DuZen

Diese Momente sind bekannt: vor Scham erstarren, geflissentlich wegsehen, eifrig etwas Unsinniges tun, verständnisvoll lächeln, diskret weghören. Jedoch aufstehen und ohne ein Wort den Raum verlassen, das verbietet dann doch die gute Kinderstube. Hier in Bloggers Anonymität können wir diese getrost zusammenfalten und in die Hosentasche stecken. Folgendes: Ich saß mit drei mir seit einigen Monaten flüchtig bekannten Menschen in einem Raum, nennen wir ihn Arbeitsraum, um zu arbeiten und  – in der Vorweihnachtszeit leider unumgänglich – einen Glühwein mit selbstgebackenen Keksen zu verzehren. Da ich im Vorfeld das Ende ahnte, überlegte ich mir eine bunte Variation an Ausreden. Allein mein bis dahin unterentwickelter masochistischer Trieb, Peinlichkeiten auszuleben, hielt mich davon ab, auch nur irgendeine dieser Ausreden einzusetzen. Es wird schon gehen, beruhigte ich mich. Kurzer Prozess, eine Tasse Glühwein, trockene Plätzchen und ein Gute-Laune-Blick. Dieser verzog sich zu einem säuerlichen Ausdruck, als nach der dritten Tasse Glühwein das DU die Runde machte. Zum Verständnis: Ich gehöre der aussterbenden Generation der SIEzer an. Und zwar mit allen Konsequenzen. Ich erinnere mich einer intensiven Liebschaft inklusive Beischlafs, die monatelang andauerte. Trotz beziehungsweise wegen des SIEs. Nun wurde ich dazu gezwungen, aus einer alkoholisierten Laune heraus drei Menschen zu duzen, zu denen ich bislang ambivalente Beziehungen pflegte. Der eine Mensch war vor langer Zeit jung, ist klug und hört den Schuss nicht. Im doppelten Sinne: So wie der unsägliche Holländer Joopie muss bis zum Schluss mitgemischt werden. An dieser Stelle ein Bonmot: Was macht ein französischer Renter? Er schläft bis zehn, trinkt ein Glas Rotwein und geht zu seiner Freundin. Was macht ein englischer Rentner? Er schläft bis neun, trinkt einen Sherry und geht auf den Golfplatz. Und nun die Frage nach dem deutschen Rentner. Dieser schläft bis sieben, nimmt seine Herztropfen und geht zur Arbeit…(müdes Gelächter der Leserschaft). Der andere Mensch unserer Glühweinrunde ist nach eigenen Aussagen Gesichtsältester, noch klüger als der nicht mehr ganz junge Mensch und fasziniert durch eine selten gesehene Kombination von schmächtigem Körperbau, schütterem Haarwuchs und, falls mich meine sommerliche Erinnerung nicht trübt, dunkler Vollbehaarung der gesellschaftlich sichtbaren Körperteile. Der dritte im Bunde ist eine delikate Angelegenheit: ein Adonis mit schwarz gelocktem Haar und fleischigen Lippen, die schneeweiße Zähne umschließen. Dieser Mensch hat mich Monate verfolgt in meinen Träumen, die sich allesamt mit jeder monatlichen Arbeitsrunde in Luft auflösten. Zum Schluss blieb nur noch die schale und pauschale Erkenntnis, dass neben blonden Frauen auch schwarzhaarige Männer existieren. Diesen Mann nun  duzen zu müssen, bedeutete, nicht nur den eigenen Träumen beim Sterben qualvoll zuschauen, sondern sich darüberhinaus  auch noch ihrer schämen zu müssen. Kurz: Renate, Wolfgang und Gerhard sind nun meine DUZ-Freunde. Und Gerhard zog selbstsicher ein Büchlein aus seiner Tasche: Mein erstes Kinderbuch. Falls jemand von euch Interesse hat, so kann er es hier bei mir kaufen. Ist nicht teuer, nur 9,95 Euro. Also das macht mich jetzt nicht reich, aber darum geht es auch nicht.  Ich holte meine zusammengefaltete Kinderstube aus der Hosentasche, schaute interessiert ins Buch und fragte: Worum geht es dann?

soundroom
pseudonym für eine in erfurt, würzburg und marburg studierte germanistin, die sich in den weichen kissen von inskriptionen ausruht von den merkwürdigkeiten ihres mittlerweile 15-jährigen berufsalltags in der verwaltung. = rapunzel = stefanie

8 Kommentare

  1. Alle vereinzelt aus dem trüben Gewässer der Mäßigkeit auftauchenden und -horchenden (lesenden?) midlife-krisiker werden sofort gebeten, die Krise zu vergessen und die Lesebrille (mein Gott, wo habe ich die bloß gelassen?)’rauszuholen. Denn diese ist hier ein vonnötern. Wenn wir jetzt die Schrift etwas größer einstellen könnten (wie das geht, zeigt ich gleich), freuen sich auch Herrschaften 45 plus. Danke, meine Herren, danke.

  2. 14.7.86
    Die ganze Angelegenheit ist, wie er mir gestern sagte, nach wie vor „relativ chaotisch“. Manchmal glaube ich, ich hab ihn wirklich gern und möchte bald wieder in seiner Nähe sein, und dann fallen mir seine ganzen dummen Allüren wieder ein, die ich ihm ja doch nicht abgewöhnen kann, ich sehe ihn im Institut ‘rumhampeln, mit seiner Schlabberhose … Am Donnerstag ließ er sich wie üblich von „Mama“ bedienen. Wohnung chaotischer als je zuvor, im Auto wieder die üblichen Frotzeleien. Nichts besonderes also. Dazu kam noch, daß seine Klamotten superschlampig waren, besonders die braune Hose, die ihm auch noch zu weit war und daher rutschte. Die Haare strähnig, so wie ich es liebte, und auf Wunsch seiner Mutter hatte er sie sich angeblich wieder kurzschneiden lassen. Was auch nicht gerade mein Gefühl für ihn begünstigte. Mittags in der Mensa wartete ich auf ihn, hatte natürlich das Institut nicht gefunden und war ziemlich dumm ‘rumgelatscht. Endlich kam er, merkte wohl auch, daß ich reichlich frustriert war, wollte mich trösten, versuchte ständig, seinen Arm um mich zu legen Was ich in diesem Moment total nicht wollte. Heute tut es mir schon fast wieder leid, daß ich so stark reagiert habe, sicher traut er sich jetzt überhaupt nichts mehr. Wenn ich mich lange über seine „Eigenarten“ ausgelassen habe, weil sie mich nerven und ich daher glaube, ihn niemals wirklich liebhaben zu können, komme ich mir ziemlich schäbig und intolerant vor. Ich muß lernen, ihn mehr zu verstehen, anstatt immer gleich auf Abwehr zu schalten. Im Cafe bestelle er dann ein Diabetiker-Eis, ich habe mir nichts anmerken lassen, als er auf meine entsetzte Frage: „Warum bestellst denn du Diät-Eis?“ nur antwortete: „Mutter will nicht, daß ich dick werde.“

  3. …eifrig aufstehen… um etwas unsinniges zu tun? auch das würde funktionieren. „eifrig aufstehen“, um sich an einem stillen orte zu erleichtern.

  4. fröllein soundroom, und wollen sie bitte so freundlich sein, und diesen unsäglichen beitrag von 1986 löschen? vielenherzlichendank.

  5. Worum geht es dann? Betonung auf Dann
    Worum geht es denn? Betonung auf Worum

    Immer noch stolpere ich über den letzten Satz, weil ich nicht weiß, wie er denn nun gemeint war.

    Also: Worum geht es denn?

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