Seuche der Mensch­heits­geschichte dar, nach Einschätzung des emeritierten britischen Virologen John Oxford schlimmer als die Pest. Die Opfer­zahl übertraf die Zahl der Weltkriegstoten – etwa 20 Millionen Menschen, die Hälfte davon Zivilisten – um mehr als das Doppelte. Den Menschen war, als die Spanische Grippe im Frühjahr 1918 ausbrach, nicht bewußt, daß sie in einer Tragöde münden würde. Zu Beginn gab es zwar viele Infizierte, aber nur wenige Tote. Die Infek­tionswelle verlief mehrgipflig – erst der zweite Scheitelpunkt im Herbst 2018 erwies sich als tödlich, stellte Wilfried Witte (2008) fest, Historiker und Arzt an der Charité. Die Gemeinsamkeiten mit der Corona-Krise halten sich in Grenzen: Neben sehr jungen und sehr alten Menschen starben an der Spani­schen Grippe auch viele 20- bis 40-Jährige, unter anderem Männer, die sich eben noch im Krieg befanden. Es ist anzunehmen, daß deren Immunsystem ge­schwächt war. Die Enge in den Militärlazaretten trug ihrerseits zur raschen Verbreitung der In­fektion bei.  »Täglich ertönen die Sterbeglocken«, ließ der Gießener Anzeiger vom 8.11.1918 ver­lau­ten. Die an der Spanischen Grippe Verstorbenen wurden nicht ge­son­dert gezählt. Der irreführende Name der Krankheit ergab sich aus dem Umstand, daß Spanien nicht am Großen Krieg beteiligt war und die spanische Presse nicht der Militärzensur unterworfen war. Die kriegsbeteiligten Länder hüteten die Zahl der Infektionsopfer als Staatsgeheimnis. Auch vom Erreger wußte man nichts Näheres. Die Bezeichnung „Virus“ war noch nicht einmal erfunden. Im Bewußtsein der Zeit­ge­nossen setzte sich die Vorstellung von Richard Pfeiffer durch, der noch bei Robert Koch studiert hatte: Ursache der Grippe sei ein Bakterium, er nannte es Haemophilus influenzae. Erst in den 1930er Jahren wurde der Irrtum mit der Entdeckung der Viren aufgeklärt. Wir tappen also, was die Spanische Grippe angeht, sowohl ge­schichtlich als auch medizinwissenschaftlich weitgehend im Dunkeln. Da scheint es, als wäre die moderne Epidemiologie vergleichsweise weit fort­geschritten – aber Vorsicht, wir können nicht wissen, welchen Irrtümern wir heutzutage aufsitzen. „Mahnend zu erinnern“, anhand der Schablone der Spanischen Grippe auf die Möglichkeit eines ähnlich katastrophalen Ereignisses hin­zuweisen, gehört auch jetzt wieder zum Geschäft: „Das klassische Rezept der Politik der Angst ist das Heraufbeschwören historischer Katastrophen, sei es die Spanische Grippe, der Faschismus oder die gescheiterte Appeasement-Politik gegen Hitler. Die gezogenen Analogien entbehren auf den zweiten Blick jeder Faktentreue.“ charakterisierte Michael Hermann (2009) beispielhaft den heutigen Zeitgeist. Wie konnte die Spanische Grippe in Ver­gessenheit geraten? Dazu gibt es verschiedene Thesen: Die Grippe kam schleichend, brachte keine Helden hervor, viele Länder standen noch im Krieg, die Menschen waren mit anderen Nöten beschäftigt. Gleichzeitig kursierten noch weitere verheerende Krankheiten, Typhus bei­spielsweise. Die Menschen hatten sich an die Gegenwart des Todes gewöhnt. Schließlich fesselten das Kriegs­ende und die Revolution im Herbst 1918 die Auf­merksamkeit. Erst in den 1990er Jahren nahm das Interesse an der Spanischen Grippe sprunghaft zu. „Die mas­sen­­mediale Thematisierung der Spanischen Grippe im Jahr 1997 findet ihren Anlass ins­be­sondere darin, dass in Hongkong mehrere Personen an einem mysteriösen Virus, der später als Influenza-Typ H5N1 identifiziert wurde, erkrankten und einige auch daran starben. Auch wenn in wissen­schaftlichen Fachkreisen bereits ab den späten 1980ern die Furcht vor Pandemien zunahm (vgl. Weir/Mykhalovskyi 2010: 29ff.), so verschaffte diese Identifikation eines tödlichen Influenza­typus dieser Sorge einen konkreten Thematisierungsanlass und damit verbunden massenmediale Sichtbarkeit.“ konstatierte Luca Tratschin (2018, 15). Die Zweiteilung der „epidemiologischen Erin­nerungskultur“, wenn ich das einmal so nennen darf, hält bis heute an. Luca Tratschin hat sie eindringlich beschrieben: Auf der einen Seite findet sich ein erregerorientierter und warnend in die Zukunft gerichteter Umgang mit ver­gan­genen Epidemien. Auf der anderen Seite steht das Bemühen, historisch-kritisch die Be­son­derheiten in der gesellschaftlichen Situation während des Ausbruchs der jeweiligen Epi­de­mie zu ver­stehen. Zu schön, um wahr zu sein, ist die Hoffnung, beide Erkennt­nis­wege würden parallel verlaufen und sich ergänzen. Häufig bremsen sie sich gegenseitig aus und mit ihnen ihre jeweiligen Verfechter:  Wer das Singuläre der Situation 1918/20 erforscht, kommt eher zu dem Schluß, daß sich die Bedingungen für solch einen Epidemieausbruch nicht noch einmal in dieser Form wiederholen wer­den. Wer sich wie Christian Drosten auf die Bio­logie des Erregers und die epidemiologischen Folgen fokussiert, erkennt in einem neuen Virus rasch den Vorboten einer erneuten Spanischen Grippe. „Die vergangenheitsorientierte Erinnerung, die mit einiger Verzögerung in der massenmedialen Thematisierung an Prominenz gewinnt und ihre Sichtbarkeit wohl der Etablierung der Spanischen Grippe durch die Thematisierung der aktuellen Pandemiegefahr verdankt, untergräbt die Plau­si­bi­lität der zukunftsorientierten Erinnerung: Sie stellt die Projektion der vergangenen Spa­nischen Grippe als Gefahrenszenario der Zukunft in Frage.“ (ebd.)

Versuch einer Zwischenbilanz

Momentan bleibt festzuhalten, daß sich Covid-19 nur zeitlich und räum­lich begrenzt auf die Sterb­lichkeitsziffer ausgewirkt hat. Es ist zu hoffen, daß in den kommenden Wochen weiter­hin dieses, vergleichsweise milde Szenario zu beobachten ist. Ge­mes­sen am Maßstab der Gesamt­be­völkerung ist bisher keine signifikante Steigerung der saisonalen Sterb­lichkeit erkennbar – für die Ein­stufung einer Krankheit als Pandemie sollte aber die Auswirkung auf die Mor­talität in der Gesamtbevölkerung eine entscheidende Rolle spielen, um weitreichende rigide Maß­nah­men für eben diese Gesamt­be­völ­kerung zu rechtfertigen. Ein momentan wahrscheinliches Szenario ist, daß es sich bei Covid-19 nicht um eine Epidemie oder Pandemie handelt, sondern um ein umgrenztes endemisches Krankheitsgeschehen wie etwa Malaria, um einmal nicht den überstrapazierten Vergleich mit der Influenza zu bemühen. Krank­heiten dieser Art können wir nicht mit dem Ziel „bekämpfen“, daß wir sie loswerden. Das „Los­werden“ von Problemen ist eher ein kulturelles, vor allem „abendländisches“ Problem, nämlich eine Frage der Haltung zu Natur und Körperlichkeit. Im Zuge der Steigerung der technischen Machbar­keit kommt dem westlichen Menschen das Bewußtsein abhanden, daß er die Erde nicht alleine bevölkert, sondern sich mit zahllosen Lebewesen arrangieren muß. Ein „Lockdown“ als Reaktion auf ein lokales endemisches Geschehen würde bedeuten, die gesamte Produktion von Streichhölzern, Feuerzeugen und überhaupt sämtlichen entzündlichen Materialien zu verbieten, weil es an manchen Orten noch nicht gelungen ist, ein Lagerfeuer zu löschen… – um die Metapher vom „Feuer austreten“ einmal weiter zu denken. Selbstredend kann auch ein einzelnes kleines Lagerfeuer hochgefährlich sein, wenn es in einem verdorrten, aus­getrock­neten Wald entfacht wird, der Wind ungünstig steht etc. Der „Lockdown“ aber ist keine geeignete Feuerwehr.

Alters-Paradoxien

Ein Blick auf die Altersstruktur der mit Covid-19 Verstorbenen zeigt: „Der Alters­median liegt bei 82 Jahren, die Spanne zwischen 28 und 105 Jahren. Von den Todes­fällen waren 631 (86%) Personen 70 Jahre und älter.“ (RKI Lagebericht vom 1.4.2020). Den höchsten Anteil an den Verstorbenen haben die über 80jährigen – dieser Umstand ist in allen Ländern, von Beginn des Ausbruchs von Covid-19 bis heute, durchgängig zu beobachten – das heißt, es ist mit hoher Wahrscheinlichkeit davon aus­zugehen, daß ihr Tod zu keinem Exzeß in der Jahresbilanz der Mor­talitäts­ziffer führt. In den Ländern, wo die Sterb­lichkeit aufgrund der hohen Luftverschmutzung sowie der unzureichenden me­di­zi­nischen Ver­sor­gungs­struktur angesichts der Herausforderung durch den neuen Virus kurzzeitig in die Höhe schnellte  – im Wesentlichen also Wuhan, die Lombardei, Madrid und New York – waren durchweg die ältesten Teile der Bevölkerung am stärksten be­troffen:

Alters­gruppe

VR China (mort)

Italien (mort/dist)

Spanien (mort)

USA (dist)

Deutschland (m / w) absolut

< 60

< 1,3%

<2,3% / 5%

< 0,9%

< 3%

39 / 9

<70

3,6%

8,5% / 11,7%

2,8%

2,7 – 4,9%

53 / 19

<80

8%

22,6% / 31,1%

9,4%

4,3 – 10,5%

153 / 47

>80

14,8%

30,8% / 40%

18,8%

10,4 – 27,3%

270 / 177

>90

27,4% / 10.2%

22,8%

52 / 51

Tabelle 8: Mortalitätsrate (mort) bzw. Verteilung (dist) der Todesfälle bei nachgewiesener Covid-19-Erkran­kung (Quelle: Statista vom 6.4.2020, Altersgrenzen in den USA: <64, 65-74, 75-84, > 85 Jahre, Todesfälle in Deutschland in Zusammenhang mit Covid-19 insgesamt: männlich: 567, weiblich: 304 (Stand 3.4.20)

RKI Altersstruktur der Todesfälle 2020-04-25

Abbildung 14: Altersverteilung der Todesfälle in angeblichem Zusammenhang mit Covid-19 in Deutschland (Stand: 25.4.2020)

In allen betroffenen Ländern wirkte Covid-19 am ehesten bei den über 80jährigen tödlich. Dabei ist in dieser Altersgruppe natürlicherweise auch unter „nor­malen“ Umständen von der höch­sten Sterblich­­keit auszugehen – daher werden die sogenann­ten „Corona-Toten“ in der Jahres­bilanz aller Wahrscheinlichkeit nach keine signifikante Erhöhung der Mortalitäts­rate bewirken. Werfen wir zum Abschluß einen Blick auf die Altersverteilung der positiv mit dem neuen Corona­virus getesteten Personen in Deutschland:

Altersgruppe

Anteil der positiv getesteten Personen

< 5 Jahre

0,8 %

5–14 Jahre

2,0 %

15–34 Jahre

25,3 %

35–59 Jahre

46,7 %

60–79 Jahre

18,9 %

>= 80 Jahre

6,4 %

Tabelle 9: Altersverteilung der „Corona-Infizierten“ (Quelle: RKI-Lagebericht, RKI-Steckbrief vom 3.4.2020, vgl. Schilling et al.,  Epidemiologisches Bulletin, 17, 2020 vom 9.4.2020, Tab. 1)

In­fiziert sind mehrheitlich nicht die älteren und ältesten Menschen, die vermehrt mit Covid-19 ster­ben, sondern die 35- bis 60jährigen, also die Altersgruppe, die sich in diesem Winter am häufigsten im Tiroler Skigebiet tummelte. Während die italienischen und spanischen Skifahrer nach dem Winterurlaub in Mehrgenerationen-Haushalte zurückkehrten und bei gemeinsamen Mahl­zeiten mit den Großeltern und Urgroßeltern in engem Kontakt waren, kehrten die deutschen Skifahrer mehrheitlich in Klein- und Kernfamilien zurück, während die Großeltern und Ur­großeltern selbständig in eigenen Wohnungen lebten oder in Pflegeheimen untergebracht waren. Es erscheint plausibel, daß diese familiensoziologischen und kulturellen Differenzen zu unter­schiedlichen Infektionswegen des neuen Coronavirus beigetragen haben. Es ist aber nicht so, daß die Deutschen einfach nur Glück gehabt hätten, wie Christian Drosten vor einigen Tagen resigniert resümierte. Vielmehr erwies sich die eigentlich löbliche familiäre Betreuung der älteren und ältesten Menschen in Südeuropa an­gesichts der Corona-Herausforderung als Bumerang, während sich die deutsche Tradition der Heim­unterbringung zunächst ersteinmal als ein Schutzschild erwies. Rasch aber kann sich der Schutzschild in eine Falle verwandeln. Sobald das neue Coronavirus in den deutschen Alters- und Pflegeheimen grassiert, wird auch hierzu­lande die Sterb­lichkeit in Zusammenhang mit Covid-19 anschwellen. Seit Tagen warnt das RKI vor einer Ausbreitung des neuen Virus in den Altenheimen. Die reflexhafte Reaktion, die Heime hermetisch abzuriegeln und den Besucherverkehr komplett zu unter­binden, erscheint aus dieser Sicht nachvollziehbar. Sie ist notwendig, aber nicht hinreichend, um die Bewohner der Altenheime zu schützen. Der paradoxe Befund, daß die 35- bis 60jährigen am häufigsten mit dem neuen Virus, aber die über 80jährigen am häufigsten an Covid-19 sterben, stellt ein schwergewichtiges Indiz dafür dar, daß das neue Virus nicht an sich tödlich wirkt, sondern erst in Wechselwirkung mit weiteren Faktoren, die die öffentliche Gesundheit betreffen, gefährlich wird. Außerdem ist zu sehen, daß die übliche Geschlechterdifferenz – Männer sterben früher als Frauen – auch bei den mit Covid-19 in Zusammenhang gebrachten Todesfällen gilt. Sie ist be­kannt­lich auf eine Viel­falt psychosozialer Faktoren (etwa Gesundheitsbewußtsein, Risikobereitschaft)  zu­rückzuführen und läßt sich nicht mono­kausal erklären. Wesentlich stellt sich die Frage, welcher Anteil dem neuen Virus und welche Antei­le weiteren Fakto­ren zugeschrieben werden müssen. Hier geht es nicht allein um Infektionswege, Familien­kulturen, Luft­ver­schmutzung, Bluthochdruck und die Einnahme von blut­drucksenkenden Medikamenten. Die „Über­alterung“ der westlichen Be­völkerung mag in Zeiten, die wir als „normal“ empfinden, ein Indiz für eine gesunde und nachhaltige Lebensweise – la dolce vita – darstellen. Der springende Punkt ist die Redundanz des Ge­sund­heitssystems, um Krisen auffangen zu können. Je mehr – möglicherweise infolge von Privatisierung – in Zeiten ohne Epidemien ge­spart wird, desto weniger Kapazitäten weist das System auf, um mit Stress umgehen zu können. In den USA rächt sich das Fehlen einer Gesundheits­grundsicherung in Form einer gesetzlichen Krankenversicherung. Derart plötzliche Heraus­forderungen wie durch Covid-19 kann die völlig privatisierte Gesundheitsfürsorge nicht meistern. Ob Schweden mit derzeit wenigen ITS-Plätzen für das gesamte Land der Heraus­forderung gewachsen sein wird, erscheint fraglich. Zumindest hielt die Übersterblichkeit in Schwe­den bis Ende Mai und damit länger an als in den Lockdown-Ländern. An dieser Stelle müssen wir uns auf einen kleinen Exkurs ans Fußende der Alterspyramide begeben: Obwohl die Zahl der Positiv-Befunde Ende Mai 2020 bereits das Niveau von Anfang März weit unterschritten hatte, blieben zahlreiche Beschränkungen des öffentlichen Lebens weiterhin bestehen. Dies betraf nicht nur Großveranstaltungen, etwa in Fußballstadien, sondern vor allem auch die Kindertageseinrichtungen und Schulen. Es entbrannte ein heftiger Streit, ob Kinder das Virus genauso wie Erwachsene weitergeben oder ob sie weniger infektuös seien. Offensichtlich entwickeln sie signifikant seltener eine klinische Symptomatik – dies bestätigte eine Metastudie von Jonas Ludvigsson vom Karolinska Institutet, in die Daten aus 700 Studien einflossen, von denen 47 im Detail analysiert wurden. „Kinder machten nur einen kleinen Teil der Covid-19-Fälle aus und hatten meist soziale Kontakte zu Gleichaltrigen oder Eltern, nicht zu älteren Menschen, bei denen das Risiko einer schweren Krankheit bestand. Daten zur Viruslast waren selten, zeigten jedoch, dass Kinder möglicherweise niedrigere Werte als Erwachsene aufweisen, auch weil sie häufig weniger Symptome (z.B. Husten) aufweisen, was das Übertragungsrisiko offenbar verringert. Studien zur Übertragung innerhalb von  Haushalten zeigten, daß Kinder selten der Indexfall waren.  Deutlich wurde außerdem, daß Kinder mit Covid-19 selten Ausbrüche der Krankheit verursachten. Es ist zwar sehr wahrscheinlich, daß Kinder das SARS-COV-2-Virus übertragen können und daß auch asymptomatische Kinder eine Viruslast haben können. Es ist aber unwahrscheinlich, daß Kinder „Virenschleudern“ und „Haupttreiber“ der Pan­demie sind. Es ist unwahrscheinlich, dass die Eröffnung von Schulen und Kindergärten die COVID-19-Sterblichkeitsrate bei älteren Menschen beeinflußt. Hinweise aus der Realwelt deuten auf eine begrenzte Verbreitung von COVID-19 zwischen Kindern und von Kindern ausgehend … Ein neun­jähriger Junge besuchte drei Schulen, obwohl er symptomatisch mit Covid-19 war, aber keiner seiner 112 Schulkontakte erkrankte an Covid-19.“ (Ludvigsson 2020, Übersetzung VK) Mit anderen Worten: Ludvigsson empfiehlt den Lockdown-Ländern die sofortige und un­ein­ge­schränk­te Öffnung der Schulen und Kindertageseinrichtungen. Angesichts der beispielhaften Entwick­lung in Schweden, wo sie nie geschlossen waren, erscheint die Zögerlichkeit der Behörden, die Schulen und Kitas wieder zu öffnen – mit Ausnahme Sachsens – als ein irrationales Spiel mit Ängsten auf den Rücken der Kinder. Immerhin brachten die sorgfältigen Studien Corona-An­fälligkeit von Kindern in Heidelberg, Ulm und weiteren Orten Bewegung in die Diskussion  Kritisch setzte sich Ludvigsson mit der Auswertung klinischer Daten an der Charité auseinander, für die Christian Drosten verantwortlich zeichnete. Drostens Team gelangte zu der Interpretation, daß Kinder eine ähnlich hohe Viruslast tragen würden wie Erwachsene. Dabei unterliefen Drosten einige statistische Fehler, die von verschiedenen Seiten recht schnell aufgedeckt wurden und seinem „Preprint“ die zweifelhafte Ehre verschafften, in der Bild-Zeitung verrissen zu werden. Ludvigsson resümierte in Bezug auf die Charité-Studie: „Die Tatsache, daß ihre Postdoc-Tests keine statistische Signifikanz erreichten, war wahrscheinlich auf die große Anzahl von Tests zurück­zuführen. Sie führten paarweise Vergleiche durch, anstatt Kinder mit Erwachsenen zu vergleichen. Doch der Prozentsatz der Fälle, die in dieser Studie positiv auf Covid-19 getestet wurden, war bei Kindern niedriger (3,0%) als bei Erwachsenen (5,5%). Dabei muß berücksichtigt werden, daß in dieser Studie hauptsächlich symptomatische Personen getestet wurden – und das ist wenig relevant für die Frage von Schulöffnungen.“ (Ludvigsson 2020, Übersetzung VK)

Altersverteilung_Covid_D_KW - RKI

Abbildung 15: Relative Altersverteilung von  Covid-19 in Deutschland (RKI Lagebericht vom 3.6.2020)

Eine derart deutliche Empfehlung konnte Christian Drosten nicht unerwidert lassen. Gewohnt alarmistisch führte er in seinem NDR-Podcast (Folge 45) eine Graphik des RKI-Lageberichts (Abbildung 15) an, um zu beunruhigen: In den beiden Altersgruppen, die Kinder betreffen, habe sich ab der zwölften Kalenderwoche – d.h. mit dem Beginn des Lockdowns – eine „dramatische“ Verdopplung der Fall­zahlen gezeigt. „Das ist denkwürdig“, meinte Drosten und plaudert darüber, daß genau zu dieser Zeit die Schulen und Kitas geschlossen wurden, sich die Kinder als zu Hause angesteckt haben müßten. Es seinen also „Diffusions-Phänomene“ im Spiel – „Halt, falsch!“, ruft unser statistischer Schieds­richter und zückt die gelbrote Karte: „Lieber Drosten“, spricht er ins geisterhafte Kopfball-Stadion zu den Zu­schauern vorm Fernseher, „erkennst du nicht, daß es sich um die relative Altersverteilung handelt? An den tatsächlichen Infektionszahlen der Kinder hat sich doch gar nichts geändert, ledig­lich die ho­hen Zahlen bei den mittleren und älteren Erwachsenen sind zurückgegangen. Bevor du wei­ter­spielst, mach mal eine Pause – ich schicke dich auf die Trainingsbank und besuch doch mal einen Elemen­tarkurs in Statistik.“

Die eigentliche Frage, um die es geht: Alter, Krankheiten und Tod

Kehren wir von unserem kleinen Exkurs wieder zur Spitze der Alterspyramide zurück: Das neue Virus wirft letztlich eine alte, tiefergehende, gesell­schaft­liche und kul­turelle Frage auf: Wie gehen wir mit dem Altern, mit teilweise un­ausweichlichen und un­heilbaren Alterskrankheiten und schließlich mit dem un­ver­meid­lichen Tod um? Wie wollen wir damit umgehen? Alte Menschen in Heimen und Kranken­häusern ein­zusperren und zu isolieren, ihnen nur noch wie Astronauten in Schutzkleidung zu begegnen und zugleich den Beistand ihrer liebsten Angehörigen zu verwehren, um sie somatisch länger am Leben zu erhalten, das erscheint – gerade aus ethischer Sicht – als eine äußerst fragwürdige Lösung. Die Empfehlungen des RKI für Alten- und Pflegeeinrichtungen vom 14.4.2020 zielen ausschließlich auf die Sicherung der somatischen Gesundheit der Bewohner dieser Heime ab. Sie nehmen ihre ge­fängnismäßige Isolation billigend in Kauf – wir erinnern uns: vor kurzem noch gal­ten Pflegeheime nicht als Gefängnisse – und ignorieren vollständig die Trinität des bio­psychosozialen Wesens namens Mensch. Gerade in Deutschland haben wir grausame Erfahrungen mit der Reduktion des Menschen auf seine biologische Dimension gesammelt. Das medizinische Men­schenbild weist der Hygiene einen hohen Stellenwert zu. Kommt es bei ihr nicht auf die Weisheit des Paracelsius, sprich auf die Dosis an? Übertriebene Hygiene schwächt das Immun­system. Übertriebene Hygiene mündet in Hybris. Die Maßstäbe, die wegen der Keimbelastung Kranken­häusern anzulegen sind, lassen sich nicht auf die Allgemeinheit übertragen. Der erfahrene Palliativmediziner Matthias Thöns sprach im Deutschlandfunk am 11. April von Quälerei, der die Ältesten durch die Behandlung auf der ITS ausgesetzt werden – nicht selten  würden Schwerstbehinderungen resultieren, die dann das Leid der letzten Tage steigern. Welche Qualität hat das Leben dann noch? Und welche Risiken bedeutet die soziale Isolation für die Gesundheit und das Überleben der älteren und ältesten Menschen? Geht es in den meisten Fällen, in denen das Leben der über 80jährigen Menschen nun zusätzlich auch durch Covid-19 bedroht ist, nicht um eine Abwägung zwischen palliativer, psycho­sozialer und kausaler medizinischer Be­handlung? Charak­terisiert dieses Dilemma nicht die Gerontomedizin insgesamt, ganz unabhängig von Covid-19, d.h. inwiefern stellt Covid-19 überhaupt eine neue Fragestellung dar? In den letzten Wochen habe ich – gut dreißig Jahre nach dem Mauerfall – ein vergilbtes Buch in meiner Hausbibliothek wiederentdeckt: Der vormundschaftliche Staat, verfaßt von dem Juristen Rolf Henrich in den 1980er Jahren, durfte in der DDR nicht erscheinen, kam 1989 erst bei Rowohlt in Reinbek bei Hamburg, 1990 dann bei Kiepenheuer in Leipzig heraus. Es war so etwas wie eine Bibel für DDR-Kenner. Was ich im Laufe der Zeit vergaß: Rolf Henrich widmete ein ganzes Kapitel seines Buches dem Thema „Sozialismus und Tod“. Ersetzen wir das Adjektiv „sozialistisch“ probeweise durch das Wörtchen „modern“, so haben seine Einsichten nichts an Aktualität verloren: „Um das Wesen der Moderne weiter zu erhellen, soll jetzt das Augenmerk auf dasjenige Phänomen gelenkt werden, das als letztes Geheimnis allem Sein zugrunde liegt: auf den Tod. Jeder wahre Weise interessiert sich für ihn und strebt danach. So jedenfalls lehrt es uns der alte Lebemeister Sokrates im ‚Phaidon’. Richtiges Leben bedeutet deshalb Sterbenlernen. In allen herkömmlichen Geistes­schulen ebenso wie in den Mysterien des Altertums wurde stets darauf geachtet, daß die Beteiligten sich praktisch auf das Erlebnis des Todes einließen … Das moderne Bewußtsein will vom ‚Sein zum Tode’ nichts mehr wissen. Mit diesem Bewußtsein und mit der Entwicklung eines ‚modernen Gesundheitswesens’ ist im Hinblick auf den Tod eine neue Situation eingetreten. Denn zahllose Menschen, die in der Vergangenheit längst gestorben wären, werden heute mittels Herzschritt­machern, mit Hilfe mechanischer Nieren und anderem Gerät künstlich am Sterben gehindert … Es ist also zu fragen, was aus einer Gesellschaft wird, die das Sterben behindert und den Tod zu­nehmend aus ihrem Bewußtsein drängt … Dieser ganz dem empirischen Bewußtsein verpflichteten Ethik zufolge ist der Mensch nichts weiter als eine Erscheinung in der Zeit, weshalb ihm der Tod als Vernichtung erscheint. Dagegen muß man sich mit allen verfügbaren Mitteln zur Wehr setzen. Den Tod hinauszuschieben ist deshalb der Endzweck des Gesundheitswesens, denn das gegenwärtige Leben im Fleische soll verlängert werden um jeden Preis. Um das aber zu erreichen, muß sich die Gesellschaft ‚auf eine völlig neue Weise auf den sterbenden Menschen einstellen. Es ist nicht selten ein Kranker, der weder essen noch trinken kann, der künstlich beatmet wird, der also von einer Fülle technischer Einrichtungen umgeben ist.’ Erstmalig in dieser Lage – im Zeitalter des totalen Einsatzes der Medizintechnik – bewahrheitet sich das Wort vom Körper als dem ‚Kerker der Seele’. So sterben denn die Alten zu spät, und ihr sinnlos verlängertes Leben wird zur Last. Herausgerissen aus ihren Familien, lieblos durchgefüttert aus Pflichtgefühl, wird den Alten jede Entscheidungs­freiheit über ihr Leben und ihren Tod genommen … Bis zu seinem Tode soll der Mensch daran gehindert werden, für sich und sein weiteres Leben selbstbestimmt zu entscheiden. Noch in seinem Sterben soll der Mensch den Geist der bürokratischen Vormundschaft zu spüren bekommen, ganz so, als sei der Mensch in Ewigkeit und nicht nur hier auf Erden von der Macht abhängig.“ (S. 215-218) Wie nah ist das „moderne“ Verhältnis zum Altern und Sterben dem staats­sozia­listischen, vor­mund­schaftlichen Menschenbild? Galten nicht vor wenigen Wochen noch „Freiheit“ und „Selbstverwirklichung“ als gesellschaftliche Doktrin? Läßt sich die Corona-Krise als Zeichen des Umschwungs von einem individualistischen zu einem kollektivistischen Sozialwesen deuten, das von konservativen wie von autoritär-linken Kräften gleichermaßen begrüßt wird? Oder – wie Präsident Xi süffisant anmerkte – konnte Europa dank seines Narzissmus dem neuen Virus zum Opfer fallen? Holt uns nun – serviert von einem kalifornischen Storyteller – die „asiatische Des­potie“ ein, verschärft um den spezifisch europäischen („abendländischen“) Kategorismus, der seine Erfüllung in starren Regelungen und Normen findet, radikale anstelle von adaptiven Lösungen bevor­zugt, da es ihm schwerfällt, Zwischentöne wahrzunehmen und sich geschmeidig auf Verän­derungen einzustimmen? Wie ist es ge­lungen, den Aspekt der seelischen Ge­sund­heit praktisch komplett aus dem me­dizinischen Menschenbild zu eliminieren? Woher nehmen Politiker auf höchster Ebene die Gewißheit, wenn sie versuchen, die Öffentlichkeit davon zu über­zeugen, es sei verantwortungslos und „böse“, seinen Nächsten in der Phase des Sterbens nahe, vielleicht sogar ein Grund zur Freude und zum Glück zu sein? Ist es nicht denkbar, daß hier der Intensivmediziner die Instrumente in Gang setzt, um eine Atemnot bei einem Patienten zu beheben, der seit Jahren schon an Krebs oder Diabetes leidet? Corona offenbart einen sozialen und ökologischen Impact, zeigt die Begrenzung des mensch­lichen Lebens auch in den Wohlstandsgesellschaften, die sich anschicken, ihren Luxus – den Traum von ewiger Jugend – als allgemeine Norm zu stilisieren.

Spielergebnisse: Quintessenzen denken

  1. Politische Entscheidungsträger sollten sich an den Public-Health-Daten orien­tieren, die auf einer soliden Grundlage erhoben wurden und Mindest­standards für länderübergreifende statistische Erhebungen erfüllen. Deutschland sollte sich insgesamt an diesen Erhebungen be­teiligen.
  2. Die WHO sollte nicht nur Pandemie-Pläne, sondern auch Mindeststandards für die Erhebung der entscheidenden Public-Health-Daten entwickeln. Die Schwere der Krankheits­folgen sollte als Kriterium rehabilitiert werden und wieder bei den strategischen Ent­scheidungen der WHO berücksichtigt werden, um „falschen Alarm“ zu vermeiden und differen­zierte und adaptive („smarte“) anstelle klassischer Strategien im Umgang mit Epidemien zu fördern.
  3. Die Auswertung der nackten Zahl der positiv getesteten Personen ohne Berück­sich­ti­gung der Ge­samt­zahl der angewandten Tests ist unzulässig und darf nicht zur Berech­nung des „Ver­dop­pe­lungszeitraums“, der „Ausbreitungs­­ge­schwin­dig­keit“ oder „Reproduktionszahl“ heran­ge­zo­gen werden. Diese Variablen sind als Cut-Off-Kriterium, um politische Entscheidungen zu tref­fen, un­geeignet. Viel­mehr geht es um die Beurteilung der Auslastung der intensivmedizinischen Kapazitäten und die Bereit­stellung einer angemessenen Reservekapazität (Redundanz).
  4. Rigide Einschränkungen der bürgerlichen Grundrechte, wie sie gegenwärtig verhängt wur­den, lassen sich weder in Deutschland noch in anderen Ländern ohne saisonale Über­sterblichkeit rechtfertigen, auch nicht mit der Befürchtung einer eventuellen künftigen Über­lastung der intensivmedizinischen Kapazität.
  5. Eine Novellierung des Infektionsschutzgesetzes sollte den Schweregrad einer In­fektions­krankheit, meßbar anhand der mit ihr kausal verknüpften Mortalität, als notwendige Bedingung aufnehmen, um grundrechtseinschränkende Maßnahmen zu begründen – diese Vorkehrung erscheint staatsrechtlich geboten, um der willkürlichen Einschränkung elementarer Grund­rechte und der damit ver­bun­denen ethischen, sozialen und wirtschaftlichen Ver­wer­fun­gen vor­zu­beugen.
  6. Die Aufdeckung struktureller und personeller Interes­senskonflikte zwischen Wissenschaft (Virologie, Epidemiologie, Medizin) und der Pharma­indu­strie ist notwendig, um der zyklischen Wiederkehr menschengemachter „viraler Krisen“ vor­zubeugen. In diesem Zusammenhang ist auch die Besetzung der Führungsgremien der WHO in Frage zu stellen.
  7. Abkehr von rigiden Schutzmaßnahmen, Hinwendung zu differenzierten und adaptiven („smar­ten“) Strategien, die zum einen die tatsächlich Gefährdeten schützen, ohne als Kollateral­schaden die All­ge­mein­heit schädigen, zum anderen die Menschenwürde der Gefährdeten respektieren („doppelter Schutz“). Damit ist gemeint, daß präventive Schutzmaßnahmen nicht so gefährlich sein dürfen, daß sie selbst ein erhebliches Risiko für die seelische oder körperliche Gesundheit darstellen. Ins­besondere ist die Menschenwürde und Selbst­ver­ant­wortung von älteren Men­schen zu achten. Sie aus dem sozialen Leben auszuschließen und ohne richterlichen Beschluß weg­zusperren, ist keine Lösung, sondern grenzt an psychische Folter. Einsamkeit kann tödlich sein. Wer unter Demenz leidet, wird Schwierigkeiten haben, den Sinn eines plötzlich vom Himmel fallenden Kontakt­verbotes erkennen zu können. Unsere Angehörigen in den Heimen brauchen achtsame, sowohl soziale als auch  physische Kontakte, sowohl von den Pflegern und Pflegerinnen als auch von ihren Besuchern, Angehörigen und nahen Freunden. Testet oder meßt Fieber bei den  An­ge­stellten der Heime und die Besucher, statt die älteren und ältesten Menschen ein­zu­sperren.
  8. Zu den smarten Maßnahmen gehört die Ablösung des „Fax-Standards“ im deutschen Gesund­heits­wesen: „Daten teilen, besser heilen“ titelte der Schverständigenrat Ende April – die Be­fürch­­tung, die Gesundheitsämter seien mit der manuellen und übrigens alles andere als anony­misierten Nachverfolgung der Kontakte von nachweislich Infizierten überfordert, stellt zugleich ein Eingeständnis der Bundesregierung dar, die Digitalisierung in der öffentlichen Gesundheit nicht voranzutreiben, um smarte statt rigide Schutzmaßnahmen zu ermöglichen. In Europa verfügen Estland und Dänemark über elektronische Patientenakten. Diese Länder können nun zum einen gezielt Risikogruppen vor Gefahren durch das neuartige Virus informieren. Zum anderen können sie erforschen, welche Vorerkrankungen und vor allem welche Vor­be­hand­lungen, insbesondere welche Medikamente (Blutdrucksenker etc.) in Kombination mit dem neuen Virus ein tödliches Risiko bedeuten.
  9. „Out of the Box“ nicht auf Kosten der Schwächsten, d.h. der Kinder, die nach den heutigen Vorgaben der Regierung weiterhin an der realen Wahrnehmung ihrer elementaren, verbrieften Kinderrechte gehindert und von Spielplätzen, Kindergärten und Schulen ausgesperrt sowie in ein pädagogisch und psychologisch schädliches Korsett aus Abstandsregeln und Mundschutz genötigt werden; Mimik, Gestik und körperlicher Kontakt gehören zum altersgerechten Lernen  – die Sorge um ältere Lehrer/Erzieher und Vorerkrankte sollte sich auf deren Schutz beziehen, aber nicht aus­gespielt werden gegen die Ent­wick­lungs­chancen der Kinder.
  10. Aus der Krise lernen: Den Blick auf das Virus und seine Ausbreitung zu verengen, genügt nicht, um Lehren aus der Corona-Krise zu ziehen. Es müssen Kontextfaktoren wie Klimawandel, Luft­verschmutzung, Redundanz und ganzheitliche Qualität des Gesundheitssystems be­rück­sichtigt werden.

Unser statistischer Schiedsrichter wischt sich den Schweiß von der Stirn. Das Tournier konnte noch nicht einmal beginnen, doch die Scharmützel um „richtige Regeln“ haben ihn erschöpft. Dabei wurde ein weiteres großes Zahlenspiel noch gar nicht erwähnt bei dieser Weltmeisterschaft der Regellosigkeit: die Entwicklung der Wirtschaftszahlen. Ratlos blickt sich unser Schiedsrichter um, welcher Kollege ihn auf diesem Spielfeld ablösen kann. Wo bleiben eigentlich die Exponen­tialkurven, Modell­rechnungen und Prognosen der Volkswirtschaftler, fragt er in die anhaltende Stille. Womöglich ist dieser Acker noch welliger, rissiger, zerfurchter und unbegrenzter als das Spielfeld, auf dem  sich ein einzelnes neuartiges Virus getummelt hat… Offen bleibt die Frage: „Wieviel Natürlichkeit, wieviel Künstlichkeit stecken in der „Corona-Krise“? Vielleicht ist es noch zu früh für Antworten. Ende Mai 2020 traf ich ein fast 80jähriges Künstlerpaar, das zeitlebens mitten im Wald einen Park voller erotischer Skulpturen aufgestellt hat, eine pralle, sinnliche Szenerie zwischen Bergkühen, zwei Bächen und Nadelbäumen. Zwei- dreimal im Monat haben sie über Jahrzehnte zwei drei Musiker oder Schauspieler eingeladen, einen Abend lang für Freunde ihre Kunst aufzuführen – und nun klagen sie, daß das gerade nicht mehr geht. Und zugleich bangen sie, daß die „Lockerung“ zu früh kommen könnte… Ich habe diesem Essay ein paar alte Zitate vorausgeschickt. Denn was wir erleben, erscheint mir alles andere als neu. Neu ist möglicherweise nur die globale Uniformität der heutigen Antworten, die wir ohne Internet und Globalisierung nicht in dieser Durchschlagkraft erlebt hätten.

Literatur

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Viktor Kalinke
geb. in Jena, Studium der Psychologie und Mathematik in Dresden, Leipzig und Beijing, Kreativitäts-Preis der Hans-Sauer-Stiftung, Mitbegründer der Edition + Galerie Erata, Promotion, Professur, lebt in Leipzig.

10 Kommentare

  1. Liebe Journalisten und Medienmacher:

    In den Berichten zur Zahl der Infektionen mit dem neuen Corona-Virus und der Verstorbenen wird zunehmend eine gravierende Sprachungenauigkeit deutlich: häufig wird vereinfachend von „Corona-Toten“ gesprochen. Spätestens seit der Tagesschau vom 21.3.2020 ist den Lesern, Hörern und Zuschauern jedoch bekannt, daß beispielsweise die italienischen Behörden nicht zwischen Verstorbenen „an“ Corona und Verstorbenen mit sonstigen Todesursachen unterscheiden, sondern ALLE Verstorbenen in einer Zahl zusammenfassen. Diese Summe ist damit nicht vergleichbar mit den Zahlen, die von den Gesundheitsämtern in Deutschland an das RKI über die Mortalität von Infizierten mit dem neuartigen Coronavirus gemeldet werden – wobei auch hier die Todesursache nicht genauer benannt wird. Sprachliche Genauigkeit liegt uns am Herzen, nicht aus philologischer Liebhaberei, sondern wegen der sozialen Folgen, die Sprechen in der Öffentlichkeit nach sich ziehen kann. Vielleicht erinnern Sie sich an die Diskussion, die wir vor einiger Zeit zur Übersetzung kritischer Passagen in der Bibel oder im Koran geführt haben: War Maria eine „Jungfrau“ oder nur eine „junge Frau“, werden den Dshihadisten für ihren Märtyrertod „zwölf Jungfrauen“ oder nur „helle Weintrauben“ im Himmel versprochen. Ob ein Mensch „an“ dem neuartigen Corona-Virus oder „mit“ dem neuartigen Corona-Virus (und weiteren gravierenden Vorerkrankungen wie Herz-Kreislauf-Schwäche, Diabetes oder Krebs) verstirbt, bedeutet einen großen Unterschied: Wer davon spricht, die Menschen würden „an“ Corona sterben oder seine Sprechweise gar auf die Formel „Corona-Tote“ verkürzt, suggeriert damit, daß das neuartige Corona-Virus die einzige bzw. ausschließliche Todesursache in diesen Fällen darstelle. Diese Annahme hat sich vor dem Hintergrund aktueller Analysen des Spektrums der ausschlaggebenden Todesursachen bei Infizierten mit dem neuartigen Coronovirus als falsch herausgestellt. Das Festhalten an der verkürzten Sprechweise „Corona-Tote“ in den Meldungen und Nachrichten untergräbt deren Glaubwürdigkeit – viele Leser, Hörer oder Zuschauer wenden sich möglicherweise aus diesem Grund ab und suchen nach Quellen, die die Lage differenzierter und realistischer darstellen. In der besten aller Welten wünschen wir uns, dass – nicht unbedingt im Halbstundentakt, sondern einmal täglich beispielsweise – auch die weiteren relevanten Kennzahlen erwähnt werden, die zu einem statistischen Gesamtbild dazu gehören: d.h. etwa die Zahl der Negativbefunde, d.h. der als nicht-infiziert getesteten Personen – diese werden seit Anfang März ja ebenfalls von den Gesundheitsämtern an das RKI gemeldet. Die Bekanntgabe dieser Zahlen würde zur Glaubwürdigkeit der Meldungen immens beitragen. Denn viele Leser, Hörer und Zuschauer gehen realistischerweise davon aus, dass weltweit, aber auch nur auf Deutschland bezogen, die Zahl der Tests von Tag zu Tag und von Region zu Region sehr unterschiedlich ausfällt. Wenn die Meldung auf die Nennung der absoluten Zahl der Positivbefunde beschränkt ist, wird unterstellt, die Zahlen seien unmittelbar miteinander vergleichbar, d.h. sie würden auf einer konstanten Erhebungsgrundlage beruhen. Dies ist jedoch nicht der Fall und so entsteht der Eindruck von Schein-Objektivität.

  2. 1. Charakterisiere den Unterschied zwischen linearem und exponentiellem Wachstum.

    2. Vergleiche wahlweise Schweden mit Weißrussland oder China mit Nordkorea.

    3. Singe Verdi im Original.

    4.* (themenübergreifend) Benennen Sie die beiden wesentlichen Fehlerursachen
    in der heutigen Praxis von Wetterprognose.

    Zusatz: Sprechen Sie fünf Minuten lang nicht. Visualisieren Sie ein Ihnen bekanntes dynamisches System. Erklären Sie, was Sie sehen, nun einem Laien.

  3. Die akuten und langfristigen, zum Teil chronischen Folgen von Isolation sind je nach Länge, Art und Ausmaß sowie der psychischen Konstitution unterschiedlich. In Untersuchungen vor, während und nach außerordentlich langer Isolation konnten u. a. folgende Auswirkungen als „klassische Erscheinungen der Isolation im Sinne der sensorischen Deprivation und sozialer Isolation“ (Stöwsand in: Klusmeyer, 1985: 46) dokumentiert werden:

    – erhebliche Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit des vegetativen Nervensystems
    – erhebliche Störungen im Hormonhaushalt
    – Beeinträchtigung von Organfunktionen
    – Ausbleiben der Menstruation bei Frauen ohne physiologisch-organische, alters- oder schwangerschaftsbedingte Ursache (sekundäre Amenorrhoe)
    – verstärktes Gefühl, essen zu müssen: Zynorexie/Heißhunger, Hyperorexie, Fresssucht
    – im Gegensatz dazu Verringerung oder Ausbleiben des Durstgefühls
    – starke Hitzewallungen und/oder Kältegefühle, die sich nicht auf eine entsprechende Veränderung der Umgebungstemperatur oder auf eine Erkrankung (Fieber, Schüttelfrost o. ä.) zurückführen lassen

    – erhebliche Beeinträchtigung der Wahrnehmung und der kognitiven Leistungsfähigkeit
    – starke Störung der Verarbeitung von Wahrnehmungen
    – starke Störungen des Körpergefühls
    – starke allgemeine Konzentrationsschwierigkeiten
    – starke Schwierigkeiten bis hin zum Unvermögen, zu lesen bzw. das Gelesene gedanklich zu erfassen, nachzuvollziehen und in einen sinnvollen Zusammenhang zu bringen
    – starke Schwierigkeiten bis hin zum Unvermögen, zu schreiben bzw. Gedanken schriftlich zu verarbeiten (Agraphie/Dysgraphie)
    – starke Artikulations-/Verbalisierungsschwierigkeiten, die sich besonders in den Bereichen Syntax, Grammatik und Wortwahl zeigen und bis hin zu Aphasie, Aphrasie und Agnosie reichen können
    – starke Schwierigkeit oder Unvermögen, Gesprächen zu folgen (nachgewiesenermaßen aufgrund einer Verlangsamung der Funktion des primären akustischen Kortex der Schläfenlappenanteile aufgrund von Reizmangel)

    Weitere Beeinträchtigungen:

    – Führen von Selbstgesprächen zur Kompensation der akustischen und sozialen Reizarmut
    – deutlicher Verlust an Gefühlsintensität (z. B. gegenüber Angehörigen und Freunden)
    – situativ euphorische Gefühle, die später in eine depressive Stimmungslage umschlagen

    Gesundheitliche Langzeitfolgen:
    – soziale Kontaktstörungen bis hin zur Unfähigkeit, emotional enge und langfristige partnerschaftliche Beziehungen einzugehen
    – Depressionen
    – Beeinträchtigung des Selbstwertgefühls
    – Wiederkehren der Isolation in Träumen
    – behandlungsbedürftige Störungen des Blutdrucks
    – behandlungsbedürftige Hauterkrankungen
    – Nichtwiedererlangen von insbesondere kognitiven Fähigkeiten (z. B. im Bereich der Mathematik), die vor der Isolation beherrscht wurden

  4. Wäre es da nicht besser, es mit dem Testen ganz sein zu lassen? Wir geben dafür Unsummen aus, am Ende erhalten wir ein triviales Ergebnis. Wäre es nicht besser, wir nehmen uns Zeit für unsere Alten und unsere Ahnen, nehmen sie an die Hand und begleiten sie? Die zahllosen Lebewesen leben entsprechend ihrer Natur und sterben entsprechend ihrer Natur. Warum sollte der Weise etwas dazu tun?

    Der Prinz von Huainan war ein Weiser. Er sagte: „Nun: das große Dao fahren zu lassen und sich mit Erbsenzählerei zu befassen, bedeutet nichts anderes, als Krebse loszuschicken, um Mäuse zu fangen, oder Frosch und Kröte, um Flöhe zu fangen – dies genügt nicht, um den Hinterhältigen zuvorzukommen und den Böswilligen Einhalt zu gebieten, und das Chaos wächst ungeheuerlich. Wer das Dao verkörpert, ist entspannt und erschöpft sich nicht; wer sich mit Erbsenzählerei befaßt, plagt sich und erreicht nichts.“

    Oder Dag Hammarskjöld: „Es gibt nur einen Weg aus dem verfilzten Dschungel, in dem der Kampf um Ehre, Macht und Vorteil geführt wird … dieser Weg heißt: Ja sagen zum Tode.“

  5. „Rigide Einschränkungen der bürgerlichen Grundrechte—“

    Mit scheint das Grundrecht auf Leben temporär wichtiger als die „Bürgerlichen Grundrechte“.

    Nebenbei: Was sind denn nichtbürgerliche Grundrechte?

  6. Lieber Professor Doktor Torsten Klemm,

    wir finden die geplante Testreihe von 5000 Kindern ganz hervorragend an 5 Orten! Machst Du das alleine? Darfst Du dahin? Und das bei den geschlossenen Schulen und Kindergärten? Das verdient meine Hochachtung, wir haben aber in dem zu testendem Alter nur 2 Kinder im Haushalt, ich hoffe, Du schaffst es trotzdem, Herrn Drosten Zusatzdaten zu liefern.

    Vielleicht hast Du Dich auch gewundert, dass die Infiziertenzahl beim Robert-Koch-Institut ständig steigt, indem man immer addiert und nie was abzieht, werden die denn nie gesund? Wie krank sind eigentlich die Infizierten? Und was ist mit den Verstorbenen, sterben die nun „Mit“ Corona oder „Durch“ Corona? Bei der Presse findet man aber leider die unermüdliche Arbeit der Ärzte und Wissenschaftler, die nicht beim RKI arbeiten nicht so toll, Forschungsergebnisse, wie zum Beispiel die Heinsberg-Studie oder die Obduktionen der Pathologie in Hamburg haben zwar bewiesen, dass das Virus nicht so bedrohlich ist aber das stimmt dann halt irgendwie nicht mehr. Von daher muss man beim RKI arbeiten, damit eine Studie überhaupt wissenschaftlich ist. Wenn Du das nicht tust, könnte es sein, dass Deine Arbeit umsonst war und wenn dann ein Impfstoff vorher gefunden wird (man ist schon in der Testphase – Du musst Dich unbedingt beeilen!) dann ist eh alles anders.

    Soll eigentlich die geplante Testreihe die Angst der Lehrer vor den Kindern mindern oder die Angst der Kinder, die den Lehrer mit Maulkorb äh … Mundschutz sehen?
    Bei Studien zu Kindern wurde schon festgestellt in der Presse, dass entweder kein Corona vorhanden ist bei Ihnen (trotz Infizierter rundherum) oder sie keinen angesteckt haben, wenn sie testpositiv waren. Vielleicht ist aber auch der Test irgendwie sonderbar, manche sind gar nicht immun, wenn sie Covid-19 hatten. Man sollte vielleicht immer wieder von ganz vorn angefangen mit Testen und Untersuchen, denn es handelt sich ja um ein neuartiges Virus, das demzufolge auch immer wieder neu untersucht werden muss mit Tests, die in ihrer Aussagekraft eine „Halbwertszeit von einer Millisekunde“ haben, da der Virus hochinfektiös ist. Wie ist das eigentlich, wenn Leute immer wieder getestet werden, wie Ärzte und Pflegekräfte, wie geht das in die Statistik ein?

    Bill Gates hat letztens in der Tagesschau am 12.4. gesagt, dass er 7 Milliarden Menschen impfen will (kann man sich in der Mediathek anschauen) und in 18 Monaten ist spätestens der Impfstoff da. Alle warten jetzt sehnsüchtig darauf, denn das wird uns retten. Er ist so großherzig, dass er das RKI, den Spiegel, die WHO, die Charité, wo Herr Drosten arbeitet (der das Patent für den PCR-Test in unglaublicher Geschwindigkeit von 1 Woche parat hatte), die GAVI, die Impfallianz mit kleineren und größeren Summen finanziert (kann jeder selbst herausfinden, wie hoch die Summen sind, sie sind so unglaublich hoch und der Anteil am geschätzten Gesamtvermögen ist so gering, naja irgendwie kaum zu glauben, hat man sich nie damit beschäftigt). Ja das ist wirklich jemand, der was von seinem Geld abgibt.

    Von der Mortalitätsrate hört man inzwischen gar nichts mehr, denn es ist echt schwer, sie zu ermitteln, denn alle 80,36 Millionen Deutsche gleichzeitig zu testen ist nicht so einfach aber man versucht es ein bisschen und ich bin froh, dass Du mitmachen möchtest.

    Diese Rate konnte ich mir aber gleich am Anfang der „Pandemie“ anhand der Zahl der Infizierten, der Nichtinfizierten, des Bordpersonals selbst berechnen, da man auf der Princess Diamond, (dem Kreuzfahrtschiff, das nirgendwo anlegen durfte) alle 3500 Passagiere fast gleichzeitig getestet hatte und es besetzt mit betagten Leuten war, und da kam heraus, dass sie bei etwa 0,1 bis allerhöchstens 0,3 lag. Und das bei älteren Leuten, wo noch nicht mal klar war, ob sie mit dem Virus oder ohne ihn oder wegen Stressfaktoren, fehlender Medikamente (sie durften ja nirgends 2 Wochen anlegen)… gestorben waren. Es gab im Anschluss leider 8 Verstorbene.

    Klar sind die Sterbezahlen in New York doppelt so hoch als sonst gewesen an ein paar Tagen und katastrophal, aber leider ist in der Presse irgendwie untergegangen, dass das kleine New York mehr als 8 Millionen Einwohner hat und anscheinend nur ein Krankenhaus oder zwei. Ebenso hat in Italien ein grausames Szenario statt gefunden und ein überlastetes Krankenhaus in Bergamo und eins in Brescia standen für die Katastrophe erst der Lombardei und dann ganz Italien, die Lombardei hat 10,06 Millionen Einwohner und Italien 60,36 Millionen, die leider auch nur ein oder zwei kleine Krankenhäuser hatten, mal von den ohnehin schon kaum vorhandenen Intensivbetten zu schreiben, so dass 47 Patienten nach Deutschland geflogen werden mussten und nicht nach Rom zum Beispiel, wo man nicht so überlastet war. Inzwischen hat Italien die Zahlen zu Covid-19 revidiert, dass sie aus Versehen 80 Prozent der Verstorbenen dem Virus zugeordnet haben, was wohl falsch war, jetzt nachdem die Diskussion um die Eurobonds gescheitert ist, haben sie eh die Nase voll von „Hitlers Enkeln“ (so heißen wir jetzt in Italien) es ist ja nun nicht mehr von Bedeutung.

    Letztendlich schließe ich: ich habe keine Angst, das Risiko ist überschaubar, zumal die 6-WG über uns den Virus symptomlos bzw. symptomarm überlebt hat (eine hatte 3 Tage leichtes Fieber, der Rest nix) und wir freuen uns, dass wir viele Wochen am Stück gemeinsam verbringen können. Endlich muss ich nicht mehr früh zur Schule hasten. Die Kinder basteln, wir machen Fahrradtouren und wir genießen das gemeinsame Leben. OK, das mit den Hausaufgaben ist nicht einfach, da die Kinder schwierig zu motivieren sind und sich alles so blutleer anfühlt, Zettel auszufüllen und Geschichten zu schreiben, die man nicht erleben darf. Und OK, bis 31. August kann ich im Land Brandenburg keine Musikpädagogik machen und meine Konzerte sind bis Oktober 2020 alle abgesagt, war eh zu stressig, diese ganzen Instrumente zu schleppen und die olle Fahrerei. Ich habe ehrlich gesagt kein Interesse daran, dass das trotzdem schöne entspannte Leben mit Homeoffice endet und von daher stehen wir einem Covid-19 Test bei den Kindern eher reserviert gegenüber, da ja nicht gewährleistet ist, dass der Sicherheitsabstand 1,5 Meter beträgt und ob der Tester/die Testerin uns nicht ansteckt. Wir warten lieber auf Bill Gates, das geht eh schneller als man denkt mit der Impfung und dass man bei der Impfung eine Autoimmunkrankheit riskiert, wie zum Beispiel bei der Schweinegrippe 2009, nehmen wir gerne in Kauf. Der Hersteller haftet nicht für Impfschäden, das macht entweder der Arzt oder die Bundesregierung und da wissen wir ja, wo wir uns telefonisch hinwenden können, wenn es uns doch hart erwischt. Warum heißt die Grippe eigentlich nicht Fledermausgrippe oder Hundegrippe oder Löwengrippe, man hat ja auch Virensequenzen bei diesen Tieren gefunden, gemäß unserer „Qualitätsmedien“ (Frau von der Leyen).
    Warum hat man eigentlich Demos verboten, wenn man doch Mundschutz benutzen kann? Mit Mundschutz braucht man auch nicht diesen Abstand von 1,5 m und so könnten alle Leipziger um den Ring und auf den Augustusplatz passen so wie früher. Ja in Heidelberg standen aus Versehen 250 Leute ohne Mundschutz vor der Polizei und haben auf die psychisch erkrankte Frau Bahner gewartet. Konnte ja keiner wissen, dass so viele kommen und niemand hat gesagt, dass die da nicht stehen dürfen, obwohl genug Polizisten dabei waren. Die Polizei hat nun eine Sonderkommission von 12 Leuten gebildet, die anhand von Internetvideos die Leute identifizieren soll, um sie strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen. Hätten die mal den Mundschutz mitgenommen und das Handy vergessen, dann könnte man sie weder erkennen noch orten! Eine schöne Sonnenbrille wertet die Optik noch etwas auf, dann sieht man auch wie ein Krimineller aus bei schwarzer Mundschutzbedeckung, man kann auch wie ein Chirurg daherkommen, naja oder Schädlingsbekämpfer oder auch die Spurensicherung.

    Das schreibe ich Dir in Gedenken an all die Gestorbenen, die ohne Sterbebegleitung, ohne ihre Angehörigen ihre letzte Ruhe finden mussten, da sie jemanden hätten anniesen oder anhusten können. In Gedenken an all die Menschen in Rumänien, in Indien und überall, die Ausgangssperren haben und kein Kindergeld kriegen oder Hartz 4 oder Homeoffice machen können und jetzt elendig leiden und verrecken und wenn sie aufbegehren, von der Polizei niedergeknüppelt werden. Aber davon findet man in unseren Medien nichts.

    Viele liebe Grüße

    Deine Frau Morgenstern

  7. Mit Sorge verfolgen wir die großen Unsicherheiten der Kollegen aus den Bereichen Schule und Frühpädagogik im Umgang mit dem neuartigen Virus. Möglicherweise wird nun aus einem Sicherheitsbedürfnis heraus, das Kind sprichwörtlich mit dem Bade ausgeschüttet. Zumindest ist der Umbau der schulischen und frühpädagogischen Infrastruktur und die entsprechende Aufstockung des pädagogischen Personals in dem Maße, wie Klassen verkleinert werden müssten, damit Abstandsregeln eingehalten werden können, keine triviale gesellschaftliche Aufgabe. Auf der anderen Seite gehören Kinder zum am meisten schutzbedürftigen Teil der Bevölkerung, gegenwärtig nicht in erster Linie in Bezug auf gesundheitliche Aspekte, sondern in Bezug auf die Rahmenbedingungen ihres Aufwachsens insgesamt. Dazu gehören zweifelsohne auch soziale und physische Kontakte, ohne die eine psychisch gesunde Entwicklung nicht möglich ist.

    Offenbar – so äußerte sich Prof. Drosten letzte Woche – ist bei Kindern eine signifikant erhöhte Resilienz gegenüber dem neuen Virus zu beobachten. Dabei sei momentan noch unklar, ob sie durch den Virus weniger häufig infiziert werden oder ob sie bei vorhandener Infektion seltener eine klinische Covid-19-Symptomatik entwickeln.

    Diese Frage sollte unverzüglich geklärt werden, um den Pädagogen in unserem Land eine realistischere Leitlinie zur Gefährlichkeit des Coronavirus um Kindesalter in die Hand zu geben. Für Alten- und Pflegeheime wurde eine solche Handreichung vom RKI dankenswerterweise bereits veröffentlicht.

    Denkbar wäre es beispielsweise, an 5 Orten eine Zufallsstichprobe von 5000 Kindern der Altersklassen 3 bis 10 gezielt auf Covid-19 zu testen. Dies entspräche nur einem Bruchteil der momentanen wöchentlichen Testkapazitäten in Deutschland.

    Die Fragestellung ist dringlich und auch für andere gesellschaftliche, wirtschaftliche und nicht zuletzt kriminalpräventive Zusammenhänge von Bedeutung (insb. Prävention von häuslicher Gewalt und sexuellem Missbrauch).

  8. Ach, wir sollten hier einmal die Rolle der Zahl für die menschliche Erkenntnis diskutieren. Strenge Wissenschaft ist auch ohne Zahlen möglich.

  9. Ach, wir sollten hier einmal die Rolle der Zahl für die menschliche Erkenntnis diskutieren. Strenge Wissenschaft ist auch ohne Zahlen möglich.

  10. Wir reißen unsere 40 bis 50 Stunden an vier Tagen in der Woche runter. Freitag ist dann Bürotag zur Abrechnung im Home-Office also immer zu Hause, Samstag und Sonntag sind natürlich frei. Dienstwagen, Laptop und Handy von unserer Firma sind eine Selbstverständlichkeit.

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