Komm, ich zeige dir ein Bild

Komm, ich zeige dir ein Bild.

Es ist, wenn wir groß sind.

Dann wohnen wir in einem kleinen Haus. Es ist sehr klein, aber das ist nicht schlimm, denn alles, was wir haben und brauchen, passt rein. Nur in einem Zimmer, da steht nichts. Das ist leer. Da gibt es nichts, was man aufräumen muss und auch nichts, was man abstauben muss – der Raum ist da frei. Es ist kein großes Zimmer, aber es hat ein großes Fenster. An den Wänden ist keine Tapete, vielleicht aber ein paar Bilder, das weiß ich noch nicht so genau. Der Boden ist aus Holz und ganz alt. Das Haus ist nämlich auch ganz alt und die meisten Dinge darin auch. Deswegen riechen sie so gut.

Das ganze Haus duftet. Unten riecht es etwas nach Erde. Der Boden ist da aus Stein und das riecht man natürlich. Der Boden ist auch kalt, deswegen darfst du im Winter und im Herbst nur mit deinen warmen Pantoffeln darauf laufen, damit du nicht krank wirst. Im Sommer ist es angenehm kitzelig, wenn man mit den nackten Füßen darauf tritt, wenn man grade von draußen kommt, wo es so heiß ist. Aber auch im Winter gibt es unten warmen Boden, das ist der um den Kamin herum. Der kann sogar heiß werden, da musst du aufpassen! Den Kamin darfst du nicht anfassen, aber du darfst ins Feuer schauen. Bestimmt machst du das Feuer auch selbst an, du bist ja groß (beinah hätte ich das vergessen). Wir sitzen oft auf der weichen Couch vor dem Kamin und haben uns ganz doll lieb. Das haben wir natürlich die ganze Zeit, aber dann ist es besonders doll. Und wir lesen uns was vor, da auf der Couch. Und wir erzählen uns Geschichten. Bestimmt haben wir bis dahin ganz viel erlebt und unsere Geschichten sind anders als heute. Wir erzählen uns aber auch in unserem großen Bett Geschichten. Das große Bett ist so groß, dass wir uns da kreuz und quer rein legen können, wie wir wollen! Riesig ist es, obwohl das Haus und das Zimmer klein sind. Manchmal ist die Bettwäsche weiß und ich gucke ganz lange zu, wie du darin liegst und wunderschön aussiehst. Manchmal ist die Bettwäsche ganz bunt. Du siehst dann immernoch wunderschön aus, wenn du darin liegst.
Übrigens haben wir natürlich ganz viele Bücher und ganz viele Regale, in denen die Bücher stehen. Aber sie stehen auch in Stapeln auf dem Boden oder liegen auf dem Fensterbrett. Und wir haben viele Bilder. Die hab ich gemalt. Die meisten für dich. Auf ganz vielen bist du auch drauf.

Um das kleine Haus herum ist auch ein Garten. Mit einem roten Gartenzaun aus Holz, der auch schon ein bisschen alt ist (aber längst nicht so alt wie das Haus!). Darin stehen ein paar Bäume – ein Kirschbaum, drei Apfelbäume (die haben schöne krumme Stämme und sehen ein bisschen wie alte Leute aus) und noch viele andere. Wir können dann ganz leckere Kirschen essen (sogar viele, weil man kein Bauchweh mehr bekommt, wenn man groß ist) und die Äpfel können wir sogar in Körben aufbewahren und bis zum Frühling essen, so viele sind das! Fast der ganze Garten ist Wiese, mit weichem grünen Gras. Aber Büsche und Blumen gibt es auch. Du magst den Frühling, weil dann die Bäume blühen und der ganze Garten bunt ist. Und ich mag den Herbst, weil wir dann Äpfel pflücken und alles gelb und orange leuchtet und wir in Pullovern mit Kapuze draußen sitzen können und ich uns weiche bunte Mützen und Schals für den Winter stricke. Und ich mag den Winter, weil wir es dann in unserem warmen Haus ganz gemütlich und kuschelig haben, Glühwein trinken (wenn man groß ist, darf man das) und leckere Sachen kochen und backen. Du magst auch den Sommer, weil du dann stundenlang in der Sonne liegen kannst und schwimmen gehen kannst und ganz braun wirst.

Öfter haben wir auch mal Besuch von unseren Freunden. Mit denen sitzen wir im Garten, wo du ein kleines Häuschen aus Holz hin gebaut hast, in dem ich ganz viele bunte Kerzen aufgestellt habe. Und Krimskrams, wie auch überall im richtigen Haus (außer natürlich in dem Zimmer, in dem nichts steht – auch kein Krimskrams). Aber wir sitzen auch in der Küche, die bunt und gemütlich ist und jeder Stuhl anders aussieht. Auch unsere Teller und unsere Löffel, die Tassen und Gläser sehen ganz unterschiedlich aus und stehen in einem alten Schrank mit einer Glastür, damit ich das immer sehen kann, weil ich das gerne hab. Dir ist das egal, aber du magst mich, wenn ich glücklich bin.

Aber du magst mich auch, wenn ich traurig bin. Das kommt manchmal vor und dann tröstest du mich (was nicht leicht ist, aber ein so großer und starker Freund wie du kann das ganz toll!). Und ich mag dich auch immer, auch wenn du traurig bist (was auch manchmal vorkommt und dann tröste ich dich auch) und auch wenn du glücklich bist, wenn du müde bist und wenn du wütend bist, wenn du fleißig und wenn du faul bist. Immer halt – so wie jetzt ja auch. Und wenn wir uns zanken, so wie jetzt ja auch, dann müssen wir uns auch wieder vertragen, wir wohnen ja in einem Haus.

In meinem Bild kommen wir ganz gerne in unser kleines Haus, aber wir müssen auch raus gehen und Abenteuer erleben. Aber nicht lange.  Manche Abenteuer machen wir zusammen, manche jeder für sich, und dann kommen wir in das schönste Zuhause der Welt zurück.

Ach es wird toll, unsere Zeit in dem kleinen Haus, in dem großen Bett, auf der weichen Couch, im grünen Gras, unter dem Kirschbaum, in den kitzelnden Sonnenstrahlen.Wenn wir groß sind ist nämlich alles anders – nur nicht, dass ich dich ganz doll lieb hab und immer ganz fest knutsche, wenn ich will – und du auch.

8 Kommentare

  1. Die Neue Gartenlaube wurde 1984 wieder eingestellt. Der Ausdruck Idyll (auch: Idylle) bezeichnet heute harmonisch verklärtes ländliches Leben. Man meint damit meist ein Bild oder einen Zustand, die auf den Betrachter beschaulich und friedlich wirken.

  2. Neue Gartenlaube? Ich halts mit dem Kinderbuch meiner Nichten und Kinder aus dem Sauerländer Verlag: „Weißt du eigentlich, wie lieb ich dich habe?“ Unmittelbar nach dem letzten Wort auf der letzten Seite würde auch ich so ein idyllisches Bild zeichnen könne. Ein Hase für die Inskriptionen – warum nicht? Ist doch eh‘ alles Kinderkram. Und jedes Kind auch hoch begabt.
    (Und falls jemand aus vielschichtigen Gründen nicht mit Kinderbüchern in Kontakt kommt, dann tuts auch Keimzeit „Wenn wir uns Wiedersehen“.)

  3. „… und all‘ die kleinen käferchen halten brav ihr schläferchen…“ ja, ist das nicht schön? „die sonne sagt auf wiedersehen, auch im urwald muss sie untergeht sonst der mond nicht scheint und am ende weint.“ ach ja… schön wars und irgendwie anders. eine „nachtvorstellung der kommödianten, mit roten schuhen den schritt in die realtität verpasst, beim rettungsring dicht daneben gefasst. blau auf blassen schultern – ich heirate paula, nächsten sommer, wenn sie kommt. sie ist nicht zurückgekehrt, schätze, dass sie nicht zu mir gehört – bitte lass es ungestört, das wasser weiß selbst, wo es hingehört…“ schluss jetzt! ich leg mal gleich die scheibe ein und heule hemmungslos. und danke an luciente y negro für ein bild der bilder. das kann dabei rauskommen.

  4. „…Und ich mag dich auch immer, auch wenn du traurig bist (…) und auch wenn du glücklich bist, wenn du müde bist und wenn du wütend bist, wenn du fleißig und wenn du faul bist. Immer halt.“
    Diese Aneinanderreihung von biedermeierischer Glückseeligkeit raubt mir den Verstand! Wo ist der Hass? Der Hass auf den geliebten Menschen am Tisch, im Bett, im Bad: Das Schwein, hat wieder nicht den Spüler ausgeräumt! Tobt wieder mal wie Rumpelstilzchen, nur weil in China der Reissack umfiel und die braune Socke ein Loch hat!

    Leute: LERNT HASSEN! Es ist doch auch nur ein Gefühl (mein Gott, der arme „Hass“, völlig unterbewertet). Gefühle gehören nicht ins Einwegglas (sacht die Frau Kleist. Lasst den Hass raus, dann werdet ihr das Glück schätzen. Amen.

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