Eugen Onegin: Kapitel zwei, dreißigste Strophe

O rus!
Horaz
O Dorf!

Sie liebte wirklich Richardson:
Nicht im Ergebnis von Lektüre,
Nicht weil sie schließlich Grandison
Statt Lovelace huldvoll winken würde;
Weil ihre Moskauer Cousine,
Die schöne Großfürstin Aline,
Ihr oft genug davon erzählt.
Sie hatte damals sich erwählt
Zum Küssen einen Bräutigam,
Den sie nicht liebte; jede Nacht
Hat einen andern sie bedacht
Mit ihren Spielen, wenn er kam:
Ihr Grandison – ein stolzer Reiter,
Selbst Spieler und Garde-Gefreiter.

Zhenja
Künstlername des aus Südrußland stammenden Dichters Jewgeni Sacharow; hob unter nickname Zhenja 2007 gemeinsam mit Gesche Blume und Viktor Kalinke den literarischen Blog www.inskriptionen.de aus der Taufe. Das seit 2009 verwendete Pseudonym stand dabei zunächst Pate für eine Reihe von Versuchen, sich zugleich die Bild- und Klangsprache des 1922 verstorbenen futuristischen Dichters Viktor Vladimirovic Chlebnikov und die Ausdrucksmöglichkeiten des Deutschen als literarischer Nichtmuttersprache zu eigen zu machen. Zunehmende Vermischung eigener Sprachschöpfungsprozesse mit dem Ideenfundus des russischen Avantgardisten bis zur „non-rem-fusion“. Sacharow lebt und arbeitet seit 2008 als Garderobier und freischaffender Autor in Frankfurt am Main. Projekt der beiden in Deutschland ansässigen russischen Dichter Jewgeni Sacharow und Sascha Perow, „Brüder im Namen“. Jewgeni beschäftigt sich seit 1990 mit Drama in - wie er es nennt - Außenprojekten, ich dagegen (Perow) versuche mich gelegentlich an Übersetzungen aus dem Russischen; mein Ziel: Erschaffung eines neuen Dialekts der Weltpoesie, der „Sternensprache“. Wichtig war für unser Inskriptionen-Doppelleben die Begegnung mit der deutschen Dichterin Hanna Fleiss im Winter 2012 in Berlin.

7 Kommentare

  1. Er hatte nicht verlangt, dass sie ihn küsste. Doch das Schweigen zwischen ihnen machte es möglich – wahrscheinlich hatte er seinen Anzug bei Neckermann bestellt. Und die Pauschal-Reise gleich mit gebucht. Sie nahm Maß an seinem Kragen mit den Fingern, fünf Zentimeter Fingerlänge an der Kante. Nein, lächelte sie, sie liebe ihn nicht. Ja, versicherte sie, ihr Kuss war ein Pauschal-System. Und Schweigen sei oft missverständlich. Man deute dieses Sag-jetzt-nichts in 2 Welten. Um die Lücke zwischen ihnen zu überspringen, greife man sich eben einen Jacketkragen und pflanze ein fleischliches Siegel.

  2. Er besaß nichts als die Munition in seinem Kopf, aber die besaß er so sicher wie den Ort, an dem sich sein Körper immer wieder niederlassen würde. Die Tür in diesen Bunker war wohl seine Stirn. Nur seine Augen, die Augen waren immer mehr auf die Geräusche angewiesen, die der Körper ihm immer wieder in die Ohren pumpte in Ergänzung dieses ewig sinnlichen Menüs seiner nicht enden wollenden Tage.

  3. Ich kramte in meinen Bewegungserinnerungen und zog schließlich den Aufprall eines Rückens auf die eichene Unterlage eines hart federnden Fußbodens hervor. Die Lungen hatten voll zu tun, irgendwann ließ das Keuchen nach. Perfekte Geometrie, so begreifen die Augen am Ende ihren Blutspender. Der sitzt zurückgezogen im Innern einer zuckenden Kuppel und dirigiert schweigend die irrsinnig strömenden Flüssigkeiten in der vorgeschriebenen Ordnung ihres Verkehrs. Von seiner Aufmerksamkeit hängt letzten Endes ab, ab die kurzzeitig geöffneten Klapptüren immer wieder rechtzeitig geschlossen werden; das leiseste Klappern – und der Schneesturm dringt in die Hütte ein. Friede seinem Auge, Stille seinem Ohr. Unter der Haut häutet sich das Wasser in der Sonne, möge die feuchte Freiheit seines Orts nie in der brüchigen Hülle geronnenen Blutes vertrocknen.

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