Kommentarfunktion_Der Mann__Endlich allein

Der Schlafbursche oder: Wie ein Mann zum erstenmal seine Frau verabscheut

Sie ist ein Scheusal. Was nur hatte er all die Jahre an ihr gefunden? Er schaltete den Fernseher ab. Die da auf der Mattscheibe hörte auf sich zu rekeln. Seit er seine Kinder in den Zug gesetzt hatte, begann ein Jüngerer durchzubrechen in ihm. Die Bierflasche stand ungeöffnet auf dem Tisch.
Seit seiner Frau im Zorn dieser folgenschwere Satz unterlaufen war, der ihn von jetzt auf gleich degradierte, entwaffnete und ihn all seiner Ehrenzeichen beraubte, war er nicht mehr Herr seiner selbst. Er saß teilnahmslos auf der Couch, die Couch hüllte den Hintern ein mit der ganzen, dämlichen Bequemlichkeit eines gepolsterten Sitzmöbels, und er, einst Proletarier von Gottes Gnaden, ja zeitweise sogar Sieger der Geschichte, kämpfte. Gegen einen unsichtbaren Feind. Wollte nun nicht mehr kämpfen.
Sie hatte sich zu Susi abgesetzt. Ihrer alten Freundin Susanne, die sich immer schon hin und wieder über ihn lustig gemacht hatte, die dann und wann unversehens bei ihnen aufkreuzte und mit ihrer Art zu lachen in der Lage war, alle Argumente beiseite zu schieben bis auf das letzte. Abschied.
„Was soll ich denn noch mit dir?“
Ihn fröstelte unmerklich. Er sah die Dämmerung hinter der Scheibe und wusste nicht: Ist das der Morgen? der Abend? Er wusste, dass er bald sterben würde. Seit ihn zum erstenmal dieser Schneesturm wie ein innerer Wind in Gegenden, die noch keines Menschen Blick auch nur berührt, durchzogen hatte, ahnte er die Bedeutung einer Rede, die ihm nun so menschlich erschien wie alles Unmenschliche.
Jenseits.
Vorhin noch hatte er an der menschenleeren Kreuzung auf Grün gewartet. Lächerlich. Aber die zur Gewohnheit geronnene Disziplin der ersten Nachkriegsjahre war ihm heilig. Flucht. Er hasste seit je unklare Verhältnisse. Aber er war nun auf der Flucht. Und seit das letzte gepixelte Zucken aus dem Innern der Bildschirmfläche dort drüben verschwunden war, wusste er das.

Kraba vel Jop
Inhaber einer E-mailadresse, juristische Person. Owner of Agency for Literary Promotion (alp), in den 80er Jahren zufällig Zeuge einer Festnahme im Frankfurter Stadtteil Bornheim, seitdem Mitarbeit bei Literaturprojekten (Sklaven/Sklavenaufstand, lose blätter, Zündblättchen u.ä.) ohne kommerzielles Interesse.

4 Kommentare

  1. Hinzu kommt die mangelnde Bewegung: Die meisten Menschen bewegen sich mit steigendem Alter nachweisbar weniger. Der stressige Job wird meist im Sitzen ausgeführt und die wenige Zeit nach Feierabend verbringen viele lieber auf der Couch als in den Laufschuhen… Auch die Psyche hat Einfluss auf unser Gewicht: Schicksalsschläge, Ehekrisen, Depressionen, das alles kann dazu führen, dass wir zunehmen, etwa, weil wir uns mit Essen trösten oder für die überstandenen Krisen belohnen.

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