Das Haus

Es kostete mich viele Jahre, ein Haus zu entwerfen, das all meine Anforderungen erfüllte. Ich weiß nicht mehr, wie viele Entwürfe ich gezeichnet, wie oft ich einen Entwurf geändert habe. Allein die Zeichnungen der Treppen füllen mehrere Kisten. Das Haus als Sphäre oder als Kugel – ich habe mir unzählige Formen vorgestellt, habe ihre Vor- und Nachteile bis ins letzte Detail geprüft. Gefiel mir ein Holz, war es nicht fest genug, das Dach zu tragen, war ich mit den Zahlen zufrieden, fehlte es den Räumen an Klarheit. Einige Entwürfe habe ich sogar gebaut und bewohnt. Ich musste sie abreißen, früher oder später, weil sich irgendwann ein Mangel zeigte, den ich nicht übersehen konnte. Einmal stimmte alles, ich fand keinen Fehler, aber ich konnte in dem Haus weder wohnen noch arbeiten. Mit dem Haus, das ich zuletzt errichtete, war ich zufrieden. Hier hatte ich mein Leben eingerichtet.

Während eines Gewitters schlug ein Donner in mein Haus ein. Ich fand die Spuren des Blitzes. An der Seite eines Baumes hatte er die Blätter und die Rinde des Stammes abgesprengt. Wochen später hatte der Baum auch die übrigen Bätter verloren; er war längst tot. Dass der Blitz das Haus nicht getroffen hatte, war Glück. Ich sah, was geschehen konnte. Ein Sturm konnte die Scheiben einschlagen, eine Flut aus dem Boden heraufbrechen, und Eis konnte ebenso wie die Strahlen der Sonne die feinen Strukturen in den Steinen auftrennen. Irgendwann würde mein Haus einstürzen, so, wie auch das größte Gebirge eines Tages verschwunden sein wird. Es begann schon: aus dem Laub, das die Dachrinne verstopfte, wuchs ein Baum. An ein Gebirge wagte ich mich nicht, aber das Haus verdiente es, bewahrt zu werden. Ich suchte nach Lösungen, und einige gelangen mir.

Auch im Haus waren Gefahren. Spinnen wohnten in den Ecken, die Wände wurden dunkel, ein Rohr brach. Nichts blieb so, wie ich es geplant hatte. Es war nicht die Frage, ob etwas verderben würde, sondern wann. Ich konnte die Spinnweben entfernen, die Wände neu streichen, die Rohre auswechseln, aber das würde nichts ändern. Ich selbst zerstörte das Haus. Wenn ich atmete, kroch die Nässe meines Atems in die Wände. Ich wohnte nur noch in einem Zimmer, verstopfte die Spalten unter den Türen. Dass jeder meiner Schritte das Haus erschütterte, dass mit jedem Auftreten ein Molekül abbrach, das wusste ich.

Es war die Zeit, die das Haus abnutzte. Ich riss es ab, und ich konstruierte ein neues. Ich projizierte es es auf die Wiese, wo das alte früher stand. Ich habe ein Haus aus Licht gebaut, dem kein Gewitter, keine Wurzel, keine Spinne etwas anhaben kann. Jetzt waren die Schatten vergänglich, die der Wind durch das Licht trieb.

Patrick Beck
geb. 1975 in Zwickau, lebt nach Aufenthalten in Leipzig, Speyer und London in Dresden. Erzählungen, Essay und Dramatik u.a. in den Zeitschriften „randlos“, „Der Maulkorb“, „Die Brücke“ und „Ostragehege“ sowie am Staatsschauspiel Dresden. Swantegard (Hörspiel), ERATA 2008.

2 Kommentare

  1. Seit ich im Schattenhaus wohnte, war manches einfacher. Die Sonne strahlte im Sommer nicht mehr hitzig zum Fenster herein, sondern hielt sich höflich hinter den Baumwipfeln. Der Kamin konnte nicht mehr verstopfen, denn der dem Feuer entsteigende Rauch fand immer allein seinen Weg. Auch das hohe hohe Dach aus tiefdunklem Sternendamast war auf ewig meines, war von der Festigkeit des Himmels. Ein Problem gab es noch: Wenn der Himmel seine Schleusen öffnete, kam es vor, dass sich die fallenden Wassertropfen in Worte umwandelten, und alle meine Erfindungsgabe hatte es bisher noch nicht fertiggebracht, eine passende Vorrichtung zur automatischen Umwandlung der von oben durchgeschleusten Objekte in schöne oder wenigstens gültige Texte zu ersinnen. Das Problem begann allmählich, ganz Besitz von mir zu ergreifen. Mit den Träumen war es relativ einfach gewesen: der Diggidagsen, eine Art luftdurchlässiger Tropf neben meinem Bett, saugte in kybernetischen Kreisen die jeweils andrängende Kontur so an, dass das resultierende Flüssigkeits-Bild-Gemisch bei einer Obergrenze von 314 : 1592 in der Asche am Rande des wandlosen Zimmers nach der Art einer Photographie kondensierte. So konnte ich morgens in aller Ruhe darin lesen, und die Angst, dass mir irgendetwas Wichtiges entgangen sein könnte, war nicht mehr länger meine. Schwieriger wurde es mit den Tagesgedanken. Die von einem Besucher so genannte Einkaufszettel-Maschine war schließlich auf optoelektronischen und gründominaten Quantensuchprinzipien aufgebaut worden, die entsprechende Idee hatte mich an einem einsamen Weihnachtsabend unter der Küchentanne ereilt. Wenn die Entropie-Unwetter mich in meinem kindlich suchenden Begehren weiterhin so bedrängen sollten, würde ich bald inmitten eines Nachtgedankens gelieren und denkunfähig werden – ich war also gewarnt: eine Kopfschleuse musste her, ein Auto-Schließöffner, die das Himmelsdach im Raum drehte und die Wurzeln im Raum verpflanzte.

  2. der Wahn ist so groß geworden – er geht bis zum Horizont – morgens stehen wir auf und schließen die Augen – dabei gibt es Gärten – die so schön sind – daß dir die Augen bunt werden – wenn du sie ansiehst – und Vögel gibt es – so viele – daß dir Flügel wachsen – wenn du ihnen lange genug nachsiehst

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