Kinderzimmer [2, 4]

Happiness is a warm gun,
Yes it is…
John Lennon

Sommerabend im dunklen Viertel einer großen Stadt, Urlaubsbekanntschaft am Ende der Kindheit oder einfach nur die Erinnerung an eine gemeinsam auf einer Parkbank durchwachte Nacht, Speichelfäden von Mund zu Mund und die Augenpaare ineinaner, durcheinander, zwischen Händen und Armen, die nicht wissen, wohin mit sich, so dass es nicht mehr die Augen als Teile eines Gesichts sind oder die Fingerkuppen am Rande des fühlenden Leibes, die es geben mochte oder nicht, sondern nur noch der Blick, die stille Liebkosung. Jeder Mensch trägt in sich dieses Kind, das ein stilles Auge ist und mit seiner ganzen, seiner dünnen Haut ein fühlendes Ohr, so groß wie das Universum.

Dein Besuch kam unverhofft. Natürlich war ich die drei Wochen, die seit unserer nächtlichen Begegnung vergangen waren, Tag und Nacht wie betrunken gewesen. Ich hatte dir Briefe geschrieben, hatte deine Briefe beantwortet, hatte voller Ungeduld auf die Antworten gewartet, die den Antworten folgten und neue Fragen mit den Gedanken an dich in die Welt setzten. Meine Lebenstätigkeit war nun ein einziger Kreislauf unfassbar vieler Elemente gewesen, allesamt in fieberhafter Bewegung begriffen und plötzlich – deine Stimme am Telefon: „Wollen wir uns heute Abend treffen? Ich bin bei meinem Vater zu Besuch…“ Für Augenblicke schien es, als würde dieser ganze Kreislauf strudelnder Bewegung stillstehn, als sei der Abend dieses Tages das Tor in jene Landschaft, die ihren Ort außerhalb der Zeit hat: Glück.

Zhenja
Künstlername des aus Südrußland stammenden Dichters Jewgeni Sacharow; hob unter nickname Zhenja 2007 gemeinsam mit Gesche Blume und Viktor Kalinke den literarischen Blog www.inskriptionen.de aus der Taufe. Das seit 2009 verwendete Pseudonym stand dabei zunächst Pate für eine Reihe von Versuchen, sich zugleich die Bild- und Klangsprache des 1922 verstorbenen futuristischen Dichters Viktor Vladimirovic Chlebnikov und die Ausdrucksmöglichkeiten des Deutschen als literarischer Nichtmuttersprache zu eigen zu machen. Zunehmende Vermischung eigener Sprachschöpfungsprozesse mit dem Ideenfundus des russischen Avantgardisten bis zur „non-rem-fusion“. Sacharow lebt und arbeitet seit 2008 als Garderobier und freischaffender Autor in Frankfurt am Main. Projekt der beiden in Deutschland ansässigen russischen Dichter Jewgeni Sacharow und Sascha Perow, „Brüder im Namen“. Jewgeni beschäftigt sich seit 1990 mit Drama in - wie er es nennt - Außenprojekten, ich dagegen (Perow) versuche mich gelegentlich an Übersetzungen aus dem Russischen; mein Ziel: Erschaffung eines neuen Dialekts der Weltpoesie, der „Sternensprache“. Wichtig war für unser Inskriptionen-Doppelleben die Begegnung mit der deutschen Dichterin Hanna Fleiss im Winter 2012 in Berlin.

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