Der Rest

Einmal hatte ich die Eingebung
Dass nichts ohne den
Rest jemals
Bedeutung haben würde

Ich prüfte die Eingebung
Ich prüfte den Rest
Und befand

Ich befand mich urplötzlich
In einer anderen Welt
Die Dinge lächelten mir zu
Von den Dingen her
Strömte es übern Himmel
Der nur ein Grund für die Augen ist

Ich befand die Sache für
Prüfenswert mehr
Als nur eine Sache des Glaubens

Ich glaubte nicht an
Sprünge, von der Natur
Vollführt
In der Absicht zu verführen

Ich glaubte nicht an
Wunder, diese un-
Glaublichen Enthüllungen
Über alles und nichts

Am Ende blieb dann ein Rest
Der Gedanke wie es
Wohl wäre nie aufzuhören

Und ich hörte das Wasser
In der Leitung, den Strom
Wie er seelenruhig
In der Steckdose siedete

Und es wollte nicht aufhören
Nie mehr aufhören

Bis ich mich endlich
Besann: das war also
Eine Eingebung
Eine Eingebung in Worten
Erzählung über den Rest, ohne
Den niemals je
Irgendetwas
Auch nur im Entferntesten
Eine Bedeutung haben würde

Das war nun wirklich stark:
Niemals je
Irgendetwas
Als ob Aussagen dieser Art
Auch nur im Entferntesten
Mit der Steckdose und der
Langen Leitung zu tun haben könnten

Ich besann mich
Und fühlte das Strömen
Der Worte auf einer Zunge
Die keine Zunge ist
Sondern
Lediglich ein Organ
Des Artikulierens in der Zone
Zwischen Anfang und Ende
Wo sich immer alles abspielt
Und meistens mit Rest mit

J. W. Rosch
geb. 1967 in Charkiv, lebt in Frankfurt am Main. Gedichte, Prosa, Roman. Bisher bei LLV erschienen: Jokhang-Kreisel. Gedichte und kurze Prosa mit Zeichnungen von Anna H. Frauendorf (2003), Goðan Daginn. Gedichte. Mit Radierungen von Mechthild Mansel (2010).

6 Kommentare

  1. Der Rest = eine analytisch nicht weiter auflösbare Gefühlsstruktur, eine wirkende Restgröße, die keinen Instinkt, Trieb noch gar einen Grundsatz darstellt, nichtsdestoweniger aber den Menschen unausweichlich lenkt. Dies wird freilich selten genug eingestanden, sondern der Mensch findet immer wieder beschönigende Erklärungen („Derivationen“), mit denen er seine Handlungen erläutert. Die Psychologie spricht hier auch von „Rationalisierung“.

  2. Der Rest umfaßt (Strophe für Strophe):

    I: der „Instinkt der Kombinationen“ (kein „Instinkt im zoologischen Sinn! – sondern ein Handlungskomplex, der z.B. habituelles ‚Tricksen’/’Chinchen‘ umfassen kann)

    II: die „Persistenz der Aggregate“ (das Bedürfnis nach stabilen sozialen Verhältnissen, verbunden mit unbefangener Gewaltanwendung zu deren Etablierung oder Bewahrung)

    III: das Bedürfnis, Gefühle durch Handlungen zu bekunden,

    IV: das Bedürfnis nach Soziabilität, d.h. danach, Andere und sich einander anzupassen,

    V: das Streben nach Integrität des Individuums und dessen, was ihm eigen ist (Attribute, auch Besitztümer),

    VI: das sexuelle Residuum (kein „Trieb“ – sondern auch hier ein Handlungskomplex, der durchaus auch Askese umfassen kann).

  3. und immer noch stehen wir auf der langen leitung – und das ist auch, wie seine psychologin sagen würde, völlig in ordnung so, getragen von wasser und strom. sie hat recht damit – selbst wenn es ihm jetzt nicht weiter hilft. machen wir om und fragen nicht nach dem „also, wie lange“. selbst wenn es die einzig richtige frage ist: der mensch denkt, gott lenkt, geteilt durch, rest x.

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