Das Prozedere

Prolog


In der Vergangenheit zu wühlen, das ist eine schwierige, verantwortungsvolle Aufgabe.
Denn selbst wenn es aus hehren Motiven heraus geschieht, wie zum Beispiel sich eine fremdartige Perspektive übergreifender Lebensweltrealitäten aus Selbstschutz anzueignen oder auch aus erhofft inspirationsschwangerer Neugier (dieser Grund ist der sympathischere),
nutzen manche Autoren intime Einblicke nur dazu sich daran abzuarbeiten, verschwenden also eigene Schöpfungskraft für zum Teil geschickt verpackte, doch oft nicht sehr weiterführende Kritik.
Das kann natürlich Spaß machen, ist meist aber nur der persönlichen Hilf- und Einfallslosigkeit geschuldet – wobei eine solche Blöße selbstverständlich von Zeit zu Zeit auch positive Sekundärergüsse hervorzukitzeln vermag, keine Frage.
Und es ist natürlich deshalb besonders lächerlich solche Fallstudien zu erstellen, da scheinbar maßgebliche Informationen, die die Grundlage des „Urtheils“ bilden, aus offensichtlicher Unkenntnis und (unbewußter) Zielvorgabe heraus, lediglich einen mehr schlechten als rechten „educated guess“ zulassen;
Rundungsfehler, vertauschte Vorzeichen und unbekannte Gesetzmäßigkeiten außer acht lassend, hat die Erde dann, ver-dichtet, die Form einer großen Schildkröte (oder eines Stahlhelms?) und das Gehirn ähnelt einer verschrumpelten Kartoffel, die ja immerhin auch noch Strom erzeugen kann.
Aber es ist sicher richtig: sich dem Ereignishorizonts eines schwarzen Loches anzunähren ohne den point-of-no-return zu überschreiten (oder zumindest zu glauben, dies würde nicht geschehen) verspricht einen gewissen hedonistischen Thrill und so will ich es ausnahmsweise auch einmal ausprobieren, denn als ein an Gleichheit interessierter Mensch, der zu seinen Brüdern und Schwestern heraufschaut, ist mir sehr an der Freiheit gelegen
ebenfalls mit Intimität zu experimentieren.

Das Prozedere – oder wie der Dalai Lama Versteckspielen lernte

Ihre exotische, aber etwas zittrige Stimme unterbrach sein nonchalantes Dösen.


„…er hat das nicht verdient, dass man sich über ihn lustig macht…“

„Zieren sie sich nicht – sezieren sie ruhig mich!“

Sein Gegenüber hielt kurz inne, jedoch lang genug, um stutzig zu wirken.
Hatte er das gerade wirklich gesagt? Konnte schon sein. Aber auch so gemeint?
Natürlich nicht, eher auflockernd.  Wirklich persönlich sollte es, ginge es nach ihm, ja gar nicht werden, lediglich ein ganz normales, die Welt hochleben lassendes Arbeitsessen.
Sie überging seinen Versuch, das Thema zu wechseln:

„Aber ich habe selbst solche Angst davor , dass man sich -wieder-

über mich lustig macht, dass ich das lieber mit anderen mache.“

Er hatte auf dem Weg zum hohen Haus einen möglichst unverbindlichen Ablauf des Abends imaginiert: nach der floskelhaften Begrüßung erstmal einen Aperitif herunter stürzen, gewürzt mit etwas spritzigem Anekdotentum,  dann einige literarische Leckerbissen vernaschen – ‚Gurgelsamtpastete — od malego za maly‘ -, nur um später dann vielleicht Komplimente bezüglich der wechselseitigen Entschlüsselung der Sollbruchstellen des ansprechenden, wenn auch eindeutig zu pastellfarbenen, im überkommenen, altmodisch-orientalischen Stil ermüdend gehaltenen lokalen Interieurs zu machen.

Dann, zum Desert, noch ein schwermütiger, moralphilosophischer Denkanstoß  – willkommener Absacker eines gedämpften, getrennt vollzogenen Heimwegs, alons-y


„Ich habe nie geglaubt, dass ein so starker, extrovertierter und wettbewerbsfähiger Mensch wie du überhaupt an einer Freundschaft mit mir interessiert sein kann. Ich wurde früher von solchen Leuten oft gemobbt!“

Jetzt war es an ihm stutzig zu werden. Freundschaft? Wettbewerbsfähigkeit? Mobbing? Irgendwo klingelte eine Glocke. Der Ober wies ihnen den Weg zu ihrem Tisch, reichte ihnen die handgeschriebenen Karten und verabschiedete sich -vorerst- mit einem, wohl ihm geltenden augenzwinkernden Hinweis auf den possiblen, weiteren Verlauf des Abends:
glisser quelques bonmots en matière de la qualité du vigne vierge


„Ich konnte mich nie durchsetzen. Deshalb kann ich es bis heute einfach nicht richtig glauben, dass du es ernst meinst, dass du mich nicht verachtest.“


Das stimmte so nicht,
denn sie setzte sich durch, hier und jetzt. Und er wußte nicht mehr wo und wer er war –  stellte seine fast schon ignorante Gelassenheit eine schäbige Lüge dar oder die Fähigkeit einfühlsam zuzuhören? Konnte sich sein aus Selbstverliebtheit und -überschätzung fragil konstruiertes -bewußtsein so sehr absolutieren? Natürlich!
Ein zufriedenes Grinsen legte sich über sein Gesicht. Auf sie wirkte es sicher beruhigend, dachte er, und es würde sie auch sicher dazu einladen fortzufahren — um endlich zum Schluß zu kommen.


„Bei Leuten, die ähnliche Probleme  haben wie ich – also meinetwegen Franz und Georg – fällt mir das nicht so schwer zu glauben.“


Langsam, aber immer deutlicher drang aus den Tiefen seiner Kommode eine helle Stimme auf, die ihm vorschlug aus vollster Kehle „Ich!“ zu schreien, „Ich, Ich, Ich!!!“.
Er verkrampfte unmerklich, jedoch nicht ohne Genuß . Der Gedanke die Scharade hier und jetzt aufzulösen, sich einen der Teller zu schnappen, diesen wie einen Diskus gegen den Kronleuchter zu schleudern, auf den Tisch zu springen, energisch zu hüpfen, zusehends grunzendere Laute von sich zu geben und dann, wie der heilige Geist, emporzusteigen in selige, heiterere Himmel war nicht ohne Reiz.


„Aber ich habe mich dir lange Zeit unterlegen gefühlt und immer gedacht: so wie du müsste ich sein, dann würde ich respektiert und geachtet, käme mit meinem Leben klar, aber so wie ich jetzt bin, kann mich niemand achten und lieben…“


Es war klar, hier war sein Einsatz vorgesehen, es galt empathisch die Stärken zu betonen, die eine nicht vollkommen angepasste jedoch darob depressive Persönlichkeit zu bieten hat, auf die unkonventionellen Erfahrungen zu verweisen, die dadurch erst möglich werden, mit einem Bekenntnis zu ähnlichen Problemen zu locken und um Verständnis für… ja für was eigentlich zu werben?   Immerhin war es ja ein Arbeitsessen und konnte unter Werbekosten verbucht werden.

Für jemanden wie ihn, der es liebte sich berechnend zu verplappern und, scheinbar clownesk, doch tatsächlich in vollem, kontrazyklischen Erwußtsein vermeintliche Fettnäpfchen mit allen Zehen auszukosten, nur um sich dann an ehrlich gemeinter, doch aufgesetzt wirkender Empörung zu weiden, war Arbeit zwangsoptimistischer Leichtmut, dachte er. Ein zu nichts verpflichtendes Oberflächenrelief, belegt mit einer Patina, deren rissige Zeit bereits stolz vor sich hin erbröselt, bestaubt.

Sein seelisch aufgekratztes Modell gegenüber: Arbeit? Was sie wirklich brauchte, war nicht was er zu geben hatte (Ignoranz) und auch nicht was sie suchte (Lagerung). Nein, wollte er diese Situation zur Zufriedenheit aller Beteiligten auflösen, so schoß es ihm durch den Kopf, wäre ein Handeln erforderlich, das er selbst nicht nachvollziehen und aus diesem Grunde auch nicht würde erkennen können. Philosophie war manchmal ein Anker vor dem Selbst.

„Ich habe Angst. Ich weiß, dass ich es aufgrund meiner Menschenscheu und Schüchternheit sehr schwer habe…“

Been there, done that, ma chère conchatte… gelangweilt schaute er sich um. Er kannte das „Schloß“ schon länger und liebte es, da es eine Welt, verloren zwischen naivem, unschuldigem Pathos , mitreißendem Ästhetizismus und somit charmantem Authentizismus darstellte.

Nun gut, es mußte sein. Zu ihrer Verwunderung stand er auf, erhob sein -halbvolles- Wasserglas, schlug zärtlich, aber bestimmt mit dem Desertlöffel mehrmals dagegen und schaute sich um, in fragende Gesichter. „Da viele Stammgäste anwesend sind“, sagte er, „wissen einige von ihnen sicher, dass ich regelmäßig -allein- dieses Etablissement aufsuchte,
um der erdrückenden Enge der eigenen vier Wände zu entfliehen. Geglückt ist mir dies allerdings nie wirklich. Braun gefliest ist mein Bad, traurig sind die Aquarelle an meinen Wänden. Heute jedoch, dies darf ich  voller aufrichtiger Glückseligkeit verkünden, ist es mir endlich gelungen – dank dieser bemerkenswerten jungen Dame!“ Er machte eine Pause und schaute sie  eindringlich und rätselhaft an, bevor er sich effekthascherisch wieder dem Saal zuwandte: „Sie öffnete mir eben ihre Seele wie keine Frau jemals zuvor… – und meine -Seele- dazu! Ich dachte immer ich sei ein eingebildeter Zyniker, selbstgefälliger Dandy – und sehen sie, verehrtes Publikum, so falsch war das wohl nicht, denn schon wieder rede ich nur über mich – doch dieses verletzliche, zartfühlige  Geschöpf, dessen Zwitschern zu lauschen mir alles abverlangte, Schwermut, Freude und Prüfung zugleich war, sie hat mich erkennen lassen auf welchem dünnen Eis wir alle denken und wie befreiend es doch sein könnte mehr zu sein, als nur die Summe seiner eigenen Teile.“

Er blickte sie wieder an: „Käthchen, willst du…“

„Ich kann alles, aber körperliche Nähe ohne die Garantie, dass es sich hinterher als richtig erweisen wird, ist der blanke Horror für mich. Ich habe das einmal riskiert und mit fast 10 Jahren dafür bezahlt.“

„Aber Käthchen…ich…“

„Zum einen ist es für mich natürlich schön, endlich mit meinen Talenten Geld zu verdienen. Aber ich weiß nicht, ob ich das wirklich kann. Deshalb klammere ich mich an, anstatt neue Auftraggeber zu suchen. Ich habe so wahnsinnige Angst, dass alles schiefgeht!“, rief sie und schluchzte lauthals.

Er hatte das Gefühl, eine Grenze ziehen zu müssen. Er wusste, das es falsch war, diese hochnotpeinlichen Veräußerungen aufzuerwecken, weil es ein schlechtes Bild auf ihn werfen würde,  nähme er sie jetzt nicht ernst darin.


„Käthchen, verdammt nochmal, willst du mich…“

„…verlegen?“, fragte sie kleinlaut und während sie mit großen Augen fragend aufschaute, lief ihm gekonnt eine Träne die Wange herunter.

Oh ja!, dachte er,
tief, tief in deinen Schrank, bitte,
ich räum ihn dir auch auf,
ich spiel so gerne tot.

Faron Bebt
schreibt Geschichten mit bunten Botschaften und einem hartem Kern. Immer etwas dogmatisch, aus der Zeit gefallen, verstörend verträumt - wie letzte, angemalte Großstadtbunker --Farbbeton.

4 Kommentare

  1. einige fragen an den prolog:

    was ist an einem perspektivwechsel einfallslos? die antrainierte akrobatische kunst des geistes zur vor- oder verstellung? kann es ja wohl nicht sein. wobei es manchmal mutiger ist, darzustellen, wie sehr man sich nichts vorzustellen vermag – mut zur blöße als perspektivwechsel.

    „hehre motive“: als da wären?

    „solche fallstudien“: welche?

    gehirn als kartoffel: ein transzendierendes ein changierendes bild…

    am schwarzen loch: vielleicht in mode, aber deshalb noch lange nicht außer acht. spazieren wir noch eine weile.

  2. Hallo Kleist,
    wir zwei spielen also mal wieder allein mit dem „neuen“! der antwortet wenigstens, und zwar flott! er scheint zu wissen, was frauenherzen mögen: reaktion, reibung, dicht dran bleiben, reden – r e d e n!

    Hallo Faron Bebt,
    herzhaft gelacht über den letzten Absatz. Eine Quintessenz der Leipziger Büchermesse? Ich zitiere nochmal mit einem durchaus vorhandenen theatralischen Talent diesen genialen Federstreich (und da tanzen sie alle wild vor meinem Auge: Humphrey Bogart, Jeff Kooons…)
    “Käthchen, verdammt nochmal, willst du mich…”
    “…verlegen?”, fragte sie kleinlaut und während sie mit großen Augen fragend aufschaute, lief ihm gekonnt eine Träne die Wange herunter.
    Oh ja!, dachte er, tief, tief in deinen Schrank, bitte, ich räum ihn dir auch auf,ich spiel so gerne tot.“

  3. Objact

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