Heut habe ich ein Wort gelernt : von einer Taucherin
Seit sieben Jahren sitze ich : am Grund des Brunnenlochs
Nun tauch ich langsam auf : nur nicht zu schnell
Der Tiefenrausch hat mich erfaßt : ich nehms
Mit Fröschen auf : als wär’n sie Ungeheuer
Seit sieben Jahren quake ich am Grund : hab
Meinen Schwanz im Schlamm
Gewälzt : was ist das für ein Amt
Im Brunnenloch : was ist das für ein Stolz
Welch kleine Welt : ich sah das Meer
Wer holt mich : langsam hoch
damit ich das Bewußtsein nicht verlier
Höhenangst
Gestern haben wir ein Wort vergessen : ein Rabe nahm es mit
Seit sieben Jahren sitzen wir : auf der Spitze des Masts
Nun fallen wir langsam herab : nur nicht zu schnell
Die Höhenangst hat uns erfasst : wir fürchten sogar
die Spatzen : ihr Gezeter
Seit sieben Jahren schweigen wir : haben
die Flügel in der Luft
gewältzt : was ist das für Amt
auf den Antennen : was für eine Angst
welch riesige Welt : wir sahn zu viel
wer holt uns : schnell herunter
damit wir : bewusstlos werden
Fußnote 1) zu Fröschen:
Da war der Frosch verliebt, plötzlich, er konnte nichts dafür, plötzlich, wie aus dem Nichts, der Wasserblitz hatte ihn getroffen, war verliebt in eine Fröschin, und die Fliegen interessierten ihn nicht mehr, das ganze Gesumms, berauscht war er, und wochenlang zimmerte er an einem Quak, dem perfekten Quak, und wenn sie, die Fröschin, mal wieder in seinem Teich vorbeischwamm, dann quakte er, und es war ein so vollkommenes und perfektes Quak, dass selbst die Fliegen und die Hechte und die Seerosen und das Schilf sich in den Frosch verliebten, aber die andere Fröschin mochte sein Quaken nicht, die las lieber ihre Zeitung, warum also, was hat das ganze für einen Sinn, wozu ist man Frosch, wozu kann man Quaken, ist doch sinnlos, eine solche Existenz, und so verbarg er sich im Schilf und raschelte wie eine Zeitung.
Fußnote 2) zu Bewußtsein:
Gibt es es ein Bewußtsein? Sind es nicht alles bloß biochemische Vorgänge? Gibt es etwas im Bewußtsein, das man nicht auch in den elektrischen Entladungen der Synapsen wiederfindet? Wissen die Synapsen, was sie da tun?
Sieben Jahre schon?
Kinder, wie die Zeit vergeht.
Und nun flugs weiterquaken!
Fußnote 3) zu ich:
Grottenolm, Proteus anguinus, auch Wassersalander,aufgrund seiner Lebensweise in Klüften und Brunnen war es bis heute nicht möglich, die natürlichen Lebensgewohnheiten des Grottenolms zu untersuchen. Einer Hypothese nach existiert ein Grottenolm jeweils nur im Bewusstsein eines anderen Grottenolms und so ad infinitum. Es gäbe damit auch kein „ich“, bzw. das Ich eines Grottenolms ist jeweils die Erzählung einer Erzählung.
Fußnote 4) zu: ich nehms / Mit Fröschen auf
Zack. Bumm. Schulterwurf.
Fußnote 5) zu Amt:
Anscheinend handelt es sich hier um einen Beamten der kommunalen Wasserversorgung im mittleren Dienst.
Comment zu 7.:c
Klasse!
Kommunale Wasserversorgung wird in Beamtenkreisen gern despektierlich „Gas, Wasser, Scheiße“ gennannt. Es erübrigt sich, ob nun mittlere, höherer oder gehobener Dienst: GWS bleibt. Wie GEZ.
Fußnote 6) zu Gewälzt:
Da spielte das Tanzorchester „An der schönen blauen Donau“: ein, zwei, drei —
Fußnote 6) zu Tiefenrausch:
Das habe ich noch nicht probiert. LSD. Speed. Crack. Heroin. Kokain. Stechapfel. Fliegenpilz. Das alles ja. Muss ich mal probieren. Wo findet man den?
Comment zu 10.: Man, dass ist der Wind, der irgendwo tief im Forst durch die Tannen rauscht.
Fußnote 8) zu ein:
Kleines Wort mit drei Buchstaben. Bedeutet eigentlich nichts. Wird dennoch häufig verwendet.
Fußnote 8) zu: Seit sieben Jahren sitze ich
Ja, ich erinnere mich noch an den Fall. Wieder einer von denen, die sagen: „Ich bin da irgendwie reingeraten“. Keine Einsicht von Schuld. Nicht die Geringste. Wir werden ihn leider wiedersehen.
Fußnote 10) zu Grund:
Der Grund und Boden, der eigene Grund und Boden wird hier bewacht, da hat sich jemand das Amt gegeben, aufzupassen auf sein Eigentum, weil es doch immer wieder Idioten gibt, die in den Brunnen pinkeln oder Münzen in den Brunnen werden, das ganze Brunnenwasser wird doch so kontaminiert, aber seitdem er da unten auf dem Grund sitzt, seit sieben Jahren also, hat es niemand gewagt, hineinzupinkeln oder hineinzuspucken oder hineinzurufen, das sind eben die Nachteile, wenn man Eigentum hat, zumal, wenn die erhofften Vorteile nicht eintreten, wenn also bisher keine der zahlreichen Prinzessinen ihre goldene Kugel hineingeworfen hat, keine Küsse für Brunneneigentümer, oder eher Besitzer, so muss man hier wohl eher sagen, und da kann man ihm doch nur empfehlen, endlich seinen blöden Brunnen zu verkaufen, oder ihn einfach so sausen zu lassen, raus da, und endlich hinaus aufs Meer.
Man beachte, am 20. April 2007 um 10:41 Uhr, also mehr als zehn Jahre zuvor, veröffentlichte derselbe Autor (man beachte die Doppelpunkte) ein Gedicht mit dem Titel „Tiefenrausch“.
Recherche erfordert eben ein bisschen Genauigkeit, Abkehr von Spekulation und, sagen wir, gewisse Grundkenntnisse des Lesens: „Tiefenrausch“ und „Tiefebene“ sind doch nicht dasselbe. Und Doppelpunkte sind doch Mode geworden (vgl. Kommentar 1 von Eleadora Stein), die verwenden inzwischen einige in der Holzschen Manier. War vielleicht ein etwas voreiliger Schluss.
Und Grundkenntnisse im Copy & Paste!
Vor einer Weile schrieb hier des öfteren ein Autor namens Theodor Holz – sein Gedicht “steifer iro auf kahlem kopf” habe ich noch gut im Ohr. Leider hat sich mit der Zeit so etwas wie eine Ohrenentzündung herausgebildet. Und von Theodor Holz ist im Blog weit und breit nichts zu spüren – außer vielleicht Schmerzen. Mich würde interessieren, weshalb Herr Holz uns verlassen hat. Falls er dies hier liest, so möge er es als Aufforderung verstehen, uns doch wieder einmal mit seiner Kunst zu beglücken.
Holz war, bzw. ist ein Dichter, der seine Worte mit einer gewissen Hemmungslosigkeit an den privaten vier Wänden zu reiben wusste, wir erhielten grobe Einstellungen der Wirklichkeit vor der eigenen Haustür. Am stromkasten & vermeiden es : Auf den gehweg zu kotzen. Holz macht uns hier unmissverständlich klar: es geht um die Kontur, das kurzzeitig Belichtete. Erinnert sich noch jemand dran?
Ein legendäres Gedicht, dass ich hier noch einmal aus dem kopf rezitiere:
steifer iro auf kahlem kopf
Schleußig : scheußlich
Sollte es heißen : denn geschleußt
Wird hier niemand mehr : die schieber
Haben sich verkrochen : stehkragenproletariat
Bevölkert die jugendstilhütten & weiß
Nichts davon : weiß vor allem nichts von sich
Von der allgegenwärtigen angst vorm abstieg
In schleußigs hinterhöfen sitzt es sich
So schön im grünen : die kinder
Können sicher spielen zwischen den zäunen : hier
Brüllt niemand in die idylle : weil fern
Irgendwo ein tor fällt : die säufer
Klammern sich still ans tägliche bier
Am stromkasten & vermeiden es
Auf den gehweg zu kotzen : denn der ist heilig
Den heiligen autos vorbehalten : die hier ungestraft
Parken & kleine kinder anfahren : morgens
Auf dem weg zur arbeit : wenn alles schnell
Gehen (sprich fahren) muß : selbst der punker
Mit seinem steifen iro auf dem kahlen kopf
Beschwert sich & ruft das ordnungsamt
Nach schleußig : wenn einmal im jahr zu lange
in die nacht gefeiert wird mit gedichten : musik & wein
(Dieser Beitrag wurde von Theodor Holz am 8. Juli 2010 um 14:45 Uhr geschrieben)
Sieben Jahre ist es übrigens her…
Is dass jetzt Absicht oder täusch ich mich da?
Manche Veranstaltungen kommen offenbar in die Wechseljahre – oder sie bleiben ganz aus. Wobei das “sie” multiperspektivisch ist. Warum sollten sie sich dagegen wehren? Und es heißt doch so schön: Mit Musik geht alles besser. Wenn der Musikknochen singt, sollten wir auf der Straße sitzen! Wie damals in Marburg-an-der-Lahn. Da brannten wir die Zeitung an. Alles kommt wieder, wenn die Zeitschaltuhr richtig eingestellt ist. Auch die Asche der Zeitung, Feste mit Musik und Wein. Wenn Sie tanzen wollen, empfehle ich Ihnen wärmstens den Daktylus. Und anschließend gehen Sie bitte zur Fußpflege.
Im Leben tritt der Mensch in manches rein,
den Rosenzüchter- und den Sportverein –
er will dabeisein, immer vorneweg,
er kümmert sich partout um jeden Dreck.
Und kein Verein, der ihm dafür zu klein.
Er weiß genau, was grad der Nachbar macht,
sei es bei Tag und sei es in der Nacht –
moralisch misst er jeden Hammerschlag,
nimmt seinerseits den Hammer in Beschlag.
Er schimpft von morgens früh bis spät um acht.
Wohin er sieht, der Ärger wartet schon,
erblickt, was auch geschieht, nur Kollision.
Als Mensch ist er dagegen nicht gefeit,
denn solches kennt er schon seit Kinderzeit,
verliert auch noch die letzte Illusion.
Im Leben tritt der Mensch in manches rein,
den Rosenzüchter- und den Sportverein.
Ihm hat sein Dasein tüchtig mitgespielt –
verantwortlich, wie er sich nun mal fühlt.
Warum denn nicht, der Fettnapf, der ist sein.
Dieser Beitrag wurde von Antigone am 13. Dezember 2016 um 07:27 Uhr geschrieben.
Gerade eben bin ich von der Kleingedichtausstellung des Landespoesiezuchtvereins Sachsen e. V. zurück. Einen 2. Preis (silberner Pokal, poliert, aus der ZDF-Sendung „Bares für Rares“) erhielt die folgende Kreuzung aus Original und Vintage:
Der Mensch tritt : in manches rein,
den Brandschutz- : & den Putzverein
er will dabeisein : immer vorneweg,
er kümmert sich : um jeden Dreck.
& kein Verein : der ihm zu klein.
Niemand hier : der sonst die Ordnung lobt
das Meckern ist : das täglich Brot
Die Sorge : lässt ihm keine Wahl
das Leben quält : drum macht er’s sich zur Qual.
Urteil der Jury: Voll mit dem Ohr an der Schiene der Zeit! Emotionale Erlebnisse dehnen eben auch die Zeit.
Gibt es eine Unterbelichtung der Zeit? Vielleicht leuchten oder tickt sie schon in einem der hier zitierten Gedichte?
Letztens versuchte ich, die Zeit zu fotografieren. Ich stellte also einen Eierkalendereinegroßvaterpendelkalendereinenkirchturmkalendereinenatomkalendereinendigitalkalenderundeinestoppuhr nebeneinander auf. Obwohl ich mit einem Blitzlicht sieben Jahre lang belichtete, blieb die Zeit selbst seltsam im Dunkeln. Auf dem Foto jedenfalls tickt sie nicht.
Fußnote 11) zu : (Doppelpunkt)
Das ist ein Punkt mit einem Punkt darüber. Der zweite Punkt steht genau vertikal über dem ersten. Oder auch der erste unter dem zweiten. Es sind also zwei Punkte. Zusammen sind sie ein Doppelpunkt. So ist das.
Fußnote 12) zu nur nicht zu schnell:
Werd ich zum Augenblicke sagen:
Verweile doch! du bist so schön!
Offenbar haben sich in die Lektüre etliche Missverständnisse eingeschlichen und ich will heute den ersten Teil meinerseits zur Aufklärung beitragen. Immerhin hat mich Hölzchen sieben Jahre lang im Köfferchen getragen:
Ruo, der Geist des Nordmeeres, sprach: „Mit einem Frosch, der im Brunnen lebt, kannst du nicht über das Meer reden, er ist beschränkt auf seinen Platz; mit einem Insekt, das im Sommer lebt, kannst du nicht über Eis reden, es nimmt nur seine Jahreszeit wahr; mit einem Fachidioten kannst du nicht über das Dao reden, er ist beschränkt auf seine Theorie. Nun kommst du hinter deinen Wällen und Dämmen hervor, siehst das weite Meer und erkennst deine Winzigkeit und glaubst, von nun an über die großen Einsichten mitreden zu können. Von allen Gewässern unterm Himmel ist keines größer als das Meer; die zahllosen Flüsse strömen hinein, doch noch nie hab ich gehört, daß sie damit aufgehört hätten, und dennoch läuft es nicht über; am Grund sickert es weg, doch noch nie hab ich gehört, daß das aufgehört hätte, und dennoch leert es sich nicht; ob Frühling oder Herbst ist, ändert nichts daran, ob Dürre oder Flut ist, davon nimmt es keine Notiz.
– Ende des ersten Teils –
Wort, Gedicht, das sind ja nichts weiteres als Daten, bloß Daten, und diese Daten gehen durch den Datenverarbeitungsprozess, und dann werden sie wieder neu hinausgerotzt, ohne das irgendeiner groß darüber grübelt, so wie man ein Foto macht vom Meer und der Titte und der Schmeißfliege und sofort ins Facebook rotzt, und alle Freunde teilen das Foto, und keiner schaut sich noch Meer und Titte und Schmeißfliege an, dass ist doch alles bloß noch Datenverarbeitung.
Fußnote 13) zu erfaßt:
Adieu Vernunft, salut Hormone.
Fußnote 14) zu nun:
Nun (Mesopotamien) (sumerisch NUN, Nun; akkadisch rubû; „Herr/Herrin, Fürst/Fürstin“), wird in unterschiedlichen Funktionen als Epitheton, Schriftzeichen und Gottesdeterminativ verwendet
Von wegen, adieu Vernunft … das Gegenteil ist der Fall. Ihr laßt euch von Äußerlichkeiten leiten und kennt die Geschichte nicht. Die geht so:
Als Herr Zhu in einem Gewässer in Pu angelte, sandte der König von Chu zwei Beamte, ihn zu fragen: „Ich möchte dir die Regierung meines Reiches anvertrauen.“ Herr Zhu hielt weiter seine Angel fest und sprach, ohne sich umzuwenden: „Ich hörte, daß es in Chu eine heilige Schildkröte gibt, die schon vor 3000 Jahren gestorben ist; der König ließ sie in Tücher wickeln, in einen Korb stecken und im Tempel aufbewahren. Was wäre dieser Schildkröte lieber, tot zu sein und mit ihren Knochen derart aufbewahrt zu werden, oder würde sie nicht viel lieber noch leben und ihren Schwanz durch den Schlamm ziehen?“ Die beiden Beamten sprachen: „Lieber würde sie leben und ihren Schwanz durch den Schlamm ziehen.“ Daraufhin sprach Herr Zhu: „Geht eures Wegs! Ich werde meinen Schwanz durch den Schlamm ziehen.“
Nun, was hat denn das mit Hormonen zu tun?
– Ende des zweiten Teils –
Fußnote 15) zu Taucherin:
Er stieg aus dem Brunnen und half der Taucherin beim Anlegen ihres Skaphanders. Dann sprang er wieder in den Brunnen. Die Taucherin zog den Skaphander wieder aus.
Fußnote 15) zu ich:
Jetzt habe ich das Gedicht jeden Tag gelesen, und das „ich“ sitzt seit dem 15. Juni 2017 immer noch da unten. Aber wenn es da unten sitzt, wie kommt dann das Gedicht hierher? Gibt es da unten W-LAN? Wohl nicht, sonst würde das „ich“ ja nicht klagen. Oder aufgeschrieben und der Taucherin gegeben? Dann ist es ja gelogen. Vielleicht hat das „ich“ seine Bürozeiten da unten, täglich 9-18 Uhr, mit Mittagspause. Ist schließlich ein Amt. Das ist doch alles nicht logisch. Aber wie sagte unser alter Intendant? Wirkung geht über Logik.
Bei diesen 37 Kommentaren ist jetzt das Gedicht so weit nach oben gerutscht, dass ich es nicht mehr sehen kann. Also hier ist es wieder. Das Gedicht von Theodor Holz.
Tiefenrausch
Heut habe ich ein Wort gelernt : von einer Taucherin
Seit sieben Jahren sitze ich : am Grund des Brunnenlochs
Nun tauch ich langsam auf : nur nicht zu schnell
Der Tiefenrausch hat mich erfaßt : ich nehms
Mit Fröschen auf : als wär’n sie Ungeheuer
Seit sieben Jahren quake ich am Grund : hab
Meinen Schwanz im Schlamm
Gewälzt : was ist das für ein Amt
Im Brunnenloch : was ist das für ein Stolz
Welch kleine Welt : ich sah das Meer
Wer holt mich : langsam hoch
damit ich das Bewußtsein nicht verlier
Also in der ersten Strophe fragt der Autor „Nun tauch ich langsam auf : nur nicht zu schnell“. In der letzten fragt er dann „Wer holt mich : langsam hoch“. Könnte es sein, dass die Zeit in diesem Gedicht nicht linear vergeht? Dass die letzte Strophe vor der ersten kommt? Willkommen, Kugelgestalt der Zeit!
„nun mal nicht so negativ, herr holz! erst sinds die lieben nachbarn, die ihnen das leben zu beginn der grillsaison schwer machen und nun ist auch noch das frühjahr bzw. der frühsommer am ganzen elend schuld. alte bauernweisheit: ist der mai feucht und naß, füllt er im herbst scheun und faß. und der kluge gärtner baut eben vor, damit die mißernte einigermaßen erträglich abläuft. mein blick fällt auf die robinie (auch goetheakazie genannt) vor meinem fenster. im letzten jahr stand sie zur gleichen zeit in üppgiger pracht mit saftig-grünen blättern, nun will sie nicht so recht. fragen über fragen quälen mich: war es zuviel des guten im letzten jahr? hat sie sich verausgabt?“ (Rapunzel, Mai 2013 – aber immer noch nicht veraltet.)
Ich bin aber gespannt wie eine Flitzebogen, welches Wort der im Brunnen denn jetzt gelernt hat.
Fußtote 17 zu Brunnen:
Nach Freud ist der Brunnen ja auch ein in der Erde gesenktes Gefäß, eine Vagina eben, eine Einschreibung des sanktionierten Sexualdiskurses. Das deuten auch weitere Worte im Gedicht an wie: Schwanz und Loch. Ohen Witz. Also das soll jetzt hier kein Schweinkram sein. Das ist eine schlüssige tiefenpsychologische Deutung.
Verein. Ja, Verein ist das Wort. Da vergeht jede Sucht. Da kehrt wieder Ordnung ein.
Herr Holz scheint seine Probleme mit der Sexualität zu haben. Warum kommt er nicht zu mir?
Tiefenpsychologie ist per se unanständig. Eine Maske, um in dieser liberalen Welt offen über Liebe und Sex reden zu können. Macht ja sonst keiner. Oder worüber reden die Leute in der Straßenbahn? Dass die Monatskarte wieder teurer wird. Und über diese schicke neue App, mit der man gleichzeitig sein Aktiendepot verwalten und Pizza bestellen kann.
Stimmt. Warum ist das eigentlich so?
Vielleicht weiß das Viktor K.? Hat er nicht „Gottes Fleisch“ geschrieben, hier im Verlag erschienen?
Mit Fleisch habe ich nichts am Hut. Weder am Körper, noch auf dem Teller.
„Gottes Fleisch“ – das ist doch auch wieder so ein verquastes Wort für Küsse und Diskusse und Diskurse, weil man über Liebe nicht richtig sprechen kann. Oder haben sie da Worte dafür?
Was würde geschehen, ersätzte man „Fleisch“ durch „Kartoffel“? „Gottes Kartoffel“? Schließlich hat er doch alles gemacht. Einfach ALLES!
Aber hier geht es doch nicht um Gott. Hier geht es um Menschen. Um dich und mich und um uns. Nicht um die Kartoffel. Hier geht es um die Liebe. Sehnsucht. Hass. Eifersucht. Gier. All diese Kräfte, die in uns wirken. Haben sie schon mal eine Kartoffel gesehen, die Gladiolen verschenkt hat? Oder eine Kartoffel, die Gedichte für rapunzel schreibt? Das ist doch albern. Betet eine Kartoffel zu den Göttern, wenn sie nicht weiß, wie die Person, die sie liebt, auf einen reagiert? Eine Kartoffel, die sich im Berenike verabredet? Diese ganzen Rituale, mit denen man sich vorsichtig zu erfühlen versucht. Ständig Zeichen ausgesetzt ist, die man verstehen muss. Eine Kartoffel hat zwar Augen, aber die kann damit in keine Augen schauen.
Gottes Gemüse. Ich hätte das Buch Gottes Gemüse genannt. Denken sie doch mal an den Balztanz des Rhabarbers um Mitternacht.