Eis essen [2, 8]

Da standen wir also an dieser Straßenecke, sie blickte mich an, wie ein Kind die Geschenke ansieht, die unterm Tannenbaum liegen, ich ergriff ihre Hand und zog sie sanft in eine Seitenstraße hinein, die von grünen Bäumen bestanden war, und sie ließ es geschehen, ohne zu fragen, wohin ich sie denn führen würde. Wir landeten an einer Eisdiele. Es war ein heißer Tag. Mit dem ersten Wort, das die Unnötigkeit aller folgenden betonte und einen Redeschwall einleitete, in welchem ein Naturwesen wohl hätte ertrinken müssen, begann ein Nachmittag von der gedämpften Helligkeit eines seiner Zeit enthobenen Spaziergangs durch ferne, sommerliche Waldgegenden, wenn zwei ruhig dahinsegelnde Körper, ganz vom Wind fortgesetzter Rede getrieben, Schritt um Schritt voranstreben ohne zu wissen, wohin sie eigentlich gehen. Es war das Ereignis andauernder körperlicher Nähe, die wie in einem Strudel immer neue Worte aus den Untiefen der bereits gesagten hervorquellen ließ, Worte, die sich auf die Haut legten und als unterschwellige Wahrnehmung in der Luft hängender Feuchtigkeit die Augen unwillkürlich im Raum schweifen ließen, Worte, die schließlich auf der Haut kondensierten und immer wieder die stummen Blitze abzukühlen vermochten, mit denen sich unsere Gesichter in einer plötzlichen Art durchsichtigen Rausches verbanden, Worte, die auf der Zunge zerschmolzen und mit ihrer cremigen Süße den Sommertag in ein kühles Gedächtnis erwartungsvoll gespannten Nichtstuns eintauchten. Irgendwann landeten wir in meinem Zimmer.

Zhenja
Künstlername des aus Südrußland stammenden Dichters Jewgeni Sacharow; hob unter nickname Zhenja 2007 gemeinsam mit Gesche Blume und Viktor Kalinke den literarischen Blog www.inskriptionen.de aus der Taufe. Das seit 2009 verwendete Pseudonym stand dabei zunächst Pate für eine Reihe von Versuchen, sich zugleich die Bild- und Klangsprache des 1922 verstorbenen futuristischen Dichters Viktor Vladimirovic Chlebnikov und die Ausdrucksmöglichkeiten des Deutschen als literarischer Nichtmuttersprache zu eigen zu machen. Zunehmende Vermischung eigener Sprachschöpfungsprozesse mit dem Ideenfundus des russischen Avantgardisten bis zur „non-rem-fusion“. Sacharow lebt und arbeitet seit 2008 als Garderobier und freischaffender Autor in Frankfurt am Main. Projekt der beiden in Deutschland ansässigen russischen Dichter Jewgeni Sacharow und Sascha Perow, „Brüder im Namen“. Jewgeni beschäftigt sich seit 1990 mit Drama in - wie er es nennt - Außenprojekten, ich dagegen (Perow) versuche mich gelegentlich an Übersetzungen aus dem Russischen; mein Ziel: Erschaffung eines neuen Dialekts der Weltpoesie, der „Sternensprache“. Wichtig war für unser Inskriptionen-Doppelleben die Begegnung mit der deutschen Dichterin Hanna Fleiss im Winter 2012 in Berlin.

Ein Kommentar

  1. er zog sie, er nannte es sanft, doch sie schrie, von ihm ungehört, leise auf, zur eisdiele – von wegen heißer tag. in omsk herrschte wie immer an diesen dezembertagen eine milde temperatur von 40 grad minus. sibirischer sommer. schritt um schritt schob stalker sein opfer vor sich her. sie krümmte sich unter seiner fortgesetzten rede. erst als er beim eisschlecken ihre zunge sah, bemerkte er, daß sie ein mann war.

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