Der Mund

für John U.

öffnet sich : schließt sich
zarte Lippen : zitternd am Unterleib
ein Laib : von dem du zehrst
denn du lebst ja nicht allein : also fährst du
nachts zu ihm : er nimmt dich auf
verschluckt dich : schüttet dich zu
mit Geschichten von Großvätern : die nicht
ablassen können : sich an jungen
Zungen zu laben : sie stecken
ihre Rente in den gierigen Rachen : denn
der Mund : die faule Fotze
verschlingt sie : während ihr euch
hingebt & aufgebt & Schluß macht
um wiederzukommen : immer wieder
frißt euch der Mund : in den ihr
eure schlaffen Schwänze steckt

Alberto Cahier
geb. 1916 in Lissabon, Kindheit in Durban beim Stiefvater, Studium der Literaturwissenschaft in Lissabon, Handelskorrespondent, bisher einzige Veröffentlichung: Die Rolle des Naiven in der Bauernlyrik. Ein Abriß

13 Kommentare

  1. Und ab und zu küsst du fremde
    Liebhaber
    nie gewollt, nie genannt
    in deinen Unschuldskissen
    weiß wie sonst und leer,
    armen Liebhabers Hand.

    Lakritz und Kokosspeck
    Schwarz und Mäusedreck
    Zuckerglasur, das Reich der Tröster.

  2. Die dunkle Nische, das gedimmte Licht, viel Plüsch, viel Wein, Pina Coladas, das Achtziger-Flair. Allein Louise und ich wussten, dass er heute Geburtstag hatte. Er, Nicolas Verve. „Ich geh dann mal aufs Klo“, hatte sie gesagt und war verschwunden. Ich stand allein im Foyer und wartete auf Nicolas, sah ab und an auf die Uhr. „Wir wollen schließen“, sagte der Portier. Einzelne Damen, in sichtlicher Erregtheit, mit klappernden Armbändern in Blue Velvet waren offenbar nicht beliebt bei ihm. „Ich warte auf meine Freundin. Sie leidet an einer Magenverstimmung. Der Fisch im Restaurant war faul.“ Der Porter kam auf mich zu und musterte meine Augen Ich fühlte, wie mir das Kleid am Körper klebte und mein Nacken steif wurde. Diese Ventilatoren. „Nun gut. Sie dürfen bleiben. Es war ein Scherz. Woher kommen Sie? Sie sprechen Dialekt.“ „Das ist kein Dialekt, das ist mein Akzent. Ich bin Ausländerin. Haben Sie das nicht gemerkt? Ich warte auf Mr. Verve. Er ist hier heute Abend aufgetreten.“ Der Portier trug gewichste Schuhe. Vermutlich spuckte er auf die Schuhcreme und verrieb das Ganze dann, bis es glänzte. Er legte seine Hand an meinen Arm, er musste die Feuchte meiner Haut fühlen. „Ich werde Sie mit Mr. Verve bekannt machen. Ich bin sein Manager. Übrigens: Ihre Freundin ist…“ Ich spürte seinen Mund an meinem Ohr und ahnte, dass er was mit Knoblauch gegessen hatte.

    „Louise!“ Ich rüttelte an der verschlossenen Toilettentür. Louise auf dem Damenklo, mit Nicolas, meinem Nicolas Verve. Sie hatte sogleich geöffnet und er sich mit einem Ruck die Hose hochgezogen. Seine Krawatte war an der Klinke festgebunden, komische Louise. Ihr Gesicht war voll feuchter Schminke und von Nicolas Spucke glänzend. Sie lächelte, band Nicolas los und nahm mich in den Arm. „Du hast den besten Geschmack der Welt – was Männer betrifft.“ Doch Nicolas war erschöpft, ausgepumpt. Die Poppertolle hing ihm in strähnig in die Stirn. Die Schatten um seine Augen waren nicht mehr bläulich, sie waren violett. Seine Haut war sehr blass.

    Ich zog das Kästchen aus meiner Handtasche und reichte es Nicolas. „Happy birthday, darling.“

  3. auf zuckerguss und lollypop, die kunst kandierter schnäbel, nach so viel rot und schwarz und braun, nach drängen mengen und verbiegen, still darf es liegen, weiß darf es sein

  4. Louise ergriff meine Hand. „Komm. Du zitterst ja.“ Es war das erste Mal, dass ich ihn so von Angesicht zu Angesicht zu sehen bekommen hatte, ihm so nahe gekommen war. Louise kannte keine Angst vor Körpern. Nicolas Verve war für sie nur das natürliche Ende eines langen Abends. Sie führte mich an meinen Platz und zeigte auf das herzförmige Kissen neben sich, fusselig und babyblau. Wie Zuckerwatte „Das, meine Liebe, ist mein Geschenk für ihn. Er hat an seinem Geburtstag endlich einen Sohn gezeugt.“ Beim Blick in ihr abgeschminktes Gesicht fiel mir die Englischstunde bei Mrs. Finnley wieder ein. 14 Punkte für einen Brief an Nicolas. Ein leicht verdienter Lohn. Und Louise hatte gelacht: „Nicolas Verve, der Typ mit der schleimigsten Frisur aller Zeiten.“ Erleichtert legte ich einen Finger auf Louises Lippen. „Verrate es nicht. Noch weiß niemand davon. Vielleicht wird es ja ein Mädchen.“ „Oder nichts von beidem. Aber schön war es trotzdem.“ „Ja“, seufzte ich, „Das Ende eines langen Abends“.

  5. Kotzen macht Spaß.
    Raus damit!
    Ohne den Kater
    Danach: ist der Vorteil von’s Kotzen.

    … andere: Männer.
    Seine Haut: weiß, fast bleich
    sein Haar: dicht (wie sein Atem) und blond (Vorsicht!)
    sein Wuchs: rank & schlank (wie Mutters Worte doch gleich…) Maße: 1,90 m(indestens)
    seine Stimme: sonor cooler
    sein Talent: romantisch bis melancholisch, ein Spiel nur ein Spiel…
    Alter? Ach Ungewiss. (Verspeise ihn, sonst wird er überreif.)

  6. Louise kotzte. Natürlich in meinem Badezimmer, das ich mit zwei Mitbewohnern teilte. Ich schüttete frische Kamilleblüten in ein Teesieb und setzte Wasser auf. An der Tapete, über den Küchenfliesen klebte die alte Konzertkarte. Auftritt in der Hamburger Musikhalle, 2. Februar 1983. Während der Tee zog, malte ich mir die Nägel blasspink, kratzte gedankenverloren etwas Putz hinter der sich lösenden Tapete hervor. Eine Spur pink zierte die Wand. Vielleicht würde es ja doch ein Mädchen. Was für ein Glück wir hatten, Louise und ich.

  7. N.V. war grün und glibberig, saß in ihrem frischbezogenen Bettchen, ab und zu sagte er: „quak“. Ob sie ihn an die Wand werfen sollte? Immerhin spielte sie, Königstocher jüngste, noch immer mit den goldenen Kugeln im Park.

  8. Die Geschichte ging anders. Luise hatte einen doppelten Rittburger bestellt und mapfte neben mir am Neoprentischchen. Ich hatte bereits den Nachtisch vor mir – Clandestine mit Vanillesoße. Auch in kleinen Cafés ist gut schaufeln. Von Nicolas hatten wir schon monatelang nichts mehr gehört. Er hatte Luise und mir zwei Postkarten geschrieben und von Segelflügen, Tulpenreihen am anderen Ufer berichtet. Der Himmel schien babyblau, ohne ein Wölkchen. Nichts hätte seine Stimmung eintrüben können, außer einem weiteren Desaster mit Luise und mir. Wir legten noch ein paar Pfunde drauf. Von Schwangerschaftstests hatten wir noch nie etwas gehört.

  9. viele seiner texte erscheinen mir wie zu groß geratene feinripp-unterhosen, aus denen zuweilen ein monochrom schillernder falter schnurrt. es ist etwas, das haengt da so drüber, einen absatz über der wäscheleine – und man fragt sich, ist es der wind, der dieses etwas zur seite schiebt? es flattert, es zittert, es zieht, des kaisers neue kleider. spuren der konsistenz von gülle aufweisen.

    http://www.windhose.de

  10. Geschichten sind wie Uhren, sie gehen im Gleichschritt oder Marsch. Mich dünkt, sie seien ebenfalls dazu da, die Zeit zu zählen. In der Phase einer Zeitverschiebung werden jedoch die Blicke soweit abgelenkt, dass von überall her Geschichten gleich einem Uhrgewerke auf uns hereinstürmen, und die Witterung, dei Ur-Gewalt hat uns wieder einmal im Griff: Aus Ordnung wurde Chaos, und was für eins.

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