Horizontal und vertikal [2, 11]

Es machte klick. Die eben noch rollenden Steine hatten aufgehört zu rumpeln, die Luft wogte noch leise durchs Zimmer und wir, die Arme um einen Körper gelegt, der als Relief mit verschiedenen Namen wie Taille, Rücken, Hals und Kopf versehen war, in der Vorstellung aber aus nichts anderem bestand als zitternder Wärme und einer sich blind äußernden Zuwendung, schauten uns reglos in die Augen. Es dauerte eine Ewigkeit, bis sie sich so weit angenähert hatten, dass sich die Lippenpaare berühren konnten, und was darauf folgte, lässt sich nur noch im Bild eines Seglers fassen, der auf den wild pulsierenden Dielen des Sturms von Wellenbergen hinab in die schäumenden Täler geschleudert wird, um, zeitweise ganz vom Wasser begraben, immer wieder seine knarrende Mastspitze aus dem flüssigen Tosen des Meers herauszustrecken in verzweifeltem Kampf gegen das Versinken. Die Flüssigkeit in den sensiblen Gleichgewichtsorganen, deren gedachte Linien den menschlichen Kopf in der Wahl zwischen horizontaler und vertikaler Körperlage zu halten pflegen, spielten verrückt und konnten keine Entscheidung zwischen Stehen, Fallen und Fliegen mehr vermitteln. Als meine Lippen deinen entblößten Körper zu erforschen begannen, gebot eine fremde Stimme dem Chaos in diesem Zimmer Einhalt: Nicht! Ich muss los … Es machte klick. Ich zog die Tür hinter mir zu und drehte den Schlüssel zweimal im Schloss herum.

Zhenja
Künstlername des aus Südrußland stammenden Dichters Jewgeni Sacharow; hob unter nickname Zhenja 2007 gemeinsam mit Gesche Blume und Viktor Kalinke den literarischen Blog www.inskriptionen.de aus der Taufe. Das seit 2009 verwendete Pseudonym stand dabei zunächst Pate für eine Reihe von Versuchen, sich zugleich die Bild- und Klangsprache des 1922 verstorbenen futuristischen Dichters Viktor Vladimirovic Chlebnikov und die Ausdrucksmöglichkeiten des Deutschen als literarischer Nichtmuttersprache zu eigen zu machen. Zunehmende Vermischung eigener Sprachschöpfungsprozesse mit dem Ideenfundus des russischen Avantgardisten bis zur „non-rem-fusion“. Sacharow lebt und arbeitet seit 2008 als Garderobier und freischaffender Autor in Frankfurt am Main. Projekt der beiden in Deutschland ansässigen russischen Dichter Jewgeni Sacharow und Sascha Perow, „Brüder im Namen“. Jewgeni beschäftigt sich seit 1990 mit Drama in - wie er es nennt - Außenprojekten, ich dagegen (Perow) versuche mich gelegentlich an Übersetzungen aus dem Russischen; mein Ziel: Erschaffung eines neuen Dialekts der Weltpoesie, der „Sternensprache“. Wichtig war für unser Inskriptionen-Doppelleben die Begegnung mit der deutschen Dichterin Hanna Fleiss im Winter 2012 in Berlin.

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