Abyss der Mitte – oder wo die Nacht Freiheit kreißt

Viele Leute arrangieren sich mit dem Status Quo. Sie sind keine besonders dummen, keine besonders ängstlichen Mitbürger. Nein, ihre Affirmation speist sich aus dem „Never change a running system“-Gefühl.

Wohlgemerkt nicht: „Never change a winning team“.
Denn Gewinner gibt es immer weniger. Aber man möchte noch nicht wirklich etwas riskieren um Veränderung hervorzurufen, geschweige denn für ein diffuses Solidaritätsgefühl solche Einbußen in Kauf nehmen müssen, die über die graduelle Erhitzung des Froschkochtopfes hinaus gehen (denn man hat lange und durchaus traumatisch gelernt, dass die guten Vorsätze im Endeffekt doch von den Falschen ausgenutzt werden und zieht die abverlangten strengen, aber scheinbar überschaubaren Härten der herrschenden Herren vor) .

Dann also doch lieber auch zukünftig das eingespielte Untertanentum zelebrieren, soll heißen:  in der prekären Mitte wird weiter nach unten getreten, selbstverständlich nicht persönlich gemeint, nur aus präventivem Sozialneid heraus, man will was besseres bleiben, auch als privilegierter Sklave;
ganz Unten aber – blind aufgrund geschwollener Augen und lahm aufgrund gebrochener Rippen, soviel Pathetik sei mir gegönnt – wird bettelnd am Wegesrand verharrt, von Brücken gesprungen oder über ausgestreckte Kürzungs-Klingen.

Die alten Katalysatoren dieser Mittelschicht jedoch, ob transatlantische Mietschreiber, grenzdebile Sternchensänger oder oligarchietrunkene Politdarsteller, versagen sie vielleicht auf einer entscheidenen, latent unbewußten, weil nicht selbstreferentiellen Ebene?

Der Verfall dieser, wenn schon nicht „heilen“, so doch (noch) sedierenden Umwelt — wird er unübersehbar in den nicht mehr ausblendbaren Widersprüchen des Technologiezeitalters mit seinen unzähligen individualisierbaren Oberflächen und diskursiven Schauplätzen einerseits und der Eindimensionalität der tradierten Konsenssoße andererseits?

War es früher, zumindest im Westen, nicht nötig direkt zu zensieren, so steht auch dort dieses Gespenst wieder vor der Tür und erschreckt, bis zu einem gewissen Grad, auch diejenigen, die selbst noch im permanenten Buckeln und Kriechen „die beste aller Welten“ zu erkennen glauben, „für Deutschland“, selbstvertständlich. Ewiger Wachstumszwang hin oder her.

Erinnern wir uns an den Verlust der Meinungshoheit der herrschenden Klasse im untergehenden Nazireich.
Waren es die Zerstörungen, also die pure Not selbst oder das zusehends dumpfere, hoffnungslosere Klima der Zivilbevölkerung das letztlich die Propaganda vollends untergrub?
Waren es vielleicht die persönlichen Verluste, die immer apathischere Trauer eines Großteils des völkischen Volkes, die eine Atmosphäre  schuf, in der letztlich (endlich!!) eine erst stille, dann allegorische, zuweilen humoristische Übereinstimmung zur Häresie zu erblühen vermochte, während die Totalität der Ideologie noch einmal mit aller Raffinesse und Gewalt die letzen Reserven an Gehorsam herauszukitzeln ersuchte?
Und, übertragen in diese, unsere Gegenwart: kann es sein, dass die transatlantische, neoliberale Meinungsbeeinflussung zusehends ebenfalls totalitäre Züge aufweist, in Koordination und Präsenz, in Teilen wie die Staatspropaganda zu Goebbels Zeiten?

Anders: tritt also auch hier eine Ermüdung ein, die im Endeffekt sogar auch die utopische Blindheit (und hier auch: Angst derer, die sich mit dem permanenten Schmerz arrangiert haben, ohne ihn nicht mehr sein wollen, ja können?!) vor einer gerechteren und wahrheitsliebenden Gesellschaft zu kurieren vermag?

Wollen wir es hoffen; die Vorraussetzungen sind – ehrlicherweise – sicher besser als zu Zeiten der Nazis: noch gibt es gewisse Möglichkeiten der  Meinungsäußerungen im öffentlichen Raum, obschon der ausschließliche Austausch im privaten Rahmen („stille“ Übereinstimmung) sicherlich auch heutzutage davor schützt auf schwarzen Listen von schwarzen Muttis zu landen (nein, Schwarzgeld gibts dafür leider nicht, auf solchen Listen zu erscheinen, und nein, liebe AntirassistInnen, ich meine keine „People of Colour“-Muttis).

Machen wir uns jedoch nichts vor: selbst wer friedlich demonstrieren geht wird erfasst (Gesichtserkennung), sein Handy dort sowieso; jedes Telefonat jedes noch so harmlosen Bürgers wird verdachtsunabhängig gespeichert und innerhalb gewisser Zeiträume mittels Spracherkennungssoftware in kleinere Textdateien formatiert (wenn nicht von unseren dann von denen von über dem Teich, die es dann unseren zur Verfügung stellen wenn die bei ihren [Dienst]Herren drum betteln).
Und, es ist leider anzunehmen, obleich Dementis naturgemäß erfolgen dürften, an „geheimen“ Orten wird der ganze Wust genau solange gespeichert, wie ein System herrscht, das diese Stasis (Stasi, plural Stasis!!) des postdemokratischen Zeitalters benötigt (selbstverständlich nur zu ihrem Besten, verehrte/r Leser/in).
Wer nicht eines Tages mit einem Chip im Kopf und einer dazugehörigen gedanklichen Fußfessel aufwachen möchte, den bitte ich im Bekanntenkreis zu agitieren: für ein tieferes Erfassen der Prozesse, also eine souveräne, psychologische Mündigkeit als Bürger zu werben.

Denn nicht das Böse ist der größte Feind des Guten, nein es ist die Masse
– derer, die gaffen ohne zu handeln,
– solcher, die vorbeiziehen ohne verstehen zu wollen,
– jener die zuhaus bleiben obschon sie verstehen,
– und vieler die handeln ohne nachzudenken.

1944 ist 70 Jahre her, wird der Frieden nun wieder in Rente geschickt, liegt die Einsicht
schon im Koma – wohnen wir dem Todeskampf der Freiheit bei oder aber ihrer diffizilen Neugeburt?

 

 

Faron Bebt
schreibt Geschichten mit bunten Botschaften und einem hartem Kern. Immer etwas dogmatisch, aus der Zeit gefallen, verstörend verträumt - wie letzte, angemalte Großstadtbunker --Farbbeton.

2 Kommentare

    1. Naja, das mit dem Strick unter der Brücke – oder in der Zelle – weist ja eher nicht darauf hin, dass Aufklärung, wie in diesem Beitrag angemahnt, von Erfolg gekrönt sein soll darf. Aber es stimmt, der Subtext dabei wird immer schwärzer – schutt-haft.

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