Hähnchen und Porno

Dienstag kam sie früher als sonst nach Hause. Schon im Hausflur spürte sie, dass etwas nicht stimmte. Sie hörte, dass der Fernseher lief. Frank sah sonst tagsüber nie fern, selbst wenn er Zeit hatte. Leise schloß sie die Wohnungstür auf und ging ins Wohnzimmer.
Frank saß auf dem Sofa und bemerkte sie nicht. Er war nur mit einem weißen Hemd bekleidet, auf dem Tisch standen die Überreste eines gebratenen Hähnchens und zwei offene Bierflaschen. Im Fernsehen lief mit gedämpfter Lautstärke ein Film mit etlichen blutjungen Mädchen, die ein paar Burschen gerade genüßlich die glattrasierten Hoden und die gierig in die Luft ragenden fetten Schwänze leckten.  Frank bemerkte sie nicht.  Sie konnte zwischen Franks braunen Oberschenkeln seinen Penis sehen. Wie ein dicker gebogener Ast reckte er sich über die weißen Hemdzipfeln und leuchtete rot. Der Anblick war so überraschend, dass ihr meinte, sie hätte das alles noch nie gesehen. Frank hing abwesend lächelnd in einer der Sofaecke und vergnügte sich mit sich selber.
Stumm vor Überraschung lehnte sie im Türrahmen und betrachtete die Szene. Darauf war sie nicht gefasst.
Frank hasste es eigentlich, wenn vor acht Uhr abends der Apparat lief. Gebratene Hähnchen aß er sonst nie. Und Bier trank er nur, wenn sie ausgingen, niemals zu Hause. Im Fernseher quietschten die Mädchen, weil einer der Jünglinge ihnen gerade über die hüpfenden kleinen Brüste ejakulierte.  Für einen Moment überlegte sie, was sie jetzt tun sollte: Sich einfach zu erkennen geben, einschreiten oder mitmachen. Dann hörte sie Frank zufrieden stöhnen, sah, wie plötzlich ein weißer Blitz aus ihm herausschoß und sich über Brust und Bauch verteilte, wie sich seine Augen schlossen und er weich zu lächeln begann, als breite ein warmer Sonnenschein sich über ihn aus.
Lena wich leise zurück in den Flur und lehnte sich an die Wand. Das Schlimme für sie war nicht das Gejohle im Fernseher, war nicht Franks Heimlichtuerei. Dass er es sich auf seine Weise gemütlich machte, wenn sie nicht da war, geschenkt. Der wirkliche Schock war sein Gesichtsausdruck. Sie konnte sich nicht erinnern,  wann sie Frank das letzte Mal so hatte lächeln sehen. Leise schlich sie zurück in den Flur, öffnete, immer noch im Mantel und mit den Taschen in der Hand, noch einmal die Wohnungstür und ließ sie demonstrativ ins Schloß fallen.
„Liebling?“ rief sie, raschelte mit den Taschen und registierte, wie augenblicklich die Geräusche im Wohnzimmer verstummten. Mit leicht zittrigen Fingern knöpfte sie den Mantel auf und hängte ihn an einen Bügel. Als sie die Taschen in die Küche tragen wollte, kam Frank ihr aus dem Wohnzimmer entgegen. „Nanu?“ sagte er beinahe schläfrig, aber keineswegs verlegen. „Ich dachte, du kommst erst heute Abend?“ Er war barfuß, hatte sich eine Jeans übergestreift und hastig zwei Knöpfe des Hemdes geschlossen, es sah nicht übel aus.
„Ich hab den Sport heute ausfallen lassen.“ sagte sie, während sie mit den Taschen in die Küche ging. Behutsam stelle sie die Einkäufe auf dem Tisch ab. „Mir war nicht danach.“„Scheint ein schlechter Tag zu sein.“ meinte Frank, der ihr vom Flur aus zusah und die Arme verschränkte als wäre ihm kalt. „Ich habe es mir auf der Couch gemütlich gemacht. Mein Kopf schmerzt höllisch. Wahrscheinlich das Wetter.“ Sie blickte aus dem Küchenfenster, draußen türmten sich dicke Regenwolken über den blühenden Gärten.
Als sie spät am Abend vorsichtig ihren Arm hinüber auf seine Seite des Bettes schob, rückte Frank kaum merklich von ihr ab. „Was denn?“ knurrte er schläfrig. „Ich schlafe schon.“ Dann lauschte sie dem Rhythmus seines Atems. Minuten später schien er zu schlafen. Das leise Schnarchen, das sie sonst so rührte, schien ihr plötzlich bedrohlich. In ihrem Bett lag eine Drohne. Ein Blutegel, ein Parasit. Ein hinterhältiger Perverser, ein verpupptes verlogenes Ungeheuer, das hinter der Fassade eines freundlichen, gut aussehenden Mannes auf die Gelegenheit wartete, sich ihrer zu bemächtigen, sie auszusaugen, sie zur willenlosen Marionette seiner Wünsche zu machen.
Sie könnte ihn töten, es wäre gerecht, dachte sie, und sah vor sich wieder die abgenagten Knochen des Brathähnchens auf dem Couchtisch. Und Frank selig versunken mit geschlossenen Augen lächeln.
Dann versank sie in einem unruhigen Schlaf.

eisenhans
Martin Jankowski: geb. 1965 in Greifswald, lebt in Berlin. Songs, Gedichte, Essays, Erzählungen, Roman. Zuletzt göttliches vergnügen auf erden und kosmonautenwalzer (Lyrik, beide aphaia Verlag 2014).

17 Kommentare

  1. gerade kommen wir vom arzt und haben erfahren, dass unser vegetatives nervensystem dringend einer kur bedarf. die erste kur findet hier statt. ein prost auf die reichlich vorhandenen, in meinem spezialfall rasch reagierenden neuronen und synapsen!

  2. schade – gerade als es spanned wurde, wird katholisch keusch abgebrochen: „Als sie spät am Abend vorsichtig ihren Arm hinüber auf seine Seite des Bettes schob, rückte Frank kaum merklich von ihr ab.“ UND WAS WAR „FRÜHER“????

  3. nee rapunzelchen, da wurde keine sexszene rausgeschnitten, falls es das ist, was sie glauben… dies ist ja kein mittwochabendfilm im öffentlich-rechtlichen. (angebot: man kann aber bei bedarf gern selbst noch eine einfügen.)
    😉

  4. was früher war, wird später sein: ihr lolly wurde unter tags immer kleiner, sie stopfte sich den mund mit sushispießen, kalbsfilet und soufflés a la orange. die sind schön rund!

  5. Synapse = Kontaktstelle
    Reize und Impulse übertragen
    Membran mit Spalten und Endknöpfen
    Impuls gegeben (Stück Schokolade)
    Endknöpfe setzen Neurotransmitter frei
    (Botenstoffe, eine chemische Sprache, die für den Körper verständllich ist)

    Papierkorb des Vergessens

  6. lieber eisenhans, ihr protagonist ist mir, im gegensatz zu ihrer protagonistin, äußerst sympatisch! er übernimmt selbst, was andere sowieso nicht leisten können. anders geht es im leben nicht – jeder realist sieht das ein. prost!

  7. liebe ungegessene schwäne, das geht in ordnung und freut mich. übrigens werden in realo nicht nur hähnchen, sondern hin und wieder auch schwäne gern gegessaen und keinesfalls verschmäht! (in den carmina burana sind sie gar die festtagsspeise und singen ja bekanntlich auch gebraten noch von der festtagstafel her einen gar köstlichen gesang…)

  8. „… weil einer der Jünglinge ihnen gerade über die hüpfenden kleinen Brüste ejakulierte.“ das ist einfach göttlich. so kann es in inskriptionen ab jetzt immer weiter gehen. bravo für diese wendung, wurde auch langsam zeit. herrlich erfrischend und belebend!

  9. was? das soll so weitergehen??? da erheb ich aber einspruch: bitte in der möglichen fortsetzung das rollenklischee aufbrechen. ich kenn so einige frauen, die bei hardcore ganz weich werden…

  10. „… bei hardcore ganz weich werden“: und das wäre? bitte diesmal ernsthaft um fortsetzung. und bitte die post rechtzeitig abschicken.

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