Soziofeuilleton II

Der mystische Postmodernismus ist ein utopistischer Scherz und kulturelle Realität zugleich. Die bewußte Wahrnehmung der, dem Phänomen zugrundeliegenden Prozesse stellt eine immanente, politische Notwendigkeit der heutigen Gesellschaft dar. Soziologische Trends beschreiben seit langem eine fortschreitende, gesamtgesellschaftliche Bewegung hin zu einer sich verstärkenden Auflösung tradierter Rituale und die Abkehr von aus der Zeit gefallenen Dogmen. Eine zerfasernde, individualisierte Zelebrierung von Sein und Erleben, oft unter Zuhilfenahme biologischer Mittel und moderner Technologie tritt an die Stelle prämoderner Kulturtechniken.

Zwar mag auf den ersten Blick kein substanzieller Unterschied festzustellen sein – alte Dogmen und Rituale werden durch neue abglöst – wenn der althergebrachten Kirchenbesuch am Sonntagvormittag einer „postmodernen“ individual-mystifizierten Variante weicht – besispielsweise dem Besuch eines Biergartens, bei dem – über Smartphones gebeugt – unüberhörbar „Germanys next Topmodell“ rezitiert wird. Im Endeffekt ist der Weihrauch und Messwein mit Bier und nicht wenig Oberklassenschnee getauscht worden, die Psalme über Esther, Lillith und Maria Magdalena wichen denen über Juliana, Stefanie und „die Schwarze“ –

Und doch: die Technologie wechselte von analog zu digital, jede Minute kann potentiell eine neue  Bibel aus dem Netz weltweiter Kreativität entstehen – und alsbald konsumiert werden. Die sich vergegenwärtigende Beliebigkeit der Inhalte gebiert Fliehkräfte und damit einhergehende, privatwirtschaftliche und politische Positionierungen, um die schwindende Relevanz weiterhin zu repräsentieren, zu be-/erhalten. Dies fördert jedoch auf Dauer gewaltige, gesellschaftliche Widersprüche.

Die inhärente, zynische Komik des mystischen Postmodernismus besteht unter anderem darin, retardierter Widerhall einer alten, aufklärerischen und einer weiteren, noch älteren, schamanistischen Erkenntnisfähigkeit zu sein. Das ambivalentere Wertgefüge der Postmoderne und eine Verkomplizierung von technologischen Errungenschaften begünstigen interessanterweise atavistische Tendenzen. So konnten jungsteinzeitliche Geräte  von fast jedem Individuum einer Gruppe verstanden, genutzt und – mehr oder weniger gut – angefertigt werden, hingegen werden viele Geräte heutzutage zwar noch verstanden und genutzt, aber die Fähigkeit zur Reproduktion der Alltagstechnologie ist durch Spezialisierung und aufwändige Fertigung fast vollständig verloren gegangen, an Stelle des zeitraubenden, aber anschaulichen Fertigungsprozesses ist  Lohnarbeit und der abstrakte, zu opfernde Geldwert getreten.

Dies führt in breiten Schichten der Gesellschaft zunehmend zu einer oft unbewußten Mystifizierung von Technologie, die sich bspw. im zu beobachtenden Amulettcharakter von Smartphones oder auch Laptops, Konsolen bei jungen Menschen äußert – die Fähigkeit zu sozialer Interaktion, zum ewiglichen Zeitvertreib wird als Abbild der eigenen sozialen und angenehmen Existenz in einen „Wunderstein“ hineinprojeziert und das rein Funktionale wird nach und nach „geheiligt“.
Nun könnte man an dieser Stelle einwenden, die Menschen der Jungsteinzeit hätten ebenso besonders „schöne“ Werkzeuge besessen und deren Bearbeitungs-Prozesse spiritualisiert, weil sie sich über diese unter anderem sehr mit ihrer (damals schon teilweise spezialisierten) Gruppenposition identifizierten.

Bringt also fortschrittlichere Technologie zusehends ein Cargo-Cult-artiges Verhalten hervor? Nicht unbedingt, denn das Gehirn hat noch viel ungenutzen Platz zum Verständnis zusehends komplizierterer Technologie und Kultur übrig. Nach und nach wird vieles davon zu Allgemeinwissen – zudem sicherlich auch tanshumanistisches „Enhancement“, ebenso wie biologische, psychoaktive Bewußtseinserweiterung Verbreitung finden wird. Jedoch kann diese  grundsätzliche Entwicklung von verschiedenen Faktoren negativ beeinflußt werden, einer davon besteht beispielsweise in der dämmerhaften Gleichmütigkeit der Gesellschaft, deren Ursache in einer anachronistischen Organisation besteht und deren Schlafmützigkeit immer wieder Brandherde wie Fremdenfeindlichkeit gebiert.

Es ist paradox: desto mehr wir wissen, handeln, lernen können, desto erstarrter wirken politische, wirtschaftliche bürokratische Strukturen. Das alte Raumfahrer-bei-Lichgeschwindigkeit-altert-langsamer-als-Erdbewohner-Problem. Die Reformationsfähigkeit der Gesellschaft, die diesbezügliche Willigkeit der Eliten (beides endlich) und die utopistischen, akzelerationistischen  Potentiale der neuen Technologien (exponentiell) sind dermaßen aus dem Takt geraten, dass es schon fast süß schief klingt. Politsche Notwendigkeit: das Schöne, Wahre – und eben auch: das den Zynismus überwindende Melancholisch-Komische – als ein, trotz Verzweiflung ‚blind Hoffendes‘ jenes Gefüges zu entdecken, zu analysieren, zu zelebrieren.  Mir kommen die  Beatles in den Sinn: ‚Just a Northern Song‚.

Faron Bebt
schreibt Geschichten mit bunten Botschaften und einem hartem Kern. Immer etwas dogmatisch, aus der Zeit gefallen, verstörend verträumt - wie letzte, angemalte Großstadtbunker --Farbbeton.

3 Kommentare

  1. es stand wohl bei vieler Geschicklichkeit doch alles in allem etwas klaterig um sie [die junge Schriftstellergeneration] [Th. Mann, Lotte, 7,769]

  2. Beim Nachdenken über die Gegenwart nach 2010 mit der Jungsteinzeit aufzutreten, ist schon mutig. Lassen Sie mich ausführen: Sie sind immer dann gut, wenn Sie nah am Text bleiben. Sollten Sie jedoch die Absicht haben, sich zu theroretischen Höhen aufschwingen zu wollen, sollten Sie sich andere Flügel umschnallen. Am Ende sind Sie sonst wieder bei den Binsenweisheiten.

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