Unruhe der Unbequemen

Heidrun Hegewald war wer in der DDR. Sie war eine beachtete, anerkannte wie abgelehnte Künstlerin. Sie war im Vorstand und Präsidium des Verbandes Bildenden Künstler der DDR. Und das nicht nur einer ausgerufenen Frauenquote wegen. Hegewald war eine Gefragte, weil sie eine Fragende war. Eine, die nicht nur hinnahm, eine, die etwas hinzuzugeben hatte. Das Unbequeme machte sie zur Unbequemen.
In der Kunst der Malerin und Graphikerin, die ihr Denken ist, in ihrem Denken, das Geisteskunst ist, artikuliert sie die unterschiedlichsten Dinge, die ihre Unruhe ausmachen. Es ist die Unruhe der Unbequemen. Lebenslang! Im Kunstmachen autonom, äußert sich ihre Autonomie auch in der Kunst des Schreibens. „Ich bin, was mir geschieht“ ist der Titel einer Sammlung mit Schriftstücken der Schreiberin. Das Buch ist ein breiter und hoher Damm gegen die „Diktatur der Dummheit“. Eine Autorin spricht, die keine Anstrengung scheut, die Leser anzustrengen. Sätze stehen da wie Säulen. Auch als Denk – mal. Derartiges kennt man im Ost-Deutschen von Bildhauern wie Wieland Förster und Werner Stötzer. Heidrun Hegewald ist die Dritte im Bunde.
Hegewald, 1936 in Meißen geboren, ist ein gebranntes Kind. Sie hat das brennende Dresden des 13. Februar 1945 gesehen, gerochen, gefühlt. Das hat sich eingebrannt in Herz und Hirn der Heidrun Hegewald. Sie kann nicht umhin, in der Helle das Dunkel, im Dunkel das Helle wahrzunehmen und in ihrer Kunst, in ihrem Schreiben Wirklichkeit werden zu lassen. In einigen Schriftstücken formuliert die Autorin Erinnerungen an die Kinderzeit. Einer der persönlich-privaten Texte, „Dresden“ überschrieben, bringt eine der bittersten Lebenserfahrungen auf den Punkt: „Ich habe meine Kindheit an den Krieg verloren.“ Das war Prägung. Das ist zum Brandmal fürs Leben geworden. Das Leben einer Frau, die von sich sagt: „Ich war und blieb eine fanatische Beobachterin.“ Und die kann nicht anders: Sie muß auf das Wesentliche, das Eigentliche, also stets auf das Existentielle achten. Jederzeit, überall, in allem.
Es könnten sämtliche Texte biographische Schriftstücke genannt werden. Denn, welcher ist nicht ein Text von und für Heidrun Hegewald? Biographisch ist das Schreiben, indem es ein Schreiben wider bleibende Selbstzweifel ist. Schreiben bedeutet für Hegewald, sich Mut anzuschreiben, sich Gewißheiten anzuschreiben, sich Stabilität anzuschreiben. Schreiben bedeutet desweiteren, die Sprache vor Schändung zu schützen. Die Texte trotzen der Verelendung, Verarmung der deutschen Sprache. Wort für Wort. In den persönlichsten Äußerungen ebenso wie in den politischen. Der Wille zum Denken fördert und forciert die polemisch-philosophischen Äußerungen. Die werden am deutlichsten in der assoziativen Sprache. Vor allem wenn die apodiktische Formulierung begünstigt wird. Ihr ist Hegewald so zugeneigt wie den schön geschmirgelten Sätzen. Jeder gute Gedanke ist der philosophisch, politisch Ambitionierten einen guten Satz wert. Gedanken und Gedankensatz sollen stimmen. Dicht an Dicht drängen sich die Gedanken. Jeder Gedanke der Leser wird sofort in den Hintergrund geschoben, da der nächstfolgende Gedanken-Satz der Vor- und Nach-Denkerin vorübersaust. Das macht atemlos. Egal, ob die Kunst, die Gesellschaft, die Person Gegenstand der Gedanken sind.
Ihre Gedanken-Linien aufs Papier zu bringen, hat sich Heidrun Hegewald nichts leicht gemacht. Wieso den Lesern das Lesen erleichtern? Zumal, wenn Leben nicht leichtfertig als leichtfertige Angelegenheit gesehen wird. Was viel, was alles über die Verfasserin von „Ich bin, was mir geschieht“ sagt. Was auch sagt, dass sie ist, was sie geschehen läßt. Heidrun Hegewald ist wer: Heidrun Hegewald!
Heidrun Hegewald: Ich bin, was mir geschieht. Verlag Neues Leben: Berlin 2011. 159 Seiten. Geb.

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